TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/15 W257 1437828-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.11.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W257 1437828-2/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die BBU GmbH - Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom XXXX , Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2019 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte V., VI. und VII. wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 20.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2013, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF., abgewiesen (Spruchteil I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchteil II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchteil III.).

Begründend kam die belangte Behörde im Wesentlichen zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers unglaubwürdig sei und sich aus dem sonstigen Ergebnis der Beweisaufnahme kein Hinweis auf das Vorliegen eines asylrelevanten Sachverhalts ergeben hätte. Aufgrund der Tatsache, dass der Aufenthalt Seiner Mutter derzeit nicht bekannt sei und er als derzeit noch unbegleitete, minderjährige Person einer besonderen Schutzbedürftigkeit unterliege, wurde ihm subsidiärer Schutz erteilt eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 02.09.2014 erteilt (sh Seite 49 des Bescheides).

Wörtlich wurde in der rechtlichen Begründung folgendes ausgeführt:

„In Ihrem Fall ging die Behörde derzeit von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, da der Aufenthalt ihrer Angehörigen, sprich Ihre Mutter, nicht feststeht und sie aus diesem Grund als unbegleitete, minderjährige Person einer besonderen Schutzwürdigkeit unterliegen und daher aufgrund der angeführten Umstände davon auszugehen ist, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihr Herkunftsland bis zum Erreichen der Volljährigkeit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte. Dies insbesondere auch deswegen, zumal laut Feststellungen zur Lage in Afghanistan keine adäquate Schutz- und Betreuungseinrichtungen für Minderjährige vorhanden sind.“

2. Eine gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht vom XXXX , als unbegründet abgewiesen.

Aufgrund eines Verlängerungsantrags des gesetzlichen Vertreters, dem Magistrat der Stadt Wien, vom 05.08.2016, eingelangt am 10.08.2016, erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, im Folgenden: belangte Behörde) eine mit 29.09.2016 datierte und als Bescheid bezeichnete Erledigung, die einen Spruch aufweist, wonach dem Beschwerdeführer "[d]ie befristete Aufenthaltsberechtigung ... gemäß § 8 Absatz 4 Asylgesetz 2005 ... bis zum 02.09.2018 erteilt" wird. Am 05.08.2016, bei der Behörde eingelangt am 10.08.2016 stellte der gesetzliche Vertreter in Vollmachtsnamen des Beschwerdeführers neuerlich einen Verlängerungsantrag, woraufhin die belangte Behörde mit Bescheid vom 29.09.2016 aussprach, dass die "befristete Aufenthaltsberechtigung ... gemäß § 8 Absatz 4 Asylgesetz 2005 ... bis zum 02.09.2018" erteilt wird.

3. Am 09.07.2018 stellte der Beschwerdeführer den dritten Folgeantrag zur Verlängerung des Aufenthaltstitels. Er wurde am 09.10.2018 zu einer Einvernahme vor dem BFA eingeladen. Am 17.10.2018 erfolgte eine Einvernahme des mittlerweile volljährigen Beschwerdeführers.

In dieser Einvernahme brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass er in Österreich eine Lehre machen würde und in seiner Freizeit in das Fitnesscenter gehen würde. Er hätte nunmehr Kontakt zu seinen Verwandten in Afghanistan, welche in Nangarhar leben würden. Dabei würde es sich um seinen Onkel väterlicherseits einen Onkel mütterlicherseits seinen beiden Schwestern und seinem Bruder handeln. Er sei seit ca. einem Jahr mit einer Frau verlobt, wobei die Hochzeit seine Eltern organisiert hätten. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil er schon seit seinem 14. Lebensjahr in Österreich leben würde und das Land dort im Allgemeinen unsicher wäre.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten "gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt" (Spruchpunkt I.) und ihm die "mit Bescheid vom 02.09.2013 ... erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter ... gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen" (Spruchpunkt II.). Die Behörde sprach aus, dass der Antrag vom 09.07.2018 abgewiesen wird (Spruchpunkt III). Ferner sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) und gegen ihn "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt V.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt VI.). Weiters legte sie gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VII.).

