TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/23 W171 1437607-2

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Veröffentlicht am 23.11.2021
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Entscheidungsdatum

23.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55

Spruch


W171 1437607-2/19E
W171 1437607-3/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2020 und vom 13.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß §§ 8 Abs. 4, 9 Abs. 2 Z 3, 9 Abs. 4, 57, 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG iVm §§ 46, 52 Abs. 2 Z 4, 52 Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.06.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.08.2013 wurde der Antrag des BF auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III). Der Bescheid erwuchs mit Erkenntnis des BVwG vom 02.07.2014 zweitinstanzlich in Rechtskraft.

3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: BFA, Bundesamt oder Behörde) vom 14.08.2018 bis 22.08.2020 verlängert.

4. Mit Urteil eines Landesgerichtes (LG) vom 25.06.2019 wurde der BF rechtskräftig gemäß § 207 Abs. 1 1. Fall StGB, § 212 Abs. 1 Z 1 StGB und §§ 15 StGB, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von 3 Jahren sowie einer unbedingten Geldstrafe von 200 Tagessätzen à EUR 4,00, insgesamt daher EUR 800,00, verurteilt. Zudem wurden mit Beschluss eines Bezirksgerichtes (BG) vom 01.08.2019 gegen den BF ein temporäres Aufenthaltsverbot an in dem Beschluss genannten Orten sowie ein Rückkehrverbot in die familiäre Wohnung ausgesprochen.

5. Daraufhin leitete das BFA ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein und gewährte dem BF schriftliches Parteiengehör. Mit Schreiben vom 10.10.2019 beantwortete der BF dieses im Wesentlichen dahingehend, er sei in Afghanistan mit einer Person verfeindet und habe Angst vor deren Rachehandlungen. Er versuche, sich an österreichische Gesetze zu halten, habe jedoch aufgrund der schlechten finanziellen Lage und seines Alkoholkonsums Probleme mit seiner Familie bekommen. Er habe sich – unter Stress stehend – falsch verhalten, was ihm leidtue. Seine Frau sowie vier Kinder, sein Bruder, seine Cousinen und auch zwei Brüder seiner Frau befänden sich in Österreich. Zu seiner Familie stehe er in regelmäßigem telefonischen Kontakt, die Trennung sei nur vorübergehend. Er sei seit zwei Monaten arbeitslos und beziehe Arbeitslosengeld, befinde sich jedoch auf Jobsuche. Die Bestätigungen über seine absolvierten Deutschkurse seien verloren gegangen. In Afghanistan habe er zehn Jahre lang die Schule besucht und danach selbstständig gearbeitet. Momentan lebe er in einer Mietwohnung in einer Lebensgemeinschaft. Er sei soweit gesund, habe jedoch Stress und depressive Phasen.

6. Am 08.01.2020 wurde zudem, unter Heranziehung eines Dolmetschers für die usbekische Sprache, eine niederschriftliche Einvernahme mit dem BF durchgeführt. Hier gab er zusammengefasst an, er sei vor einigen Tagen gestürzt und habe sich die Rippen geprellt, sei ansonsten aber gesund. Er lebe in einer Mietwohnung mit zwei Mitbewohnern und telefoniere jedes Wochenende mit seiner Frau, die zurzeit in Karenz sei bzw. treffe sich auch mit ihr. Er unterstütze seine Familie monatlich mit EUR 800,00 bis 1.000,00. Er wolle hinkünftig wieder mit seiner Frau und den vier Kindern zusammenleben. Dies sei ihm aktuell durch das Gericht verboten. Die Kinder sehe er meist zufällig im Park. Mit seinen weiteren in Österreich lebenden Verwandten habe er am Wochenende telefonischen oder persönlichen Kontakt. Eine Schwester des BF lebe zudem in Deutschland und weitere Verwandte in Großbritannien. Auch mit diesen stehe er im Kontakt. Zu seinen in Afghanistan aufhältigen Eltern halte er keinen Kontakt, da diese Geld von ihm verlangen würden. Mit seinen weiteren dort ansässigen Verwandten telefoniere er etwa einmal im Jahr. Der BF arbeite und habe Deutschprüfungen bis zum Level A2 und den PKW- sowie den Staplerführerschein gemacht. Gespart habe er nichts. Er sei nicht in einem Verein, jedoch mit einigen Arbeitskollegen befreundet. Er sei froh, dass es in Österreich Gesetze gebe und halte sich auch an diese. Der Missbrauch an seiner Tochter, für den er verurteilt worden sei, sei so nicht passiert. Das Ganze sei ein Missverständnis und sei der BF betrunken gewesen. Er habe jetzt wieder ein gutes Verhältnis zu seiner Familie. Nach Afghanistan könne er nicht zurückkehren, da er dort ermordet würde. Zudem lebe seine Familie in Österreich. Diese könne er nicht alleine lassen. Er werde nicht freiwillig ausreisen.

7. Am 21.01.2020 langte eine Stellungnahme des BF bei der Behörde ein, in welcher der BF auf die unverändert schlechte Sicherheitslage in Afghanistan verwies und um Einstellung des Aberkennungsverfahrens ersuchte.

8. Mit Bescheid des BFA vom 24.01.2020 wurde dem BF der mit Bescheid vom 22.08.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), ihm die mit Bescheid vom 14.08.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) und ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Zudem wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z. 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 wurde dem BF eine Frist vom 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus wurde auf § 9 Abs. 2 Z. 3 AsylG gestützt und mit der rechtskräftigen Verurteilung des BF im Bundesgebiet begründet. Aufgrund der Schwere des Deliktes sei die Aberkennung verhältnismäßig.

