TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/1 I422 2244632-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2021
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Entscheidungsdatum

01.10.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §52 Abs1 Z2
NAG §53 Abs1
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I422 2244785-1/3E
I422 2244632-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX , geb. XXXX , sowie der minderjährigen XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , beide Staatsangehörige der Slowakei, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 13.07.2021, Zl. XXXX sowie Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

XXXX (im Folgenden: Erstbeschwerdeführer) und seine minderjährige Tochter XXXX (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführerin) reisten gemeinsam in das Bundesgebiet ein und sind beide seit 21.05.2019 durchgehend in Österreich hauptgemeldet.

Jeweils am 03.01.2020 wurde dem Erstbeschwerdeführer seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine Anmeldebescheinigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für den Aufenthaltsweck "sonstige Angelegenheiten (§ 51 Abs. 1 Z 2)" sowie der Zweitbeschwerdeführerin eine Anmeldebescheinigung für den Aufenthaltszweck "Verwandte in gerader absteigender Linie (§ 52 Abs. 1 Z 2)" ausgestellt.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 15.12.2020 wurde mitgeteilt, dass der Erstbeschwerdeführer bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , einen Antrag auf Ausgleichszulage eingebracht habe. Da die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht daher nicht mehr vorliegen würden, werde das BFA hinsichtlich der Beschwerdeführer um Prüfung einer möglichen aufenthaltsbeendenden Maßnahme ersucht.

Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 19.05.2021 ("Parteiengehör / Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde den Beschwerdeführern zur Kenntnis gebracht, dass die Erlassung einer gegen sie gerichteten Ausweisung geprüft werde und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, hierzu sowie zu einem umfassenden Fragenkatalog hinsichtlich ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen ab Zustellung dieser Verständigung schriftlich Stellung zu beziehen.

Via E-Mail über den Account seiner Lebensgefährtin vom 29.06.2021, als Betreff wurde die IFA-Zahl der Zweitbeschwerdeführerin angeführt, brachte der Erstbeschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein. Inhaltlich wurde darin ausgeführt, dass die Beschwerdeführer am 21.05.2019 zur Lebensgefährtin des Erstbeschwerdeführers, ebenfalls eine slowakische Staatsangehörige, und zu deren Kindern nach Österreich gezogen seien, wobei auch eine Heirat geplant sei. Die Beschwerdeführer würden nach wie vor etwa zweimal im Monat in die Slowakei fahren, um die dort lebenden Eltern des Erstbeschwerdeführers zu besuchen. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Slowakei die Berufsschule für Elektriker absolviert, die Zweitbeschwerdeführerin besuche in Österreich die Volksschule. Der Erstbeschwerdeführer sei nicht berufstätig und beziehe aufgrund einer Krankheit eine Invaliditätspension aus der Slowakei, samt Witwerpension, Waisengeld und Familienbeihilfe, wodurch er insgesamt etwa 942 Euro monatlich lukriere. Den Haushalt würde er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin finanzieren, welche in Österreich berufstätig sei und seien die Beschwerdeführer in Österreich krankenversichert. Der Erstbeschwerdeführer und seine Lebensgefährtin hätten in Österreich ein Haus gebaut und würden gemeinsam den Kredit hierfür bedienen. Zwar werde er in seiner Heimat weder strafrechtlich noch politisch verfolgt, doch wolle er in Österreich leben, da er mit seiner Partnerin und den Kindern eine Familie bilde. Dem E-Mail angeschlossen waren Meldezettel sowie ein Kontoauszug des Erstbeschwerdeführers, welcher einen Eingang von der slowakischen Sozialversicherung („Sociálna poist'ovna“) vom 18.06.2021 in Höhe von 677,20 Euro ausweist.

Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 13.07.2021 wurden die Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, den Beschwerdeführern würde kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukommen. Der Erstbeschwerdeführer gehe weder einer selbständigen noch einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach und habe durch die Beantragung der Ausgleichszulage demonstriert, dass er nicht über genügend Existenzmittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes und des Lebensunterhaltes der Zweitbeschwerdeführerin verfüge. Von der Abgabe einer Stellungnahme in Bezug auf das ihnen im Verfahren gewährte Parteiengehör hätten die Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht.

