TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 W155 2127892-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W155 2127892-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und werden die Spruchpunkte I., II. sowie IV. bis VII. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 26.03.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der BF zu seinem Fluchtgrund an, dass er Afghanistan wegen des dort herrschenden Krieges und der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Er habe ab dem 8. Lebensjahr bei einer anderen Familie gelebt, weil sein Dorf von den Taliban angegriffen worden sei. Er habe keinen Kontakt zu seiner Familie und wisse nicht, ob seine Mutter und seine Geschwister am Leben seien. Er habe zudem seine Ausbildung nicht fortführen können. Er fürchte im Fall einer Rückkehr den Krieg und die Taliban.

Auf Grund eines forensischen Altersdiagnostikverfahrens wurde die Volljährigkeit des BF als wahrscheinlich angenommen und ein fiktives Geburtsdatum errechnet.

Am 05.04.2016 fand die niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) statt, in der der BF im Wesentlichen angab, dass er aus XXXX , Provinz XXXX stamme und seine leiblichen Eltern nicht kenne. Er sei nach seiner Geburt von einer Familie adoptiert worden. Seine Geschwister (eine Schwester und ein Bruder) würden bei seiner leiblichen Mutter leben, sein leiblicher Vater sei verstorben. Er sei 7 Jahre in die Schule gegangen und habe noch nicht gearbeitet. Er habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Er habe keine persönlichen Probleme gehabt. Mit seinen Adoptiveltern habe er nicht über die Flucht gesprochen. Die Flucht habe sein Freund M. bezahlt.

Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 17.05.2016, Zl. XXXX , den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 17.05.2017 (Spruchpunkt III.).

Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die allgemeine Situation in Afghanistan in Zusammenschau mit den zur Sache zusammengetragenen landeskundlichen Feststellungen gewiss nicht als zufriedenstellend zu bezeichnen sei. Die Situation scheine auf dem Weg zur Stabilisierung zu sein, sei aber nach wie vor unübersichtlich und unsicher. Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung sei der Zugang zu Arbeit, Nahrung und Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die im Familienverband geflüchtet seien oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die erforderlichen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen würden. Beim BF müsse berücksichtigt werden, dass er nicht bei den leiblichen Eltern gewohnt habe und keinen Kontakt zu diesen habe. Seine nichtleiblichen Eltern würden in der Provinz XXXX leben. Derzeit sei eine gefahrlose Rückkehr in diese Provinz nicht möglich, da diese zu den volatilen Gebieten in Afghanistan zähle. Er habe daher keinen familiären Rückhalt in Afghanistan und seien die Erwerbs- und Ausbildungsmöglichkeiten in den ländlichen Regionen in der Provinz XXXX nur sehr eingeschränkt vorhanden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa in der Hauptstadt Kabul, würde unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände sowie auch im Hinblick auf die allgemein schlechte Versorgungslage in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. Er habe nie in Kabul gelebt und sei nicht mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und verfüge dort über keinerlei familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen ergebe sich in seinem Fall derzeit eine Rückkehrgefährdung im Sinne des § 8 AsylG 2005 und erscheine seine Rückkehr nach Afghanistan derzeit unter den dargelegten Umständen als unzumutbar.

Auf Grund des am 04.04.2017 gestellten Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde dem BF mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.05.2017 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 17.05.2019 erteilt.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.05.2017, Zl. XXXX , wurde die Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 17.05.2016 als unbegründet abgewiesen.

Am 26.03.2019 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

Am 06.06.2019 wurde der BF vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und zu seiner Situation in Österreich und einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan befragt. Der BF wiederholte im Wesentlichen seine familiäre Situation und dass er zu seiner leiblichen Familie keinen, aber zu seinen Pflegeeltern Kontakt habe. Er ergänzte, dass er in Kabul einen Onkel habe, zu welchem er auch keinen Kontakt habe. Kontakt habe er zu seinem Freund M. in Kabul. Er habe 2018 Urlaub im Iran gemacht. Befragt, was seiner etwaigen Rückkehr nach Afghanistan entgegenstünde, antwortetete der BF, dass er der Volksgruppe der Hazara angehöre und Schiit sei. In Afghanistan bestehe die Gefahr, dass man bei Anschlägen getötet werde. Der BF legte zahlreiche Integrationsunterlagen vor (u.a. Gehaltsbestätigungen, Mietvertrag, Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben…).

