Entscheidungsdatum
15.12.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2244467-1/ 20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geb. XXXX , bevollmächtigt vertreten durch KOBV – Der Behindertenverband, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 03.03.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (in der Folge belangte Behörde genannt) hat der Beschwerdeführerin am 28.11.2018 einen unbefristeten Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH ausgestellt und den Zusatzvermerk „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ eingetragen.
2. Die Beschwerdeführerin hat am 16.10.2019 bei der belangten Behörde unter Vorlage von medizinischen Beweismitteln einen Antrag auf Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass gestellt.
2.1 Die belangte Behörde hat zur Prüfung des Antrages ein auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 19.10.2020 basierendes medizinisches Sachverständigengutachten von einem Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Arbeitsmedizin, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des begehrten Zusatzvermerkes in den Behindertenpass nicht vorliegen.
2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.03.2021 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass gemäß § 42 und § 45 BBG abgewiesen. Dem Bescheid war das Sachverständigengutachten beigelegt.
3. Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer medizinischer Befunde wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Bescheid rechtswidrig sei. Die Beschwerdeführerin leide seit 2001 an Morbus Crohn und sei trotz laufender Medikation nicht beschwerdefrei. Sie leide täglich an zahlreichen Stühlen, die weder vorhersehbar noch planbar sind. Es sei unabdingbar eine Toilette sofort zu erreichen. Zudem sei damit eine Geruchsbelästigung verbunden. Weiters leide die Beschwerdeführerin an diversen orthopädischen Problemen (Deckenplattenimpression im Bereich des 2. Lendenwirbelkörpers, hochgradige Spondylarthrose L4 bis S1, Beschwerden rechts Knie, beide Schultern und beider Handgelenke), die es ihr in Kombination mit der Morbus-Crohn-Erkrankung unmöglich machen würden, ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen und sicher in einem solchen transportiert zu werden. Die Beschwerdeführerin könne weder kurze Strecken selbstständig zurücklegen, noch sicher in ein öffentliches Verkehrsmittel einsteigen oder sicher in einem solchen transportiert werden. Weiters leide sie an einer Angststörung, die zusätzlich dazu beiträgt, dass sie ein öffentliches Verkehrsmittel nicht benützen könne.
3.1. Die belangte Behörde hat zur Prüfung der Beschwerdegegenstandes mehrere Sachverständigengutachten basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 21.05.2021 von einem Facharzt für Neurologie, eines von einer Fachärztin für Innere Medizin vom 09.06.2021 und ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten von einem Facharzt für Orthopädie basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 21.05.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des begehrten Zusatzvermerkes in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.2. Am 16.06.2021 erfolgte eine Gesamtbeurteilung der medizinischen Sachverständigengutachten für Neurologie, Orthopädie und Innere Medizin von einer Fachärztin für Innere Medizin, mit dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des begehrten Zusatzvermerkes in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.3. Die belangte Behörde hat zur Prüfung des Beschwerdegegenstandes ein auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 12.07.2021 basierendes medizinisches Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Innere Medizin, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Eintragung des begehrten Zusatzvermerkes in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3.4. Mit Schreiben vom 19.07.2021 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
3.5. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurden durch das Bundesverwaltungsgericht eine Ergänzung zum Gutachten aus dem Fachgebiet Innere Medizin und Rheumatologie vom 15.07.2021, basierend auf der Aktenlage, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.
3.6. Mit Schreiben vom 20.08.2021 wurde vom Bundesverwaltungsgericht den Parteien das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu zu äußern.
Von Seiten der belangten Behörde wurde keine Stellungnahme eingebracht.
Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin hat am 06.09.2021 eine Stellungnahme abgegeben und weitere Befunde, sowie ein Sachverständigengutachten datiert mit 24.02.2021 eines Facharztes für innere Medizin, welches zur Vorlage beim Arbeits- und Sozialgericht Wien diente, nachgereicht.
Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin führt aus, dass sich die Darmerkrankung der Beschwerdeführerin nicht anhaltend stabilisiert habe und die eingeholten Befunde eine erhöhte Krankheitsaktivität zeigen würden. Die Beschwerdeführerin muss infolge dessen mehrmals täglich die Toilette aufsuchen, wobei der Stuhlgang imperativ auftritt und eine Toilette in unmittelbarer Nähe sein müsse. Daher sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
4. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.09.2021 wurde eine mündliche Verhandlung für den 17.11.2019 anberaumt.