Via E-Mail vom 20.07.2021 wandte sich der Erstbeschwerdeführer an die belangte Behörde und führte aus, bereits am 29.06.2021 via E-Mail eine Stellungnahme an diese gerichtet zu haben. Er wolle sich erkundigen, ob die belangte Behörde diese Stellungnahme auch erhalten habe. Er habe nunmehr eine Aufforderung zur Ausreise erhalten, wodurch seine Familie „zerrissen“ würde. Angeschlossen war abermals das E-Mail mit der Stellungnahme vom 29.06.2021 samt Anhängen.

Mit Schriftsatz vom 21.07.2021 erhob der Erstbeschwerdeführer gegen die gegenständlich angefochtenen Bescheide fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Inhaltlich wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe die schriftliche Stellungnahme des Erstbeschwerdeführers im Verfahren gänzlich negiert. Er lebe mit der Zweitbeschwerdeführerin und seiner Lebensgefährtin, welche in Österreich berufstätig sei, als auch mit deren Kindern in einem gemeinsamen Haushalt und würden er und seine Lebensgefährtin die Kinder zusammen erziehen. Die Zweitbeschwerdeführerin, deren Mutter verstorben sei, würde die Lebensgefährtin des Erstbeschwerdeführers „Mama“ nennen und auch der Erstbeschwerdeführer würde die Kinder seiner Lebensgefährtin akzeptieren wie seine eigenen. Die Familie habe ein neues Haus gebaut und hätten der Erstbeschwerdeführer uns seine Lebensgefährtin vor, in Österreich zu heiraten. Die Familie sei zusammen sehr glücklich und würde eine Ausweisung der Beschwerdeführer aus Österreich das Familienleben zerstören. Der Erstbeschwerdeführer sei von einem Freund im Hinblick auf seinen eingebrachten Antrag auf Ausgleichszulage falsch beraten worden. Diesen Antrag habe er mittlerweile bereits zurückgezogen, er benötige keine finanzielle Unterstützung vom Staat.

Beschwerde und Bezug habende Akten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.07.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Erstbeschwerdeführer sowie seine minderjährige Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, sind Staatsangehörige der Slowakei. Ihre Identität steht fest.

Jeweils am 03.01.2020 wurde dem Erstbeschwerdeführer seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine Anmeldebescheinigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für den Aufenthaltsweck "sonstige Angelegenheiten (§ 51 Abs. 1 Z 2)" sowie der Zweitbeschwerdeführerin eine Anmeldebescheinigung für den Aufenthaltszweck "Verwandte in gerader absteigender Linie (§ 52 Abs. 1 Z 2)" ausgestellt.

Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ist verstorben. In der Slowakei leben nach wie vor die Eltern des Erstbeschwerdeführers, zu welchen die Beschwerdeführer in regelmäßigem Kontakt stehen und sie in etwa zweimal monatlich besuchen.

Seit 21.05.2019 leben die Beschwerdeführer durchgehend in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit der neuen Lebensgefährtin des Erstbeschwerdeführers, M.H. (IFA-Zl. XXXX ), und deren beiden minderjährigen Töchtern (IFA-Zl.en XXXX sowie XXXX ) sowie deren volljährigem Sohn (IFA-Zl. XXXX ), ebenfalls alle slowakische Staatsangehörige, welche sich auf Grundlage von Anmeldebescheinigungen für den Aufenthaltszweck "Familienangehöriger" rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Der Erstbeschwerdeführer hat in der Slowakei die Berufsschule für Elektriker absolviert, ist jedoch nicht mehr berufstätig und bezieht von einer slowakischen Sozialversicherungsanstalt auf Grundlage einer Invaliden-, Witwer- und Waisenrente Gesamtleistungen in Höhe von 677,20 Euro monatlich, zuzüglich Familienbeihilfe. Seine Lebensgefährtin M.H. geht im Wesentlichen durchgehend seit 01.09.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Angestellte nach. Der Erstbeschwerdeführer und M.H. bestreiten im Familienverband gemeinsam den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder. Die Zweitbeschwerdeführerin besucht in Österreich die Volksschule.

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz, der Erstbeschwerdeführer auf Grundlage einer Krankenversicherung "Auslandsbetreuter Wohnsitz in Österreich" und die Zweitbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft zum Erstbeschwerdeführer.

Am 02.09.2020 stellte der Erstbeschwerdeführer bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , einen Antrag auf Ausgleichszulage. Diesen Antrag hat er am 27.07.2021 – noch vor dessen inhaltlicher Erledigung - wieder zurückgezogen.

Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

Auskünfte aus dem Strafregister, dem zentralen Melderegister, dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister und dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführer steht aufgrund ihrer vor den österreichischen Behörden im Original in Vorlage gebrachten – sowie im zentralen Melderegister und im Informationsverbund zentrales Fremdenregister vermerkten - slowakischen Reisepässe Nr. XXXX (Erstbeschwerdeführer) und Nr. XXXX (Zweitbeschwerdeführerin) fest.

Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen und ihren Familienverhältnissen in der Slowakei ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Erstbeschwerdeführers im Verfahren. Dass er verwitwet ist, ergibt sich überdies aus einer Abfrage im zentralen Melderegister. Dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich die Volksschule besucht, ergibt sich aus einer sich im Akt befindlichen Schulbesuchsbestätigung, welche der Erstbeschwerdeführer vor der Bezirkshauptmannschaft XXXX in den Verfahren bezüglich der Erteilung von Anmeldebescheinigungen in Vorlage gebracht hatte.

Die dauerhafte Meldung der Beschwerdeführer seit 21.05.2019 in einem gemeinsamen Haushalt mit der neuen Lebensgefährtin des Erstbeschwerdeführers, M.H., und deren beiden minderjährigen Töchtern sowie deren volljährigem Sohn ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zum Aufenthaltsrecht von M.H. und ihren drei Kindern in Österreich auf Grundlage von Anmeldebescheinigungen für den Aufenthaltsweck "Familienangehöriger" ergeben sich aus Abfragen im Informationsverbund zentrales Fremdenregister.

Dass der Erstbeschwerdeführer von einer slowakischen Sozialversicherungsanstalt auf Grundlage einer Invaliden-, Witwer- und Waisenrente Gesamtleistungen in Höhe von 677,20 Euro monatlich bezieht, zuzüglich Familienbeihilfe, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben im Verfahren in Zusammenschau mit einem in Vorlage gebrachten Kontoauszug, welcher einen Eingang von der slowakischen Sozialversicherung („Sociálna poist'ovna“) vom 18.06.2021 in Höhe von 677,20 Euro ausweist, sowie einem sich im Akt befindlichen Bestätigungsschreiben („Potvrdenie o vplate dochodkovych davok“ – übersetzt: Bestätigung über die Auszahlung von Rentenleistungen) der slowakischen Sozialversicherung („Socialna poistovna“) vom 06.05.2019, welches der Erstbeschwerdeführer vor der Bezirkshauptmannschaft XXXX im Verfahren bezüglich der Erteilung seiner Anmeldebescheinigung in Vorlage gebracht hatte. Diesem Schreiben ist zu entnehmen, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund einer Invalidenrente („invalidny dochodok“), einer Witwerrente („vdovecky dochodok“) sowie einer Waisenrente („sirotsky dochodok“) Gesamtleistungen in Höhe von 641,20 Euro monatlich bezieht.

Dass M.H. im Wesentlichen durchgehend seit 01.09.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Angestellte nachgeht ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, ebenso wie die getroffenen Feststellungen zum umfassenden Krankenversicherungsschutz der Beschwerdeführer, welcher sich ergänzend aus sich im Akt befindlichen, beidseitigen Kopien ihrer E-Cards ergibt.

Dass der Erstbeschwerdeführer am 02.09.2020 bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , einen Antrag auf Ausgleichszulage stellte, diesen jedoch in weiterer Folge am 27.07.2021 – noch vor dessen inhaltlicher Erledigung - wieder zurückzog, ergibt sich aus einer diesbezüglich seitens des Bundesverwaltungsgerichtes am 27.09.2021 telefonisch bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , eingeholten Auskunft.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Rechtsgrundlagen der Ausweisung:

§ 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF BGBl. I Nr. 54/2021 regelt die Ausweisung:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

§ 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG idgF BGBl. I Nr. 110/2021 lautet:

„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

§ 52 NAG regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.

Der mit "Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern" überschriebene § 52 NAG idgF BGBl. I Nr. 110/2021 lautet:

„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

Gemäß § 53 Abs. 1 NAG haben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nach §§ 51 oder 52 zukommt, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

Gemäß § 55 Abs. 1 NAG kommt EWR-Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Art. 2 ("Begriffsbestimmungen") Z 2 lit. d der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[…]

2. „Familienangehöriger“

[…]

c) die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

[…]“

Art. 7 ("Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate") Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) lautet:

„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.“

3.2.    Zum Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Slowakei und damit EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG bzw. des § 2 Abs. 1 Z 4 NAG.