5. Der Beschwerdeführer erhob dagegen fristgerecht eine Beschwerde, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich. Die Beschwerde bemängelte die unrichtige Tatsachenfeststellung und die daraus falschen abgeleiteten rechtlichen Schlussfolgerungen. So wäre die Lage in Herat und Mazar-e Sharif wegen der schwachen Infrastruktur und der Tatsache, dass zB 2,5 Mio Tonnen Getreide hätte importiert werden müsste so schlecht, dass er keinen Zugang zu Nahrungsmittel hätte. Er sei zwar volljährig, doch könne er von keiner finanziellen Unterstützung seiner Familie im Falle der Rückkehr ausgehen. Der Sachverhalt wäre im Grunde gleichgeblieben und könne die Behörde nicht aufgrund der mittlerweile geänderten Spruchpraxis des VwGH (Rückführungen auch ohne sozialen Anknüpfungspunkte möglich) den subsidiären Schutz aufheben. Überdies würde er äußert gut integriert sein und würde eine Lehr als Einzelhandelskaufmann ausüben.

6. Der Verwaltungsakt langte am 08.03.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde entsprechend der Geschäftsverteilung dem Gerichtsabteilung W257 zugewiesen.

7. Am 28.06.2019 fand über die Beschwerde eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Der Beschwerdeführer nahm daran in Begleitung eines Vertreters der von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation teil.

8. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 23.09.2019 die Beschwerde gegen den Bescheid zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchteil A). Gemäß Art. 133 Abs. 4 BFA-VG war die Revision nicht zulässig (Spruchteil B). So wurde die Abweisung der Beschwerde gegen die Aberkennung des dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen (Spruchpunkt I.) und der Entzug der ihm "mit Bescheid vom 02.09.2013 erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Absatz 4 AsylG (Spruchpunkt II.), bestätigt. Die Behörde habe auch ausgesprochen, dass der Antrag vom 09.07.2018 abgewiesen werde (Spruchpunkt III). Ferner habe die die belangte Behörde ausgesprochen, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt werde (Spruchpunkt IV.) und gegen ihn "gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF" eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt V.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt VI.). Weiters legte sie gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VII.). Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die individuellen Umstände des Beschwerdeführers, aufgrund derer sich die belangte Behörde erkennbar veranlasst gesehen habe, ihm mit den rechtskräftigen Bescheiden vom 02.09.2013 und vom 29.09.2016 Berechtigungen zuzusprechen gewesen seien, nicht alleine auf den Umstand der Minderjährigkeit (im Sinne einer strikten Dichotomie zwischen der Gruppe der Minderjährigen und der Gruppe von Volljährigen) reduziert zu verstehen wären. Vielmehr gab die belangte Behörde bereits im Bescheid vom 02.09.2013 zu erkennen, dass sie ihm aus zwei Gründen den subsidiären Schutz zugestanden habe, nämlich zum einen, dass er nicht wisse, wo sich seine Mutter befinden würde, somit die Behörde ihren rechtlichen Schluss auf die Länderfeststellungen gestützt habe, wonach Minderjährige ohne familiären Bezug einer besonderen Schutzbedürftigkeit unterliegen würden, dies auch in den Beweismitteln entsprechend gewürdigt worden sei, und zum anderen direkt aufgrund seiner Minderjährigkeit.

