Entscheidungsdatum
25.11.2021Norm
AsylG 2005 §55Spruch
L519 2162263-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch RA. Dr. WAGNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.6.2021, Zl. 1089435708-210152425, wegen Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 58 Abs. 10 AsylG 2005 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 3.11.2021 zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF1 bezeichnet), ist ein Staatsangehörige des Irak und somit Drittstaatsangehöriger. Er brachte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 28.09.2015 bei der belangten Behörde einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.5.2017 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bemessen.
3. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9.11.2020, GZ. I413 2162263-1, als unbegründet abgewiesen. Seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung hält sich der BF unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
3.1. Zur Rückkehrentscheidung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der BF seit 28.9.2015 im Bundesgebiet aufhält und die lange Verfahrensdauer auch auf dem BF nicht zuzurechnende Verzögerungen zurückzuführen sei. Diese Aufenthaltsdauer ist aber dennoch nicht als so lange zu bewerten, dass sie automatisch zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich führen würde. Der Aufenthalt wird zusätzlich dadurch relativiert, dass der BF illegal in das Bundesgebiet eingereist ist und sich lediglich auf Grundlage des unbegründeten Asylantrages in Österreich aufhielt. Der BF durfte in dieser Zeit nicht darauf vertrauen, dass er seinen Aufenthalt in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise verfestigen kann. Der BF führt eine Beziehung mit einer ungarischen StA., welches sein Interesse an einem Verbleib in Österreich stärkt, ins Treffen. Allerdings besteht erst seit weniger als 1 Jahr ein gemeinsamer Wohnsitz und mangels Erwerbstätigkeit des BF auch kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis der Lebensgefährtin. Laut übereinstimmenden Angaben haben sich die beiden im Sommer 2018 kennengelernt. Somit sind sie die Beziehung zu einem Zeitpunkt eingegangen, als der Antrag des BF auf internationalen Schutz bereits erstinstanzlich abgewiesen war. Im konkreten Fall durften daher weder der BF noch seine Lebensgefährtin darauf vertrauen, im Bundesgebiet ein dauerhaftes Familienleben führen zu können, zumal sich beide seines unsicheren Aufenthaltsstaus bewusst waren. Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des BF wegen zweier Suchtgiftdelikte wird auf die Judikatur des VwGH verwiesen, wonach schwerwiegende kriminelle Handlungen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung selbst dann rechtfertigen können, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt. Es erscheint dem BF zumutbar, den Kontakt zur Lebensgefährtin über moderne Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten. Da zudem kein Einreiseverbot gegen den BF verhängt wurde, ist es ihm auch nicht verwehrt, bei Erfüllung der allgemeinen aufenthaltsrechtlichen Regelungen des FPG bzw. NAG in das Bundesgebiet zurückzukehren. Ansonsten weist der BF im Bundesgebiet keinen maßgeblichen Grad an Integration auf: Insbesondere kann er nach über 5-jährigem Aufenthalt kein Deutschzertifikat vorweisen und ist angesichts des Umstandes, dass im Hauptverband österr. Sozialversicherungsträger keine Beitragsgrundlagen für ihn aufscheinen, fraglich, ob seine temporäre Erwerbstätigkeit im Jahr 2019 als Gewerbetreibender im Bereich der Güterbeförderung je legal ausgeübt wurde. Eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung auf dem österr. Arbeitsmarkt kann aus all dem nicht geschlossen werden. Dem entgegen kann von nach wie vor bestehende Bindungen zum Herkunftsstaat ausgegangen werden, zumal er dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat, dort hauptsozialisiert wurde und seine Enkulturation erfahren hat. Er spricht nach wie vor seine Muttersprache und ist mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der irakischen Kultur vertraut. Zudem verfügt er in Gestalt seiner Eltern und insgesamt 6 Geschwister über umfangreiche familiäre Anknüpfungspunkte in Bagdad, wobei er nach wie vor in regelmäßigem Kontakt zu diesen steht. Raum für die Annahme einer völligen Entwurzelung in Hinblick auf den Herkunftsstaat besteht somit nicht. Zu Lasten des BF ist sein strafrechtswidriges Fehlverhalten zu berücksichtigen, das der Verurteilung wegen zweier Suchtgiftdelikte zugrunde lag. Darüber hinaus hat er auch durch seine insgesamt 13 rechtskräftigen Verwaltungsvorstrafen, überwiegend aufgrund diverser Verkehrsdelikte seine Gleichgültigkeit der österr. Rechtsordnung gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht.