Zu Spruchpunkt V. wurde ausgeführt, dass sich die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF aus den amtswegigen Ermittlungen und den aktuellen Länderfeststellungen in Bezug auf Afghanistan ergebe. Da die Abschiebung unzulässig sei, sei der Aufenthalt des BF im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 2 FPG geduldet. Seine Ausreiseverpflichtung bleibe jedoch unberührt.

Das Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) sei aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens des BF gerechtfertigt.

8. Mit Schriftsatz vom 12.02.2020 erhob der BF durch seine damalige Rechtsvertretung Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 24.01.2020. Hier wurde im Wesentlichen vorgebracht, die im Inland befindliche Familie des BF sei auf dessen finanzielle Unterstützung angewiesen. Er habe eine gute Beziehung zu seiner Frau, gute Deutschkenntnisse und normale soziale Kontakte. Er sei berufstätig und komme ohne staatliche Unterstützung aus. Die Rückkehrentscheidung greife in einer Art. 8 EMRK entgegenstehenden Weise in das Privat- und Familienleben des BF ein.

Zu Spruchpunkt VII. des in Beschwerde gezogenen Bescheides wurde ausgeführt, dass der BF zwar wegen einer strafbaren Handlung an seiner minderjährigen Tochter verurteilt worden sei, es sich jedoch um kein besonders schweres Verbrechen gehandelt habe, der BF betrunken und das Ganze ein Missverständnis gewesen sei. Das Verhältnis zu seiner Familie sei wieder gut und der BF werde sich bemühen, gesetzlichen Regelungen in Zukunft Folge zu leisten.

Der BF sei bemüht durch seine Arbeit für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, was ihm im Falle einer bloßen Duldung im Bundesgebiet nicht weiter möglich sei. Der BF sei vor seiner Verurteilung unbescholten gewesen und habe nicht vorgehabt Probleme zu machen. Er habe aus seinem Fehlverhalten gelernt, eine begründete Gefahr der weiteren Begehung von Straftaten bestehe nicht. Beantragt wurde die Behebung des angefochtenen Bescheides bzw. die Erklärung, dass die ausgesprochene Rückkehrentscheidung unzulässig sei, in eventu die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG, die Aufhebung oder Herabsetzung des Einreiseverbots und die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Spruchpunkt V. des Bescheides blieb ausdrücklich unangefochten.

9. Der Antrag des BF vom 24.07.2021 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde mit Bescheid des BFA vom 13.08.2020 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen.

10. Dagegen erhob der BF mit Schreiben vom 27.08.2020 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und fasste darin das bisherige Verfahren sowie die maßgebliche Rechtslage zusammen.

11. Am 15.02.2021 langte eine schriftliche Stellungnahme der Ehefrau des BF beim BVwG ein, in welcher sie zum Ausdruck brachte, dass sie nun sehr zufrieden mit ihrem Mann sei, dieser sie finanziell unterstütze, und keinen Alkohol mehr trinke. Er habe zuvor mit den Kindern gestritten und habe sehr schwere Tage wegen der Kinder hinter sich. Die Familie habe ihm alles vergeben. Er sei eigentlich nicht schuld an seinem Verhalten gewesen und liebe seine Kinder sehr.

12. Mit Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung vom 26.05.2021 teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass gegen den BF Anklage wegen §§ 207 Abs. 1, 212 Abs. 1 1. Fall, 107 Abs. 1 und 105 Abs. 1 StGB erhoben wurde.

13. In einer am 22.06.2021 vor dem BVwG durchgeführten Beschwerdeverhandlung wurden der BF sowie sein Sohn als Zeuge befragt.

Der BF gab im Wesentlichen an, dass in Afghanistan seine Mutter, ein Onkel und drei Tanten mütterlicherseits sowie ein Onkel und vier Tanten väterlicherseits leben würden. Sein Vater sei vor zwei Wochen verstorben. Als dieser krank gewesen sei, habe er das Elternhaus verkauft. Mit seiner Mutter stehe er im Kontakt. Neben seiner beruflichen Ebene habe er keine österreichischen Kontakte. Seit acht Monaten lebe er vorübergehend getrennt von seiner Familie. Die Behörden würden dies wollen, damit sie sich unabhängig voneinander integrieren und finanziell unabhängig werden würden. Seine Frau und sein Sohn würden nicht arbeiten. In den letzten 8 Monaten habe er regelmäßig EUR 500,- an seine Familie gezahlt. Seine dreijährige Tochter sehe er einmal pro Woche für ein bis zwei Stunden; seine anderen zwei Töchter, seinen Sohn und seine Ehefrau treffe er nur zufällig etwa auf der Straße oder im Supermarkt. Seine Gattin habe die Stellungnahme von sich aus verfasst. Auf Vorhalt der neuerlichen Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft gab der BF an, dass es einen Vorfall im Haus von Freunden gegeben habe, er betrunken gewesen sei und nun beschuldigt werde, seiner 13-jährigen Tochter an die Brust gefasst zu haben; drei Zeugen könnten aber das Gegenteil beweisen. Die ihm weiters vorgeworfene gefährliche Drohung und Nötigung habe er ebenso nicht begangen. Nach dem gerichtlich festgelegten Zeitraum wolle er seine Kinder und seine Frau wieder treffen und ein gemeinsames Leben führen. Er stehe in regelmäßigem Kontakt mit seinen weiteren in Österreich lebenden Verwandten.

