TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/5 W242 2233946-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.11.2021
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Entscheidungsdatum

05.11.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W242 2233946-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Heumayr als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, vertreten durch Mag. Clemens Handler, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Fabriksgasse 10-12, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom XXXX 2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX 2021 zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

II.      Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III.    Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV.      Die Spruchpunkte V. – VII. werden gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

Die gesetzliche Vertreterin stellte am XXXX 2004 für den zu diesem Zeitpunkt minderjährigen Beschwerdeführer einen Asylantrag im Bundesgebiet. Dahingehend führte die Mutter (gesetzliche Vertreterin) in einer niederschriftlichen Einvernahme vom XXXX 2004 aus, dass für den Beschwerdeführer alles gelte, was die Mutter bereits in ihrer Einvernahme angegeben habe. Dem Antrag wurde durch Bescheid des Bundesasylamtes, Zl. XXXX , vom XXXX 2005, stattgegeben und ihm gemäß § 7 AsylG 1997 in Österreich Asyl gewährt. Das Bundesasylamt führte diesbezüglich aus, die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers habe einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorgebracht, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens entgegenstünden, sodass dieser als Feststellung dem vorliegenden Verfahren zugrunde gelegt werden könne.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX 2019 durch ein österreichisches Strafgericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

Das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus wurde am XXXX 2019 eingestellt.

Am XXXX 2020 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass sich der Beschwerdeführer wegen des Verdachtes der Begehung einer Straftat nach § 278b StGB seit dem XXXX 2020 in Untersuchungshaft befinde und wurde abermals ein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus eingeleitet.

Mit Urteil vom XXXX 2020 wurde der Beschwerdeführer abermals durch ein österreichisches Strafgericht verurteilt und zwar zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, wovon 20 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Mit Beschluss vom XXXX 2020 durch ein Landesgericht wurde der Beschwerdeführer nach Verbüßung von fünf Monaten der unbedingten Freiheitsstrafe bedingt entlassen und der Rest der unbedingten Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen, die Probezeit mit drei Jahren bestimmt und Bewährungshilfe angeordnet.

Am XXXX 2020 wurde der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines rechtsfreundlichen Vertreters und zweier Vertrauenspersonen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid vom XXXX 2020 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom XXXX 2005, Zl. XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 ASylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gleichzeitig wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG nach § 52 Abs. 2 Z 3 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien nach § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Aufgrund § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise im Umfang von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.). In weiterer Folge wurde gegen ihn nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Der Bescheid wurde dem rechtsfreundlich vertretenen Beschwerdeführer am XXXX 2020 zugestellt.

Am XXXX 2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und begründete diese mit der inhaltlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides bzw. Rechtswidrigkeit des Bescheides infolge von Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Mit Schreiben vom XXXX 2020 beantragte der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer die Einvernahme von Zeugen im Beschwerdeverfahren.

Am XXXX 2020 übermittelte die Bewährungshilfe einen Bericht zur Verhandlung am XXXX 2020.

Am XXXX 2020 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, in welcher der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer und die beantragten Zeugen einvernommen wurden.

Mit Erkenntnis vom XXXX 2020, ZI. XXXX , gab das BVwG der Beschwerde statt und behob den angefochtenen Bescheid. Außerdem sprach es aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

Am XXXX 2021 wurde der Beschwerdeführer durch einen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erneut niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid vom XXXX 2021 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den mit Bescheid vom XXXX 2005, Zahl: XXXX , zuerkannten Status des Asylberechtigten ab und stellte fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetz nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde dem Beschwerdeführer auch der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Schlussendlich wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Dazu führte der Beschwerdeführer aus, dass der Bescheid seinem ganzen Inhalt nach und hinsichtlich sämtlicher Spruchpunkte wegen materieller Rechtswidrigkeit bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten werde, wobei in der Beschwerde explizit ausgeführt wird, dass Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides nicht bekämpft werde.

Mit Schreiben vom XXXX 2021 informierte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über gegenständliches Verfahren und legte die eingebrachte Beschwerde samt Akt dem BVwG mit dem Antrag, das BVwG möge die Beschwerde als unbegründet abweisen, vor.

Mit Urkundenvorlage vom XXXX 2021 legte der Beschwerdeführer die ÜBA-Ausbildungsvereinbarung betreffend Lehrstelle Metalltechnik – Maschinenbautechnik vom XXXX 2021 vor.

Am XXXX 2021 fand die mündliche Einvernahme des vertretenen Beschwerdeführers vor dem BVwG statt. Im Zuge der Verhandlung legte der Rechtsvertreter die Vertragsbedingungen zur Ausbildungsvereinbarung und einen Auszug aus der Sozialversicherung und eine Bestätigung der Lehrzeit vom XXXX 2021 vor (Beilage ./1).

2. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer verwendet den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Seine Identität steht nicht fest. Er ist georgischer Staatsangehöriger, seine Muttersprache ist Georgisch. Er ist der gemeinsame Sohn von XXXX und XXXX auch XXXX alias XXXX . Den Genannten wurde jeweils der Status des Asylberechtigten aberkannt. Beiden wurde jeweils am XXXX 2021 der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ (jeweils gültig seit XXXX 2021) erteilt.

Der Beschwerdeführer reiste mit seinen Eltern spätestens am XXXX 2004 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX 2004 durch seine gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz, welchem am XXXX 2005 stattgegeben wurde. Er hält sich somit seit rund 16 Jahre durchgehend in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer besuchte im Bundesgebiet die Volks- und die Hauptschule sowie den Polytechnischen Lehrgang. Nach einem AMS Kurs begann er eine Spenglerlehre, welche er nicht zu Ende führte. Seit XXXX 2021 macht er eine Lehre zum Metallbautechniker. Er bezieht derzeit EUR 345 vom BFI und erhält darüber hinaus auch Kinderbeihilfe.

Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet im Bundesgebiet als Hilfsarbeiter bei einem Bauunternehmen. Dabei bezieht er ein monatliches Einkommen von EUR 1.600 oder 1.700.