4. Der BF erhob gegen dieses Erkenntnis fristgerecht eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, welche mit Beschluss vom 20.1.2021, Ra 2020/14/0569-4, zurückgewiesen wurde.
5. Am 3.2.2021 brachte der BF den verfahrensgegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ein.
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde dieser Antrag gem. § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung am 9.11.2020 keine maßgeblichen Änderungen im Privat- und Familienleben des BF ergeben hätten. Aus den vorgelegten Unterlagen und den Angaben des BF seien keine derartigen Änderungen im Privat- und Familienleben erkennbar, welche zu einer anderslautenden Entscheidung geführt hätten. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht von zeitlicher Relevanz, da diese überwiegend bereits vor Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ausgestellt wurden. Für die ggst. Entscheidung war ausschlaggebend, ob der BF seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung irgendwelche Aus- oder Weiterbildungen absolviert hat oder sich sonstige Umstände ergaben, welche eine wesentliche Änderung des Privat- oder Familienlebens zu Folge haben. Dies war den vorgelegten Unterlagen aber nicht zu entnehmen. Der BF wurde am 1.8.2019 vom LG Salzburg rechtskräftig verurteilt. Zwischen August 2019 und Mai 2020 wurden insgesamt 13 Verwaltungsstrafen wegen Übertretung der StVO, des KFG und des FSG über den BF verhängt, Gesamthöhe der Strafen: 2.450 Euro. Der Stellungnahme des BF vom 14.4.2021 sei zu entnehmen, dass der BF seine bisherige Tätigkeit wiederaufnehmen werde. Dazu wird angemerkt, dass das Lenken eines KFZ ohne gültige Lenkberechtigung eine vorsätzliche Straftat ist. Laut Sozialversicherungsträger scheinen keine Beitragsgrundlagen auf. Insoweit kann nicht festgestellt werden, dass der BF einer legalen Erwerbstätigkeit nachgeht bzw. nachgegangen ist. Ein derartiges Verhalten lässt aus Sicht des Bundesamtes erkennen, dass dem BF nicht viel an den landesüblichen Werten bzw. einem geltenden Rechtssystem liegt. Der BF hat auch bereits im Vorverfahren angegeben, eine Lebensgemeinschaft mit der ungar. StA. zu führen und wurde dies im Erkenntnis des BVwG auch entsprechend gewürdigt. Mangels wesentlicher Änderungen im Privat- und Familienleben des BF seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung war der ggst. Antrag daher zurückzuweisen.
7. In der gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und vorgebracht, dass die Zurückweisung des Antrages des BF rechtswidrig sei. Der BF habe Umstände vorgebracht, welche unweigerlich eine maßgebliche Änderung des zu beurteilenden Sachverhaltes herbeiführen. Wesentlicher Grund sei die Beziehung zur ungarischen Lebensgefährtin, welche im vorangegangenen Asylverfahren sowie auch nunmehr quasi nicht berücksichtigt worden sei. Der BF befinde sich seit ca. 2 ¾ Jahren in einer Lebensgemeinschaft mit ihr, am 10.4.2021 sei die Ehe nach islamischem Recht geschlossen worden. Eine beabsichtigte standesamtliche Trauung sei bislang nicht möglich gewesen, da die belangte Behörde neben dem georgischen FS des BF auch dessen irak. Reisepass eingezogen habe und diese Dokumente trotz entsprechender Aufforderung nicht mehr an den BF ausfolgt. Der BF und seine Lebensgefährtin planen auch gemeinsame Kinder. Der BF halte sich fast 6 Jahre im Bundesgebiet auf und sei im Rahmen der Möglichkeiten immer einer geregelten Arbeit nachgegangen. Die Gewerbeberechtigung als Transportunternehmer habe er lediglich ruhend gestellt, da die belangte Behörde seinen Führerschein eingezogen hat und nicht mehr ausfolgt und die Covid19 Pandemie eingetreten ist. Der BF habe auch Leistungen an die SVS abgeführt. Auch seine Verwaltungsstrafen habe er prompt bezahlt. Er respektiere die österr. Rechtsordnung und unterwerfe sich vollinhaltlich den Gesetzen. Aktuell sei der BF geringfügig bei XXXX beschäftigt, zudem sei er freiwillig krankenversichert. Der BF habe auch eine Haftungserklärung nach § 2 NAG und unzählige Unterstützungserklärungen in Vorlage gebracht. Zum Beweis seines Vorbringens beantrage der BF neben einer mündlichen Verhandlung die zeugenschaftliche Einvernahme der Lebensgefährtin.