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen (Spruchpunkt II.), der Antrag vom 26.03.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt III.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt IV.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aktuell nicht (mehr) vorlägen. Der BF habe sich wertvolle Kenntnisse aneignen können, welche bei einer Rückkehr von Vorteil wären. Er sei alleinstehend, jung, gesund und arbeitsfähig. Eine Rückkehr nach Herat, Kabul und Mazar-e Sharif wäre aus aktueller Sicht möglich und diese Städte mit dem Flugzeug erreichbar. Der BF könne von seiner Familie (Pflegeeltern), mit der er in Kontakt stehe, (finanziell) unterstützt werden. Wesentlich sei in seinem Fall, dass er mit seinem Freund M., der in Kabul lebe und arbeite, in Kontakt stehe. Dieser könne ihm im Falle seiner Rückkehr behilflich sein. Es könne in seinem Fall von keiner Rückkehrgefährdung bzw. aktuellen mit einer unmenschlichen Behandlung gleichzusetzenden Situation nach der Rückkehr in seine Heimat Afghanistan gesprochen werden. Der BF besitze eine siebenjährige Schulausbildung, habe Berufserfahrung und könne eine Teilnahme am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Aufgrund seiner Arbeitsfähigkeit habe er die Möglichkeit, sich in den sicheren Provinzen allenfalls durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Er sei mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut, da er den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht habe, Er gehöre keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürfter darstelle als die übrige Bevölkerung. Sein Vorbringen, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zum schiitischen Glauben und zur Volksgruppe der Hazara einer besonderen Gefährdung ausgesetzt sei, sei nicht nachvollziehbar. Auch sein Freund M. gehöre der selben Volksgruppe und Religionsgemeinschaft an und könne in Kabul gut leben. Es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der BF in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Dass er nicht über hinlängliche Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif verfüge, reiche für die Annahme der Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht (mehr) aus. Auch die zwischenzeitlich veränderte Sicherheitslage in Kabul habe noch nicht ein Ausmaß erreicht, dass von einer allgemein unzumutbaren Sicherheitssituation ausgegangen werden könne. Auch eine generell schlechte Sicherheistlage habe nicht auf seine Person individualisiert und konkretisiert werden können. Rückkehrhilfe könne übergangsweise in Anspruch genommen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde in der ausgeführt wurde, dass die belangte Behörde die Aberkennung des subsidiären Schutzes lapidar damit begründe, dass sich die subjektive Lage des BF geändert habe, da er über private Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge und auf die Unterstützung seiner Pflegeeltern zählen könne. Die belangte Behörde habe unterlassen, zu ermitteln, ob die Verwandten des BF tatsächlich willig und in der Lage wären, den BF zu unterstützen. Außerdem gehe die belangte Behörde davon aus, dass der BF in Kabul leben und arbeiten könne, weil er einen Freund habe, der auch in Kabul lebe. Bereits bei seiner ersten Einvernahme habe der BF angegeben, dass er mit seiner Familie nur sporadischen Kontakt habe und habe die belangte Behörde damals richtigerweise festgestellt, dass er über kein unterstützendes oder familiäres Netzwerk verfüge. Zudem habe sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage seit Anfang 2016 nicht wesentlich verbessert. Die Gründe, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, hätten sich im Wesetlichen nicht geändert. Es sei nach wie vor davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in eine lebensbedrohliche Notlage geraten würde, welche die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK indizieren würde. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 mangels wesentlicher Änderung der maßgeblichen Umstände gegenständlich nicht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.

