TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/6 I403 2246687-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2021
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Entscheidungsdatum

06.10.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z1
NAG §53 Abs1
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2246687-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ungarn, vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.08.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ungarn, meldete erstmalig am 16.03.2018 einen Nebenwohnsitz im Bundesgebiet an. Seit 17.04.2018 ist sie durchgehend im Bundesgebiet hauptgemeldet.

Am 17.01.2019 stellte sie beim Amt der XXXX Landesregierung einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung zur Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für den Aufenthaltszweck "Arbeitnehmer".

Mit Schreiben des Amtes der XXXX Landesregierung vom 07.07.2021 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) zur Kenntnis gebracht, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf das anhängige Antragsverfahren bezüglich der Ausstellung einer Anmeldebescheinigung mehrfach schriftlich aufgefordert worden sei, einen Nachweis hinsichtlich eines aufrechten Dienstverhältnisses zu erbringen, diesen jedoch schuldig geblieben sei. Da überdies auch keinerlei Nachweise bezüglich des Vorhandenseins ausreichender Existenzmittel oder eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes erbracht worden seien, würden die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG im Falle der Beschwerdeführerin nicht vorliegen und werde daher das BFA mit einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst.

Mit Schriftsatz der belangten Behörde vom 04.08.2021 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt werde, gegen sie eine Ausweisung zu erlassen und ihr die Möglichkeit eingeräumt, hierzu sowie zu einem umfassenden Fragenkatalog hinsichtlich ihrer persönlichen und familiären Verhältnisse innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung dieser Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Mit Schriftsatz vom 12.08.2021 brachte die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein. Darin führte sie aus, sie habe in Ungarn bis 1991 die Schule, das „Berufsgymnasium“ sowie die Berufsschule besucht. Seit März 2018 halte sie sich im Bundesgebiet auf, da sie hier eine Arbeit annehmen habe wollen, und sei sie von März 2018 bis Juli 2019 in mehreren Hotels als Reinigungskraft tätig gewesen. Seit 22.07.2019 sei sie arbeitslos und habe bisher keine neue Anstellung finden können, wenngleich sie „aktuell wieder intensiv auf Arbeitssuche“ sei, bereits einige Bewerbungsgespräche geführt und auch kommende Woche bereits wieder ein Bewerbungsgespräch vereinbart habe. Sie habe in der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit einige vom AMS organisierte Deutsch-Kurse besucht und ihren Lebensunterhalt über den Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe bestritten. Überdies könne sie gratis in einem kleinen Zimmer wohnen. In Ungarn werde sie weder strafrechtlich noch politisch verfolgt und sei sie auch niemals strafgerichtlich verurteilt worden. Im März 2021 sei sie an „Corona“ erkrankt, jedoch gehe es ihr mittlerweile wieder besser und könne sie auch wieder beginnen zu arbeiten. Sie wolle weiterhin in Österreich bleiben und hoffe „bald eine gute Arbeit für mich zu finden“. Dem Schreiben angeschlossen waren eine Bestätigung ihres Unterkunftgebers, wonach sie gratis bei diesem wohnen könne; ein Meldezettel; Kopien ihres Reisepasses sowie ihrer E-Card; diverse Dienst- und Arbeitsverträge aus vorangegangenen Beschäftigungsverhältnissen in Österreich; ein Versicherungsdatenauszug; diverse Bestätigungen des AMS; überdies ein Absonderungsbescheid des Amtes der XXXX Landesregierung vom 05.05.2021 bezüglich ihrer COVID-19-Erkrankung.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.08.2021 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihr ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin gehe im Bundesgebiet keiner Beschäftigung nach und bestreite ihren Lebensunterhalt über den Bezug von Notstandshilfe. Auch habe sie nicht dargelegt, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, sodass die Gefahr bestehe, dass sie zu einer Belastung für die Gebietskörperschaften werde. Sie erfülle daher nicht die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG.