8. Am 3.11.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, an der neben dem BF und seinem Rechtsvertreter auch eine Dolmetscherin für die arabische Sprache sowie die Lebensgefährtin des BF als Zeugin teilnahmen.
9. Der Verfahrensgang im Detail ergibt sich aus dem Akteninhalt.
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer:
Der volljährige BF ist ledig und kinderlos, StA. des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Er ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein, wo er sich zumindest seit 28.9.2015 aufhält.
Er stammt aus Bagdad, wo er geboren und aufgewachsen ist und bis September 2012 gemeinsam mit seiner Kernfamilie in einem Haus gelebt hat. Von September 2012 bis Mai 2015 lebte der BF temporär in Georgien, ehe er bis September 2015 wieder nach Bagdad zurückkehrte.
Der BF hat im Irak ca. 7 Jahre die Schule besucht und in Bagdad mit einem seiner Brüder ein Schulzubehör- und Textiliengeschäft betrieben. Seine Eltern und 6 Geschwister leben nach wie vor in Bagdad. Die männlichen Familienmitglieder sind berufstätig und arbeiten bei Behörden oder Banken, die Schwester hat ein Studium abgeschlossen und die Mutter ist Hausfrau. Der Vater besitzt neben dem Wohnhaus der Familie noch eine Büroimmobilie, welche er gemeinsam mit seinem Bruder vermietet. Der BF steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Familie.
Der BF führt seit Sommer 2018 eine Beziehung mit der ungarischen StA. XXXX , geb. XXXX , die sich aufgrund einer Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) gem. § 53 NAG rechtmäßig im Bundesgebiet befindet. Seit 10.12.2019 sind Z.Z. und der BF unter einer gemeinsamen Adresse gemeldet. Z.Z. ist Lagerarbeiterin und verdient monatlich zwischen 1.400,- und 1.500,- Euro netto. Im April 2021 haben Z.Z. und der BF nach islamischem Ritus die Ehe geschlossen.
Am 16.1.2019 meldete der BF das freie Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchstzulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“ an. Er war von 14.3.2019 bis 31.12.2019 bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen versichert, wobei im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger für diesen Zeitraum keinerlei Beitragsgrundlagen aufscheinen, sodass nicht festgestellt werden kann, dass der BF insoweit tatsächlich je einer legalen Erwerbstätigkeit nachging. Dieses Gewerbe wurde laut Angaben des BF abgemeldet.
Seit ca. August 2021 ist der BF bei einem Paketzustelldienst teizeitbeschäftigt, wo er monatlich ca. 1.550,- Euro verdient. Vorgelegt wurden weder eine Beschäftigungsbewilligung noch ein Gewerbeschein. Fallweise hilft er noch einem Freund, für den er am Abend Zeitungen zustellt. Ab und zu erhält der BF dafür 200,- Euro.
Der BF übt kein Ehrenamt aus und ist weder Mitglied in einem Verein noch einer Organisation. Laut eigener Angabe hat der BF einige österreichische Freunde, allerdings hat er nur sehr wenig Kontakt zu diesen.
Der BF hat bislang weder einen Deutschkurs besucht noch eine Deutschprüfung abgelegt.
Mit Urteil des LG XXXX vom 1.8.2019, Zl. 36 HV XXXX wurde der BF wegen Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 1. Und 2. Fall SMG sowie wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 8. Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten, bedingt auf 3 Jahre, verurteilt.
Zwischen August 2019 und Mai 2020 wurden von der LPD XXXX insgesamt 13 Verwaltungsstrafen in einer Gesamthöhe von 2.450,- Euro aufgrund von Übertretungen der StVO, des KFG und des FSG rechtskräftig verhängt. Die höchste Verwaltungsstrafe belief sich auf 600,- Euro, nachdem der BF zum wiederholten Mal beim Lenken eines KFZ ohne gültige Lenkberechtigung betreten wurde.
Das Asylverfahren des BF wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020, I413 2162263-1 rechtskräftig negativ abgeschlossen. Seither befindet sich der BF illegal im Bundesgebiet.