Er stammt aus der Provinz XXXX , Distrikt XXXX , wo er im Familienverband mit seiner Pflegefamilie lebte. Sein leiblicher Vater ist verstorben, er hat nach seinen Angaben keinen Kontakt zu seiner leiblichen Mutter und seinen Geschwistern (eine Schwester und ein Bruder) und kennt deren Aufenthalt nicht. Die Muttersprache des BF ist Dari, er verfügt über eine siebenjährige Grundschulausbildung. Der BF verfügt über keine Arbeitserfahrung in Afghanistan.

Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich ein, stellte am 23.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und hält sich seither im Bundesgebiet auf.

Im März 2018 hielt sich der BF aus Urlaubszwecken im Iran auf.

Der BF ist seit 2016 subsidiär schutzberechtigt, die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde verlängert, zuletzt bis 17.05.2019.

Der BF hat an Deutschkursen u.a. Deutschkurs B1 teilgenommen und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert.

Der BF ist ledig und kinderlos, gesund und arbeitsfähig. Er befindet sich in einem Beschäftigungsverhältnis und bestreitet seinen Lebensunterhalt selbständig.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF hat keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiären Schutz

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in seiner Herkunftsprovinz XXXX sowie in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Bescheid vom 17.05.2016) nicht derart wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen.

Auch haben sich die Familien- und Freundschaftsverhältnisse sowie Unterstützungsmöglichkeiten im Falle einer Rückkehr seit Gewährung des subsidiären Schutzes nicht gebessert bzw. verändert.

Beim BF haben sich jedoch Veränderungen in seiner persönlichen Situation dadurch ergeben, dass er während seines Aufenthaltes in Österreich Arbeits- und Lebenserfahrung gesammelt hat und seine Existenzgrundlage selbst erwirtschaftet und nicht auf Leistungen aus der Grundversorgung angewiesen ist.

Die aktuell vorherrschende COVID-19- stellt kein Rückkehrhindernis dar. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört keiner Risikogruppe für einen schwerwiegenden Verlauf einer Covid-19-Infektion an.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Fassung 16.09.2021:

Sicherheitslage

Jüngste Entwicklungen - Machtübernahme der Taliban

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu, aber auch schon zuvor galt die Sicherheitslage in Afghanistan als volatil. Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in. Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimruz - am 6.8.2021 in „halsbrecherischer Geschwindigkeit“, innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte. Auch eroberten die Taliban mehrere Grenzübergänge und Kontrollpunkte, was der finanziell eingeschränkten Regierung dringend benötigte Zolleinnahmen entzog. Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein. Zuvor waren schon Jalalabad im Osten an der Grenze zu Pakistan gefallen, ebenso wie die nordafghanische Metropole Mazar-e Scharif. Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück. Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren ist nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird, auch wurde die weit verbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (LIB).

Im Panjshir-Tal, rund 55 km von Kabul entfernt, formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 Widerstand in Form der National Resistance Front (NRF), welche von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghan. Geheimdienst], sowie Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird. Ihr schlossen sich Mitglieder der inzwischen aufgelösten Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) an, um im Panjshir-Tal und umliegenden Distrikten in Parwan und Baghlan Widerstand gegen die Taliban zu leisten. Sowohl die Taliban, als auch die NRF betonten zu Beginn, ihre Differenzen mittels Dialog überwinden zu wollen. Nachdem die US-Streitkräfte ihren Truppenabzug aus Afghanistan am 30.8.2021 abgeschlossen hatten, griffen die Taliban das Pansjhir-Tal jedoch an. Es kam zu schweren Kämpfen und nach sieben Tagen nahmen die Taliban das Tal nach eigenen Angaben ein, während die NRF am 6.9.2021 bestritt, dass dies geschehen sei. Mit Stand 6.9.2021 war der Aufenthaltsort von Saleh und Massoud unklar, jedoch verkündete Massoud, in Sicherheit zu sein sowie nach Absprachen mit anderen Politikern eine Parallelregierung zu der von ihm als illegitim bezeichneten Talibanregierung bilden zu wollen (LIB).