5. Am 17.11.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin, deren bevollmächtigter Vertreter, sowie die medizinische Sachverständige für Innere Medizin und Rheumatologie teilnahmen. Die belangte Behörde blieb unentschuldigt der mündlichen Verhandlung fern.
Eingangs wurde das Ergebnis des bisherigen Ermittlungsverfahrens besprochen. Die medizinische Sachverständige nahm zu den vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin erhobenen Einwendungen und den vorgelegten Beweismitteln ausführlich Stellung und erstattete diesbezüglich ein neuerliches Sachverständigengutachten. In der Folge wurden die eingeholten Sachverständigengutachten und das Beschwerdebild der Beschwerdeführerin eingehend erörtert. Abschließend hat die Beschwerdeführerin ihre eigene Krankengeschichte dargelegt und zu ihren Gesundheitseinschränkungen im Alltag Stellung genommen.
5.1. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.11.2021 wurde dem bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde das Langprotokoll der mündlichen Verhandlung zur Kenntnisnahme übermittelt und ihnen eingeräumt hiezu binnen einer Woche eine Stellungnahme abzugeben. Weder die belangte Behörde noch der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin gaben eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Da sich die Beschwerdeführerin mit der Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ in den Behindertenpass nicht einverstanden erklärt hat, war dies zu überprüfen.
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines Behindertenpasses.
1.2. Zur beantragten Zusatzeintragung
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.2.1. Art der Funktionseinschränkungen:
? Morbus Crohn
? Depressio, die Angststörung ist hier mit abgebildet
? Zustand nach Lungentuberkulose als Kind und Bronchiektasiebildung
? Veränderungen an Stütz- und Bewegungsapparat, das chronische Cervikalsyndrom sowie die Veränderungen an der Lendenwirbelsäule und auh palmar sind in dieser Positionsnummer mit abgebildet
? Schrumpfniere links
? Chronische Gastritis
? Zustand nach Amputation des linken Daumenendgliedes
1.2.2. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:
Allgemeinzustand: normal
Ernährungszustand: normal
Größe: 160 cm
Gewicht: 63 kg
Klinischer Status – Fachstatus:
Kopf frei beweglich, Hirnnervenaustrittspunkte frei
Hörvermögen gut, Sehvermögen gut
Hals: keine vergrößerten Lymphknoten tastbar, Schilddrüse schluckverschieblich
Herz: Herztöne rhythmisch, rein, normofrequent
Lunge: Vesiculäratmen, keine Rasselgeräusche, Lungenbasen verschieblich
Bauch: weich, kein Druckschmerz, keine Abwehrspannung, Leber und Milz nicht tastbar
Caput: unauffällig
Extremitäten und Gelenke frei beweglich, keine Schwellungen keine Ödeme
Gesamtmobilität – Gangbild:
Unauffälliges Gangbild, Hilfsmittel werden nicht verwendet
Status Psychicus:
Klar, orientiert, Ductus kohärent, subdepressiv
1.2.3. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die Beschwerdeführerin leidet unter Morbus Crohn und ist trotz laufender Medikation nicht beschwerdefrei. Sie leidet täglich an zahlreichen Stühlen. Die Stuhlgänge sind weder vorherseh- noch planbar. Das sofortige Erreichen einer Toilette ist unabdingbar. Es kommt zu Durchfällen, die die Beschwerdeführerin nicht beherrschen kann, außerdem ist damit auch eine Geruchsbelästigung verbunden, die es der Beschwerdeführerin unzumutbar macht ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen.
Weiters leidet die Beschwerdeführerin an diversen orthopädischen Problemen, die es ihr besonders in Kombination mit der Morbus Crohn Erkrankung unmöglich machen, ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen und sicher in einem solchen transportiert zu werden. Des Weiteren werden die Leidenszustände der Beschwerdeführerin durch die psychischen Leiden verstärkt, da ein ungünstiges Zusammenwirken vorliegt. Der erkennende Senat konnte sich in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen. Die Leiden der Beschwerdeführerin wirken sich massiv auf ihr tägliches Leben aus, weshalb sie dadurch unter extremer psychischer Belastung steht.