Da der Erstbeschwerdeführer in Österreich allseits unbestritten keiner selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht (wodurch er auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt in Österreich berechtigt wäre), ist gegenständlich zunächst zu prüfen, ob er den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG, auf dessen Grundlage ihm am 03.01.2020 seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX eine Anmeldebescheinigung zur Dokumentation seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate ausgestellt worden war, nach wie vor erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob er über ausreichende Existenzmittel für sich und seine Familienangehörigen sowie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügt, sodass er während seines Aufenthaltes weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen muss.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sämtliche aktenkundigen bzw. im Beschwerdeverfahren hervorgekommenen Sachverhaltselemente zugrunde zu legen (vgl. VwGH 25.10.2016, Ra 2016/07/0081; 27.01.2016, Ra 2014/10/0038; 17.12.2014, Ro 2014/03/0066) und grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage in seinem aktuellen Entscheidungszeitpunkt abzustellen (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2019/10/0012, mwN).

Wie das Ermittlungsverfahren ergab, bezieht der Erstbeschwerdeführer von einer slowakischen Sozialversicherungsanstalt auf Grundlage einer Invaliden-, Witwer- und Waisenrente Gesamtleistungen in Höhe von 677,20 Euro monatlich, zuzüglich Familienbeihilfe, während seine Lebensgefährtin M.H. im Wesentlichen durchgehend seit 01.09.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Angestellte nachgeht und beide gemeinsam im Familienverband den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bestreiten. Darüber hinaus verfügt der Erstbeschwerdeführer über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz und hat in Österreich zu keinem Zeitpunkt je Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage in Anspruch genommen, nachdem er seinen Antrag auf Gewährung der Ausgleichszulage bei der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , vom 02.09.2020 noch vor dessen inhaltlicher Erledigung wieder zurückgezogen hatte. Die seitens des Erstbeschwerdeführers in Österreich bezogene Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 stellt ebenfalls keine Sozialhilfeleistung im Sinne des Unionsrechts dar, sondern vielmehr eine Transferleistung, welche die im Vergleich zu einer nicht unterhaltspflichtigen Person verminderte Leistungsfähigkeit durch entsprechende Verminderung der Steuerlast berücksichtigen soll, wobei dem Gesetzgeber der rechtspolitische Spielraum eingeräumt ist, dies nicht durch eine unmittelbare Berücksichtigung bei der Einkommensteuerfestsetzung durch einen Absetz- oder Freibetrag umzusetzen, sondern eben durch direkt ausgezahlte Transferleistungen wie die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag (vgl. VwGH 29.09.2011, 2011/16/0065; VfGH 30.11.2000, B 1340/00, VfSlg 16.026).

Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie - in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG - in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendigerweise impliziert, dass die Beantragung von Sozialleistungen nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorhanden sind (vgl. EuGH 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH 19.09.2013, Brey, C-140/12; überdies VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0047). Darüber hinaus hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausgesprochen, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b enthaltene Formulierung "über die erforderlichen Mittel verfügen" dahingehend auszulegen sei, dass es ausreichend ist, wenn dem Unionsbürger diese Mittel zur Verfügung stehen, ohne dass die Bestimmung Anforderungen an die Herkunft der Mittel stellt, sodass diese etwa auch von einem Drittstaatsangehörigen stammen können (vgl. EuGH 16.7.2015, K. Singh u.a., C-218/14, Rn. 74). Folglich schließt der Umstand, dass die Existenzmittel, über die der Erstbeschwerdeführer verfügt und die u.a. auch aus dem Erwerbseinkommen seiner Lebensgefährtin stammen, es nicht aus, dass die in Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie enthaltene Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel als erfüllt anzusehen ist (vgl. EuGH aaO., Rn. 76; VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0080).