Weitere Kampfhandlungen gab es im August 2021 beispielsweise im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und in Khedir in Daikundi, wo es zu Scharmützeln kam, als die Taliban versuchten, lokale oder ehemalige Regierungskräfte zu entwaffnen. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen (

Talibanregierung (LIB).

Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten. Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen „Werte“ betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Aufgrund der schnellen und umfangreichen militärischen Siege der Taliban im Sommer 2021 hat die Gruppierung nun jedoch wenig Grund, die Macht mit anderen Akteuren zu teilen (LIB).

Die Taliban-Führung hat erklärt, dass Frauen in Zukunft ein wichtiger Teil der afghanischen Gesellschaft sein werden und dass sie nach islamischen Regeln Schulen besuchen und arbeiten dürfen. Die Taliban-Führung war jedoch vage darüber, wie sie “in Übereinstimmung mit den islamischen Regeln“ interpretieren. Daher bleibt die Situation für Frauen in Afghanistan laut SER ungewiss (Danish Immigration Service).

Armut und Lebensmittelunsicherheit

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2021; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (UNGASC 9.12.2020).

Da keine neuen Dollarlieferungen eintreffen, um die Währung zu stützen, ist die afghanische Währung auf ein Rekordtief gefallen und hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen (DW 24.8.2021).

Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten

Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 lag die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard musste zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden (IOM 2020). Auch in Mazar-e Sharif standen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankte unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich (STDOK 21.7.2020). Einer anderen Quelle zufolge lagen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat (Schwörer 30.11.2020). Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden (STDOK 21.7.2020). Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel (Schwörer 30.11.2020; vgl. STDOK 21.7.2020). Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (IOM 2020).

Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2020).

Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken (Schwörer 30.11.2020).

Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosteten vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch konnten die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls waren höher. In ländlichen Gebieten konnte man mit mind. 50% weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (IOM 2020).

[Die möglichen Auswirkungen durch die Machtübernahme der Taliban im August 2021 auf Wohnungsmarkt und Lebenshaltungskosten können noch abgesehen werden]

Arbeitsmarkt

Vor der Machtübernahme durch die Taliban war der Arbeitsmarkt durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). 80% der afghanischen Arbeitskräfte befanden sich in "prekären Beschäftigungsverhältnissen", mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen (AAN 3.12.2020; vgl.: CSO 2018). Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten waren Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (AAN 3.12.2020).

Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.7.2020; vgl. IOM 18.3.2021) ebenso wie die Anzahl der prekär Beschäftigten (AAN 3.12.2020).

Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssen jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten bislang aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2019, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag (IOM 18.3.2021). Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (IOM 18.3.2021).

[Die möglichen Auswirkungen durch die Machtübernahme der Taliban im August 2021 auf den Arbeitsmarkt können noch abgesehen werden.]

Medizinische Versorgung nach Machtübernahme durch die Taliban

Angesichts der jüngsten Entwicklungen hat die Weltbank alle Hilfen für Afghanistan eingefroren (WHO 28.8.2021; vgl. HRW 3.9.2021). Mehr 2.500 Gesundheitseinrichtungen und die Gehälter von mehr als 2.000 Beschäftigten im Gesundheitswesen, die im Rahmen des von der Weltbank kofinanzierten Sehatmandi-Projekts unterstützt werden, werden davon betroffen sein. Derzeit sind mehr als 3.800 Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, ganz oder teilweise nicht funktionsfähig. Die NGOs, die das Projekt durchführen, haben jedoch die Umsetzung reduziert, was zur sofortigen Aussetzung einiger Dienste in den Gesundheitseinrichtungen, einschließlich Überweisungen und ambulanter Essensversorgung führte. Einige wenige Gesundheitseinrichtungen, die im Rahmen des Projekts unterstützt wurden, verfügen über genügend medizinische Vorräte um die Versorgung für einige Monate aufrechtzuerhalten. In Ermangelung einer ausreichenden Finanzierung könnte die Kürzung der Hilfe Hunderttausende Afghanen ohne medizinische Versorgung zurücklassen und unverhältnismäßig viele Frauen betreffen (WHO 28.8.2021). Angesichts der Blockade des Flughafens Kabul rufen WHO und UNICEF zur Unterstützung bei der Lieferung wichtiger medizinischer Güter nach Afghanistan auf (WHO 28.9.2021; vgl. WHO 22.8.2021)