Der Zeuge sagte zusammengefasst aus, dass er vorgestern ausgezogen sei und durch seine Mutter finanziell abgesichert sei. Von seinem Vater (dem BF) sei er nicht abhängig. Laut seiner Mutter habe sie vom BF in letzter Zeit kein Geld erhalten. Seinen Vater sehe er, weil er in der Nähe wohne, sonst nicht. Zu seiner restlichen Familie habe der Zeuge eine sehr gute Beziehung. Es sei für ihn nicht realistisch, dass sein Vater nach Ablauf des Jahres in den Familienverband zurückkehre. Dieser werde sich nicht ändern können. Der Zeuge denke, dass auch seine Mutter nichts vom BF wolle. Über das Schreiben seiner Mutter an das Gericht wisse er nichts. An eine neuerliche Anklageerhebung gegen den BF könne er sich nicht erinnern. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem der Zeuge allerdings nicht anwesend gewesen sei und von dem ihm nichts Konkretes erzählt worden sei. Seine Mutter wolle und seine Schwester könne es nicht erzählen; er habe das Gefühl, dass sich seine Schwester dafür schäme. Sein Vater bemühe sich auch nicht um Kontakt. Der BF schikaniere und verfolge die Mutter des Zeugen, wenn er sie auf der Straße sehe. Weiters lauere er etwa beim Kindergarten auf, um Kontakt zu haben.

14. In der schriftlichen Stellungnahme vom 29.06.2021 führte der BF insbesondere aus, dass auch bei einer Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG nicht alleine auf den Strafrahmen abzustellen und eine Gefährdungsprognose durchzuführen sei. Wie unter anderem seine Berufstätigkeit zeige, sei eine Integrationsverfestigung des BF zweifellos gegeben. Es sei nicht ersichtlich, dass die belangte Behörde die Stellungnahme des BF vom 10.10.2019 berücksichtigt habe. Eine Begründung, weshalb eine „schwere Straftat“ iSd. Art. 17 Abs. 1 lit. b StatusRL vorliege, fehle. Die über den BF verhängte bedingte Freiheitsstrafe sowie die Geldstrafe von EUR 800,00 sei ein Indiz, dass dieser keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Außerdem sei das verhängte Einreiseverbot rechtswidrig. Der BF sehe ein, dass er sich gesetzwidrig verhalten habe und bedauere sein Fehlverhalten sehr. Es handle sich um die erste Verurteilung des BF. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ein Einreiseverbot verhängt werde, dessen Dauer das Strafmaß des gegenständlichen Delikts von fünf Jahren übersteige. Zudem würden seine privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen, weil der BF bereits fast acht Jahre im Bundesgebiet lebe, vollzeitbeschäftigt sei und bald wieder mit seiner Familie zusammenleben wolle. Weiters seien seine Ehefrau und Kinder von seiner finanziellen Unterstützung abhängig und sehe er seine jüngste Tochter wöchentlich. Außerdem sei dem BF eine Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner individuellen Lage nicht zumutbar.

15. Mit Urteil eines LG vom 04.10.2021 wurde der BF wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 1. Fall StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt. Weiters wurde vom Widerruf der mit Urteil vom 15.06.2019 gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan sowie Mitglied der Religionsgemeinschaft der Sunniten und Volksgruppe der Usbeken. Der Genannte stammt aus dem Dorf XXXX , Stadt XXXX in der Provinz Faryab. Dort ging er 10 Jahre zur Schule. Danach arbeitete er bei seinem Vater in einem Teppichgeschäft als Verkäufer. Außerdem war er im Iran und in Afghanistan in Fabriken beschäftigt, welche Zubehör für die Teppichproduktion herstellten.

1.2. Der BF stellte am 28.06.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.08.2013 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde und dem BF nach § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Dem BF wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 22.08.2014 erteilt und diese anschließend bis 22.08.2020 verlängert.

1.3. Das Fluchtvorbringen des BF, wonach er von einem Kommandanten, für den er als Chauffeur tätig gewesen sei, verdächtigt werde, dessen Tochter geschwängert zu haben und deshalb vom Kommandanten verfolgt werde, wurde vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 02.07.2014 als nicht glaubwürdig beurteilt.

1.4. Mit Urteil eines LG vom 25.06.2019 wurde der BF rechtskräftig gemäß § 207 Abs. 1 1. Fall StGB, § 212 Abs. 1 Z 1 StGB und §§ 15 StGB, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei einer Probezeit von 3 Jahren sowie einer unbedingten Geldstrafe von 200 Tagessätzen à EUR 4,00, insgesamt daher EUR 800,00, verurteilt.

Im Rahmen der Strafbemessung wurden als mildernd gewertet, die bisherige Unbescholtenheit und dass die Taten (Nötigung) teilweise beim Versuch blieben. Hingegen wurden erschwerend beurteilt das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit mehreren Vergehen, die Äußerung einer gefährlichen Drohung gegenüber einer unmündigen Person sowie die Nötigung gegenüber den im gemeinsamen Haushalt lebenden Opfern und unter Einsatz einer Waffe.

Weiters wurde im Urteil zu den fehlenden Diversionsvoraussetzungen unter anderem festgehalten, dass die Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände fallbezogen bereits eine schwere Schuld begründet, weil ein hoher Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung des BF) und Handlungsunwert (mit erheblicher Intensität ausgeführte Tatbegehungsweise) gegeben ist. Ferner standen fallbezogen spezialpräventive Überlegungen entgegen, weil der BF nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme zeigte, ihm Tatwiederholung zur Last liegt bzw. er eine solche ankündigte und der BF die Tendenz einer unangebrachten Bagatellisierung der Tat erkennen ließ.

1.5. Ferner wurde der BF mit Urteil eines LG vom 04.10.2021 wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 1. Fall StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt. Weiters wurde vom Widerruf der mit Urteil vom 15.06.2019 gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf 5 Jahre verlängert.