Die festgestellten Funktionseinschränkungen wirken sich im Zusammenwirken in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.3. Der Verwaltungsakt ist unter Anschluss der Beschwerdeschrift und dem dieser beigelegten Beweismittel am 19.07.2021 im Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
2. Beweiswürdigung:
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.
Zu 1.1.) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2.) Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen gründen sich auf die im Beschwerdeverfahren eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten, basierend auf den persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin sowie auf die vorgelegten medizinischen Beweismittel.
Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen.
Die vorliegenden Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen, die Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie hat sich eingehend damit auseinandergesetzt und fasst deren wesentlichen Inhalt nachvollziehbar wie folgt zusammen:
? Befundbericht Hanusch KH, 29.09.2019: Bronchiektasien der Lunge Zustand nach Tuberkulose
? nervenärztlicher Befund, 30.09.2019, 12.01.2021 Dr. Fuks: Morbus Crohn, generalisierte Angststörung, Herpes Zoster
? Befundbericht Radiologie, 04.03.2021: Sonografie links palmar: Geringe Tendovaginitis der Flexorensehne sowie mutmaßlich rupturiertes Ganglion
? Befundbericht Hanusch KH:
Ileocolonischer M. Crohn [EM 2001, ED 2006)
Brotichiektasien li UL
rez. depressive Störung
Schrumpfniere Ii.
Z.n Zosterneuralgie
Z.n. Lungen-Tbc 1987
chron. Nikotinabusus
Z.n. Mamma-Augmentation mit fragI. Ruptur und Entfernung
Z. n. Hämorrhoiden OP
Anamnestisch Lactose-, Fructose und Histaminunverträglichkeit
Den Einschätzungen des Sachverständigengutachtens zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kann unter Zugrundelegung dieser Einschränkungen, insbesondere bei Berücksichtigung der deutlich erhöhten Stuhlfrequenz der Beschwerdeführerin, nicht gefolgt werden. Im Gutachten selbst führte die Sachverständige zur Frage der Zumutbarkeit lediglich aus, dass bei den vorliegenden Leiden kein Hinweis auf eine maßgeblich eingeschränkte Mobilität, eine maßgebliche psychische oder neurologische Erkrankung bzw. auch nicht auf ein intellektuelles Defizit hervorgehe, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei.
Im Sachverständigengutachten vom 15.07.2021 führte die Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie im Wesentlichen aus, dass eine Versorgung mit handelsüblichen Inkontinenzmaterial nicht verwendet wird und die Therapiereserven nicht ausgeschöpft seien. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, dass der Beschwerdeführerin trotz Art und Ausmaß ihres Leidens die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar wäre, ist darin aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts aber nicht zu erkennen. Angesichts der unstrittigen sehr hohen Frequenz und flüssigen Konsistenz der Stuhlgänge ist der Beschwerde darin zuzustimmen, dass Einlagen oder auch andere Hilfsmittel bei der Beschwerdeführerin nicht zuverlässig wirksam wären.
Die Abweichung zu den eingeholten Sachverständigengutachten resultiert aus dem glaubhaftem Vorbringen vor dem erkennenden Senat.
Vor dem erkennenden Senat wurde nachvollziehbar vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin unter Morbus Crohn leidet und trotz laufender Medikation nicht beschwerdefrei ist und die zahlreichen Stuhlgänge weder vorhersehbar noch planbar sind. Da diese auch nicht beherrschbar sind, muss die Beschwerdeführerin in unmittelbarer Nähe eine Toilette vorfinden. Die Beschwerdeführerin machte in der mündlichen Verhandlung einen sehr beeinträchtigten Eindruck und gab auch glaubhaft an, unter Krämpfen zu leiden. Aufgrund des gewonnenen Eindrucks gelangte der Senat in Anbetracht der objektivierten Leiden insgesamt zu den getroffenen Feststellungen.