Mit Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020 wurde eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen. In Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens des BF hat sich kein Sachverhalt ergeben, welcher eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art. 8 EMRK erforderlich machen würde.
Die Lage im Herkunftsstaat Irak:
Rückkehr
Letzte Änderung: 15.10.2021
Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich, im
Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten, auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, unter anderem von ihrer ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 22.1.2021).
Zu den größten Herausforderung für Rückkehrer zählen die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychische und psychologische Probleme, sowie negative Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018).
Reintegration und Sicherheit werden durch Schutz, Stabilisierung, Rechtsstaatlichkeit und sozialen Zusammenhalt beeinflusst. An vielen Orten bleiben auch nach der Niederlage des sog. Islamischen Staates (IS) Quellen der Gewalt bestehen, die Rückkehrer betreffen können. In einigen Fällen kann Gewalt sogar durch die tatsächliche Rückkehr verschiedener Bevölkerungsgruppen an einen bestimmten Ort geschürt werden. Gewaltrisiken bleiben anhaltende Angriffe des IS oder anderer bewaffneter Gruppen, aber auch soziale Konflikte in Form von ethnischkonfessionellen oder stammesbedingten Spannungen und Gewalt, darunter auch Racheakte. Auch politische Konkurrenz spielt bei diesem Risiko eine Rolle, da verschiedene Sicherheitsakteure in der fragmentierten Sicherheitskonfiguration nach dem Konflikt im Irak um territoriale Vorherrschaft ringen (IOM 2021).
Eine Untersuchung von 2020, zu der fast 7.000 Binnenvertriebene und 2.700 Rückkehrer befragt wurden, hat ergeben, dass die Zahl der Rückkehrerhaushalte, die mehr als 20% ihrer monatlichen Gesamtausgaben für Gesundheit oder Medikamente ausgeben, im Jahr 2020 stark, auf 38% gestiegen ist (im Vergleich zu 7% im Jahr 2019) (IOM 18.6.2021).
Hinsichtlich der Beschäftigung berichteten etwa 12% der befragten Rückkehrerhaushalte von vorübergehender und 1% von dauerhafter COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) waren mehrere Distrikte im Gouvernement Erbil besonders von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 71% der IDP- und Rückkehrerhaushalte im Distrikt Rawanduz meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19, im Distrkt Shaqlawa waren es 56%. Im Gouvernement Sulaymaniyah war der Distrikt Dokan mit 52% am stärksten betroffen. Im föderalen Irak war der Distrikt Al-Kut im Gouvernement Wassit am stärksten von COVID-19-bedingter Arbeitslosigkeit betroffen. 56% seiner IDP- und Rückkehrerhaushalte meldeten vorübergehende oder dauerhafte Arbeitslosigkeit aufgrund von COVID-19 (IOM 18.6.2021).
Im Jahr 2020 hatten 59% der Rückkehrer ein durchschnittliches Monatseinkommen von weniger als 480.000 Irakischen Dinar (IQD) (~ 267,90 EUR) (im Vergleich zu 55% im Jahr 2019 und 71% im Jahr 2018). Bei Rückkehrerhaushalten, die von alleinstehenden Frauen geführten wurden, lag der Anteil sogar bei 79%. In der KRI waren die Haushaltseinkommen von Binnenvertriebenenund Rückkehrerhaushalten im Jahr 2020 besonders niedrig: In den Bezirken Chamchamal, Halabcha, Rania und und Dokan im Gouvernement Sulaymaniyah und im Bezirk Koysinjag im Gouvernement Erbil hatten im Berichtszeitraum der MCNA-VIII-Erhebung (Juli - September 2021) zwischen 92% und 93% der Rückkehrerhaushalte ein Monatseinkommen von weniger als 480.000 IQD (IOM 18.6.2021).
Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussein sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 1.2021d).
Um die Rückkehr von Flüchtlingen in die Herkunftsgebiete zu erleichtern, fianziert das UNDP die Umsetzung von Projekten zur Wiederherstellung der Infrastruktur, der Existenzgrundlagen und des sozialen Zusammenhalts in Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din. Darüber hinaus führte das Programm der Vereinten Nationen für Won- und Siedlungswesen (UN-Habitat) Schnellbewertungen von zerstörten Häusern in Gebieten von Ninewa durch und unterstützte 2.190 Familien, deren Häuser zerstört wurden, bei der Registrierung von Entschädigungsansprüchen. UN-Habitat stellte weiterhin Wohnberechtigungsscheine für jesidische Rückkehrer in Sinjar aus (UNSC 3.8.2021).