Das Gericht berücksichtigte bei der Strafbemessung das Tatsachengeständnis und den Umstand, dass es hinsichtlich der Nötigungen (Faktum IV) beim Versuch geblieben ist, als mildernd. Erschwerend wurden jedoch das Zusammentreffen eines Verbrechens mit mehreren Vergehen, eine im engsten Sinne einschlägige Vorverurteilung, die Tatbegehung während offener Probezeit, dass die gefährliche Drohung (Punkt III) zum Nachteil einer unmündigen Person getätigt wurde, dass die gefährlichen Drohungen und die Nötigungen zum Nachteil der Ehefrau getätigt wurden, der lange Tatzeitraum zu Punkt III. und IV. sowie die Alkoholisierung herangezogen.

Dem Strafurteil lässt sich entnehmen, dass eine Diversion nicht möglich war, weil die Abwägung aller unrechts- und schuldrelevanten Tatumstände fallbezogen bereits eine schwere Schuld begründet, da ein hoher Gesinnungsunwert (Verwerflichkeit der inneren Einstellung des BF), Handlungsunwert (mit erheblicher Intensität ausgeführte Tatbegehungsweise) und Erfolgsunwert (massive Tatfolgen) gegeben ist. Außerdem standen fallbezogen spezialpräventive Überlegungen entgegen, weil der BF nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme zeigte, ihm Tatwiederholung zur Last liegt bzw. er eine solche ankündigte, der BF die Tendenz einer unangebrachten Bagatellisierung der Tat erkennen ließ und der BF bereits mehrfach oder kurz zurückliegend einschlägig kriminell in Erscheinung getreten war.

1.6. Der BF ist gesund und leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen.

1.7. Der BF spricht Usbekisch, Dari und etwas Türkisch. Er besuchte in Österreich zweimal einen A2-Deutschkurs, trat jedoch zu keiner Deutschprüfung an und verfügt über kein Sprachzertifikat. Der BF ist in der Lage sich auf Deutsch verständlich zu machen und einfache Fragen zu beantworten.

1.8. Der Vater des BF ist vor kurzem verstorben. Die Mutter des BF lebt in Afghanistan bei einem Onkel mütterlicherseits des BF. Weitere Tanten und Onkeln des BF befinden sich ebenfalls im Herkunftsstaat. Der BF steht mit seiner in Kontakt und sendet ihr alle zwei Monate EUR 100,00.

1.9. Der BF ist verheiratet und hat vier Kinder. Seine Frau, die drei Töchter im Alter von drei, 13 und 17 Jahren und der 18-jährige Sohn des BF leben in Österreich. Es besteht kein gemeinsamer Haushalt mit dem BF.

Mit einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b und 382e EO eines Bezirksgerichtes (BG) vom 01.08.2019 wurde gegen den BF ein temporäres Aufenthaltsverbot an in dem Beschluss genannten Orten sowie ein Rückkehrverbot in die familiäre Wohnung ausgesprochen. Außerdem wurde dem BF aufgetragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit seinem Sohn und seiner mittleren Tochter zu vermeiden.

Mit seiner jüngsten Tochter hat der BF einmal pro Woche für ein bis zwei Stunden Kontakt unter Anwesenheit eines Besuchsbegleiters. Dabei wird ein Zusammentreffen der Ehefrau mit dem BF vermieden, indem die Mutter ihre Tochter jeweils zuvor dem Besuchsbegleiter übergibt und anschließend von diesem übernimmt. Seine anderen Kinder sowie seine Ehefrau sieht der BF nur zufällig, etwa auf der Straße oder im Supermarkt.

1.10. Der BF verpflichtete sich in einem außergerichtlichen Vergleich, seiner Ehefrau für die gemeinsamen Kinder monatlich EUR 300,00 an Unterhalt zu zahlen. Dieser Verpflichtung kommt der BF in letzter Zeit jedoch nicht nach.

1.11. Weitere Verwandte des BF leben in XXXX , etwa sein Cousin und seine Schwiegerfamilie, welche zugleich die Familie seiner Tante mütterlicherseits ist (die Ehefrau des BF ist seine Cousine). Der Antrag auf internationalen Schutz, des in Österreich aufhältigen Bruders des BF, wurde rechtskräftig abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Schwester des BF lebt in Deutschland. Außerdem wohnen weitschichtige Verwandte des BF in London.

1.12. Der BF arbeitet seit ca. 2,5 Jahren mit einer kurzen Unterbrechung bei einem Personaldienstleister und wird über diesen bei einem Wursterzeuger beschäftigt (konkret: 11.03.2019 – 29.07.2019 und ab 16.10.2019). Davor arbeitete er etwa zwei Jahre in einem Restaurant (konkret: 08.08.2016 bis 12.12.2018). Weiters war er von 27.07.2016 bis 05.08.2016, von 13.07.2015 bis 31.08.2015 sowie am 09.07.2015 als „Arbeiter“ gemeldet. Im Jahr 2019 bezog der BF zeitweise Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe (konkret: 10.01.2019 – 10.03.2019, 02.08.2019 – 15.10.2019, 14.11.2019 – 18.11.2019, am 19.11.2019). Außerhalb der beruflichen Ebene hat er keine österreichischen Kontakte.

1.13. Der BF ist kein Mitglied in einem Verein und er betätigte sich während seines Aufenthalts im Bundesgebiet nicht ehrenamtlich.

1.14. Der BF ist aufgrund der von ihm begangenen Straftaten und seines Persönlichkeitsbildes als schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit anzusehen.

1.15. Im Verfahren sind keine Hinweise für das Vorliegen eines Tatbestands nach § 9 Abs. 1 AsylG hervorgekommen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu Schulbildung und Berufserfahrung, zum Gesundheitszustand sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen auf den glaubhaften Angaben des BF während des gesamten Verfahrens. Die Deutschkenntnisse konnten aufgrund des unmittelbaren Eindrucks des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung festgestellt werden.