Sie habe daher ihre Zuerkennung daher nicht ausschließlich auf die Minderjährigkeit gestützt. Dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hätte, habe das Gericht nunmehr nicht mehr feststellen können. Gerade das Gegenteil sei der Fall, denn er habe nach wie vor Kontakt zu seiner Familie. Sie habe ihre Zuerkennung nicht auf die Versorgungs- und Sicherheitslage, welche der Beschwerdeführer nunmehr als Grund vorgebracht habe, gestützt. Bei Wegfall der Minderjährigkeit und einem Kontakt zu seinen Familienangehörigen wäre somit der subsidiäre Schutz nicht zugestanden worden, dies sei im bekämpften Bescheid auch auf Seite 51 zum Ausdruck gebracht worden. Zu beachten sei, dass sowohl die relevanten Aussagen der Berichtslage für die Gefährdungs- und Versorgungslage von Einzelpersonen als auch die den Beschwerdeführer betreffende individuelle Beurteilung des Bescheides vom 02.09.2013 (und der diesen fortschreibenden Verlängerungsbescheide) auf eine Mehrzahl von Faktoren abgestellt hätten, zu denen nicht nur die Volljährigkeit, sondern auch das Geschlecht, das Vorhandensein von Familienbeziehungen, die Berufsausbildung und Selbsterhaltungsfähigkeit, die Volksgruppenzugehörigkeit, das Vorhandensein von Kontakten vor Ort etc. zählen würden. Ausgehend davon, dass sich diese Faktoren untereinander beeinflussen, kommt einem Zugewinn an Lebenserfahrung, an Berufserfahrung (aber etwa auch an Ersparnissen oder hilfreichen Kontakten) gefährdungsmindernde Wirkung zu. Der Vorgang, mit dem eine Person älter, erfahrener und selbständiger wird, ist kein sprunghaft mit dem Erreichen der Volljährigkeit abgeschlossener Prozess, sondern eine kontinuierlich, in der Regel auch danach fortschreitende Entwicklung. Aus diesem Grund entfaltet der Bescheid, mit dem die Behörde dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsberechtigung auch noch nach seinem Erreichen der Volljährigkeit verlängert hat (Bescheid vom 29.09.2016) auch unter Berücksichtigung des Erkenntnisses des VwGH vom 30.08.2017, Ra 2017/17/0155, wegen der Relevanz der inzwischen beim Beschwerdeführer eingetretenen Entwicklungen keine Rechtskraftwirkung in dem Sinn, dass die nachfolgende persönliche Entwicklung des Beschwerdeführers nicht mehr zum Entfall der Voraussetzungen des ihm zuerkannten Schutzes führen könnte.

Eine Entwicklung hin zu persönlicher Selbständigkeit sei beim Beschwerdeführer festzustellen. Damit einher gehe ein kontinuierlicher Zugewinn an Berufserfahrung. Kontakte habe der Beschwerdeführer in dieser Zeit ebenfalls geschlossen. Vor dem Hintergrund der so eingetretenen Änderungen in den für die Vorbescheide wesentlichen Annahmen sei die Beurteilung zulässig, dass der Beschwerdeführer angesichts seiner hinzugewonnenen Lebens- und Berufserfahrung, aber auch angesichts der gewonnenen Kontakte und der bisherigen Beziehung zu seiner Familie (und dadurch bedingt: weiteren Kontaktmöglichkeiten) nicht mehr in der Situation sei, die in den Vorbescheiden für ihn angenommen worden sei, nämlich dass er im Fall der Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat in eine durch die Kombination aus der schlechten Sicherheitslage in Verbindung mit der "schlechten Versorgungslage, der hohen Arbeitslosenrate" und der Ausbildungsmöglichkeiten in eine mit unmenschlicher Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK gleichzusetzende Lage geraten würde.

Der VwGH erkannte am 27.05.2019 unter Zl. Ra 2019/14/0153 zu einem vergleichbaren Fall, einem volljährig gewordenen Asylwerber folgendes: „Als maßgeblich erweist sich, dass gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände, die für die Zuerkennung von subsidiären Schutz von Bedeutung waren, so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. in diesem Zusammenhang sowohl die hg. Rechtsprechung zu den Leitlinien der Prüfung, ob ein "real risk" der Verletzung des Art. 3 MRK droht, nach der die "die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit" zu beurteilen ist bzw. es einer "ganzheitlichen Bewertung" der individuellen Situation des Fremden bedarf).“ Damit habe das VwG eine Gesamtbetrachtung anzustellen, indem das Erreichen der Volljährigkeit zwar ein – aber nicht der alleinige Faktor – darstellen würde. Der Beobachtungszeitraum dieser eingetretenen Änderung sei nicht der Zeitpunkt ab der letzten rechtskräftigen Zuerkennung des Aufenthaltstitels, hier somit der 29.09.2016, bis zum heutigen Zeitpunkt, sondern bereits ab der ursprünglichen Zuerkennung des subsidiären Schutzes, somit in diesem Fall der 02.09.2013 bis zum heutigen Entscheidungszeitpunkt. Hierbei sei festzuhalten, dass er volljährig geworden sei, wieder Kontakt zu seinen Familienangehörigen habe und sie finanziell unterstütze. In Österreich habe er Freunde gefunden und soziale Beziehung aufgebaut sowie eine dreijährige Berufsausbildung als Einzelhandelskaufmann abgeschlossen, wenngleich er die Gesellenprüfung noch nicht abgeschlossen habe. Dadurch sei er selbsterhaltungsfähig geworden.