Covid-19

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-Pandemie, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann. Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden

Das vormalige afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hatte verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchten Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ waren in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IDW 17.6.2021). Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Die Taliban erlaubten den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. TG 2.5.2020) und gaben im Januar 2021 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 3.6.2020). Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

[…]

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018:

„C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative

Eine Bewertung der Möglichkeiten für eine Neuansiedlung setzt eine Beurteilung der Relevanz und der Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative voraus.[…] In Fällen, in denen eine begründete Furcht vor Verfolgung in einem bestimmten Gebiet des Herkunftslandes nachgewiesen wurde, erfordert die Feststellung, ob die vorgeschlagene interne Schutzalternative eine angemessene Alternative für die betreffende Person darstellt, eine Bewertung, die nicht nur die Umstände berücksichtigt, die Anlass zu der begründeten Furcht gaben und der Grund für die Flucht aus dem Herkunftsgebiet waren. Auch die Frage, ob das vorgeschlagene Gebiet eine langfristig sichere Alternative für die Zukunft darstellt, sowie die persönlichen Umstände des jeweiligen Antragstellers und die Bedingungen in dem Gebiet der Neuansiedlung müssen berücksichtigt werden. […]

Wenn eine interne Schutzalternative im Zuge eines Asylverfahrens in Betracht gezogen wird, muss ein bestimmtes Gebiet für die Neuansiedlung vorgeschlagen werden und es müssen alle für die Relevanz und Zumutbarkeit des vorgeschlagenen Gebiets im Hinblick auf den jeweiligen Antragsteller maßgeblichen allgemeinen und persönlichen Umstände soweit wie möglich festgestellt und gebührend berücksichtigt werden. Dem Antragsteller muss eine angemessene Möglichkeit gegeben werden, sich zu der angenommenen Relevanz und Zumutbarkeit der vorgeschlagenen internen Schutzalternative zu äußern. […]

Vor diesem Hintergrund ist UNHCR der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn die Person Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung und (iii) Lebensgrundlagen hat oder über erwiesene und nachhaltige Unterstützung verfügt, die einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht. UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen.

Laut UNHCR müssen interne Flucht- oder Neuansiedlungsalternative in afghanischen Städten praktisch und sicher erreichbar sein.

UNHCR ist der Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist.

UNHCR-Position zu Rückkehrern nach Afghanistan August 2021 (auszugsweise):

[….]

Da die Situation in Afghanistan instabil und unsicher bleibt, fordert UNHCR alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. [….]

[….]

Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan, die noch für einige Zeit unsicher bleiben kann, sowie der sich abzeichnenden humanitären Notlage fordert UNHCR die Staaten dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen – auch für jene, deren Asylanträge abgelehnt wurden. Ein Moratorium für zwangsweise Rückführungen nach Afghanistan sollte bestehen bleiben, bis sich die Situation im Land stabilisiert hat und geprüft wurde, wann die geänderten Umstände im Land eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erlauben würden. Die Hemmung von zwangsweisen Rückführungen stellt eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben muss, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert haben, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.

2. Beweiswürdigung:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunft, zum Alter und zur Religionszugehörigkeit des BF gründen auf seinen Angaben und wurden schon dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zu den Lebensumständen in Afghanistan (u.a. Schulbesuch, Muttersprache) und zur familiären Situation des BF ergeben sich aus seinen im Wesentlichen gleichbleibenden und insofern glaubhaften Angaben. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, das an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zur Person des BF zweifeln ließe.