In Georgien lebt eine Großmutter des Beschwerdeführers, zu der im Moment kein Kontakt besteht. In Österreich leben seine Eltern und seine beiden Brüder. Der Beschwerdeführer lebt mit den Genannten im gemeinsamen Haushalt. Kontakt zu Freunden im Bundesgebiet hat der Beschwerdeführer derzeit keinen. Er ist seit dem XXXX 2004 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet. Er unterstützt seine Familie in finanzieller Hinsicht.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er leidet weder an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich mehrfach vorbestraft:

Am XXXX 2019 wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht XXXX , AZ: XXXX , wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahre bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

Am XXXX 2020 wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht XXXX AZ: XXXX , wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation und des Verbrechens der terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten verurteilt, wobei 20 Monate der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX , AZ: XXXX , vom XXXX 2020, wurde der Beschwerdeführer nach Verbüßung von fünf Monaten der unbedingten Freiheitsstrafe bedingt entlassen und der Rest der unbedingten Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen, die Probezeit mit drei Jahren bestimmt und Bewährungshilfe angeordnet.

Es wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Georgien keiner konkreten und individuellen Gefahr ausgesetzt ist, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlicher Ansichten mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden. Der Beschwerdeführer leitete seinen Asylstatus jedenfalls von seiner Mutter ab, wobei ihr der Status einer Asylberechtigten mit Bescheid vom XXXX 2021 aberkannt wurde. Ihr wurde der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ erteilt. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren selbst keine eigenen asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht.

Es wird außerdem festgestellt, dass unter Berücksichtigung der Verfahrensergebnisse im Zusammenhalt mit den Länderfeststellungen keine Anhaltspunkte hervorgekommen sind, wonach dem Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung nach Georgien eine Verletzung seiner Rechte im Sinne der Art. 2, Art. 3 EMRK bzw. im Sinne der Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 droht.

Zur maßgeblichen Situation in Georgien:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.03.2021 auszugsweise wiedergegeben:

„1. COVID-19

Letzte Änderung: 29.03.2021

COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 25.2.2021).

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg bei positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1.000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020). Im Dezember stieg die tägliche Zahl der Infektionen auf ca. 5.000. Mit strengen Maßnahmen konnte die zweite Welle bis Mitte Jänner 2021 weitgehend unter Kontrolle gebracht werden (civil 18.1.2021).

Die zentrale Homepage der Regierung mit Informationen über Covid-19 ist in Georgien unter www.stopcov.ge zu finden. Die Internetseite ist neben Georgisch auch auf Englisch, Abchasisch, Aserbaidschanisch, Armenisch und Russisch verfügbar. Somit wird gewährleistet, dass auch die Angehörigen von Minderheiten alle relevanten Informationen zur Pandemie im Allgemeinen, zur speziellen Hygiene und zu Maßnahmen der Regierung erhalten (BAMF 10.2020). Auf dieser Seite werden auch tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen veröffentlicht (StopCoV.ge o.D.).

Der öffentliche Überlandverkehr wurde landesweit mit 25.2.2021 wieder aufgenommen (USEMB 25.2.2021). Mit Wirkung von 1.2.2021 durften Schulen, Hochschulen und Kindergärten wieder öffnen (Jam 23.1.2021). Weitere Lockerungen des wirtschaftlichen Lebens wurden im Zeitraum Februar-März 2021 ermöglicht (Gov.ge 24.2.2021). Stand Mitte März 2021 bestehen weiterhin nächtliche Ausgangssperren (USEMB 25.2.2021; vgl. Gov.ge 24.2.2021).

Mitte Jänner 2021 wurde der nationale Impfplan vorgestellt. Die Risikogruppen sollen bis Jahresmitte 2021 geimpft sein. Es ist nicht zu erwarten, dass Personen, die nicht den Risikogruppen angehören, vor dem Spätsommer/Frühherbst 2021 geimpft werden (civil 18.1.2021). Am 13.3.2021 erhielt Georgien, mit Unterstützung der Vereinten Nationen, erstmals 43.200 Impfdosen von Astra Zeneca (UNICEF 12.3.2021).

Mit 1.2.2021 wurden alle Einschränkungen für Linienflüge aufgehoben (1TV 1.2.2021; vgl. Jam 23.1.2021). Alle Personen, die einen vollständigen Impfschutz nachweisen können, müssen bei Einreise nicht in Quarantäne. Personen, die keinen Impfschutz und keinen negativen PCRTest (nicht älter als 72 Stunden), nachweisen können, werden bei Einreise für unbestimmte Zeit und auf eigene Kosten in Quarantäne verbracht (USDOS 25.2.2021; vgl. MoF o.D.), falls eine Selbstisolierung nicht möglich ist. Bei Vorlage eines negativen PCR-Tests (nicht älter als 72 Stunden) muss eine achttägige Selbstisolation samt einer weiteren PCR-Testung fünf Tage nach Einreise auf eigene Kosten durchgeführt werden (MoF o.D.).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

2. Politische Lage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien wurde im April 1991 unabhängig [bis dahin Teilrepublik der Sowjetunion]. Nach der georgischen Unabhängigkeit erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien. 1992 erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die jedoch von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden (AA 23.9.2020). Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion (bpb 26.8.2020; vgl. US DOS 11.3.2020) und kontrolliert ein Fünftel des georgischen Staatsgebiets (FAZ 23.2.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Durch Verfassungsänderung am 17.11.2013 wurde das Land von einer Präsidialrepublik zu einer Parlamentarischen Demokratie. Die georgische Außenpolitik sieht in der Integration Georgiens in EU und NATO ein prioritäres Ziel für eine nachhaltige demokratische Entwicklung des Landes. Dies wirkt sich unmittelbar auf den innenpolitischen Reformwillen aus (AA 23.9.2020). In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 3.3.2021).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabischwili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60 % gegen ihren Konkurrenten Grigol Vaschadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakaschwili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018, FH 3.3.2021). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabischwili (OSCE/ODIHR 29.11.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019, taz 2.11.2020, FH 3.3.2021, US DOS 11.3.2020). Die Reform des Wahlrechts konnte erst nach Massenprotesten 2019 durchgesetzt werden (taz 2.11.2020; vgl. DW 24.6.2019, US DOS 11.3.2020).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020; vgl. Jam 26.11.2020). Der Gründer des Wahlbündnisses Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili, hatte zur Parlamentswahl 2020 wieder das Amt des Parteivorsitzenden