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 14.09.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Inhaltlich wurde darin insbesondere ausgeführt, die Beschwerdeführerin gehe seit 23.08.2021 wiederum einer angemeldeten Erwerbstätigkeit im Umfang von 34 Wochenstunden als Reinigungskraft in einem Fitnessstudio nach. Darüber hinaus sei sie mit einem in Österreich daueraufenthaltsberechtigten ungarischen Staatsangehörigen liiert und habe vor diesen zu heiraten. Der Beschwerde angeschlossen waren u.a. der Dienstvertrag der Beschwerdeführerin samt einer Arbeitszeitvereinbarung vom 20.08.2021, sowie Kopien des Reisepasses und der Bescheinigung des Daueraufenthaltes für EWR-Bürger ihres ungarischen Lebensgefährten.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 24.09.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Ungarn. Ihre Identität steht fest.

Seit 23.08.2021 geht sie laufend einer angemeldeten Erwerbstätigkeit als Arbeiterin des Unternehmens " XXXX " nach.

Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Auskünfte aus dem zentralen Melderegister, dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger und dem Strafregister wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund ihres vor den österreichischen Behörden in Vorlage gebrachten – sowie im zentralen Melderegister und Informationsverbund zentrales Fremdenregister vermerkten – ungarischen Personalausweises Nr. XXXX fest.

Die laufende Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin als Arbeiterin des Unternehmens " XXXX " seit 23.08.2021 ergibt sich aus einer tagesaktuellen Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, ergänzend aus einem dem Beschwerdeschriftsatz angeschlossenen Dienstvertrag samt Arbeitszeitvereinbarung vom 20.08.2021.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

§ 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF BGBl. I Nr. 54/2021 regelt die Ausweisung:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

§ 51 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG idgF BGBl. I Nr. 110/2021 lautet:

„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

Gemäß § 53 Abs. 1 NAG haben EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nach §§ 51 oder 52 zukommt, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

Gemäß § 55 Abs. 1 NAG kommt EWR-Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Art. 7 ("Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate") Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 („Freizügigkeitsrichtlinie“) lautet:

„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.“

3.2. Zum Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Ungarn und damit EWR-Bürgerin iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG bzw. des § 2 Abs. 1 Z 4 NAG.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass ihr kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zukomme, da sie keine der in § 51 Abs. 1 NAG genannten Voraussetzungen erfülle.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung sämtliche aktenkundigen bzw. im Beschwerdeverfahren hervorgekommenen Sachverhaltselemente zugrunde zu legen (vgl. VwGH 25.10.2016, Ra 2016/07/0081; 27.01.2016, Ra 2014/10/0038; 17.12.2014, Ro 2014/03/0066) und grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage in seinem aktuellen Entscheidungszeitpunkt abzustellen (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2019/10/0012, mwN).

Wie sich aus einer tagesaktuellen Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger unstreitig ergibt, geht die Beschwerdeführerin nunmehr seit 23.08.2021 einer angemeldeten Erwerbstätigkeit als Arbeiterin des Unternehmens " XXXX " nach. Damit ist sie in Österreich Arbeitnehmerin und als EWR-Bürgerin auf Grundlage des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zum Aufenthalt für mehr als drei Monate im Bundesgebiet berechtigt. Auch geht von der strafgerichtlich unbescholtenen Beschwerdeführerin keine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit aus, welche gemäß § 55 Abs. 3 NAG einem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht entgegenstehen würde.

Der Umstand, dass sie über keine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG zur Dokumentation ihres unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts verfügt, schadet hierbei nicht, da einer solchen lediglich deklarativer Charakter zukommt (vgl. VwGH 10.03.2021, Ra 2020/22/0256).

Die Ausweisung der Beschwerdeführerin mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte daher nicht zu Recht, was auch die Gegenstandslosigkeit des der Beschwerdeführerin mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gewährten Durchsetzungsaufschubes bedingt. In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2). Diese Bestimmung ist auch in den vom Anwendungsbereich des BFA-VG erfassten Verfahren anwendbar, weil § 21 Abs. 7 BFA-VG nur hinsichtlich von § 24 Abs. 4 VwGVG eine Spezialregelung trifft, im Übrigen aber die Anwendung von § 24 Abs. 1 bis 3 und 5 VwGVG unberührt lässt (vgl. VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017; VwSlg. 18.966 A/2014).

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Arbeitnehmer aufenthaltsbeendende Maßnahme Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Dienstverhältnis Durchsetzungsaufschub Einkommen ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Existenzminimum Interessenabwägung Kassation Krankenversicherung Notstandshilfe öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2246687.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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