Entscheidungsdatum
28.10.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W177 2158394-1/23E
Schriftliche Ausfertigung des am 13.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Volker NOWAK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 02.05.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.07.2021, zu Recht:
A) I. Die Beschwerde wird gemäß den § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF und § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 57 AsylG wird die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. erster Satz abgewiesen.
III. Die übrigen Spruchpunkte werden als gegenstandslos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der am 27.11.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, er stamme aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Sar-e Pol. Er habe eine fünfjährige Schulbildung erhalten und zuletzt als Landwirt gearbeitet. Er sei gehöre der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an und sei Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er sei ledig und habe keine Kinder. Seine Muttersprache sei Dari. Seine Eltern, seine drei Brüder und seine Schwester würden in seinem Heimatdorf leben, wo er sich vor seiner Ausreise ebenfalls dauerhaft aufgehalten habe. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, er habe sein Heimatland verlassen, weil dort eine schlechte Sicherheitslage vorherrsche und die Taliban in seiner Provinz sehr aktiv wären. Die Taliban hätten seinem Vater gesagt, dass sich der BF und dessen jüngerer Bruder ihnen anschließen hätten müssen. Da er sich geweigert habe, unschuldige Menschen zu töten, habe er sein Heimatland verlassen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er eine Zwangsrekrutierung und habe er Angst, von den Taliban getötet zu werden.
3. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“) am 19.04.2017 gab der BF an, dass es ihm gut gehe und er gesund sei. Er legte seine Tazkira, Unterlagen zu Deutschkursen und medizinische Befunde betreffend eine Augenverletzung vor. Einige Altersangaben bezüglich ihm und seinen Angehörigen würden etwas divergieren, weil er bei der Erstbefragung gestresst gewesen sei.
Er sei ledig, habe keine Kinder und keine Verwandten in Österreich. In Österreich lebe er von der Grundversorgung und lerne Deutsch. Weder arbeite er noch gehe er ehrenamtlichen Tätigkeiten nach.
Er sei afghanischer Staatsangehöriger und stamme aus der Provinz Sar-e Pol, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , wo er sich auch bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan dauerhaft aufgehalten habe. Abgesehen davon habe er sich nur einmal eine Woche in Pakistan aufgehalten. Er sei Angehöriger der Volksgruppen der Tadschiken und gehöre der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei drei bis vier Jahre in die Schule gegangen und habe nach einem Jahr Heimunterricht erhalten sowie Berufserfahrung als Schweißer und Landwirt gesammelt, wobei sein Hauptberuf Schweißer gewesen sei. In seinem Heimatdorf würden noch seine Eltern, zwei Brüder und eine Schwester leben. Ein weiterer Bruder habe ebenfalls fliehen wollen, sei aber abgängig, seitdem man ihn im Iran geschnappt habe. Mit seiner Mutter habe er regelmäßigen Kontakt. Sein Vater habe seine Familie ernähren können. Dieser sei aber noch nach der Ausreise des BF von den Taliban bedroht worden.
Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass die Taliban den BF und seinen Bruder hätten zwangsrekrutieren wollen. Der Vater habe die Taliban mit dem Vorwand, dass die Mutter des BF schwer krank sei und er die beiden morgen noch nicht schicken könne, wegschicken können. Sein Vater habe dann bei ihm nachgefragt, ob er zu den Taliban gehen wolle, was der BF verneinte hätte. Daraufhin habe sin Vater gemeint, dass er fliehen müsse. Er habe dann gleich in der Nacht mit seinem Bruder und seinem Nachbarn die Flucht begonnen. In seiner Heimatregion würden die Taliban von allen Geld fordern und Personen rekrutieren, von denen sich einige freiwillig, andere mit Zwang den Taliban anschließen würden. Auch nach seiner Flucht hätten die Taliban Geld von seinem Vater gefordert, weil er seine Söhne nicht übergeben habe. Es habe immer nur Probleme mit den Taliban gegeben, mit der Regierung nie.