übernommen, allerdings ohne sich um irgendeine Regierungsfunktion zu bewerben. Im Februar 2021 erfolgte der nach seinen Aussagen endgültige Rückzug ins Privatleben. Es zeigt sich allerdings das Hauptproblem, das Iwanischwili seiner Partei und dem Land hinterlassen hat: Eine Mehrheitspartei ohne klare Programmatik, ohne klare innerparteiliche Demokratie und ohne politisch selbständige Charaktere an ihrer Spitze. Eine Partei, die nach wie vor den Verdacht nicht ausräumen kann, nur willfähriges Erfüllungsinstrument ihres Gründers und Mentors zu sein, der nach wie vor im Hintergrund die Fäden zieht (KP 11.2.2021). Kobachidse ist der Nachfolger

von Bidsina Iwanischwili als Vorsitzender der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (FAZ 18.2.2021).

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest (taz 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weitverbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020). Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Als Regierungschef wurde Giorgi Gacharia ernannt. Dieser ist nach nur zwei Monaten im Amt am 18.2.2021 zurückgetreten (Standard 18.2.2021, 22.2.2021). Als Nachfolger wurde der frühere Verteidigungsminister Irakli Garibaschwili mit den Stimmen der Regierungsfraktion Georgischer Traum zum neuen Regierungschef gewählt (Standard 22.2.2021).

Die Opposition boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021). Es ist weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben (Jam 26.11.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Oppositionsvertreter zeigten sich zuletzt aber zu Gesprächen mit der Regierung bereit, um Auswege aus der Krise zu finden. Die Situation müsse entschärft werden, sagte der Oppositionspolitiker Nika Melia und bekräftigte zugleich seine Forderung nach Neuwahlen, welche die Regierungsfraktion aber vehement ablehnt. Zuletzt hatte sich die Lage zugespitzt, weil Melia in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Ihm wird die versuchte Erstürmung des Parlaments 2019 vorgeworfen. Verhandlungen mit der Opposition seien notwendig, sagte Garibaschwili, „aber nicht mit diesen Verbrechern“ (Standard 22.2.2021).

3. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen (EDA 28.7.2020). Die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen und die hohe Arbeitslosigkeit haben zu einem Anstieg der allgemeinen Kriminalität beigetragen, die jedoch immer noch niedriger ist, als in vielen europäischen Ländern (MSZ o.D.; vgl. EDA 28.7.2020).

Im Dezember 2017 führte eine Reihe von Operationen georgischer Spezialkräfte in der Hauptstadt und im Pankisi-Tal [Munizipalität Achmeta, Region Kachetien] zur Verhaftung von Militanten, die beschuldigt wurden, an Terroranschlägen im Ausland beteiligt gewesen zu sein und Berichten zufolge beabsichtigten, Ziele auf georgischem Boden anzugreifen (MAECI 27.1.2021). Die politische Lage ist polarisiert (SZ 18.2.2021).

Die Situation an der De-facto-Grenze zwischen Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien ist seit dem georgisch-russischen Krieg im August 2008 weitgehend ruhig. Doch bleibt die Lage angesichts der Unvereinbarkeit der Positionen und der zahlreichen Behinderungen des kleinen Grenzverkehrs angespannt. Russland betreibt gegenüber beiden Regionen eine Politik der informellen militärischen und wirtschaftlichen Annexion. Seit dem August-Krieg 2008 stellt Moskau finanzielle Unterstützung für die sozio-ökonomische Entwicklung und die Infrastruktur bereit und gewährt der abchasischen und südossetischen Bevölkerung Zugang zur russischen Staatsbürgerschaft. Russland unterhält weiterhin Stützpunkte und Truppen in Abchasien und Südossetien, darunter zwischen 3.000 und 4.000 Soldaten sowie Grenzschutztruppen des Inlandsgeheimdienstes FSB, welche die Demarkationslinien (administrative border lines – ABL) zum georgischen Kernland sichern. Zwischen Tiflis und den De-facto-Regierungen in Sochumi und Zchinwali bestehen keine offiziellen bilateralen Kontakte. Einziges Forum zum Austausch auf hochrangiger politischer Ebene sind die vierteljährlichen internationalen Gespräche im Rahmen des Genfer Prozesses. Trotzdem hat Georgien seit 2012 seine Politik der Isolation Abchasiens und Südossetiens aufgegeben und bemüht sich um Kooperation auf humanitärer Ebene. Dazu zählt etwa das Angebot, der abchasischen und südossetischen Bevölkerung den kostenfreien Zugang zum georgischen Bildungs- und Gesundheitssystems zu ermöglichen (bpb 26.8.2020; vgl. ACLED 2.2020).

Aus Sicht Abchasiens und Südossetiens ist der politische Status ihrer Gebiete endgültig geklärt. Sie lehnen Verhandlungen mit Georgien über eine gemeinsame Staatlichkeit ab und verfolgen den Aufbau bilateraler Beziehungen unter Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Die Regierung in Tiflis pocht dagegen auf die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens. Sie versucht, ihre guten Beziehungen zur EU und den USA zu nutzen, aber auch multilaterale Foren wie die UNO, um ihrer Position Nachdruck zu verschaffen (bpb 26.8.2020). Gemäß dem georgischen Gesetz über "besetzte Gebiete" vom 23. Oktober 2008 sind die Gebiete der Autonomen Republik Abchasien und der Region Zchinwali (Südossetien) als "besetzt" zu betrachten (MAECI 27.1.2021).