Dass sich die Familien- bzw. Freundschaftsverhältnisse in Bezug auf Afghanistan seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Jahr 2016 und der Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung im Jahr 2017 nicht wesentlich verändert bzw. verbessert haben, ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF im behördlichen Verfahren. Der BF hatte sowohl zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als auch zum Zeitpunkt der Einvernahme im Aberkennungsverfahren aufrechten Kontakt mit seinen in der Herkunftsprovinz lebenden Pflegeeltern (Aktenseite 191) und ist diesbezüglich keine Änderung eingetreten. Auch aus dem Hervorheben des Umstandes, dass der BF mit seinem in Kabul lebenden Freund M. in Kontakt stehe und dieser ihn im Falle einer Rückkehr behilflich sein könne (Aberkennungsbescheid, S. 129), kann keine nachhaltige Verbesserung der Situation des BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan erblickt werden. Zumal der BF schon bei seiner Einvernahme am 25.04.2016 (Zuerkennung subsidiärer Schutz) angab, dass sein Freund M. die Flucht finanziert habe (AS 189). Die belangte Behörde hätte schon damals davon ausgehen können, dass der BF auch bei einer Rückkehr von seinem Freund M unterstütztwerden könnte. Auch hier kann keine Verbesserung erkannt werden.

Zum Leben in Österreich:

Die Feststellungen zu Einreise und Aufenthalt des BF, zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie zur Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt, dessen Inhalt nicht bestritten wurde. Der durchgehende Aufenthalt des BF im Bundesgebiet geht aus einem amtswegig eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister hervor. Der Urlaub im Iran ist seinen plausiblen Angaben in der Einvernahme vom 06.06.2019 zu entnehmen.

Die Deutschkenntnisse des BF beruhen auf den vorgelegten Teilnahmen an Deutschkursen bis Niveau B1, ein positives ÖSD-Zertifikat hat der BF jedoch nicht vorgelegt. Die Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs geht aus der Bestätigung des Österreichischen Integrationsfonds vom 18.10.2016 hervor. Seine Berufstätigkeit als Hilfsarbeiter ergibt sich aus der Arbeitsbestätigung des Arbeitgebers. Seine bisherige Selbsterhaltungsfähigkeit ist aus seiner Berufstätigkeit abzuleiten.

Die Integrationsbemühungen stützen sich auf erworbenen Deutschkenntnisse, auf seine Erwerbstätigkeit und einem Empfehlungsschreiben.

Die Unbescholtenheit des BF ist aus einem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug ersichtlich.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des BF im verwaltungsbehördlichen Verfahren.

Zur Änderung der Umstände seit der Gewährung von subsidiären Schutz und zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung nicht derart wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben,sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen, ergibt sich aus einem Vergleich der Sicherheitslage in Afghanistan bzw. einem Vergleich der individuellen Situation des BF zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes einerseits und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides, der ersten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung und der vorliegenden Entscheidung andererseits (siehe dazu auch im Folgenden unten 3., rechtliche Beurteilung). Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Bescheid vom 17.05.2016 zugrunde gelegten Länderberichten mit jener Berichtslage, die die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat.

Die belangte Behörde stützte die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen darauf, dass die Herkunftsprovinz XXXX zu den volatilen Provinzen in Afghanistan zähle und eine gefahrlose Rückkehr nicht möglich sei. Die allgemeine Situation sei als nicht zufriedenstellend, unübersichtlich und unsicher zu bezeichnen. Der BF habe keinen familiären Rückhalt und wären Erwerbs- und Ausbildungsmöglichkeiten eingeschränkt. Eine innertstaatliche Fluchtalternative (IFA) in Kabul würde unter Berücksichtigung seiner persönlichen Umstände sowie auch im Hinblick auf die allgemein schlechte Versorgungslage in Afghanistan derzeit ls nicht zur Verfügung stehen. Er habe nie in Kabul gelebt und sei nicht mit den dortigen Gegebenheiten vertraut sei und verfüge dort über keinerlei familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen ergebe sich in seinem Fall derzeit eine Rückkehrgefährdung.

