TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/21 W141 2245550-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2021
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Entscheidungsdatum

21.12.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W141 2245550-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 09.07.2021, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen aufgrund des in der Höhe von fünfzig (50) von Hundert (vH) festgestellten Grades der Behinderung vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin hat am 07.02.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) unter Vorlage eines Befundkonvoluts einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

1.1.    Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie, basierend auf einer persönlichen Untersuchung am 14.08.2020, ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf einer persönlichen Untersuchung am 14.01.2021 und einer zusammenfassenden Beurteilung, von derselben Fachärztin durchgeführt am 17.01.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung mit 40 vH bewertet wurde.

1.2 Mit Schreiben vom 20.01.2021 wurde von der belangten Behörde der Beschwerdeführerin das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich binnen 14 Tagen dazu zu äußern.

1.3 Mit Schreiben vom 27.01.2021 gab die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ab, in der sie um nochmalige Prüfung der Einstufung ihres Gesundheitszustandes ersuchte.

1.4 Von Seiten der belangten Behörde wurde daraufhin Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage des Facharztes für Neurologie vom 08.03.2021, und der Fachärztin für Unfallchirurgie vom 12.03.2021, sowie eine Zusammenfassende Beurteilung vom 13.03.2021 ebenfalls durch denselben Facharzt für Neurologie, eingeholt welcher weiterhin einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. feststellte.

1.5 Mit Schreiben der belangten Behörde vom 19.03.2021 wurde der Beschwerdeführerin das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich binnen zwei Wochen dazu zu äußern.

1.6 Mit Schreiben vom 6.4.2021 und 13.04.2021 folgte, unter Beilage weiterer medizinischer Beweismittel, eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin, in der diese wieder um nochmalige Überprüfung ihrer Einstufung bittet.

1.7 Am 04.05.2021 erstellte der Facharzt für Neurologie ein weiteres Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage, in dem er weiterhin an der bisherigen Einstufung festhielt und einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH feststellte.

1.8 Mit Schreiben der belangten Behörde vom 06.05.2021 wurde der Beschwerdeführerin das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und ihr die Möglichkeit eingeräumt, sich binnen 14 Tagen dazu zu äußern.

1.9 Mit Schreiben vom 10.06.2021 nahm die Beschwerdeführerin, unter Beilage neuer klinisch-psychologischer Befunde, erneut Stellung zum vorgelegten Ermittlungsergebnis und bat wieder um eine ärztliche Überprüfung.

1.10 Mit Stellungnahme des Facharztes für Neurologie vom 08.07.2021 führte dieser aus, dass aus den übermittelten Unterlagen keine neuen befund-und kalkülserweiternde Diagnosen hervorkommen.

1.11.   Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.07.2021 hat die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpass gemäß § 40, § 41 und § 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) abgewiesen und einen Grad der Behinderung in Höhe von 40 vH festgestellt.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin am 17.08.2021 Beschwerde erhoben. Unter Vorlage weiterer Beweismittel wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sie mit dem festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden sei. Die Beschwerdeführerin leide an sehr starken immer wiederkehrenden Ganzkörperschmerzen, der Fibromyalgie und einer instabilen Persönlichkeitsstörung, welche einen erheblichen Leidensdruck auf ihr Leben hätten.

3.       Mit Schreiben vom 18.08.2021 hat die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

4. Zur Überprüfung der vorgebrachten Einwendungen wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.10.2021 und ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 30.10.2021, sowie eine Gesamtbeurteilung durch den selben Facharzt für Unfallchirurgie mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Grad der Behinderung mit 50 vH bewertet wurde.

4.1.    Mit Schreiben vom 02.12.2021 wurde vom Bundesverwaltungsgericht den Parteien das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 17 VwGVG iVm § 45 Abs. 3 AVG mit Hinweis auf die Neuerungsbeschränkung gemäß § 46 BBG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu zu äußern.

Weder von Seite der belangten Behörde noch von Seite der Beschwerdeführerin wurde eine schriftliche Stellungnahme eingebracht. Die Beschwerdeführerin hat lediglich telefonisch mitgeteilt, dass Sie mit dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens einverstanden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin mit dem im angefochtenen Bescheid festgestellten Grad der Behinderung nicht einverstanden erklärt hat, war dieser zu überprüfen.

1.       Feststellungen:

1.1.    Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland.

1.2.    Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 (fünfzig) vH.

1.2.1.   Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: gut
Größe: 157 cm         Gewicht: 70 kg
Thorax symmetrisch

Klinischer Status - Fachstatus:

Neurologisch:
Rechtshänder
Hirnnerven: bei grober Prüfung unauffällig, Visus ausreichend, altersentsprechend, Hören unauffällig, Sprache unauffällig.

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 40-0-40, F 10-0-10, KJA 1 cm, Reklination 14 cm.
Normale Brustkyphose, BWS- Drehung 30-0-30

FKBA 25 cm, Seitneigung bis 5 cm ober Patella.

Obere Extremitäten

Schultern in S 40-0-165, F 160-0-50, R 80-0-80, Ellenbögen 0-0-130, Handgelenke 50-0-50, Faustschluss beidseitig möglich.