Da im relevanten Punkt eine geänderte Sachlage vorliegen würde, sei das Verwaltungsgericht auch nicht gehindert, den Sachverhalt mit dem vorliegenden Erkenntnis nunmehr auch rechtlich anders zu beurteilen, als die Behörde in den rechtskräftigen Vorbescheiden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 25). In diesem Zusammenhang ist auch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, hinzuweisen, wonach § 8 Abs. 1 AsylG unionsrechtskonform einschränkend so auszulegen sei, dass diese Bestimmung - ungeachtet ihres unterschiedslos auf Verletzungen von (insb.) Art. 2 und 3 EMRK abstellenden Wortlautes - nur in jenen Fällen die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorsehe, in denen dies nach Art. 15 der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie geboten sei. Demnach sei für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlich, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werde oder von einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt ausgehe.

Nicht umfasst sei dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführenden Verletzung von Art. 3 EMRK (VwGH aaO Rz 41). Derartiges könne nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes aber allenfalls beim Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung zu berücksichtigen sein. Im Beschwerdefall sei die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (Bescheid aus 2013) noch auf Grundlage jener Rechtsprechung, von der der Verwaltungsgerichthof durch das Erkenntnis vom 06.11.2018 nun abgerückt sei. "Allgemeine Unzulänglichkeiten" im Herkunftsstaat - konkret hier: im Fall der Rückkehr zur den innerstaatlichen Fluchtalternativen wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif - können die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach der vom Bundesverwaltungsgericht nun geteilten Rechtsauffassung nicht begründen. Dass im Fall einer Rückkehr und Ansiedelung in Kabul, Herat oder Mazar-e Sahrif ein den Beschwerdeführer treffender ernsthafter Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden würde oder er mit einer Bedrohung, die von einem bewaffneten Konflikt ausgehe, konfrontiert und deswegen einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15 der Statusrichtlinie erleiden würde, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Das Bundeverwaltungsgericht verkenne nicht, dass laut den UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eine erhöhte Sicherheitsproblematik und eine nunmehr schwierigere Versorgungslage in Kabul angenommen werde. Von einer Unzumutbarkeit würden die Richtlinien aber nicht absolut ausgehen, sondern "im Allgemeinen" aus (das im Original verwendete Wort "generally" bedeutet allgemein, gewöhnlich, hauptsächlich) und auch diese Aussage beziehe sich nicht auf die Kategorie von Personen, die dort ihren Herkunftsort haben, sondern jene, für die Kabul als Fluchtalternative im Lichte einer eigenen Zumutbarkeitsprüfung beurteilt werden müsse. Aus diesem Grund stünden ihm auch noch die Fluchtalternativen Mazar-e Sahirf und Herat offen.

Das Gericht habe im Beschwerdefall keinen Sachverhalt verwirklicht gesehen, bei dem ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aus dem Titel von Art. 8 EMRK geboten gewesen wäre. Vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Aspekte sei bei einer Gesamtschau davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würde und daher eine Rückkehrentscheidung im Lichte des Rechts auf Achtung des Privatlebens des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden könne. Auch wären sonst keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre.

10. Gegen das Erkenntnis des BVwG erhob der BF innerhalb offener Frist Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (nunmehr: „VfGH“) und außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (Nunmehr „VwGH“).

11. Der VfGH gewährte mit Beschluss vom 23.12.2019, unter der Zl. E 4019/2019-10, die in der Beschwerde beantragt aufschiebende Wirkung. Mit Erkenntnis des VfGH vom 08.06.2021, E 4019/2019-17, wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, abgewiesen werde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art. I Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973) verletzt worden sei. Das Erkenntnis werde insoweit aufgehoben. Im Übrigen werde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Insoweit werde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Soweit die Beschwerde sich gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und gegen die Aussprüche, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise bestehe, sei sie auch begründet.