Die anderen beiden Brüder wären aus Altersgründen bzw. aufgrund einer Beinverletzung nicht für eine Zwangsrekrutierung interessant gewesen. Ansonsten wären alle jungen und gesunden Männer für die Taliban interessant. Diese wären nach diesem Besuch noch drei weitere Mal nach seiner Ausreise gekommen. Bei diesem Besuch hätten sie dezidiert bei seinem Vater nach den beiden Söhnen gefragt, zuvor hätten sie nur Geld oder Naturalien verlangt. Dies sei regelmäßig seit drei bis vier Jahren passiert. Dann hätten die Taliban hohe Verluste gehabt und daher neue Kämpfer benötigt. Sein Vater habe nach seiner Flucht den Taliban 3.000 US-Dollar zahlen müssen. Diese hätten ihm vorgeworfen, dass er seine Söhne weggeschickt hätte und ihn deshalb auch verprügelt. Als die Drohungen schlimmer geworden wären, sei die Familie in die Provinzhauptstadt gezogen. Er selbst sei damals auch dorthin geflohen und habe sich einen Monat dort aufgehalten, weil die Lage im Heimatdorf angespannt gewesen sei. Er sei aber wegen seiner kranken Mutter wieder zurück ins Heimatdorf gegangen.
Auch wenn ihm diese Taliban namentlich bekannt wären, hätte er nicht zur Polizei gehen können, weil das die Lage verschlimmert hätte und sie ihn vernichtet hätten. Die staatlichen Behörden wären nicht schutzfähig gegen die in seiner Region an der Macht befindlichen Taliban. Die Provinzhauptstadt wäre da etwas sicherer, aber außerhalb der Stadt wäre alles in der Hand der Taliban. In eine andere afghanische Stadt hätte er nicht ziehen können. Die Taliban hätten überall ihre Spione und daher gäbe es in ganz Afghanistan keinen sicheren Ort für ihn.
Danach betonte der BF, dass er keine Sanktionen seitens der Regierung zu befürchten hätte und seine Augenverletzung aus einen Bombenanschlag, der sich drei Jahre vor seiner Ausreise zugetragen habe, resultiere.
4. Mit Bescheid vom 02.05.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt. Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde festgehalten, dass es nicht glaubhaft sei, dass die Taliban in der Region alle jungen Männer zwangsrekrutieren können würden. Ebenso sei es nicht nachvollziehbar, dass dem BF und dessen Bruder große Aufmerksamkeit gewidmet worden wäre, während ein weiterer 18-jähriger Bruder nicht von den Taliban von Interesse sei. Der allgemeinen Lebenserfahrung widersprechend sei es, dass jemand der Todesangst habe, wieder wegen seiner kranken Mutter ins Heimatdorf begeben würde. Auch habe es der BF weder probiert, staatlichen Schutz zu erhalten noch habe er eine ihm offenstehende innerstaatliche Fluchtalternative in eine sichere Region des Landes in Erwägung gezogen. Den Angaben des BF sei daher bezüglich einer aktuellen Bedrohungssituation in Afghanistan kein Glauben geschenkt worden.
Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Auch wenn eine Rückkehr in seine als volatil eingestufte Heimatprovinz nicht möglich sei, sei dem BF eine Rückkehr in Stadt Kabul zumutbar. Diese innerstaatliche Fluchtalternative stünde ihm zur Verfügung, zumal er arbeitsfähig und arbeitswillig sei, er über Berufserfahrung und familiäre Anknüpfungspunkte in seinem Heimatland verfüge. Daher könnte er von diesen, von seiner Heimatprovinz aus, finanziell unterstützen. Betreffend die Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.
5. Mit Verfahrensanordnung vom 02.05.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 02.05.2017 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
8. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 19.05.2017 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde festgehalten, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren getätigt und sich mangelhafter Länderfeststellungen bedient habe. So würden im Bescheid aussagekräftige Berichte über die Zwangsrekrutierung durch die Taliban fehlen. Ebenso wären würden sich keine aktuellen Berichte über die tatsächliche Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden und zur Situation von Rückkehren in diesem befinden. Als Mann im wehrfähigen Alter falle er unter ein Risikoprofil der UNHCR-Richtlinie. Ebenfalls habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan, wie in den in der Beschwerde vorgelegten Berichten aus 2016 und 2017 zu entnehmen sei, verschlechtert, sodass dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei. Auch wären Rückkehrer laut einem Bericht von Human Rights Watch besonderen Schwierigkeiten bei Wiederaufbau einer Lebensgrundlage konfrontiert und die laut Richtlinien des UNHCR werde die afghanische Regierungsführung als besonders schwach angesehen. Aus diesen Gründen habe der BF eine wohlbegründete Furcht einer asylrechtlich relevanten Verfolgungsgefahr in seinem Heimatland darlegen können, ebenso wie das Nichtvorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative.
