TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/30 G301 2243397-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2021
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Entscheidungsdatum

30.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch


G301 2243397-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Kolumbien, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Kolumbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 22.04.2021, Zl. XXXX , betreffend Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wie folgt lautet:

„III. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kolumbien zulässig ist“.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, zugestellt am 26.04.2021, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) vom 28.09.2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG „nach“ (ohne Anführung des Zielstaates, Anm.) zulässig ist (Spruchpunkt III.).

Mit dem am 19.05.2021 beim BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, eingebrachten und mit 17.05.2021 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 14.06.2021 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger der Republik Kolumbien. Der BF verfügt über einen am XXXX .2018 ausgestellten und bis zum XXXX .2028 gültigen biometrischen kolumbianischen Reisepass.

Der minderjährige BF reiste erstmals am XXXX .2020 gemeinsam mit seiner Mutter über den Flughafen Amsterdam-Schiphol (Niederlande) in den Schengen-Raum und in weiterer Folge in Österreich ein. Eine amtliche Meldung mit Hauptwohnsitz erfolgte am XXXX .2020 in XXXX .

Die Mutter als gesetzliche Vertreterin stellte für den minderjährigen BF am 28.09.2020 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.

Die Mutter des BF stellte am XXXX .2020 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit (Au-Pair)“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des Magistrats der Stadt XXXX vom 06.10.2020 wurde die Mutter des BF über die beabsichtigte Abweisung dieses Antrages informiert und zur Stellungnahme aufgefordert. Während des Verfahrens habe sich nämlich herausgestellt, dass die Mutter des BF entgegen ihrer Aussage eine Beziehung mit dem „Gastvater“ führe, die über ein Au-pair-Dienstverhältnis hinausgehe. Es sei wahrscheinlich, dass der Antrag nur zum Zweck des Führens einer eheähnlichen Beziehung gestellt worden sei um länger als die erlaubte visumfreie Zeit in Österreich sein zu können. Dieser Antrag ist derzeit noch offen.

Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, Zl. XXXX , vom 22.04.2021 wurde gegen die Mutter des BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunk I.), die Zulässigkeit der Abschiebung nach Kolumbien festgestellt (Spruchpunkt II.), sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom heutigen Tag gegen die Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen; der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. betreffend Einreiseverbot wurde stattgegeben und dieser Spruchpunkt aufgehoben.

Im Bundesgebiet lebt der österreichische Lebensgefährte der Mutter des BF. Entsprechend den Angaben der Mutter des BF führen sie seit ca. Februar 2020 eine Beziehung, wobei ein gemeinsamer Haushalt erst seit dem Zeitpunkt der Einreise des BF und seiner Mutter in Österreich (amtliche Meldung am XXXX .2020) für die Dauer ihres Aufenthalts bestand. Der minderjährige BF besuchte hier von September 2020 bis zu seiner Ausreise einen Kindergarten. Der Lebensmittelpunkt des BF lag bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise in Kolumbien, dort leben auch sein Großvater und vier Tanten.

Der BF verfügt in Österreich über keine nennenswerten privaten Bindungen. Auch konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer Integration in Österreich sind nicht hervorgekommen.

Der BF verließ den Schengen-Raum gemeinsam mit seiner Mutter am XXXX .2020 über Slowenien (Grenzübergang XXXX ) nach Kroatien. Eine Abmeldung von der österreichischen Meldeadresse erfolgte am XXXX .2021.

Der BF und seine Mutter sind seit XXXX .2021 wieder an der Adresse des Lebensgefährten der Mutter in XXXX mit Hauptwohnsitz angemeldet.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG. In der Beschwerde wird den entscheidungswesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht substanziiert entgegengetreten und auch sonst kein dem festgestellten Sachverhalt entgegenstehendes oder darüber hinaus gehendes Vorbringen in konkreter und substanziierter Weise erstattet. So liegen auch keine widerstreitenden oder sonst strittigen Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit der Feststellung des relevanten Sachverhaltes vor. Mit der vorliegenden Beschwerde wird im Wesentlichen nur die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid bekämpft.