2.2. Die Feststellungen zu den Punkten II.1.2. bis II.1.5. sowie zur einstweiligen Verfügung vom 01.08.2019 ergeben sich aus den insoweit im Wesentlichen unstrittigen Verwaltungs- und Gerichtsakten des BF.

2.3. Die festgestellten familiären Verhältnisse des BF basieren auf dessen im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibenden und daher glaubwürdigen Angaben. Der Ausgang des Verfahrens betreffend den Bruder des BF ergab sich aus dem im Akt einliegenden rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG vom 20.08.2020, XXXX .

2.4. Die Pflicht zur Unterhaltsleistung ergab sich aus der vom BF vorgelegten Vereinbarung sowie seiner damit übereinstimmenden Darstellungen. Die Feststellung wonach, der BF die Unterhaltszahlungen in letzter Zeit nicht leistet, gründet sich auf die glaubwürdige Aussage des als Zeugen vernommenen Sohnes des BF. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Zeuge diesbezüglich unzutreffende Angaben tätigen oder er von seiner Mutter falsche Informationen erhalten haben sollte. In der Stellungnahme der Ehefrau des BF vom 15.02.2021 ist zwar angeführt, dass ihr Mann sie mit EUR 800,00 unterstütze. Davon abweichend schilderte der BF aber, dass er in den letzten acht Monaten EUR 500,00 pro Monat gezahlt habe, bloß für Juni habe er wegen einer Fahrzeugreparatur noch nichts überwiesen. Würde der BF die von seiner Ehefrau genannten Zahlungen tatsächlich leisten, ist nicht nachvollziehbar, weshalb der BF selbst einen niedrigeren Betrag nennen sollte. Hingegen erweisen sich auch andere Punkte in dem Schreiben der Ehefrau, insbesondere wonach der BF seit der Haft keinen Alkohol mehr konsumiere, als unrichtig. Dies widerlegte der BF selbst in der Verhandlung auf Vorhalt der Anklageerhebung mit seiner Schilderung, dass er bei dem Vorfall vor ca. 9 Monaten betrunken gewesen sei und er deshalb nicht mit dem Auto gefahren sei, sondern bei seiner Frau übernachtet habe. Der Ehefrau muss der Alkoholkonsum des BF also jedenfalls vor der Stellungnahme bekannt gewesen sein. Zudem ergibt sich aus der vom BF begangenen Nötigung (siehe oben Punkt II.1.1.5.), dass der BF seine Ehefrau durch gefährliche Drohung von der Durchsetzung der Scheidung abhielt, es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass der BF diese bei der Verfassung ihres Schreibens unter Druck setzte. Die Angaben des BF und die Angaben seiner Ehefrau in ihrer Stellungnahme sind daher als bloße Schutzbehauptung bzw. als Versuch den Ausgang des Verfahrens zu Gunsten des BF zu beeinflussen, zu werten. Es konnte folglich mit der für das gegenständliche Verfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der BF in letzter Zeit keine Unterhaltszahlungen leistet.

2.5. Die Berufstätigkeit des BF in Österreich sowie der Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe ergaben sich aus den Angaben des BF in Zusammenschau mit dem im Akt einliegenden Sozialversicherungsauszug (vgl. AS 653 f.).

2.6. Die Feststellung zu Punkt II.1.6. ergab sich aus den der Verurteilungen zugrunde gelegten Straftaten des BF, dem persönlichen Eindruck des BF in der mündlichen Verhandlung sowie der Einschätzung des vernommenen Zeugen, wonach der BF sich nicht werde ändern können. Diese Beurteilung des Zeugen wird durch die zuletzt am 04.10.2021 nach nur etwas mehr als 2 Jahren erfolgten neuerlichen Verurteilung des BF, insbesondere wegen des sexuellen Missbrauchs seiner unmündigen Tochter bestätigt. Zudem ergab sich aus beiden Strafurteilen, dass der BF im Strafverfahren nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme zeigte und die Tendenz einer unangebrachten Bagatellisierung der Tat erkennen ließ. Ferner bestritt der BF noch in der Einvernahme vor dem BFA am 08.01.2020 die Richtigkeit der strafgerichtlichen Entscheidung und verwies diesbezüglich – wie bereits in seiner Stellungnahme vom 10.10.2019 – auf seine schlechte finanzielle Situation und seinen Alkoholkonsum (vgl. AS 499 und 527). Keine diese beider Umstände stellt jedoch eine nachvollziehbare Begründung und geschweige denn eine Rechtfertigung für seine strafbaren Handlungen gegenüber den eigenen Kindern dar. Darüber hinaus ergibt sich aus dem im Strafurteil vom 04.10.2021 herangezogenen Strafbemessungsgrund der Alkoholisierung sowie den eigenen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung zum „Vorfall“ vor etwa 9 Monaten, dass der BF weiterhin dem Alkohol nicht abgeneigt ist. Auch hat sich die finanzielle Lage des BF nicht maßgeblich verbessert, zumal dieser selbst angab, dass er etwa EUR 1.000,00 netto verdiene und wegen einer Autoreparatur in Höhe von ca. EUR 1.000,00 von seinem Arbeitgeber einen Vorschuss in Höhe von EUR 500,00 erhalten habe. Es bestehen somit auch die vom BF selbst genannten Ursachen für seine Verurteilung weiterhin fort. Der BF bezeichnet sein Verhalten im Schreiben vom 10.10.2019 zwar als „nicht korrekt“ (vgl. AS 499) und wies in der Stellungnahme vom 29.06.2021 auf seine Einsicht und sein Bedauern hin. Allerdings zeigt die Auffassung des BF zum Grund der gerichtlich angeordneten Trennung von seiner Familie, dass er die einstweilige Verfügung nicht als Folge der von ihm getätigten Übergriffe gegenüber seinen Kindern wahrnimmt und ließ der BF in diesem Zusammenhang ein fehlendes Problembewusstsein erkennen. Aus diesen Überlegungen ist jedenfalls vom Fortbestehen einer vom BF ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Spruchpunkt A.:

3.1. Zu den Spruchpunkten I. und II. des Bescheides vom 24.01.2020 und zum Bescheid vom 13.08.2020: Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigung, Abweisung des Verlängerungsantrags

3.1.1. Die belangte Behörde hat dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten explizit nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 aberkannt (vgl. Spruchpunkt I. des Bescheides vom 24.01.2020) und sich auch in der zugehörigen Begründung maßgeblich auf eine frühere rechtskräftige Verurteilung gestützt und an deren Ende den Schluss gezogen, dass § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt sei.

§ 9 AsylG 2005 lautet:

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.       die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2.       er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3.       er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1.       einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2.       der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3.       der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

Gegenständlich ging die belangte Behörde im Bescheid vom 24.01.2020 nicht vom Vorliegen eines der in § 9 Abs. 1 AsylG 2005 genannten Tatbestände aus. Es ist daher zu prüfen, ob dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Grundlage des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 zu entziehen ist.

3.1.2. Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG hat die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits auf Grund der Verurteilung wegen eines Verbrechens nach § 17 StGB, also einer vorsätzlich begangenen strafbaren Handlung, die mit mindestens dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, zu erfolgen. Der Gesetzgeber stellt dabei ausschließlich auf die erfolgte Verurteilung und die Höhe der Strafdrohung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in seiner Entscheidung vom 06.11.2018, Ra 2018/18/0295-15, festgestellt, dass vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 13.09.2018, C-369/17, Ahmed, die bisherige Rechtsprechung, wonach bei Vorliegen einer entsprechenden rechtskräftigen Verurteilung zwingend und ohne Prüfkalkül der Asylbehörde eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG stattzufinden hat, nicht weiter aufrecht zu erhalten ist. Vielmehr ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG – welcher nach der Intention des Gesetzgebers die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie umsetzt – jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine "schwere Straftat" im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Es ist jedoch nicht unbeachtet zu lassen, dass auch der EuGH dem in einer strafrechtlichen Bestimmung vorgesehenen Strafmaß eine besondere Bedeutung zugemessen hat (vgl. EuGH 13.09.2018, Ahmed, C-369/17, Rn. 55) und somit die Verurteilung des Fremden wegen eines Verbrechens zweifelsfrei ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung darstellt, dieses Kriterium allein jedoch nach den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Aberkennung nicht ausreicht.

Eine Prognose, ob infolge jener Handlungen, derentwegen ein Fremder rechtskräftig wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, auch eine von ihm ausgehende Gefahr besteht, ist nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 nicht vorzunehmen. Mit der Bestimmung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005, die der Umsetzung des Art. 17 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) dient, verfolgte der Gesetzgeber vielmehr das Ziel, einen Fremden allein schon wegen der Verurteilung aufgrund einer schweren Straftat von der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auszuschließen. Zwar hat der VwGH seine Rechtsprechung, wonach bei der Prüfung, ob der Tatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt ist, allein auf das Bestehen einer Verurteilung wegen eines Verbrechens abzustellen und weder eine Einzelfallprüfung in Bezug auf die Umstände der Taten vorzunehmen noch eine Gefährdungsprognose anzustellen sei, im Hinblick auf die Judikatur des EuGH nicht vollumfänglich aufrechterhalten (vgl. VwGH 6.11.2018, Ra 2018/18/0295). Es ist aber (weiterhin) von § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 (ebenso wie nach Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie) nicht gefordert, über die Einzelfallprüfung im genannten Sinn hinaus auch eine Gefährdungsprognose vorzunehmen (vgl. VwGH 22.10.2020, Ro 2020/20/0001).

Es ist daher zusätzlich zum Kriterium der rechtskräftigen Verurteilung wegen eines Verbrechens eine vollständige Prüfung sämtlicher Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen und anhand dieser Würdigung anschließend zu beurteilen, ob dem BF deshalb der ihm zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen ist. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen.

Verwiesen wurde auch darauf, dass die Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 lit. b Statusrichtlinie (Ausschluss von der Gewährung subsidiären Schutzes, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat) eine Ausnahme von der in Art. 18 Statusrichtlinie aufgestellten allgemeinen Regel bildet und daher restriktiv auszulegen ist (siehe die zitierten Entscheidungen des EuGH Rn 52, und VwGH, Rz 24).

Relevant ist nach der zitierten Rechtsprechung auch der EASO-Bericht „Ausschluss: Artikel 12 und Artikel 17 der Anerkennungsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU)“ (siehe: https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Exclusion-Judicial-Analysis-DE.pdf), welcher empfiehlt, „dass die Schwere der Straftat, aufgrund deren eine Person vom subsidiären Schutz ausgeschlossen werden könne, anhand einer Vielzahl von Kriterien, wie u.a. der Art der Straftat, der verursachten Schäden, der Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens, der Art der Strafmaßnahme und der Berücksichtigung der Frage beurteilt werden solle, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen werde“ (siehe die zitierten Entscheidungen des EuGH Rn 56, und VwGH Rz 23).