Wegen Zugangsbeschränkungen gibt es nur wenige Informationen über die humanitäre Lage und Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien (US DOS 11.3.2020). Der EU-Sonderbeauftragte für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) unterstützen aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung (EC 5.2.2021). Obwohl der EUMM der Zutritt zu Abchasien und Südossetien verwehrt bleibt, und es weiterhin zu Zwischenfällen kommt, konnte bisher ein Wiederaufflammen der bewaffneten Auseinandersetzungen verhindert werden (bpb 26.8.2020).

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Das Gesetz garantiert ein ordnungsgemäßes Verfahren, aber die damit verbundenen Regelungen werden nicht immer respektiert. Urteile des Verfassungsgerichts in Bezug auf ordnungsgemäße Verfahren werden unvollständig umgesetzt, es kommt zu administrativen Verzögerungen bei Gerichtsverfahren, zu Verletzungen der Unschuldsvermutung, die Nichteinhaltung von Vorschriften in Bezug auf Inhaftierung und Verhöre und die Verweigerung des Zugangs zu einem Anwalt bei der Festnahme (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Wichtige Herausforderungen bleiben in Bezug auf die Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht der Justiz bestehen. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Hohen Rat der Justiz ist nach wie vor gering. Am 30.9.2020 verabschiedete das Parlament weitere Gesetzesänderungen in Bezug auf das Ernennungsverfahren von Richtern des Obersten Gerichtshofs, ohne die einschlägige Stellungnahme der Venedig-Kommission abzuwarten und ohne die fortbestehenden Unzulänglichkeiten in diesem Verfahren vollständig zu beheben. Das Hauptaugenmerk der Reformen der Staatsanwaltschaft im Jahr 2020 lag weiterhin auf der Trennung der Funktionen zwischen Ermittlern und Staatsanwälten. Ein entsprechendes Gesetzespaket wurde vorbereitet (EC 5.2.2021).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 17.11.2020).

In den Jahren 2016-2020 hat die Regierungspartei Georgischer Traum zwei Wellen der Justizreform umgesetzt. Die Änderungen umfassten die Einführung der elektronischen Zuordnung von Fällen; die Einführung des Amtes des unabhängigen Inspektors des Hohen Justizrates in das Justizsystem; und Verbesserung der Normen zur Disziplinarhaftung von Richtern und zu Gerichtsverfahren. Es wurden wichtige Schritte unternommen, um die Transparenz und Offenheit der Aktivitäten des Hohen Justizrates zu erhöhen (TI 30.10.2020). Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 3.3.2021). Bei der Justizreform ist der Ansatz der Behörden fragmentiert und inkonsistent. In bestimmten Fällen diente die Reform nur dazu, die Interessen einer kleinen Gruppe zu stärken (TI 30.10.2020).

5. Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 29.03.2021

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (US DOS 11.3.2020).

Bis zum Regierungswechsel im Oktober 2012 waren Exekutivorgane, z. B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, häufig von der Regierung als Machtinstrument oder von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung u. a. wirtschaftlicher Vorteile missbraucht worden. Seit dem Regierungswechsel hat der Machtmissbrauch in dem Ausmaß aufgehört. Die Regierung behält jedoch einen erheblichen informellen Einfluss auf Politik und Justiz bei. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter von Regeln werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch oft als untätig oder wenig effektiv wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf, sind jedoch in ihrer Tätigkeit auch im Inneren nicht transparent. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 17.11.2020).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020, FH 3.3.2021), insbesondere bei Fällen, die vor der Arbeitsaufnahme des Büros der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) am 1.11.2019 geschahen (HRW 13.1.2021). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS o.D.).

Eine laufende Polizeireform zielt auf die Trennung der Rollen zwischen Staatsanwälten und Ermittlern sowie zwischen operativen und investigativen Funktionen verschiedener Polizeibeamter ab. Bürgernahe und nachrichtendienstlich geführte Polizeiarbeit sollen ausgeweitet; die zentralisierte analytische Arbeit verbessert, der Kampf gegen Cyberkriminalität und organisierte Kriminalität intensiviert sowie die internationale Zusammenarbeit ausgebaut werden (EC 5.2.2021).

Im Jahr 2020 erhielt das Büro des State Inspector's Office bis August über 1.300 Berichte über mutmaßliche Misshandlungen durch Strafverfolgungsbehörden und andere Beamte und leitete in 168 Fällen strafrechtliche Ermittlungen ein, meist wegen Amtsmissbrauchs, aber auch wegen unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Im gleichen Zeitraum erhielt das Büro des Ombudsmannes 68 Beschwerden über Misshandlungen durch Gefängnispersonal oder Polizei (HRW 13.1.2021).

6. Korruption

Letzte Änderung: 29.03.2021

Georgien, das früher für die Reformen gelobt wurde, hat seit 2012 kaum Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung gemacht (TI 28.1.2021b; vgl. EC 5.2.2021). Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020; SWP 5.2020, NZZ 30.12.2020). Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen (AA 17.11.2020).

Das politische System zeichnet sich durch ein extrem hohes Maß an Machtkonzentration aus, da eine einzelne politische Gruppe eine unverhältnismäßige Kontrolle über alle wichtigen öffentlichen Institutionen ausübt. Dieselbe dominante Gruppe strebt häufig auch eine unangemessene Beeinflussung nicht staatlicher Akteure an, einschließlich der Medien und des Privatsektors (TI 28.1.2021b). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 3.3.2021; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 3.3.2021).

Zur Korruptionsprävention und -bekämpfung hat das Sekretariat des Antikorruptionsrates 2020 ein Handbuch zur Methodik der Risikobewertung für Ministerien und juristische Personen des öffentlichen Rechts verfasst. Eine Entscheidung über die Einrichtung einer Antikorruptionsbehörde wurde bisher noch nicht getroffen (EC 5.2.2021).

Im Corruption Perceptions Index 2020 von Transparency International erreichte Georgien 56 von 100 [bester Wert] Punkten und lag damit auf Rang 45 von 180 untersuchten Ländern (2019: 56 Punkte, Rang 44 von 180 Ländern; 2018: 58 Punkte, Rang 41 von 180 Ländern) (TI 28.1.2021a).