Die auf Grund der vorliegenden Akten in Zusammenschau mit dem Vorbringen der gegenständlichen Beschwerde getroffenen Feststellungen werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zur erstmaligen Einreise und zum Aufenthalt des BF in Österreich sowie zur Ausreise aus dem Bundesgebiet am XXXX .2020, stützen sich auf die unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

Die Feststellungen zur Antragstellung der Mutter des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit (Au-Pair)“ nach dem NAG, zum Stand dieses Verfahrens und zur beabsichtigten Abweisung dieses Antrages durch die zuständige Aufenthaltsbehörde aufgrund der sich im Ermittlungsverfahren herausgestellten Umstände, stützen sich auf die unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

Dass mit Bescheid des BFA vom 22.04.2021, Zl. XXXX , gegen die Mutter des BF eine Rückkehrentscheidung samt zweijährigem Einreiseverbot erlassen wurde, stützt sich auf die unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Die Feststellung, dass die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung und Abschiebung als unbegründet abgewiesen und das Einreiseverbot aufgehoben wurde, beruht auf dem Erkenntnis des BVwG vom heutigen Tag.

Die Feststellung zum Fehlen familiärer und privater Bindungen und zum Nichtvorliegen von Anhaltspunkten für die Annahme einer Integration in Österreich, beruht auf den diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid sowie auf dem Umstand, dass auch die Ausführungen in der Beschwerde und der beim BVwG am 20.08.2021 eingebrachten Stellungnahme keine andere Beurteilung zuließen.

Die Feststellung, dass sich der BF und seine Mutter seit XXXX .2021 wieder in Österreich aufhalten, beruht auf der Mitteilung der BH XXXX (Gerichtsakt zu G301 2243395-1, OZ 4) sowie auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR) und wird durch die von der Mutter des BF erstattete und am 20.08.2021 beim BVwG eingebrachte Stellungnahme (OZ 7) bestätigt. Die Feststellung, dass sie beabsichtigen, die maximal zulässige Aufenthaltsdauer in Österreich zu bleiben und anschließend den Schengen-Raum wieder verlassen zu wollen, und hier bisher keinen (weiteren) Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG gestellt haben, stützt sich auf die eigenen Angaben der Mutter des BF in der schriftlichen Stellungnahme (OZ 7).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Abweisung der Beschwerde (Spruchpunkt A.):

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Gemäß § 58 Abs. 8 AsylG 2005 hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abzusprechen.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Gemäß § 16 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, begründet eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt.

Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abgewiesen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthalts oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben.

Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen die in Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex, VO (EU) 2016/399, genannten Einreisevoraussetzungen. So muss der Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen Reisedokuments und, sofern dies in der sog. Visumpflicht-Verordnung VO (EU) 2018/1806, vorgesehen ist, im Besitz eines gültigen Visums sein. Er muss weiters den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben; er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen und insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.

Der BF ist Staatsangehöriger von Kolumbien und als solcher Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Als Inhaber eines gültigen biometrischen kolumbianischen Reisepasses ist der BF nach Maßgabe des Anhanges II zu Art. 4 Abs. 1 Visumpflicht-Verordnung, VO (EU) 2018/1806, für einen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Schengener Vertragsstaaten, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, von der Visumpflicht befreit.

Der minderjährige BF reiste gemeinsam mit seiner Mutter erstmals am XXXX .2020 mit seinem gültigen Reisepass in den Schengen-Raum und in weiterer Folge in Österreich ein. Er war somit höchstens 90 Tage ab dem Tag der Einreise ohne weitere Voraussetzungen zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Dieser Zeitraum des erlaubten visumfreien Aufenthalts endete demnach am XXXX .2020. Der BF verblieb jedoch darüber hinaus in Österreich, bis er schließlich am XXXX .2020 ausreiste. Der BF hielt sich daher seit Ablauf des erlaubten visumfreien Aufenthalts unrechtmäßig in Österreich auf, zumal er die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt gemäß § 31 Abs. 1 FPG nicht erfüllte und er weder über einen Aufenthaltstitel noch eine andere Berechtigung zum weiteren Aufenthalt verfügte.

An der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts ändert auch der Umstand der Stellung des gegenständlichen Antrages nichts, zumal weder durch die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 noch durch eine Beschwerde gegen eine zurück- oder abweisende Entscheidung ein Aufenthalts- oder Bleiberecht eingeräumt wird (§ 58 Abs. 13 AsylG 2005 und § 16 Abs. 5 BFA-VG).

Der unrechtmäßige Aufenthalt des BF in Österreich wurde auch in der Beschwerde nicht bestritten.

Die belangte Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts bereits mehrere Monate abgelaufen war und sich der BF darüber hinaus unrechtmäßig in Österreich aufhielt.