Als Beispiele schwerer Straftaten nennt der EASO-Leitfaden „Ausschluss“ etwa folgende Delikte (Pkt. 2.2.3.2. des Leitfadens):

-        Mord

-        Mordversuch

-        Vergewaltigung

-        bewaffneter Raub, Folter

-        gefährliche Körperverletzung

-        Menschenhandel

-        Entführung

-        schwere Brandstiftung

-        Drogenhandel und Verschwörung zum Zweck der Förderung terroristischer Gewalt

-        schwere Wirtschaftsverbrechen mit erheblichen Verlusten (z. B. Unterschlagung)

3.1.3. Der BF wurde zweimal unter anderem wegen § 207 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt, wobei nach der österreichischen Rechtsordnung der Verstoß gegen diesen Straftatbestand ein Verbrechen ist. Die Verurteilung wegen eines Verbrechens stellt nach der jüngsten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein gewichtiges Indiz für die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 dar, auch wenn dies nicht alleine dafür entscheidend ist, ob eine „schwere Straftat“ vorliegt, die im Ergebnis zur Aberkennung dieses Schutztitels führen darf.

Das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB ist eine schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit. Die genannte strafgesetzliche Bestimmung dient dem Schutz der ungestörten physischen und psychischen Entwicklung junger Menschen, dem das StGB einen hohen Stellenwert zumisst (vgl. VwGH 02.09.2008, 2006/18/0333, mit Hinweis auf VwGH 10.10.2002, 99/18/0083).

Der VwGH hegt keine Zweifel, dass es sich beim (auch) durch § 207 Abs. 1 StGB zu schützenden Rechtsgut der sexuellen Integrität von unmündigen Minderjährigen (also von Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), mit dem Ziel Kindern eine ungestörte sexuelle und allgemeine psychische Entwicklung zu ermöglichen, um ein objektiv besonders wichtiges Rechtsgut handelt. Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2017, C- 193/16, ungeachtet dessen, dass dort eine Beurteilung nach der Richtlinie 2004/38/EG ("Unionsbürgerrichtlinie") vorzunehmen war, zum (dort gegebenen) sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in verallgemeinernder Form festgehalten, dass nach Art. 83 Abs. 1 AEUV die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität gehört, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist. Daher steht es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, bei der die Gefahr der Wiederholung eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung darstellt. Die Verletzung des von § 207 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgutes führt somit dazu, dass typischerweise von einem "besonders schweren Verbrechen" im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auszugehen ist (vgl. VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531).

Wenngleich der BF bei seiner zweiten Verurteilung „nur“ zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt und 8 Monate unbedingt, verurteilt wurde und damit der Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren nicht voll ausgeschöpft wurde, darf nicht übersehen werden, dass es sich bei dem vom BF begangenen sexuellen Missbrauch von Unmündigen um ein Delikt gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung handelt, welches als solches aus objektiver Sicht als schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit anzusehen ist.

Zudem zeigen die in den Strafurteilen herangezogenen Strafbemessungsgründe sowie die Begründung der fehlenden Diversionsvoraussetzungen, dass die vom BF begangenen Verbrechen in ihrer Gesamtheit auch als subjektiv besonders schwerwiegend anzusehen sind. So wurden zwar – neben der bisherigen Unbescholtenheit bei der ersten Verurteilung – jeweils der teilweise Versuch, welcher sich jedoch nur auf die Nötigungen bezog, sowie in der jüngsten Verurteilung das Tatsachengeständnis als mildernd gewertet. Es traten jedoch in beiden Fällen das Zusammentreffen von Verbrechen mit mehreren Vergehen erschwerend hinzu sowie bezüglich der begangenen Nötigungen und gefährlichen Drohungen, dass diese gegenüber einer unmündigen Person, der Ehefrau, den im gemeinsamen Haushalt lebenden Opfern bzw. unter Einsatz einer Waffe getätigt wurden. Zusätzliche Erschwerungsgründe bei der zweiten Verurteilung stellten insbesondere die im engsten Sinne einschlägige Vorverurteilung und die Begehung während offener Probezeit dar.

Ferner ging das Strafgericht jeweils von einer schweren Schuld des BF wegen des hohen Gesinnungsunwerts (Verwerflichkeit der inneren Einstellung des BF) und des Handlungsunwerts (mit erheblicher Intensität ausgeführte Tatbegehungsweise) aus und standen spezialpräventive Überlegungen einer Diversion entgegen, weil der BF nicht einmal eine bedingte Unrechtseinsicht oder eine partielle Verantwortungsübernahme zeigte, ihm Tatwiederholung zur Last liegt bzw. er eine solche ankündigte und der BF die Tendenz einer unangebrachten Bagatellisierung der Tat erkennen ließ. Darüber hinaus lässt sich dem Urteil vom 04.10.2021 entnehmen, dass die schwere Schuld auch wegen des Erfolgsunwerts (massive Tatfolgen) gegeben war und spezialpräventiv zudem entgegenstand, dass der BF bereits mehrfach oder kurz zurückliegend einschlägig kriminell in Erscheinung getreten war.

Zusammenfassend ist daher auch bezogen auf den konkreten Fall des BF von einer „schweren Straftat“ iSd § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 iVm Art. 17 Abs. 1 lit. b Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) auszugehen, zumal nach der Judikatur des VwGH im Fall einer Verletzung des von § 207 Abs. 1 StGB geschützten Rechtsgutes typischerweise sogar von einem „besonders schweren Verbrechen" im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 auszugehen ist.

Daher liegen die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls vor.

3.1.4. Gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen. Daher war gegenständlich die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden.

3.1.5. Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Da dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG abzuerkennen war, liegen die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht vor. Der Verlängerungsantrag des BF wurde von der Behörde somit zu Recht abgewiesen.