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreife, liege unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein solcher Fehler sei dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen. Es gehe einerseits davon aus, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht straffällig geworden sei, andererseits stelle es – in Widerspruch dazu – in weiterer Folge fest, dass der Beschwerdeführer eine Straftat verübt habe. Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Annahme, das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes überwiege, völlig außer Acht lässt, dass der Beschwerdeführer während seines über siebenjährigen Aufenthaltes in Österreich Schulungsmaßnahmen absolviert habe, Lehrling im Einzelhandel sei und in einem Arbeitsverhältnis stehe, das ihm Selbsterhaltungsfähigkeit sichere. Das Bundesverwaltungsgericht habe somit seine Entscheidung mit Willkür belastet, indem es die Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich straffällig geworden sei, bei der zu beurteilenden Aufenthaltsbeendigung widersprüchlich beantwortet und die zu Gunsten des Beschwerdeführers einzubeziehenden Umstände gänzlich ignoriert habe.

12. Der VwGH wies mit Beschluss vom 10.09.2020 unter XXXX , die außerordentliche Revision zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass im vorliegenden Fall Gegen dieses Erkenntnis habe der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) erhoben. Mit Erkenntnis vom 08.06.2020, E 4019/2019-17, habe der VfGH die Entscheidung hinsichtlich der Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängenden Spruchpunkten (V. bis VII.) aufgehoben, habe die Behandlung der Beschwerde im Übrigen abgelehnt und die Beschwerde insoweit gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen habe das BVwG näher dargelegt, warum es davon ausgehe, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf die Änderung der subjektiven Lage des Revisionswerbers nach dem Zeitpunkt der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005, nicht mehr vorliegen würden (vgl. VwGH 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, mwN). Dass sich das BVwG bei dieser Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte, zeige die Revision nicht auf (vgl. zur Aberkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ausführlich VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153).

Soweit die Revision behauptete, es bestehe kein Kontakt zur Familie des Revisionswerbers, entferne sie sich vom festgestellten Sachverhalt (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei einer Entfernung vom festgestellten Sachverhalt etwa VwGH 24.3.2020, Ra 2019/01/0194, mwN). Dass die diesbezügliche Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden sei, lege die Revision nicht dar (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN).

Darüber hinaus habe sich die Revision gegen die Annahme des BVwG gewandt, dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) zur Verfügung. Sie habe jedoch nicht dargelegt, dass sich das BVwG bei seiner diesbezüglichen Beurteilung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte (vgl. zur Zumutbarkeit der IFA als Entscheidung im Einzelfall etwa VwGH 29.6.2020, Ra 2020/01/0182, mwN).

13. Mit Schriftsatz vom 13.10.2021 legte BBU GmbH eine Vertretungsvollmacht des BF für das gegenständliche Verfahren vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und ist sunnitischen Bekenntnisses. Er stammt aus der Provinz Nangarhar, Distrikt XXXX . Bis zu seiner Ausreise lebte er in Afghanistan. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich, wo er am 20.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er ist verlobt, wobei er seine Verlobte nie gesehen hat. Diese Frau lebt in Afghanistan. Er lehnt einen telefonischen Kontakt zu seinem Schwiegervater ab. Er ist am XXXX geboren und somit volljährig.

Seine Muttersprache ist Dari. Er spricht auch noch Paschtu, Urdu, ein wenig Englisch und Deutsch. Er hat in Afghanistan keine Schule besucht und war bis zu seinem 14 Lebensjahr in der Landwirtschaft tätig. In Österreich hat er auf Baustellen in einem Schnellimbiss gearbeitet.

Er hat noch Verwandte in Afghanistan. Seine Mutter, sein jüngerer Bruder, seine beiden Onkel (mütterlicherseits und väterlicherseits) und seine beiden Schwestern leben noch in der Heimatregion. Eine Schwester ist verheiratet.

Der Beschwerdeführer unterstützt die Familie im Ausmaß von ca 300.- Euro bis 400.- Euro im Monat.

Er ist gesund und arbeitsfähig. Er ist strafgerichtlich in Österreich nicht verurteilt worden.

Der Beschwerdeführer ist mit der paschtunischen bzw. afghanischen Kultur sehr vertraut. Er zeigt eine hohe Bindung mit den Traditionen.