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides auch die Anspruchsvoraussetzung des § 55 AsylG 2005, wonach lediglich „im Bundesgebiet aufhältigen“ Drittstaatsangehörigen eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen ist, nicht erfüllt war. Der BF hat Österreich am XXXX .2020 verlassen und war somit im Entscheidungszeitpunkt (22.04.2021) nicht in Österreich aufhältig. Weshalb der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 schon mangels Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht zu erteilen gewesen wäre. Mittlerweile ist der BF jedoch seit XXXX .2021 wieder in Österreich aufhältig.

Die privaten und familiären Lebensumstände des BF begründen kein Privat- und Familienleben iSd Art. 8 EMRK, das die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung iSd § 55 AsylG 2005 notwendig machen würde. Da auch die gemeinsam mit dem minderjährigen BF in Österreich aufhältige Mutter von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme betroffen ist, lässt sich in diesem Zusammenhang auch kein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens mit ihr erkennen.

Auch in der Beziehung des minderjährigen BF zum in Österreich lebenden Lebensgefährten der Mutter lässt sich ob der kurzen Zeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht erkennen. Selbst wenn man von einem bestehenden „Familienleben“ ausginge, wäre dieses maßgeblich dadurch relativiert, dass dieses zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten des unsicheren Aufenthalts iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG bewusst waren.

Weiters ist festzuhalten, dass schon im Hinblick auf die kurze Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich (im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwas mehr als fünf Monate) keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige Integration erkennbar sind.

In der Beschwerde wurde – auf das Wesentliche zusammengefasst – vorgebracht, dass es im gegenständlichen Fall keiner Rückkehrentscheidung bedürfe, zumal eine solche nicht notwendig sei und dafür ein öffentliches Interesse fehle. Der minderjährige BF und seine Mutter hätten das Bundesgebiet, wenn auch verspätet, freiwillig verlassen. Weitere Gründe wurden nicht vorgebracht.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens aber ein hoher Stellenwert zu. Das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrages bzw. ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt stellt jedoch eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar, was wiederum eine Aufenthaltsbeendigung als dringend geboten erscheinen lässt (vgl. VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Gesamtheitlich betrachtet ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK offensichtlich nur in Umgehung der Bestimmungen des NAG erfolgte, um dem minderjährigen BF auf dieser Weise ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu verschaffen.

Im Lichte dieser nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung hat sich somit insgesamt nicht ergeben, dass vorhandene familiäre oder private Bindungen in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts überwiegen würden. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheids war daher als unbegründet abzuweisen.

Die belangte Behörde hat in Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG „nach“ zulässig ist, ohne jedoch den Zielstaat der Abschiebung anzuführen.

Es war jedoch aufgrund der Begründung des Bescheides unzweifelhaft davon auszugehen, dass es sich dabei offenbar um eine Nachlässigkeit bzw. um ein redaktionelles Versehen handelte, was für sich allein gesehen aber keine zur Aufhebung führende Rechtswidrigkeit des gesamten Spruchpunktes bedeutet. So stellte die belangte Behörde in Bezug auf den Herkunftsstaat einerseits fest, dass der BF Staatsangehöriger von Kolumbien ist, und traf andererseits die allgemeinen herkunftsstaatsbezogenen Feststellungen ausschließlich zu Kolumbien.

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene amtswegige Feststellung keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass allenfalls auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens die Abschiebung in den Herkunftsstaat Kolumbien unzulässig wäre (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nicht vorliegen und sich sowohl die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als auch die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat als zulässig erwiesen haben, war gemäß § 55 AsylG 2005, § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 3 FPG sowie § 52 Abs. 9 FPG die gegenständliche Beschwerde mit der im Spruch angeführten Maßgabe als unbegründet abzuweisen, dass Spruchpunkt III. einen mit „Kolumbien“ ergänzten Wortlaut erhält.

3.2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall wurde der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substanziierter Weise behauptet (siehe VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018-9).

Es konnte daher gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG – trotz eines entsprechenden Antrages in der Beschwerde – eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Zudem wurde die Mutter des BF als gesetzliche Vertreterin auch mit Schreiben des BVwG vom 02.08.2021 aufgefordert eine Stellungnahme abzugeben und ihr auf dieser Weise Parteiengehör gewährt, dem die Mutter des BF auch nachgekommen ist.

3.3. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt öffentliche Interessen Pandemie Resozialisierung Rückkehrentscheidung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G301.2243397.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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