7. NGOs und Menschrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Zivilgesellschaft ist robust (FH 3.3.2021). Menschenrechtsorganisationen und andere Nichtregierungsorganisationen (NRO) können sich ohne Probleme registrieren und ihre Arbeit durchführen; ohne jede staatliche Behinderung ermitteln, öffentlich Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Sie werden in der Öffentlichkeit gut wahrgenommen und können auch Einfluss auf die politische Willensbildung ausüben (AA 17.11.2020; vgl. EC 5.2.2021, US DOS 11.3.2020). Während manche NGOs in die politischen Diskussionen einbezogen werden (FH 3.3.2021; vgl. AA 17.11.2020, EC 5.2.2021, US DOS 11.3.2020), berichten andere, dass sie unter Druck stehen, vor allem in Form von öffentlicher Kritik von Regierungsbeamten aber auch seitens der Opposition (FH 3.3.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Trotz der Schwäche der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Bezug auf die Zahl der Mitglieder und der Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen aus dem Ausland spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Formulierung der staatlichen Politik und der Aufsicht. Über die von der EU unterstützten Nationalen Plattform des Forums der Zivilgesellschaft hat Letztere die Möglichkeit, ihre Anliegen auf internationaler Ebene zu äußern (BS 29.4.2020; vgl. EC 5.2.2021). Die Zivilgesellschaft ist weiterhin sehr aktiv, wenn es darum geht, öffentliche Institutionen, auch bis zu einem gewissen Grad auf lokaler Ebene, zur Rechenschaft zu ziehen (EC 5.2.2021).

Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie spielte die Zivilgesellschaft mehr denn je eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Bedürftigen (EC 25.2.2021).

8. Ombudsperson

Letzte Änderung: 29.03.2021

Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson; vom Parlament ernannt), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Sie verfügen zwar nicht über eigene Sanktionsmittel, nutzen aber sehr aktiv ihre Befugnisse, Missstände und individuelle Beschwerdefälle zu untersuchen, die Ergebnisse zu veröffentlichen und Empfehlungen an Regierungsbehörden zu geben (AA 17.11.2020; vgl. EC 5.2.2021, US DOS 11.3.2020).

Die Ombudsperson (Public Defender of Georgia) überwacht die Einhaltung der Menschenrechte und Freiheiten in Georgien. Sie berät die Regierung in Menschenrechtsfragen. Sie analysiert auch die Gesetze, Richtlinien und Praktiken des Staates in Übereinstimmung mit internationalen Standards und gibt entsprechende Empfehlungen ab. Die Ombudsperson übt die Funktionen des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) aus, der im Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) vorgesehen ist. Basierend auf dem Gesetz zur "Beseitigung aller Formen der Diskriminierung" wird die Ombudsperson auch als Gleichbehandlungsstelle definiert, deren Hauptfunktion darin besteht, die Umsetzung des Gesetzes zu überwachen. Das Büro der Ombudsperson führt zudem Bildungsaktivitäten im Bereich der Menschenrechte und Freiheiten durch und reicht beim Verfassungsgericht von Georgien Beschwerden ein, falls die Menschenrechte und Freiheiten durch einen normativen Akt verletzt werden. Die Ombudsperson ist ferner ermächtigt, die Funktion des Amicus Curiae [Anm.: eine unbeteiligte Partei, der es gestattet ist, zu wichtigen Fragen eines anhängigen Rechtsstreits Stellung zu nehmen] bei den ordentlichen Gerichten und dem Verfassungsgericht von Georgien auszuüben (ENNHRI o.D.; vgl. AA 17.11.2020).

Im Dezember 2017 ernannte das Parlament Nino Lomjaria zur neuen Ombudsfrau. Sie gehörte zu den von Menschenrechtsorganisationen empfohlenen Kandidatinnen und Kandidaten für dieses Amt. Mit ihren sehr zahlreichen öffentlichen Stellungnahmen zu vielen Themen und Einzelfällen und mit konkreten Empfehlungen an Regierungsstellen erzielt sie viel öffentliche Aufmerksamkeit. Neben Einzelstellungnahmen veröffentlicht sie einen jährlichen Bericht mit Handlungsempfehlungen, der vom Menschenrechtsausschuss des Parlaments diskutiert wird. Die Ombudsfrau kann die Staatsanwaltschaft auffordern, Untersuchungen einzuleiten und Verfassungsklagen erheben. Die Zahl der Regionalbüros im Land stieg auf zehn. Ein stetiger Anstieg von Eingaben bei der Ombudsfrau zeigt ein zunehmendes Bewusstsein der Bevölkerung für ihre Rechte und ein zunehmendes Ansehen der Institution des Public Defenders (AA 17.11.2020).

NGOs betrachten das Amt der Ombudsperson als objektivste aller staatlichen Einrichtungen, die sich mit Menschen- und Bürgerrechten befassen. Während das Büro der Ombudsperson im Allgemeinen ohne staatliche Einmischung arbeitet und als effizient gilt, berichtet die Ombudsperson im Gegenzug, dass die Regierungsstellen manchmal nur teilweise oder gar nicht auf Anfragen und Empfehlungen reagieren, obwohl sie verpflichtet sind, innerhalb von zehn Tagen zu antworten und Folgemaßnahmen innerhalb von 20 Tagen einzuleiten (US DOS 11.3.2020).

9. Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 29.03.2021

Artikel 7 der georgischen Verfassung verpflichtet den Staat zu Anerkennung und Schutz der universellen Menschenrechte; sie sind direkt anwendbares Recht für Staat und Bürger. Einzelne Menschenrechte sind explizit in eigenen Verfassungsartikeln aufgeführt. Mit dem Büro des Public Defenders (Ombudsperson), aber auch dem Menschenrechtsausschuss des Parlaments bestehen weithin bekannte Institutionen und Beschwerdeeinrichtungen. Auch Staatsanwaltschaft und Gerichte, die in Georgien an Unabhängigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen haben, werden zunehmend zur Wahrung individueller Rechte in Anspruch genommen. Darüber hinaus können lokale und internationale Menschenrechtsorganisationen ohne jede staatliche Behinderung ermitteln und öffentlichkeitswirksam Ergebnisse präsentieren und Kritik äußern. Menschenrechte und die Rechte von Minderheiten werden vom Staat weitgehend geachtet und gestärkt. Die Lage der Menschenrechte hat sich weiter den internationalen Standards angenähert und in vielen Bereichen einen guten Stand erreicht. In einigen Bereichen der Gesellschaft sind insbesondere Minderheitenrechte wenig akzeptiert, sodass Minderheiten mit Benachteiligung und Diskriminierung rechnen müssen. Vereinzelt kommt es auch zu gewalttätigen Handlungen. Erhebliche Fortschritte gab es insbesondere im Justizwesen und im Strafvollzug, wo eine menschenrechtswidrige Behandlung in aller Regel nicht mehr festgestellt werden kann (AA 17.11.2020).

Beim Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es systemische Probleme. Seit Jahren wird die georgische Regierung immer noch für politische Verfolgung und politische Inhaftierung verantwortlich gemacht. Die Bedrohung durch Informationsmanipulation und Radikalisierung im polarisierten Medienumfeld nehmen zu. Der Schutz der Rechte verschiedener Minderheitengruppen und die Umsetzung von Gleichberechtigung gehören immer noch zu den größten Herausforderungen im Lande. Ungeachtet der positiven Gesetzesänderungen der letzten Jahre und der verstärkten Reaktion auf die begangenen Verbrechen, ist die Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt immer noch eine große Herausforderung in der georgischen Gesellschaft. Die Lage von Menschen mit Behinderungen ist immer noch ernst. Ethnische und religiöse Minderheiten sowie Angehörige sexueller Minderheiten sind immer noch Gegenstand von systemischer Diskriminierung und Stigmatisierung (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020). In Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden nicht dominante und bereits marginalisierten Gruppen aus dem Anti-Krisen-Aktionsplan ausgeschlossen. Die Krise wird vermutlich einen schweren und langfristigen Einfluss auf die Durchsetzung der Gleichstellungspolitik haben (HRC 2021). Die Straffreiheit bei Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 13.1.2021; vgl. US DOS 11.3.2020).

Georgien ist weiterhin, trotz der COVID-19-bedingten Herausforderungen, der Umsetzung, den Verpflichtungen und Zusagen des EU-Assoziierungsabkommens verpflichtet. Die Angleichung an die europäischen Standards im Bereich der Menschenrechte wurde auch 2020 im Großen und Ganzen fortgesetzt. Verbesserungen 2019/2020 konzentrierten sich auf die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Menschenrechtsstrategie, die insbesondere auf die Rechte des Kindes, häusliche Gewalt und die Inklusion von Mitgliedern gefährdeter Gruppen/Minderheiten abzielt (EC 5.2.2021).

Es kommt weiterhin zu eklatanten Menschenrechtsverletzungen in den separatistischen Regionen Georgiens (HRC 2021; vgl. US DOS 11.3.2020), darunter rechtswidrige oder willkürliche Tötungen und Inhaftierungen (US DOS 11.3.2020).

10. Meinungs- und Pressefreiheit

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Verfassung und die Gesetze sehen Meinungs- und Pressefreiheit vor. Die Bürger können dieses Recht im Allgemeinen frei ausüben, obwohl es Vorwürfe gibt, die Regierung schütze die Freiheiten zuweilen nicht ausreichend (US DOS 11.3.2020; vgl. AA 17.11.2020). Die Medienlandschaft ist dynamisch und pluralistisch, aber auch polarisiert (EC 5.2.2021, vgl. RSF 2020, AA 17.11.2020, FH 3.3.2021). Im Laufe des Jahres 2019 äußerten Journalisten, NGOs und die internationale Gemeinschaft Bedenken hinsichtlich des Umfelds für den Medienpluralismus. Einige Medien und NGOs äußerten weiterhin ihre Besorgnis über die Lage der Medien und den politischen Einfluss (US DOS 11.3.2020; vgl. RSF 2020, AA 17.11.2020). Straftaten gegen Medienschaffende, Bürgerreporter und Medienunternehmen sind selten. Bei den Protesten im Juni 2019 wurden einige Journalisten verletzt und einzelne NGOs geben an, dass Journalisten von der Polizei gezielt angegriffen wurden (US DOS 11.3.2020).

Die Bürger genießen im Allgemeinen Meinungsfreiheit, auch in der Online-Kommunikation. Allerdings haben Watchdog-Gruppen in den letzten Jahren Bedenken geäußert, dass verschiedene sicherheitsrelevante Gesetze die staatlichen Behörden befähigen, Überwachung und Datenerfassung ohne eine angemessene unabhängige Aufsicht vorzunehmen (FH 3.3.2021, vgl. US DOS 11.3.2020, AA 17.11.2020).

Die Reformen der letzten Jahre haben die Transparenz des Medienbesitzes und den Pluralismus des Satellitenfernsehens verbessert, aber die Eigentümer bestimmen immer noch häufig die redaktionellen Inhalte. Gewalt gegen Journalisten kommt seltener vor, obwohl häufig von Drohungen berichtet wird. Laut „Reporter ohne Grenzen“ rangiert Georgien im „World Press Freedom Index 2020“, ebenso wie im Jahr davor, auf Platz 60 von 180 Ländern (RSF 2020).

Mangelnde Professionalität der Journalisten und parteiische Berichterstattung sind verbreitet und beschränken nicht nur Qualität, sondern auch Unabhängigkeit der Presse (AA 17.11.2020). Informationsmanipulation und Radikalisierung nehmen zu. Der Gebrauch von Hassreden, unanständiger Sprache und das Ignorieren journalistischer Ethiknormen sind Alltag, sowohl bei regierungsnahen als auch eindeutig oppositionellen Medien (HRC 2021).

Im März 2021 wurden geheime Tonaufnahmen aus den Jahren 2011-2012 veröffentlicht, gemäß denen Polizeibeamte beauftragt worden seien, Personen - oft Teenager - einzuschüchtern, die in sozialen Medien Bera Iwanischwili - Rapmusiker und Sohn des Gründers der heutigen Regierungs- bzw. damals noch Oppositionspartei Georgischer Traum, Bidzina Iwanischwili - kritisierten. In die Vorfälle war u.a. auch der spätere Premierminister Irakli Gharibaschwili involviert (OC 7.3.2021; vgl. GT 11.3.2021). Nach der Veröffentlichung leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen unerlaubten Abhören, Aufzeichnen und Veröffentlichen von Privatgesprächen ein; nicht jedoch wegen dem Inhalt dieser Gespräche (GT 11.3.2021).

11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit

Letzte Änderung: 29.03.2021

Es gibt weder formelle noch informelle Einschränkungen oder Eingriffe der Regierung in die Vereinigungs- oder Versammlungsfreiheit (BS 29.4.2020; vgl. AA 17.11.2020). Menschenrechtsorganisationen äußern sich besorgt über die gesetzlichen Bestimmungen, darunter die Verpflichtung, dass politische Parteien und andere Organisationen den lokalen Behörden fünf Tage im Voraus mitteilen müssen, wenn sie sich in einem öffentlichen Bereich versammeln wollen, wodurch spontane Demonstrationen ausgeschlossen werden (US DOS 11.3.2020). In Bezug auf den Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gibt es systemische Probleme. Versammlungen und Demonstrationen werden häufig durch Polizeikräfte (HRC 2021), gelegentlich auch durch exzessive Polizeigewalt, aufgelöst (FH 3.3.2021).

Die Regierung hat die Gesetze, die die Vereinigungsfreiheit der Arbeitnehmer vorsehen und gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung verbieten, nicht wirksam durchgesetzt. Die Verletzungen der Arbeitnehmerrechte bleiben bestehen. Es gibt keine wirksamen Strafen oder Rechtsbehelfe für willkürlich entlassene Mitarbeiter. Rechtsstreitigkeiten über Arbeitsrechte sind mit langen Verzögerungen verbunden (US DOS 11.3.2020).

Bei Versammlungen wird versäumt, Maßnahmen zur Verhinderung von Konflikten zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Ansichten zu ergreifen. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen radikale Gruppen Mitglieder der LGBT+-Gemeinschaft und ihre Anhänger daran hinderten, ihre Versammlungs- und Meinungsfreiheit auszuüben. In diesen Fällen reagierte der Staat unterschiedlich auf die gewalttätigen Gruppen, die unter dem Deckmantel des Versammlungsrechts versuchten, die Rechte anderer grob und gewaltsam zu verletzen (PD 2.4.2020).

Bei Protesten im Juni 2019 und November 2019 wurde von der Polizei übermäßige Gewalt angewendet, um weitgehend friedliche Proteste aufzulösen. Es kamen Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse zum Einsatz und hunderte Personen wurden verletzt (FH 3.3.2021; PD 2.4.2020). Auch infolge der Parlamentswahlen 2020 wurden gegen die Massenproteste ohne Vorwarnung Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt (taz 9.11.2020; vgl. FH 3.3.2021).

11.1. Opposition

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die politische Opposition kann ungehindert agieren und die bestehende Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Anspruch nehmen. Bei den Parlamentswahlen vom 31. Oktober 2020 wurde nach einem Kompromiss zwischen der Regierungspartei und den Oppositionsparteien das Verhältniswahlrecht gegenüber dem Mehrheitswahlrecht gestärkt (AA 17.11.2020). Das Wahlsystem bevorzugt jedoch weiterhin - bis 2024 - die Mehrheitspartei (BS 29.4.2020).

Die georgische Politik ist gekennzeichnet durch eine geringe Wertschätzung für Parteien sowie relativ geringe Parteimitgliedschaft, schwache Parteiloyalität und schwache Verankerung der Parteien in der Gesellschaft (BS 29.4.2020). Die geringe politische Erfahrung vieler Abgeordneter sowie hierarchische Traditionen und Klientelstrukturen in der Gesellschaft erschweren die Festigung demokratischer Strukturen (AA 17.11.2020). Die Opposition ist zerstritten und formuliert keine klare Alternative zur Regierungspartei. Die Polarisierung in der Gesellschaft wird dadurch weiter befördert (taz 2.11.2020; vgl. BS 29.4.2020, FAZ 23.2.2021).

Parteien als solche spielen kaum eine Rolle, sie sind wenig mehr als One-Man-Shows und dienen als Resonanzboden für die persönlichen Fehden ihrer jeweiligen Vorsitzenden (taz 2.11.2020; vgl. BS 29.4.2020). Das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition bleibt konfrontativ und zunehmend kontraproduktiv. Nur in seltenen Fällen gelingt es beiden politischen Lagern, ihre erheblichen Differenzen zu überbrücken. Zivilgesellschaftliche Akteure sind bei der Konfliktbewältigung und dem Aushandeln von Kompromissen verstärkt aktiv und kompensieren eine schwache politische Opposition (BS 29.4.2020).

Kritiker werfen der Regierungskoalition "Georgischer Traum" vor, die umfassende Kontrolle über alle Zweige und Ebenen der Regierung zu konsolidieren (WP 23.2.2021). Die Regierungspartei kontrolliert seit den Kommunalwahlen 2017 alle lokalen Behörden des Landes (BS 29.4.2020; vgl. FH 3.3.2021). Es gibt Berichte, dass die Regierung Oppositionspolitiker überwachen lässt sowie dass Oppositionspolitiker oder -anhänger unter Druck gesetzt werden (US DOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021, HRC 2021). 2019/2020 kam es zu einer Reihe von Strafverfahren und Verurteilungen von Oppositionspolitikern und der Opposition nahestehenden Personen wegen unterschiedlicher Delikte (AA 17.11.2020; vgl. FH 3.3.2021). Einzelne Vorwürfe werden von der Opposition als politisch motiviert bezeichnet (FH 3.3.2021). Mehrere Oppositionelle haben längere Zeit in Haft verbracht (FAZ 23.2.2021).