Daher hätte die belangte Behörde dem BF den Status eines Asylberechtigten zuerkennen müssen, jedoch zumindest den Status des subsidiär Schutzberechtigten. Ebenso hätte die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erklärt werden müssen. Es wurde auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Im Zuge einer Beschwerdeergänzung wurde am 22.05.2017 noch ein Empfehlungsschreiben nachgereicht.
7. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 22.05.2017 vom BFA vorgelegt.
8. Am 03.09.2019 wurde eine Mitteilung über die Ermittlung der Ehefähigkeit vorgelegt. Dieser war zu entnehmen, dass der BF eine Eheschließung mit einer rumänischen Staatsangehörigen bereits am 29.08.2019 vorzogen hat. In weiterer Folge wurde am 27.12.2020 ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen § 117 Abs. 1 FPG (Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen) eingestellt.
9. Mit Schreiben vom 11.12.2020 gab die Rechtsvertretung des BF bekannt, dass sie mit 31.12.2020 die Vollmacht in gegenständlichem Verfahren zurücklege, zumal dieses nicht in der Beilage der nicht von der generellen Zurücklegung der Vertretungsvollmacht betroffenen Verfahren angeführt worden sei.
10. Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache vom bisher zuständigen Gerichtsabteilung (W253) abgenommen und der Gerichtsabteilung W177 neu zugewiesen.
11. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 13.07.2021, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der weder der BF noch eine bevollmächtige Vertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete, mit Schreiben vom 10.06.2021 entschuldigt, auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Es wird festgehalten, dass der BF trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist. Nach dem Verlesen der Aktenteile, erklärte der erkennende Richter diese Aktenteile zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und zum Inhalt der hier zu Grunde liegenden Niederschrift. Danach erfolgte die vorläufige Beurteilung über die politische und menschenrechtliche Situation in seinem Herkunftsstaat, auch unter der Berücksichtigung von COVID-19.
Nach Erörterung der Situation im Falle einer Rückkehr des BF wurde festgehalten, dass der BF nach Einsicht im IFA mit einer rumänischen Staatbürgerin seit dem 29.08.2019 verheiratet ist und beide an derselben Adresse wohnhaft sind. Dem BF wurde am 11.02.2020 ein Aufenthaltstitel (Angehöriger EWR-Bürger) für die Dauer von fünf Jahren erteilt. Er verfügt daher über freien Zugang zum Arbeitsmarkt.
Festgehalten wird auch, dass das erkennende Gericht der Ansicht der belangten Behörde folgt, dass das Vorbringen des BF bezüglich einer Zwangsrekrutierung nicht plausibel ist. Das BFA verwies zurecht darauf, dass der BF ungenaue und oberflächliche Angaben gemacht habe. Zudem ist die Bedrohungssituation nicht mehr aktuell.
Eine außergewöhnliche Integration ist auch nicht anzunehmen, jedoch werden die Spruchpunkte betreffend die Rückkehrentscheidung aufgrund des Aufenthaltstitels als gegenstandlos beheben zu sein.
Danach folgte der Schluss der mündlichen Verhandlung. Gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG erfolgte die mündliche Verkündung der Entscheidung samt der wesentlichen Entscheidungsgründe und erteilter Rechtsmittelbelehrung.
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF und § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) Gemäß § 57 AsylG wird die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. erster Satz abgewiesen (Spruchpunkt II.). Die übrigen Spruchpunkte werden als gegenstandslos behoben (Spruchpunkt III.).
Das Vorbringen der beschwerdeführenden Partei ist vor dem Hintergrund der Ergebnisse der heutigen mündlichen Verhandlung nicht glaubwürdig und auch nicht plausibel. Die Situation im Herkunftsland ergibt sich aus den heute unbestritten gebliebenen Feststellungen. Diese und die weiter unten erwähnten Sachverhalte werden der Entscheidung zugrunde gelegt.