Die Angaben der Beschwerdeführerin waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 17. Mai 1990 über die Beratung, Betreuung und besondere Hilfe für behinderte Menschen (Bundesbehindertengesetz – BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idgF, hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 43 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen im Falle des Eintretens von Änderungen durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen. (§ 43 Abs. 1 BBG)
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gem. § 46 BBG dürfen in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
Die nachgereichten Unterlagen mit der Stellungnahme vom 06.09.2021 (Laborbefund vom 28.07.2021, die Terminbestätigung, den Proktoskopiebefund vom 11.08.2021) konnten aufgrund des § 46 BBG nicht berücksichtigt werden.
Gem. § 54 Abs. 18 BBG tritt § 46 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 57/2015 mit 1.Juli 2015 in Kraft.
Die gegenständliche Beschwerde ist dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 19.07.2021 vorgelegt worden.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):
Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009,
Zl. 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 – 400 m ausgeht. (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.05.2014)
Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob die Stuhlinkontinenz zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (vgl. VwGH 17.06.2013, Zl. 2010/11/0021, VwGH 23.02.2011, Zl. 2007/11/0142). In beiden Erkenntnissen hielt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der dort belangten Behörden, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. Die konkrete Auswirkung dieses Aspekts von Erkrankungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei insbesondere betreffend eine gewisse Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit der behaupteten Zustände zu beachten (vgl. VwGH 17.06.2013, Zl. 2010/11/0021).
In einem weiteren Erkenntnis vom 21.04.2016, Zl. Ra 2016/11/0018, hielt der Verwaltungsgerichtshof daran anschließend zum Fall einer Betroffenen, die an einer Durchfallerkrankung mit häufigem und imperativem Stuhlgang (mindestens 20 Mal pro Tag) leidet, fest, dass es „geradezu offenkundig“ sei und „keiner weiteren Erörterung“ bedürfe, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei diesem Krankheitsbild unzumutbar sei. Daran würden angesichts der schweren Ausprägung der Erkrankung die im Handel erhältlichen, vom Verwaltungsgericht angesprochenen Inkontinenzprodukte (saugfähige Einmalhosen) nichts ändern. Der Verwaltungsgerichtshof entschied in der Folge in der Sache selbst und gab dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung wegen offenkundigen Vorliegens der Voraussetzungen statt.
Unter Heranziehung der nach dieser Judikatur besonders zu beachtenden Kriterien der Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit (der Stuhl- bzw. Harnabgänge) ist auch im vorliegenden Fall, in dem es bei der Beschwerdeführerin zu unzähligen dünnflüssigen und imperativen Stuhlgängen täglich kommt, davon auszugehen, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist. Die Häufigkeit der Stuhlgänge der Beschwerdeführerin kommt auch bereits jener Konstellation, in der nach oben zitiertem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes die Unzumutbarkeit „geradezu offenkundig“ ist, sehr nahe. Die zum gegenteiligen Ergebnis gelangenden Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen vermochten vor diesem Hintergrund, wie in der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, nicht zu überzeugen.
Auch der Hinweis in den oben zitierten Erläuterungen zur Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013, dass bei Inkontinenz keine Einschränkung im Hinblick auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestehe, „da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen“, steht dieser Einschätzung nicht entgegen. Von dieser allgemeinen Vorgabe werden nämlich zugleich anhaltend schwere Erkrankungen des Verdauungstraktes ausgenommen, bei denen in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sehr wohl unzumutbar sei (vgl. erneut VwGH 21.04.2016, Ra 2016/11/0018). Im Fall der an Morbus Crohn leidenden Beschwerdeführerin liegt unstrittig eine solche anhaltend schwere Erkrankung des Verdauungstraktes vor.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragungen „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ rechtfertigt war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird ausgeführt, dass damit präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden sollen. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt. Es war sohin keine - von der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abweichende - Neuregelung beabsichtigt. Vielmehr wird in den Erläuterungen ausdrücklich festgehalten, dass im Hinblick auf die ab 01.01.2014 eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und die Einheitlichkeit der Vollziehung der im Behindertenpass möglichen Eintragungen sicherzustellen, die Voraussetzungen, die die Vornahme von Eintragungen im Behindertenpass rechtfertigen, in einer Verordnung geregelt werden sollen. Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist.
Schlagworte
Behindertenpass öffentliche Verkehrsmittel Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2244467.1.00Im RIS seit
19.01.2022Zuletzt aktualisiert am
19.01.2022