Nach Art. 8 Abs. 4 der Freizügigkeitsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten auch keinen festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern ist die persönliche Situation des Betroffenen zu berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten können zwar einen bestimmten Betrag als Richtbetrag angeben, sie können aber nicht ein Mindesteinkommen vorgeben, unterhalb dessen ohne eine konkrete Prüfung der Situation des einzelnen Betroffenen angenommen würde, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. EuGH 19.9.2013, Brey, C-140/12). Es bedarf also bei der Frage, ob einer Person ausreichende Existenzmittel iSd § 51 Abs. 1 Z 2 NAG zur Verfügung stehen, einer konkreten Einzelfallbeurteilung (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0222, mwN).

Im Rahmen einer Gesamtschau ist gegenständlich nach wie vor von einer Erfüllung der Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd § 51 Abs. 1 Z 2 NAG (ausreichende Existenzmittel und umfassender Krankenversicherungsschutz) durch den Erstbeschwerdeführer auszugehen. Wenngleich er lediglich Leistungen einer slowakischen Sozialversicherungsanstalt in Höhe von 677,20 Euro zuzüglich Familienbeihilfe bezieht, so ist seine Lebensgefährtin nachhaltig auf dem österreichischen Arbeitsmarkt integriert und geht im Wesentlichen durchgehend seit 01.09.2017 angemeldeten Erwerbstätigkeiten als Angestellte nach, wobei der Erstbeschwerdeführer und seine Lebensgefährtin gemeinsam im Familienverband den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder bestreiten. Auch wenn die Stellung eines Antrages auf Gewährung der Ausgleichszulage zwar indizieren mag, dass der Erstbeschwerdeführer nicht über ausreichende Existenzmittel für sich und seine Familienangehörigen (gegenständlich in Gestalt der Zweitbeschwerdeführerin) verfügt, so steht unter Berücksichtigung der konkreten Situation, wonach er den betreffenden Antrag bereits vor dessen inhaltlicher Erledigung wieder zurückgezogen hatte und offenkundig - mit der Unterstützung seiner berufstätigen Lebensgefährtin - dennoch seit Mai 2019 ohne den Bezug von Sozialhilfeleistungen oder der Ausgleichszulage seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet zu bestreiten vermochte, fest, dass der Erstbeschwerdeführer die Tatbestandsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor erfüllt. Demzufolge kommt ihm gemäß §§ 51 Abs. 1 Z 2 iVm 55 Abs. 1 NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

Ebenso kommt der Zweitbeschwerdeführerin nach wie vor auf Grundlage von §§ 52 Abs. 1 Z 2 iVm 55 Abs. 1 NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu. Dieser Tatbestand setzt in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 lit. c iVm Art. 7 Abs. 1 lit. b der Freizügigkeitsrichtlinie u.a. voraus, dass einem EWR-Bürger, welcher Angehöriger eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres ist, von diesem tatsächlich Unterhalt gewährt wird. Zum Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung hat der Gerichtshof der Europäischen Union in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass sich die Eigenschaft als Familienangehöriger, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger "Unterhalt gewährt", aus einer tatsächlichen Situation ergibt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149 unter Verweis auf die Judikatur des EuGH). Fallgegenständlich wird der zehnjährigen Zweitbeschwerdeführerin als Angehöriger in gerader absteigender Linie ihres unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten Vaters, mit welchem sie seit ihrer Einreise im Mai 2019 im gemeinsamen Haushalt bei dessen Lebensgefährtin lebt, offenkundig tatsächlich Unterhalt in Form von materieller Unterstützung im Sinne der vorzitierten Judikatur – etwa durch die Überlassung von Wohnraum sowie Übernahme der Kosten des täglichen Lebens - gewährt.

Die Ausweisung der Beschwerdeführer mit Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide erfolgte daher nicht zu Recht, was auch die Gegenstandslosigkeit des den Beschwerdeführern mit Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide gewährten Durchsetzungsaufschubes bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde waren die angefochtenen Bescheide daher ersatzlos aufzuheben.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2). Diese Bestimmung ist auch in den vom Anwendungsbereich des BFA-VG erfassten Verfahren anwendbar, weil § 21 Abs. 7 BFA-VG nur hinsichtlich von § 24 Abs. 4 VwGVG eine Spezialregelung trifft, im Übrigen aber die Anwendung von § 24 Abs. 1 bis 3 und 5 VwGVG unberührt lässt (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017; VwSlg. 18.966 A/2014).

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Gesamtbetrachtung Interessenabwägung Kassation Kind öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Schulpflicht Unionsbürger Volksschule

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I422.2244632.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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