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bzw. die Abweisung der Verlängerung des subsidiären Schutzes stützte die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass sich die Lage des BF als junger, gesunder, arbeitsfähiger und alleinstehender Mann in bezug auf eine IFA in den Städten Herat, Mazar-e Sharif oder Kabul geändert habe und zur Verfügung stehe und diese Städte sicher erreichbar wären. Die belangte Behörde hat jedoch nicht hinreichend begründet, welche persönlichen oder auch objektiven Voraussetzungen des BF sich derart wesentlich verändert haben, dass er keines Schutzes mehr bedarf, bzw. worin die wesentlichen Änderungen im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides im Jahr 2016 liegen, zumal schon zu diesem Zeitpunkt dem BF eine IFA in Herat, Mazar – e Sharif oder Kabul offen gestanden wäre. Inwieweit der BF in den genannten Städten nunmehr über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfüge und mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut wäre, ist sämtlichen Ausführungen des angefochtenen Bescheides nicht nachvollziehbar zu entnehmen. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde nicht ausreichend dargelegt, dass sich die persönlichen Umstände als auch die Lage in Afghanistan hinsichtlich der relevanten persönlichen oder allgemeinen Tatsachenumstände nunmehr maßgeblich geändert hätten. Alleine das pauschale Anführen, dass der BF volljährig, arbeitswillig, ledig, gesund und in Österreich Lebens- und Berufserfahrung gewonnen habe kann das Vorliegen von wesentlich geänderten Verhältnissen nicht darlegen. Die belangte Behörde hat entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderungen nicht aufgezeigt. Der BF war zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ebenfalls volljährig, ledig, gesund und arbeitsfähig und wäre eine Unetrstützung durch seine Pflegeeltern oder seinem Freund M,, der die Flucht finanzierte, erwartbar. Ferner wird nicht aufgezeigt, inwiefern nunmehr eine IFA in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zumutbar und tauglich im Vergleich zum zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides vom 17.05.2016 erscheint.

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund an der Richtigkeit der Informationen zur Lage im Herkunftsstaat zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Dass sich die Sicherheitssituation in Afghanistan seit den relevanten Verfahrenszeitpunkten nachhaltig und wesentlich verbessert hätte bzw. „übersichtlicher“ und „sicherer“ und „zufriedenstellender“geworden wäre, wurde durch die belangte Behörde nicht konkret und einzelfallbezogen dargelegt. Dass sich die Sicherheitslage in Kabul, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif nicht wesentlich und nachhaltig verbessert hat, ergibt sich aus einem Vergleich der von der belangten Behörde im Bescheid vom 30.09.2016 herangezogenen und der dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation. Insbesondere ist hinsichtlich der aktuellen weltweiten Corona 19-Pandemie keine wesentliche oder nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen als auch der sozialen Lage zu erkennen. Im Übrigen ergibt sich auch nach der bekannten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 ein unklares Bild über die Sicherheits- und Versorgungslage. Es kann angesichts der jüngsten Ereignisse und der bestehenden Unsicherheit keine Prognose über die weiteren Entwicklungen in Afghanistan getroffen werden, auch für die bis dahin als relativ sicher geltenden, Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A) I.

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8, 9 AsylG 2005 lauten (auszugsweise) wie folgt:

„Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

[…]

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

[…]

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat

und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

Zunächst wird festgehalten, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 bezog. Die Frage, ob die Aberkennung des Schutzstatus auf den ersten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, dem zufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht vorliegen“, oder auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, dem zufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht mehr vorliegen“, gestützt wurde, ist anhand der konkretisierenden Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde zu beurteilen. Die belangte Behörde führte im angefochtenen Bescheid in der rechtlichen Beurteilung aus, beim BF würden neben der geänderten Lage im Heimatland in Bezug auf eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative nunmehr auch eine verbesserte private Situation des BF vorliegen. Aus der Begründung des Bescheides ergibt sich somit zweifelsfrei, dass es sich um eine Anwendung des zweiten Falles des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 handelt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 21.06.2021, Ra 2021/20/0024) setzt die Heranziehung des Tatbestands des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat. Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (bzw. dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153). In Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, kommt es, so der Verwaltungsgerichtshof weiter, regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses an. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen darstellen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind. In diesem Sinn kann zB. bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, das Erreichen der Volljährigkeit eine Rolle spielen, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden. Bei der Prüfung, ob dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung anhand der jeweiligen Umstände des konkreten Falles.

Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden ist es nicht zulässig, die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat. Bei Hinzutreten von neuen Sachverhaltselementen, die für die Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des zur Anwendung gebrachten Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben sind (VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496).

Maßstab für die Frage einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Änderung der Umstände ist der rechtskräftige Bescheid vom 17.05.2016, mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Die belangte Behörde begründete die Gewährung von subsidiärem Schutz im Wesentlichen damit, dass anhand der im Verfahren herangezogenen Länderdokumente die allgemeine Situation in Afghanistan nicht als zufriedenstellend zu bezeichnen sei. Die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung sei häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Beim BF müsse berücksichtigt werden, dass er keinen Kontakt zu seinen leiblichen Eltern, sondern nur zu seinen in der Heimatprovinz lebenden Adoptiveltern habe und eine gefahrlose Rückkehr in diese Provinz derzeit nicht möglich sei, weil sie zu den volatilen Gebieten Afghanistans zähle. Eine innerstaatliche Fluchtalternative etwa in Kabul stünde wegen persönlicher Umstände und mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkten nicht zur Verfügung. Es ergebe sich für den BF daher eine Rückkehrgefährdung und wäre er im Fall der Rückführung in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt (Bescheid vom 17.05.2016, S. 61).

Im gegenständlichen angefochtenen Bescheid begründete die belangte Behörde die Anerkennung des Status des Schutzberechtigten damit, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif in seiner Eigenschaft als junger, gesunder arbeitsfähiger und alleinstehender Mann zur Verfügung stehe, die im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zumutbar gewesen sei. Zudem wurde ins Treffen geführt, dass dem BF aufgrund seiner nunmehr dazugewonnenen wertvollen Berufskenntnissen eine Rückkehr nach Afghanistan und eine selbständige Erwirtschaftung des notwendigen Lebensunterhalts zumutbar sei (Bescheid vom XXXX , S. 129ff).

Eine wesentliche und nachhaltige Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheitslage in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ist nicht erkennbar. Zur Argumentation der belangten Behörde, dass dem BF (der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend) nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe, ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Refoulement-Beurteilung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen hat, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht schon per se in der neueren Judikatur zu vergleichbaren Fällen erblickt werden kann (vgl. VwGH 24.01.2019, Ro 2018/21/0011).

Im Übrigen hat sich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes seit dem Jahr 2015 zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen geändert. Dies kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich veränderter (iSv verbesserter) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des BF von nicht mehr vorliegenden Vorrausetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz iSd § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gesprochen werden kann.

Zur individuellen Situation des BF ist auszuführen, dass die Feststellungen der belangten Behörde, wonach der Aufenthalt des BF in Österreich zum Erwerb von Berufskenntnissen geführt habe, die dem BF im Fall der Rückkehr und Ansiedlung von Nutzen sein könnten (Bescheid vom XXXX , S. 129f.) insofern zutreffend sind, als dies eine Änderung der individuellen Situation des BF darstellt und schlüssig ist, dass diese Kenntnisse dem BF im Falle seiner Rückkehr und Ansiedlung maßgeblich von Nutzen sein könnten. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Änderung erübrigt sich aus folgenden Gründen:

Eine Änderung der familiären Verhältnisse des BF dahingehend, dass er nunmehr über familiäre Anknüpfungspunkte bzw. ein tragfähiges soziales Netz in Afghanistan verfüge würde, liegt nicht vor, da der BF bereits zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes angegeben hat, mit seinen Adoptiveltern und seinem Freund M. Kontakt zu pflegen und familiäre bzw soziale Anknüpfungspunkte in Afghanistan bereits bestanden haben.

Bezüglich der Lage im Herkunftsstaat ging die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst davon aus, dass im Fall des BF eine G

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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