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des Bescheides vom 24.01.2020 sowie die Beschwerde gegen den Bescheid vom 13.08.2020 waren somit als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt III. des Bescheides vom 24.01.2020: Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn

1.       der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (in Folge: FPG), seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e Exekutionsordnung, BGBl. Nr. 79/1896 in der Fassung BGBl. I Nr. 32/2018, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Wie von der belangten Behörde ausgeführt wurde, sind die in § 57 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Für die Anwendbarkeit der Z 2 und 3 finden sich keinerlei Hinweise. Die Z 1 ist schon aus dem Grund nicht anwendbar, da der BF von einem Gericht wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde (und überdies auch noch eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt). Daher war die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen rechtmäßig.

3.3. Zu Spruchpunkt IV. des Bescheides vom 24.01.2020: Rückkehrentscheidung

3.3.1. Gemäß § 10. Abs. 1 Z 5 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

3.3.2. § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Aus Art 8 EMRK ist keine generelle Verpflichtung abzuleiten, dem Wunsch eines Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachzukommen. Unter besonderen Umständen kann sich aus Art 8 EMRK aber eine Verpflichtung des Staates ergeben, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen, mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in Art 8 EMRK bildet (VfGH 11.06.2018, E 343/2018 ua.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte entsteht ein von Art 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt. Diese besonders geschützte Verbindung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Zusammenleben zwischen einem Elternteil und dem Kind ist dabei keine unabdingbare Voraussetzung für das Vorhandensein eines Familienlebens im Sinne von Art 8 Abs 1 EMRK. Ferner ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass sich Eltern und Kinder der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können; die Familienbeziehung wird insbesondere nicht dadurch beendet, dass das Kind in staatliche Pflege genommen wird (VfGH 12.10.2016, E 1349/2016 mN aus der Rsp des EGMR).

Nach Art. 2 Abs. 1 BVG über die Rechte von Kindern hat jedes Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen. Nach Art. 7 leg.cit. ist eine Beschränkung der in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Rechte und Ansprüche nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Aus folgenden Gründen handelt es sich nicht um einen unzulässigen Eingriff in das Familien- und Privatleben des BF:

3.3.3. Der BF befindet sich seit Juni 2012 und somit seit mehr als neun Jahren im Bundesgebiet. Der langjährige Aufenthalt ist zwar zugunsten des BF zu werten, wenngleich festzuhalten ist, dass die Aufenthaltsdauer nur eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070). Darüber hinaus ist dazu noch auszuführen, dass nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes der Aufenthaltsstatus bei der Personengruppe subsidiär Schutzberechtigter anders als bei Asylberechtigten von vornherein eher provisorischer Natur ist (VfGH 28.06.2017, E 3297/2016). Der BF musste sich folglich bewusst sein, dass mit der Zuerkennung subsidiären Schutzes (zunächst) lediglich ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht einhergeht, was auch in der in § 8 Abs. 4 AsylG vorgesehenen Befristung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zum Ausdruck gebracht wird. In Anbetracht dieser Befristung sowie der Tatsache, dass die Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter als antragsbedürftiger Verwaltungsakt ausgestaltet ist, musste sich der BF nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts darüber im Klaren sein, dass die Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung und damit des rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet sich keineswegs als Automatismus darstellt und an Voraussetzungen geknüpft ist. Die erfolgte Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten sowie die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung konnte demnach kein berechtigtes Vertrauen des BF auf einen dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet begründen. Dadurch wird auch die tatsächliche Intensität des Privatlebens vermindert.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch die Integrationsbemühungen des BF nicht, die sich an seiner Erwerbstätigkeit zeigen. Demgegenüber steht jedoch, dass der BF bereits zweimal unter anderem wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen verurteilt wurde. Nach der Rechtsprechung des VwGH besteht ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, der eine schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit darstellt (vgl. VwGH 23.03.2010, 2010/18/0041, mit Hinweis auf VwGH 02.09.2008, 2006/18/0333; siehe ferner die unter II.3.1.3, zitierte Rsp des VwGH zu § 207 StGB). Ferner beging der BF das Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses gemäß § 212 Abs. 1 Z 1 StGB sowie das Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 StGB.

Im Bundesgebiet leben zwar die Ehefrau und die Kinder des BF, derzeit besteht jedoch nur zur jüngsten Tochter einmal wöchentlich begleiteter Kontakt. Seine Ehefrau und seine anderen Kinder sieht er nur zufällig. Weiters musste gegen den BF mittels einstweiliger Verfügung vom 01.08.2019 gemäß §§ 382b und 382e EO ein temporäres Aufenthaltsverbot an in dem Beschluss genannten Orten sowie ein Rückkehrverbot in die familiäre Wohnung ausgesprochen werden. Außerdem kommt der BF seiner Unterhaltspflicht aktuell nicht nach. Darüber hinaus wird das vom BF geltend gemachte Familienleben dadurch relativiert, als sich seine strafbaren Handlungen gegen seine Tochter und seinen Sohn richteten.

Zu den weiteren im Bundesgebiet lebenden Verwandten besteht zwar kein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK, der gegenseitige Kontakt wird jedoch als Privatleben von Art. 8 EMRK geschützt. Sonstige soziale Anknüpfungen außerhalb seines beruflichen Umfelds wurden nicht vorgebracht. Der BF ist nicht Mitglied eines Vereins und war in Österreich nicht ehrenamtlich tätig.

Dem BF ist in der vorliegenden Konstellation jedenfalls die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seiner Familie über elektronische oder sonstige Kommunikationsmittel respektive Besuchen im Herkunftsstaat oder allenfalls Drittstaaten objektiv wie subjektiv möglich und angesichts seiner Straftaten und der daraus resultierenden erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zumutbar (vgl. VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247; VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235, Rz 11). Hinzu kommt, dass der BF mit seinem straffälligen Handeln eine strafgerichtliche Verurteilung und damit eine Trennung von seiner Familie in Kauf nahm.

Ferner bestehen Bindungen zum Herkunftsland, wo der BF aufgewachsen ist, seine Sch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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