Es gibt mehrere Organisationen, die Unterstützung bei der Wiedereingliederung anbieten, darunter ETTC (Europäisches Technologie- und Ausbildungszentrum), IOM (Internationale Organisation für Migration) und GMAC (Deutsche Zentrum für Jobs, Migration und Reintegration). Ebenso gibt es mehrere NGOs, die bedürftigen Menschen finanzielle und administrative Unterstützung bereitstellen sowie Institutionen, die Darlehen für Rückkehrer anbieten. Beispielsweise Bright Future Institution in Erbil, die Al-Thiqa Bank, CHF International/Vitas Iraq, die National Bank of Iraq, die Al-Rasheed Bank und die Byblos Bank (IOM 18.6.2021).
In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 22.1.2021).
Quellen:
• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (22.1.2021): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Januar 2021), https://www. ecoi.net/en/file/local/2057645/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_% C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Irak_%28St and_Januar_2021%29%2C_22.01.2021.pdf , Zugriff 3.3.2021
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2021d): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/ , Zugriff 16.3.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• IOM - International Organization for Migration (18.6.2021): Information on the socio-economic situation in the light of COVID-19 in Iraq and in the Kurdish Region, requested by the Austrian Federal Office for Immigration and Asylum, Zugriff 21.6.2021
• IOM - International Organization for Migration (2021): Home Again? Categorising Obstacles to Returnee Reintegration in Iraq, https://iraq.iom.int/files/IOM%20Iraq%20Home%2 0Again%2C%20Categorising%20Obstacles%20to%20Returnee%20Reintegration%20i n%20Iraq.pdf , Zugriff 13.3.2021
• IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb. int/files/resources/DP.1635%20-%20Iraq_Returnees_Snapshot-Report%20-%20V5.pdf , Zugriff 21.6.2021
• UNSC - UN Security Council (3.8.2021): Implementation of resolution 2576 (2021); Report of the Secretary-General [S/2021/700], https://www.ecoi.net/en/file/local/2058500/S_202 1_700_E.pdf , Zugriff 15.5.2021
2. Beweiswürdigung:
Das erkennende Gericht hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und ein ergänzendes Ermittlungsverfahren sowie eine Beschwerdeverhandlung durchgeführt. Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.
Die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben, den vorgelegten Dokumenten sowie den Sprach- und Ortskenntnissen.
Zur Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der Rückkehrsituation herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen -sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges- handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten – von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen – diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um Sachverhalte geht, für die ausländische Regierungen verantwortlich zeichnen, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteiennahme weder für den potentiellen Verfolgerstaat, noch für die behauptetermaßen Verfolgten unterstellt werden kann. Hingegen findet sich hinsichtlich der Überlegungen zur diplomatischen Zurückhaltung bei Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen das gegenteilige Verhalten wie bei den oa. Quellen nationalen Ursprunges. Der Organisationszweck dieser Erkenntnisquellen liegt gerade darin, vermeintliche Defizite in der Lage der Menschenrechtslage aufzudecken und falls laut dem Dafürhalten –immer vor dem Hintergrund der hier vorzunehmenden inneren Quellenanalyse- der Organisation ein solches Defizit vorliegt, dies unter der Heranziehung einer dem Organisationszweck entsprechenden Wortwahl ohne diplomatische Rücksichtnahme, sowie uU mit darin befindlichen Schlussfolgerungen und Wertungen –allenfalls unter teilweiser Außerachtlassung einer systematisch-analytischen wissenschaftlich fundierten Auswertung der Vorfälle, aus welchen gewisse Schlussfolgerungen und Wertungen abgeleitet werden- aufzuzeigen (vgl. Erk. des AsylGH vom 1.8.2012, Gz. E10 414843-1/2010).
Im gegenständlichen Fall ist anzuführen, dass die belangte Behörde ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchführte und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung in der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenfasste.
Soweit der BF verfahrensgegenständlich einen Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG beantragt hat, stützt er sich zu seinem Privat- und Familienleben im Wesentlichen auf das gleiche Vorbringen wie bereits im Asylverfahren, welches mit Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020 rechtskräftig abgeschlossen wurde. Neu bringt er lediglich vor, dass er seine aus Ungarn stammende Lebensgefährtin im April 2021 nach islamischem Ritus geehelicht hat und dass er seit ca. August bei einem Paketzustelldienst teilzeitbeschäftigt ist.