1.2.    Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet war der Beschwerdeführer zunächst ab Februar 2012 als Asylwerber aufhältig. Nach Zustellung des Bescheides vom 02.09.2013 war er als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig, und zwar zunächst aufgrund einer bis 02.09.2014 erteilen Aufenthaltsberechtigung, dann aufgrund einer mit Bescheid vom 29.09.2016 befristet bis 02.09.2018 erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter und schließlich aufgrund einer mit Bescheid vom 29.09.2016 befristet bis 02.09.2018 erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

Am 09.07.2018 stellte er einen (beim BFA am 12.03.2018 eingelangten) Antrag auf neuerliche Verlängerung der ihm befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung.

Einer gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides vom 02.09.2013 erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom XXXX keine Folge. Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Erkenntnis vom 23.09.2019 die Beschwerde gegen den Bescheid zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab.

Mit Erkenntnis vom 08.06.2020, E 4019/2019-17, habe der VfGH die Entscheidung hinsichtlich der Rückkehrentscheidung samt rechtlich davon abhängenden Spruchpunkten (V. bis VII.) aufgehoben und trat die Beschwerde bezüglich der restlichen Spruchpunkte an den VwGH ab. Der VwGH wies mit Beschluss vom 10.09.2020 unter XXXX die außerordentliche Revision gegen die vom VfGH zur Behandlung abgelehnten Spruchpunkte zurück.

Zu Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerbstätigkeiten, Ausbildungen etc.

Zu Beginn seines Aufenthalts war der Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig und lebte von der Grundversorgung. Er arbeite ohne Bewilligungen hier in Österreich auf Baustellen und half in einem Schnellimbisslanden mit.

Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthalts in Österreich Deutschkurse besucht. Er hat die polytechnische Schule im 7. Wiener Gemeindebezirk besucht (Schuljahr 2014/15) war im Schuljahr 2017/18 Schüler der Berufsschule für Einzelhandel.

Er ist Lehrling in einem Einzelhandelsgeschäft. Die Lehrzeit war vom 30.11.2015 bis zum 29.11.2018. Er hat die Gesellenprüfung noch nicht bestanden. Er arbeitet bei der XXXX in XXXX und verdient dort ca 1.360.- bis 1.900 Euro netto monatlich. Aufgrund seiner Beschäftigung als Hilfskraft bezieht der Beschwerdeführer ein Einkommen, welches über der Geringfügigkeitsgrenze liegt. Er ist damit selbsterhaltungsfähig.

Er zahlt 200.- Euro für die Miete und benötigt ca 200.- für sein Essen und ca 300.- Euro für seinen Lebensunterhalt. 20.- Euro gibt er für Freizeit/Fitness aus und 20.- Euro für das Internet.

Er wohnt im XXXX und besucht fallweise ein Fitnesscenter. Er hat österreichische Freunde, und betätigt sich nicht in Vereinen.

Der Beschwerdeführer ist im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung der vorhergehenden Bescheide (aus 2013, 2014 und 2016) älter, erfahrener, hat Berufserfahrungen gemacht, ergänzende Bildungsschritte unternommen und Kontakte geknüpft.

Der BF ist mit den Traditionen von Afghanistan noch sehr vertraut und zeigt eine hohe Bindung zu der paschtunischen Kultur. Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine strafrechtliche Verurteilung des BF auf. Er ist unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG. Auf Grundlage des gegenständlich erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (insofern eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat), der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

2.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben im behördlichen und gerichtlichen Verfahren. Der Beschwerdeführer ist mangels anderslautender Unterlagen gesund. Die sonstigen Feststellungen ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens sowie den hierfür vorgelegten (und insoweit unbedenklichen) Urkunden.

Das er mit den Traditionen aus Afghanistan noch sehr vertraut ist, ergibt sich ausfolgenden Punkten:

Er ist nach wie vor verlobt, obgleich er seine zukünftige Frau noch nicht gesehen hat und obgleich die ihm wichtigen Personen, welche Interesse an der Hochzeit haben, verstorben (angeblich seine Mutter, welche die Hochzeit arrangiert habe) sind oder er – nach seiner Schilderung – keinen Kontakt mehr mit ihnen hat. Er hat nach seinen Angaben keinen Kontakt zu seiner Familie, das Schicksal seines jüngeren Bruders ist ihm mehr oder minder gleichgültig, aber zu einer fremden Familie und einer Frau die er noch nie gesehen hätte, zu der fühle er sich verpflichtet. Dass ist mit den logischen Denkgesetzen nicht nachvollziehbar und schon gar nicht ist diese Haltung einem Paschtunen zuzuschreiben, dies er vorgibt zu sein.

