Entscheidungsdatum
19.11.2021Norm
AsylG 2005 §58 Abs9 Z2Spruch
W220 2247572-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch Dr. Peter PHILIPP, Rechtsanwalt in 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2021, ZI.: 1103664008-211347700:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, stellte am 17.09.2021 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK und legte diesem entsprechende Dokumente, Urkunden und Nachweise bei.
2. Mit oben zitiertem Bescheid vom 05.10.2021, zugestellt am 08.10.2021, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag gemäß § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG als unzulässig zurück und wurde begründend im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei im Besitz eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte Plus“ mit Gültigkeit bis 29.04.2022. Er sei damit derzeit nach dem NAG zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt, weshalb der Antrag formal zurückzuweisen gewesen sei.
3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher der ausgewiesene Rechtsvertreter des Beschwerdeführers auf die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Wien vom 18.08.2021, GZl. VGW-151/074/6442/2021-13, hinwies und ausführte, dass die Beschwerde gegen den Bescheid der MA35 vom 08.03.2021, Zl. MA35-9/3113011-05, mittels welchem die Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers wiederaufgenommen worden wären, abgewiesen worden sei, sodass der Beschwerdeführer über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfüge.
4. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 09.11.2021 räumte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde unter Anschluss der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Wien vom 18.08.2021 sowie der gegenständlichen Beschwerde die Möglichkeit zur Einbringung einer diesbezüglichen Stellungnahme binnen Wochenfrist ein. Am 10.11.2021 langte die Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die in Rede stehende Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien in den fremdenrechtlichen Ausschreibungen (IZR) nicht wiederspiegle, weshalb von der Rechtsgültigkeit des darin aufscheinenden Aufenthaltstitels ausgegangen worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A):
1.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend, wie folgt, festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
1.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stützte sich bei Erlassung der gegenständlichen Zurückweisungsentscheidung auf den Tatbestand des § 58 Abs. 9 Z. 2 AsylG und begründete den angefochtenen Bescheid mit dem angeblich bestehenden Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Hiezu ist, wie folgt, auszuführen:
Obwohl in gegenständlicher Beschwerde vom 13.10.2021 ausdrücklich auf die in concreto maßgebliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien vom 18.08.2021 hingewiesen und ein bestehender Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bestritten wurde, verließ sich die belangte Behörde auf die Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, ignorierte die in Rede stehende Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien und ging tatsachenwidrig von einem gültigen Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers in Form einer „Rot-Weiß-Rot Karte Plus“ aus. Das Bundesamt hat somit jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit aus eigenem unterlassen, weshalb sich der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Sachverhalt als Vollkommen mangelhaft erweist. Hätte die belangte Behörde nämlich zumindest nur grundlegende Ermittlungsschritte gesetzt, so hätte sich herausgestellt, dass die Beschwerde gegen den Bescheid der MA 35 vom 08.03.2021, mit welchem die Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers wiederaufgenommen wurden, abgewiesen wurde, sodass der Beschwerdeführer tatsächlich über keinen gültigen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt.
In Anbetracht dieser schwerwiegenden Mängel kann a priori aber nicht ausgeschlossen werden, dass bei Vermeidung derselben in der Sache ein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis erzielt werden hätte können.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann aber nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine derartige Beurteilung nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
1.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an die belangte Behörde ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W220.2247572.1.00Im RIS seit
19.01.2022Zuletzt aktualisiert am
19.01.2022