Dazu ist seitens des Gerichtes festzustellen, dass eine nach islamischem Ritus geschlossene Ehe in Österreich keine gesetzlich anerkannte Ehe darstellt. Der BF und Z.Z. sind nach österreichischem Recht daher nach wie vor Lebensgefährten, was entgegen den Beschwerdeausführungen sehr wohl bereits im Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020 Berücksichtigung gefunden hat. So wurde dort zB bereits ausgeführt, dass der BF und Z.Z. die Beziehung im Sommer 2018, somit zu einem Zeitpunkt, als der Antrag des BF auf internationalen Schutz erstinstanzlich bereits abgewiesen war, eingegangen sind. Beide durften demnach damit nicht darauf vertrauen, im Bundesgebiet dauerhaft ein Familienleben führen zu können.
Soweit der BF nunmehr eine Erwerbstätigkeit ins Treffen führt, ist aus Sicht des Gerichtes dazu festzustellen, dass diese offensichtlich illegal ist, da weder ein Gewerbeschein noch eine Beschäftigungsbewilligung vorliegen und sich der BF seit über 1 Jahr illegal im Bundesgebiet befindet. Dadurch wird diese – ohnedies erst vor ein paar Monaten – aufgenommene Tätigkeit derart relativiert, dass auch in diesem Punkt kein geänderter Sachverhalt vorliegt, welcher eine ergänzende oder neue Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK erforderlich machen würde.
Wenn der BF in der Beschwerdeverhandlung über Befragen seines Rechtsvertreters weitere vermeintliche Integrationsaspekte für sich zu lukrieren versuchte, gingen diese Versuche ins Leere. So versuchte er den Umstand, dass er noch immer keinen Deutschkurs besucht und keine Deutschprüfung abgelegt hat, plötzlich dahingehend schönzureden, dass er Analphabet sei. Über Nachfrage der Richterin, wie das möglich sei, hatte er doch zuvor angegeben, 7 Jahre in die Schule gegangen zu sein, versuchte sich der BF dann völlig unglaubwürdig dahingehend herauszureden, dass zu dieser Zeit Krieg geherrscht habe und alle seine Brüder gebildet seien, nur er nicht. Soweit der BF weiter behauptete, er sei in einem Fitnessstudio und einem Fußballverein gewesen, vermochte er auch das nicht glaubhaft darzutun, indem er weder Mitgliedsausweise noch schriftliche Bestätigungen dafür vorlegen konnte. Wenn er behauptet, zu dieser Zeit (es war vage die Rede von 2016 oder 2017) Integrationsspiele veranstaltet zu haben blieb es auch dabei bei einer unbelegten Behauptung. Selbst bei Wahrunterstellung sähe es das Gericht aber nicht als Zeichen von Integration, wenn ein Asylsuchender andere Asylsuchende für Fußballspiele rekrutiert. Auch der behauptete Kontakt zu einem ehemaligen Vorarbeiter des Magistrates stellte sich bei näherem Hinterfragen als „selten“ heraus. Soweit der BF letztlich seine „Freundschaften“ auf 2 Personen einschränkte, stellte sich heraus, dass einer der beiden aus Algerien und der andere aus Marokko stammt, was das Gericht nicht als maßgebliche Einbindung in die österreichische Gesellschaft ansieht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter, Anzuwendendes Verfahrensrecht
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I 33/2013 idgF geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Zu A) Zurückweisung des Antrages gem. § 58 Abs. 10 Asylgesetz 2005:
Gem. § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gem. § 55 AsylG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gem. § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.
§ 9 BFA-VG, Schutz des Privat- und Familienlebens:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn
1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder
2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“
Wie großteils bereits in der Beweiswürdigung erörtert, wurde gegen den BF mit Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020 eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen. Im nunmehr gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 AsylG ist in Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens kein derart geänderter Sachverhalt hervorgekommen, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art. 8 EMRK erforderlich gemacht hätte. Den Vergleichsmaßstab bildete die erste inhaltliche Entscheidung (Erkenntnis des BVwG vom 9.11.2020).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das ho. Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Privat- und Familienleben abgeht.
Schlagworte
Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK aufrechte Rückkehrentscheidung entscheidungsrelevante SachverhaltsänderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L519.2162263.2.00Im RIS seit
19.01.2022Zuletzt aktualisiert am
19.01.2022