In der mündlichen Verhandlung meinte er auf die Frage des Richters, was passiere, falls er hier in Österreich eine Frau kennen lernen würde, ob der die Frau in Afghanistan dann nicht mehr ehelichen wolle, dass er doch zwei Frauen haben kann. Dies meinte er ganz ernst und erst durch die Aufforderung seiner eigenen Rechtsvertretung, dass er hier vor einem Gericht sei, meinte er dann später, dass er das nicht ernst gemeint habe. Der Richter hatte allerdings den Eindruck, dass die Antwort seiner inneren Haltung entspricht, dies durch seine Rechtfertigung auch als bewiesen angesehen werden kann.

Auch wenn der Beschwerdeführer noch zeigt, dass er die innere Haltung eines Paschtunen in sich trägt und mit den Werten und mit der Kultur in Afghanistan nach wie vor vertraut ist, so ist der Beschwerdeführer mittlerweile fast zehn Jahre aufhältig, hat in Österreich eine Lehre abgeschlossen. Der Zeitraum dieser war vom 30.11.2015 bis zum 29.11.2018. Nach dem Lehrabschluss ist er in ein arbeitsrechtliches Dienstverhältnis gekommen hat. Sohingehend hat er auch schon über viele Jahre die Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt.

Dass er in Österreich verschiedene Arbeit nachging ergibt sich aus seinen Aussagen vor dem Gericht. Entsprechende Nachweise konnte er nicht vorlegen. Aus dem Grundversorgungssystem lässt sich erkennen, dass der BF durchgehend – bis zur Aufnahme als Lehrling – eine Grundversorgung bezogen hat. Danach hat er diese nicht mehr benötigt und sie blieben im Ergebnis auch weit über der Geringfügigkeitsgrenze.

Dass er Schüler zu den angegebenen Zeiten war, ergibt sich aus den vorgelegten Kopien der Zeugnisse in der Beschwerde.

Dass er Lehrling war, ergibt sich aus den im behördlichen Verfahren vorgelegten Lehrvertrag (Sh OZ, 1, AS 541). Seine monatlichen Zahlungen und die übrigen Feststellungen ergeben sich aus seinen eigenen Angaben bzw. einer Nachschau im Grundversorgungssystem etc.

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten und unbestrittenen Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zur Dauer und Qualität des Aufenthaltes des Beschwerdeführers lassen sich zweifelsfrei auf den Verwaltungsakt und ergangenen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen rückführen.

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale zur einer Abhängigkeit zu anderen im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten Personen.

Die Feststellungen hinsichtlich der fortgeschrittenen Integrationstiefe ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

3.       Rechtliche Beurteilung

3.1.    Zur Rückkehrentscheidung und Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit Februar 2012 im Bundesgebiet. Sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies vom BF auch nicht behauptet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz sein Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.1.1.  Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Aus den Feststellungen geht hervor, dass der Beschwerdeführer sich bereits seit fast zehn Jahren in Österreich aufhält. Er ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der bisherige Aufenthalt der BF in Österreich stützt sich auf seinen Antrag auf internationalen Schutz und die Aufenthaltserlaubnis als subsidiär Schutzberechtigter. Der BF hält sich jedoch länger als die in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes evozierten fünf Jahre in Österreich auf. Die Dauer des Aufenthalts fällt also bei der Bewertung des Interesses des BF am Verbleib in Österreich ins Gewicht. Die lange Verfahrensdauer kann dem BF nicht angelastet werden.

Die bloße Aufenthaltsdauer ist nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001) Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen ist insbesondere das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.3.2005, G 78/04, zu erwähnen. Demnach ist das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den privaten Interessen bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen. Es ist auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041 mit Hinweis auf E 30.08.2011, 2008/21/0605; E 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; E 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253-12).

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale zur einer Abhängigkeit zu anderen im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten Personen.

Der BF pflegte in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Afghanen. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden.