Politische Spannungen eskalierten im Oktober 2020, als die Regierungskoalition "Georgischer Traum" den Sieg bei den Parlamentswahlen errang, aber Oppositionsgruppen behaupteten, dass die Wahl manipuliert worden sei. Die Opposition weigerte sich in Folge, ihre Sitze im Parlament einzunehmen (WP 23.2.2021; vgl. FH 3.3.2021) und boykottiert Stand Ende Februar 2021 weiterhin die Arbeit im Parlament (Standard 22.2.2021; vgl. FAZ 23.2.2021). Selbst nach den hitzigen Maßstäben des Landes ist die Lage zutiefst vergiftet (FAZ 23.2.2021).

Nika Melia wurde Ende Dezember 2020 zum neuen Vorsitzenden der Oppositionspartei "Vereinigte Nationale Bewegung" ernannt. Die Partei, die vom ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili, der jetzt im ukrainischen Exil lebt, gegründet wurde, erhielt bei den Parlamentswahlen 27 % der Stimmen (WP 23.2.2021; vgl. Standard 22.2.2021). Melia wurde Ende Februar 2021 verhaftet (WP 23.2.2021; vgl. Standard 22.2.2021). Ihm wird vorgeworfen, im Juni 2019 zu Massenunruhen und zum Sturm auf das Parlament aufgerufen zu haben (FAZ 23.2.2021). Er gibt an, dass die Anklage wegen der "Organisation von Massengewalt" politisch motiviert sei. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm neun Jahre Gefängnis (WP 23.2.2021; vgl. Standard 22.2.2021). Das Vorgehen gegen Melia war auch innerhalb der Regierungskoalition umstritten, Giorgi Gacharia war einige Tage vor der Verhaftung als Ministerpräsident zurückgetreten, aus Angst, dass die Vollstreckung des Haftbefehls gegen Melia die Spannungen weiter erhöhen könnte (FAZ 23.2.2021).

12. Haftbedingungen

Letzte Änderung: 29.03.2021

Seit 2012 sind grundlegende Reformen im Strafrecht und Strafvollzug durchgeführt worden, die die Haftbedingungen in den georgischen Gefängnissen deutlich verbessert haben (AA 17.11.2020). Während die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten insgesamt adäquat sind, sind in einigen alten Einrichtungen Belüftung, natürliches Licht, Platz und Gesundheitsversorgung nicht ausreichend (US DOS 11.3.2020; vgl. AA 17.11.2020). Nach der Einführung des Hausarrests als Alternative zur Inhaftierung erwachsener Straftäter im Jahr 2017, eröffnete die Regierung im Januar 2018 ein Zentrum für vorzeitige Haftentlassung, das Häftlingen, die noch weniger als ein Jahr ihrer Haftstrafe zu verbüßen haben, den Freigang anbietet (US DOS 11.3.2020).

Die Ausstattung der medizinischen Abteilungen in den Strafvollzugseinrichtungen hat sich in den jüngsten Jahren verbessert. Dennoch bestehen Probleme hinsichtlich Funktion und technischer Verfügbarkeit der Geräte. Positiv zu vermerken ist, dass die medizinische Behandlung nicht nur innerhalb der Gefängnisse durch das dortige medizinische Personal erfolgt, sondern bei Bedarf Spezialisten in die Haftanstalt kommen oder auch eine Behandlung außerhalb der Gefängnisse ermöglicht wird. Lobenswert ist auch die Verfügbarkeit von Medikamenten (PD 19.10.2018). Dennoch führt die Ombudsperson einige bestehende Probleme in den Haftanstalten auf: unzureichende Aktivitäten zur Rehabilitation und Resozialisierung von Gefangenen und mangelnden Kontakt zur Außenwelt sowie Mängel in der medizinischen Versorgung, der Gesundheitsvorsorge und der psychischen Gesundheitsfürsorge (PD 2.4.2020).

Gewalt unter den Häftlingen, kriminelle Subkulturen und informelle Strukturen stellen anhaltende systemische Probleme (US DOS 11.3.2020; vgl. HRC 2021, PD 2.4.2020, FH 3.3.2021) und eine ernsthafte Gefahr der Misshandlung von Gefangenen dar. Die bereits bestehende problematische Situation wurde durch die eingeschränkte externe Kontrolle von Haftanstalten während der COVID-19-Pandemie 2020 weiter verschärft. Während der Pandemie erlassene Regelungen zur Gesundheitsfürsorge schränken die Rechte der Gefangenen, mit der Außenwelt zu kommunizieren, erheblich ein. Dies erschwert auch den Rehabilitierungs- und Resozialisierungsprozess (HRC 2021).

Der „National Preventive Mechanism under the Public Defender's Office“ gibt der Ombudsfrau vollen Zugang zu Haftanstalten. Die Überprüfung der Haftbedingungen gehört zu den ständigen Aufgaben des Büros des Public Defender (Ombudsfrau), in dessen Jahresbericht ausführlich über Zustand und Entwicklung berichtet wird. Auch individuelle Beschwerden greift die Ombudsfrau aktiv auf. Fälle von Misshandlungen, die in den Haftanstalten bis 2012 verbreitetet waren, sind nicht mehr erkennbar (AA 17.11.2020). Menschenrechtsgruppen kritisieren jedoch, dass das Büro des Public Defender nicht von der Staatsanwaltschaft unabhängig agieren kann (FH 3.3.2021).

13. Todesstrafe

Letzte Änderung: 29.03.2021

In Georgien wurde 1997 die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft (AA 17.11.2020; vgl. AI 21.4.2020).

In Abchasien wurden seit 1992 zehn Todesurteile verhängt, aber nicht vollstreckt (UNPO 23.1.2007). Ein De-Facto-Moratorium auf die Todesstrafe wurde 1993 eingeführt (Jam 10.4.2019), welches 2007 gesetzlich verankert wurde (UNPO 23.1.2007; vgl. civil.ge 5.3.2020). 2020 trat ein Gesetz in Kraft, wonach bei Drogenhandel die Todesstrafe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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