Die beschwerdeführende Partei reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich seither in Österreich auf. Sie ist nach dem Antrag auf internationalen Schutz in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig. Die beschwerdeführende Partei verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse.
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme der beschwerdeführenden Partei in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen zur Identität der beschwerdeführenden Partei ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person der beschwerdeführenden Partei im Asylverfahren.
Die Feststellungen zum Leben der beschwerdeführenden Partei in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinen familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben der beschwerdeführenden Partei in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihr in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen. Es wurde in das Strafregister Einsicht genommen.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der beschwerdeführenden Partei in ihre Herkunftsprovinz ergeben sich aus den in Verhandlung verlesenen Länderberichten. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung der beschwerdeführenden Partei in Städten Herat und/oder Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei. Die Feststellung zur Prognose, dass sich die beschwerdeführende Partei in den Städten Herat und/oder Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Städte Herat und/oder Mazar-e Sharif als relativ sicher gelten und unter der Kontrolle der Regierung stehen. Diese sind auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in diesen Städten grundlegend gesichert.
Die beschwerdeführende Partei ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Sie kann sich daher in den Städten Herat und/oder Mazar-e Sharif zurechtfinden. Die beschwerdeführende Partei verfügt über Berufserfahrung. Sie ist zudem im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, alleinstehend, anpassungsfähig und arbeitsfähig undhat keine Sorgepflichten. Sie kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher auf Grund dieser Umstände davon aus, dass sich die beschwerdeführende Partei nach anfänglichen Schwierigkeiten, in Herat und/oder Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen kann.
Somit ergeben sich aus dem Vorbringen und den internationalen Länderberichten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine besondere individuelle Verfolgung der beschwerdeführenden Partei. Es ist daher auch kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der
Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar. Die vorgebrachte Bedrohung beruht auch nicht auf staatlich zumindest geduldeter Verfolgung.
Die Zulässigkeit der Abschiebung der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den tragenden Gründen des gegenständlichen Erkenntnisses betreffend die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten keine Umstände vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan im Sinne des § 50 FPG ergeben würden. Die Abschiebung wäre schließlich nach § 50 Abs. 3 FPG unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine derartige Empfehlung besteht für Afghanistan nicht. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ist daher grundsätzlich zulässig.
Im Falle einer Verbringung der beschwerdeführenden Partei in den Herkunftsstaat droht dieser kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Der beschwerdeführenden Partei steht eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung, auch wenn sie bis zur Ausreise nicht in Herat oder Mazar-e Sharif gelebt hat, so ist es zuzumuten in eine dieser als relativ sicher eingestuften Städte zu gehen. Die beschwerdeführende Partei kann sowohl Mazar-e Sharif als auch Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Die beschwerdeführende Partei leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit.
Die beschwerdeführende Partei liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie ist in der Lage, in Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem verfügt sie über eine profunde Schulbildung und aufgrund der seit der Ausreise aus Afghanistan gezeigten Anpassungsfähigkeit ist es auch zumutbar, dass man sich wieder in Afghanistan anpassen könnte.
In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass die beschwerdeführende Partei bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat beim Aufbau einer Existenzgrundlage von Familienangehörigen bzw. sonstigen Personen nicht explizit unterstützt wird. Es wird jedoch angemerkt, dass auf jeden Fall bei einer Wiederansiedlung die Rückkehrunterstützung zur Verfügung steht. Die beschwerdeführende Partei verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit. Sie ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache des Herkunftsstaates vertraut hat im Herkunftsland jahrelang gelebt oder ist zumindest in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen.
Die beschwerdeführende Partei hält sich seit rund 6 Jahren in Österreich auf und ist mit einer Rumänin verheiratet.
Die beschwerdeführende Partei pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und Afghanen. Sie ist kein Mitglied von politischen Parteien und war auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften, ist sie nicht Mitglied von Vereinen, geht jedoch zahlreichen gemeinnützigen Tätigkeiten nach.
Die beschwerdeführende Partei ist bisher in Österreich ebenfalls strafrechtlich unbescholten.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung im Herkunftsstaat ergeben sich – unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für Afghanistan – aus den o.a. Länderberichten und dem übrigen in das Verfahren eingeführten Berichtsmaterial in Zusammenschau mit den von der beschwerdeführenden Partei glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.
Die beschwerdeführende Partei verfügt zwar über keine Ortskenntnisse in Herat und Mazar-e Sharif, allerdings sieht das erkennende Gericht auch die Möglichkeit einer Ansiedlung in einer dieser beiden Städte. Hinsichtlich einer Rückkehr nach Afghanistan in eine dieser beiden Städte gefragt, führte die beschwerdeführende Partei aus, dass er einerseits in diesen Städten nicht leben könne, weil sie dort niemanden habe, andererseits viele Rückkehrer in Zelten leben müsse und sogar die Regierung Anschläge fürchte und daher dem BF kein Schutz vor Verfolgung gewährt werden könne. Dieses Vorbringen ist nicht glaubhaft.
Im Übrigen wurden darüberhinausgehende außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen würden nicht genannt bzw. sind im Verfahren nicht hervorgekommen (siehe Verhandlungsprotokoll).
Selbst das mangelnde soziale Netzwerk abseits seiner Heimatprovinz in Afghanistan bewirkt nicht, dass einem jungen, gesunden und erwachsenen Menschen unmöglich wird, mittels Arbeit, Rückkehrhilfe und finanzieller Unterstützung seiner Familie Nahrung und Wohnraum zu beschaffen. Die von der beschwerdeführenden Partei angeführte prekäre Situation zur Versorgungslage nimmt nicht auf die hervorgehobene Sicherheitslage und Erwerbsmöglichkeit in Mazar-e Sharif und Herat Bezug.
Es ist daher anzunehmen, dass die beschwerdeführende Partei im Herkunftsstaat im Falle einer Rückkehr in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Einkommen zu sichern und somit nicht in eine hoffnungslose Lage geraten wird. Dafür spricht zuletzt auch die Tatsache, dass sie als unbegleiteter Minderjähriger in der Lage war, völlig auf sich alleine gestellt über ihm unbekannte Länder die Flucht bis nach Österreich zu meistern, wobei man sicherlich ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit unter Beweis stellen musste.
Insgesamt konnte die beschwerdeführende Partei eine Gefährdungssituation nicht aufzeigen, der er im Falle einer Rückkehr in exponierter Weise ausgesetzt wäre. Unter Beachtung der zur Verfügung stehenden Berichtslage sowie der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (wie z.B. familiäre Anknüpfungspunkte, Berufserfahrung, Vermögen, usw.) ergibt sich, dass eine Rückkehr des BF nach Afghanistan möglich ist.
Die höchstgerichtliche Judikatur bestätigte in einer aktuellen Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall die Beschwerdeablehnung in vollem Umfang. In diesem Erkenntnis des BVwG aus September 2018 ging man bei einem afghanischen Staatsangehörigen, der sogar im Iran geboren wurde, dort die Schule besucht und auf Baustellen Berufserfahrung gesammelt hat, von einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat aus. Ebenso sei eine (anfängliche) Unterstützung von im Ausland lebenden Familienangehörigen möglich (vgl. VfGH 25.02.2019, E 4586/18/23 und BVwG 26.09.2018, Zl. W264 2150706-1/27E).
Durch den rund sechsjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und die gültige Aufenthaltsberechtigung aufgrund der Ehe zu einer EWR-Bürgerin, die auch aufrecht ist, ist der BF bereits aus anderen Gründen zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. zweiter und dritter Satz und Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides war daher stattzugeben, weil diese gegenstandslos geworden sind.
12. Am 03.08.2021 erging seitens des erkennenden Gerichts die gekürzte Ausfertigung des am 13.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses. Da jedoch am selben Tag ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 13.07.2021 seitens des BF beim BVwG einlangte, wurde mit Beschluss vom 17.08.2021 die am 03.08.2021 erlassene gekürzte Ausfertigung des am 13.07.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses für gegenstandlos erkärt.
13. Der BF legte im Laufe des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Afghanische Tazkira
? Ärztliche Befunde über eine Augenverletzung
? Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen (Niveau A1)
? Zahlreiche Referenz- und Empfehlungsschreiben
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.