Im Hinblick auf seine Vorheriger Aufenthaltsdauer von rund zehn Jahren lässt das Bundesverwaltungsgericht nicht unberücksichtigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers während des Zeitraums vom 02.09.2013 bis zum 10.09.2020 auf einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter fußte. Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet fortlaufend um eine Integration bemühte. Der Beschwerdeführer besuchte während seines Aufenthaltes im mehrere Sprachkurse und dies auch noch, als ihm bereits der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukam. Er spricht einfaches, aber gut verständliches Deutsch. Er hat die polytechnische Schule besucht (Schuljahr 2014/15) war im Schuljahr 2017/18 Schüler der Berufsschule für Einzelhandel.

Er besucht in seiner Freizeit ein Fitnessstudio und verfügt über einen Freundeskreis, mit denen er seine Freizeit verbringt. Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer zudem eine Lehre begonnen hat Er war Lehrling in einem Einzelhandelsgeschäft und die Lehrzeit war vom 30.11.2015 bis zum 29.11.2018. Nach dem Lehrabschluss ist er in ein arbeitsrechtliches Dienstverhältnis gekommen, sodass er beinahe seit sechs Jahren durchgehend eine legale Beschäftigung ausübt und somit auch eine berufliche Anbindung an das Bundesgebiet aufweist. Der Beschwerdeführer sichert sich aus seiner beruflichen Tätigkeit seinen Lebensunterhalt im österreichischen Bundesgebiet, bezieht seit beinahe sechs Jahren keine Leistungen mehr aus der staatlichen Grundversorgung und ist selbsterhaltungsfähig.

Es sind - unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK - aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaigen wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme auch in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. VwGH 17.03.2021, Ra 2021/14/0052). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.

Demgegenüber hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen und auch familiäre Anknüpfungspunkte. Von einer vollkommenen Entwurzelung kann im gegenständlichen Fall somit nicht ausgegangen werden.

Hinsichtlich seiner strafrechtlichen Unbescholtenheit ist auszuführen, dass dies nach Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen darstellt, da der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass es von Fremden, welche sich im Bundesgebiet aufhalten als selbstverständlich anzunehmen ist, dass sie die geltenden Rechtsvorschriften einhalten (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen öffentliche Interessen gegenüber. Dieses beinhaltet das öffentliche Interesse an einem geordneten Asyl- und Fremdenwesen und dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden (vgl. VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0034; 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).

Anhand der vorangegangenen Ausführungen kann unter Zugrundelegung der höchstgerichtlichen Judikatur nach Vornahme einer gewichtigen Abwägung im Einzelfall aufgrund des zeitlichen Ablaufs in Verbindung mit dem konstanten und fortlaufenden Bemühen des Beschwerdeführers um eine Integration davon ausgegangen werden, dass die privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, des festgestellten Sachverhaltes und einer gewichtenden Interessensabwägung ergibt sich, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt und war die Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären.

3.2. Zum Aufenthaltstitel:

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2).

Liegt gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.“

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ die Voraussetzungen nach Z 1 und Z 2 des § 55 Abs. 1 AsylG 2005 kumulativ vorliegen müssen und ist daher nicht nur zu prüfen, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Beschwerdeführer zur Aufrechterhaltung deren Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist, sondern auch, ob der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt (Z 1), einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3), einen Aufenthaltstitelt „Rot-Weiß-Rot Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4) oder als Inhaber eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung Künstler" gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Im gegenständlichen Fall wurde lediglich der Besuch eines Werte- und Integrationskurses nachgewiesen und liegt somit kein Nachweis einer erfolgreichen Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG vor. Allerdings übt der Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus und liegt sein dabei verdientes Einkommen über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG. Deshalb ist dem Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

3.3.    Zur Abschiebung und Zur Frist für einen freiwilligen Ausreise (Spruchpunkte VI. und VII. des angefochtenen Bescheides):

Aufgrund der Unzulässigerklärung der Rückkehrentscheidung und der Erteilung eines Aufenthaltstitels ist den Spruchpunkten VI. und VII. die Entscheidungsgrundlage entzogen und waren diese ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Einreiseverbot geänderte Verhältnisse individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt Privat- und Familienleben Rechtsanschauung des VfGH Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W257.1437828.2.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten