TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/7 I403 2246250-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2021
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Entscheidungsdatum

07.10.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2246250-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Estland, vertreten durch RA Mag. Sebastian LESIGANG, Wickenburggasse 3/11, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Estlands, stellte am 20.09.2019 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Selbständiger“; das Amt der XXXX Landesregierung stellte ihm eine solche aber nicht aus, sondern ersuchte am 22.12.2020 die belangte Behörde, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, gemäß § 55 Abs. 3 NAG eine mögliche Aufenthaltsbeendigung zu überprüfen.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 03.08.2021 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer erfülle die Voraussetzungen des § 51 NAG nicht. Weiters verfüge er weder über einen Krankenversicherungsschutz noch über ausreichende Existenzmittel. Somit erfülle er nicht die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate.

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 27.08.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 10.09.2021 vorgelegt.

Am 07.10.2021 wurden eine Lohnabrechnung für den September 2021 und eine Bestätigung des Arbeitgebers des Beschwerdeführers vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Estlands und somit EWR-Bürger. Er hält sich seit September 2019 in Österreich auf und beantragte die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Selbständiger“; eine solche wurde ihm allerdings nicht erteilt. Er erzielte 2019 ein Einkommen von 2.724 Euro und 2020 ein Einkommen von 4.159,50 Euro aus einer selbständiger Tätigkeit als Vortragender. Der Beschwerdeführer hatte sich freiwillig krankenversichert, war im April 2021 aber in Rückstand (in Höhe von 255,08 Euro) mit seinen Beitragszahlungen. Er ist noch immer bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen versichert.

Der Beschwerdeführer geht seit 25.08.2021 einer geringfügigen unselbständigen Beschäftigung nach und verdient 400 Euro im Monat. Ihm wurde eine Vollzeitanstellung in Aussicht gestellt.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Das Einkommen des Beschwerdeführers 2019 und 2020 ergibt sich aus den im Akt einliegenden Einkommenssteuerbescheiden. Dass er im April 2021 in Rückstand mit seinen Versicherungsbeiträgen geraten war, ergibt sich aus einem im Akt einliegenden Schreiben der Sozialversicherung. Seine laufende Versicherung ergibt sich aus einer Versicherungsbestätigung vom 03.08.2021.

Dass der Beschwerdeführer seit 25.08.2021 in einem geringfügigen Dienstverhältnis steht, ergibt sich aus der mit der Beschwerde vorgelegten Anmeldung bei der Sozialversicherung, dem Lohnnachweis und der Bestätigung des Dienstgebers.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu den Rechtsgrundlagen:

Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:

„(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:

„(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“

§ 55 Abs. 3 NAG lautet:

„Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.“

3.2. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers:

Mit Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 51 NAG nicht erfüllt. Ein solches kommt einem EWR-Bürger zu, wenn er in Österreich Arbeitnehmer ist.

Der Beschwerdeführer ist seit dem 25.08.2021 geringfügig beschäftigt. Um als "Arbeitnehmer" im Sinn des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zu gelten, muss lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049). In einer Zusammenschau mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bislang auch nie eine Sozialhilfeleistung des österreichischen Staates in Anspruch nahm und ihm auch eine Vollzeitanstellung in Aussicht gestellt wurde, kommt ihm ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu.

Die Ausweisung des Beschwerdeführers mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides erfolgte daher nicht zu Recht, was auch die Gegenstandslosigkeit des ihm mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gewährten Durchsetzungsaufschubes bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Der Beschwerdeführer bescheinigte durch die der Beschwerde beigelegte Anmeldung bei der Sozialversicherung und durch die nachträglich vorgelegte Bestätigung des Arbeitgebers, dass er ein Dienstverhältnis eingegangen ist.

Es waren keine weiteren Beweise aufzunehmen und wurde zudem dem Beschwerdebegehren stattgegeben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einkommen ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Existenzminimum geringfügige Beschäftigung Kassation Selbstständiger Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2246250.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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