Der BF wurde nach seinen Angaben im Dorf XXXX , Distrikt XXXX Provinz Sar-e Pol, geboren, wo er bis zu seiner erstmaligen Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2015 – abgesehen von einem einwöchigen Aufenthalt in Pakistan –lebte. In seinem Heimatland hat der BF insgesamt fünf Jahre Schulbildung erhalten und Berufserfahrung als Schweißer und Landwirt gesammelt. Er hat Kontakt regelmäßigen zu seinen in seinem Heimatdorf aufhältigen Verwandten. Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF ist in Österreich bislang strafrechtlich unbescholten. Der BF war in seinem Heimatland nicht inhaftiert, hatte in seinem Herkunftsstaat keine Probleme mit Behörden und war dort politisch nicht aktiv.
Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2015 über den Iran und die Türkei in Griechenland auf das Gebiet der EU eingereist. Am 28.10.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF stellte am 28.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland verlassen habe, er habe sein Heimatland verlassen, weil dort eine schlechte Sicherheitslage vorherrsche und die Taliban in seiner Provinz sehr aktiv wären. Die Taliban hätten seinem Vater gesagt, dass sich der BF und dessen jüngerer Bruder ihnen anschließen hätten müssen. Da er sich geweigert habe, unschuldige Menschen zu töten, habe er sein Heimatland verlassen. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er eine Zwangsrekrutierung und habe er Angst, von den Taliban getötet zu werden.
Es wird festgestellt, dass der BF weder seitens einer Privatperson noch von einer regierungsfeindlichen Gruppierung bedroht bzw. gesucht wird. Ebenso wird der BF nicht von der Regierung oder den Taliban oder einer Privatperson gesucht bzw. bedroht.
Der BF wurde weder von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung noch von sonstigen Privatpersonen entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht. Der BF wurde seitens der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung oder von sonstigen Privatpersonen, die ihn suchen würden.
Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung durch eine Privatperson bzw. einer regierungsfeindlichen Gruppierung oder durch die Regierung oder durch die Taliban ausgesetzt ist.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch andere Personen oder die Regierung.
Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken oder zu einer sonstigen sozialen Gruppe konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.
Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.
1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.
Dem BF ist eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Sar-e Pol, die als volatile Provinz eingestuft wird, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF jedoch die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans zumutbar. Auch bei einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.
Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF ist gesund und leidet an keinen Krankheiten. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF.
Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seinem im Heimatdorf in Afghanistan lebenden Angehörigen. Daher ist eine finanzielle Unterstützung durch in Afghanistan lebende Verwandten des BF bei seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht ausgeschlossen.
Für den Fall, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine Unterstützung von seinen Familienangehörigen erhalten würde, hat der BF jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.
Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut, weil er in seinem Heimatland in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen ist und er dort auch eine fünfjährige Schulbildung erhalten sowie Arbeitserfahrung als Schweißer und Landwirt gesammelt hat.
1.4. Zum Leben in Österreich:
Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 28.10.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 28.10.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.
Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen aus seinem Heimatland in Österreich. Er ist mit einer rumänischen Staatbürgerin seit dem 29.08.2019 verheiratet, wobei beide an derselben Adresse wohnhaft sind. Dem BF wurde am 11.02.2020 ein Aufenthaltstitel (Angehöriger EWR-Bürger) für die Dauer von fünf Jahren erteilt. Er verfügt daher über freien Zugang zum Arbeitsmarkt.
Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Der BF ist auch kein Mitglied in Vereinen. Das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch Referenzschreiben belegt, wo der BF als hilfsbereit, freundlich und fleißig wahrgenommen wird.
Der BF besuchte zahlreiche Deutschkurse und konnte dies auch durch Teilnahmebestätigungen darlegen. Er ist daher in der Lage, in einfachen Situationen des Alltagslebens auf elementarer Basis auf Deutsch zu kommunizieren.
Der BF lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine Einstellzusage und hat auch keine gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Aufgaben übernommen. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF nicht gelungen.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine Verurteilungen des BF auf. Er ist unbescholten.
1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 in den Aktualisierungen vom 02.04.2021 und 16.06.2021 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):
Länderspezifische Anmerkungen
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.
Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.
Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.
COVID-19
Letzte Änderung: 10.06.2021
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Frauen, Kinder und Binnenvertriebene
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021