Nacken- und Kreuzgriff durchführbar.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenke in S 0-0-105, F 35-0-30, R 30-0-10, Kniegelenke in S 0-0-130, bandfest, reizfrei.

Sprunggelenke 10-0-45

Lasegue negativ.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Gang in Straßenschuhen ohne Gehbehelfe gut möglich. Zehenspitzen- und Fersenstand normal.

Status Psychicus:

Bewusstseinslage: klar

Orientierung: in allen Qualitäten erhalten

Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration: leicht reduziert.

Merkfähigkeit, Gedächtnisleistung: noch ausreichend

Ductus: kohärent, keine formalen und inhaltlichen Denkstörungen

Tempo: normal

Intelligenz: durchschnittlich

Keine funktionellen Abbauzeichen

Wahnphänomene und Sinnestäuschungen sind nicht explorierbar

Ich Störungen nicht explorierbar

Stimmung: depressiv, affektlabil; Befindlichkeit: sehr negativ getönt

Affizierbarkeit: deutlich im negativen Bereich

Antrieb: ausreichend

Psychomotorik: Mimik und Gestik adäquat

Krankheitseinsicht und Kritikfähigkeit: erhalten

Biorhythmusstörungen: Schlaf oft schlecht

Suizidalität: keine

Persönlichkeitsmerkmale: ängstlich, angespannt, unruhig, reizbar, aufbrausend, emotional instabil, Somatisierungsneigung

1.2.2. Beurteilung der Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Emotional instabile Persönlichkeit (Borderline)

03.04.01

40       vH

02

Fibromyalgiesyndrom

04.11.02

30       vH

03

Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule und der großen Gelenke

11.02.01

20 vH

04

Autoimmunthyreoiditis Hashimoto

09.01.01

10 vH

Gesamtgrad der Behinderung

50 vH

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 vH, da das Leiden 1 durch das weitere Leiden 2 wegen wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöht wird. Das Leiden 3 erhöht bei Leidensüberschneidung nicht weiter. Leiden 4 erhöht nicht weiter.

1.3.    Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist am 07.02.2020 bei der belangten Behörde eingelangt.

2.       Beweiswürdigung:

Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).

Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.

Zu 1.1) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt sowie dem Auszug aus dem zentralen Melderegister mit Stichtag 24.08.2021.

Zu 1.2) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen.

Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befunde, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen. Diese stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der eingeholten Sachverständigenbeweise, es wird kein höheres Funktionsdefizit beschrieben, als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.

Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.

Der Facharzt für Unfallchirurgie setzt als Sachverständige in seinem zusammenfassenden Gutachten das führende Leiden 1, Emotionale instabile Persönlichkeit (Borderline), unter der Positionsnummer 03.04.01 fest und bewertet dieses mit einem Grad der Behinderung von 40 vH. Der obere Rahmensatz wird von dem Sachverständigen nachvollziehbar dahingehend begründet, dass bei der Beschwerdeführerin unter psychomotorischer Unruhe, depressiver Grundstimmung, Ängste und emotionale Instabilität leidet. Der Sachverständige stützt sich hierbei auf das Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie.

Das Leiden 2, Fibromyalgiesyndrom unter der Positionsnummer 04.11.02 bewertet der Sachverständige mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH. Die Heranziehung des unteren Rahmensatzes begründet er damit, dass dieser mit den chronischen Schmerzen der Beschwerdeführerin.

Das Leiden 3, Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule und großen Gelenken, wird vom orthopädischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 02.02.01 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 20 von Hundert festgesetzt. Dies entspricht dem oberen Rahmensatz, der vom Facharzt anhand der Belastungsschmerzen der Beschwerdeführerin begründet wird.

Als weiteres Leiden wird Leiden 4, Autoimmunthyreoiditis Hashimoto, im Sachverständigengutachten des Facharztes für Unfallchirurgie unter der Positionsnummer 09.01.01 mit einem Grad der Behinderung in Höhe von 10 vH angeführt. Erläutert wird die Wahl des unteren Rahmensatzes, anhand der guten medikamentösen Einstellung.

Der Facharzt für Unfallchirurgie nimmt in seinem Gutachten zudem ausführlich zu den Einwendungen der Beschwerdeführerin fachspezifisch Stellung. Er beschreibt, dass die orthopädischen Einschätzungen auf radiologischen Veränderungen leichten Grades basieren und sich der Schmerzzustand mit dem Fibromyalgiesyndrom überschneidet. Er erklärt außerdem, dass die orthopädisch begründbaren Beschwerden alleine die anderen Leiden nicht erhöhen. Hier ist für ihn das Vorgutachten nicht vollständig nachvollziehbar. Weiters ergänzt er, dass die im Akt befindlichen radiologischen Befunde als fast altersentsprechend einzuschätzen oder zu bewerten sind.

Im Vergleich zum Letztgutachten gibt der Facharzt für Unfallchirurgie an, dass die Einzelleiden der Beschwerdeführerin unverändert geblieben sind, sich allerdings aus Sicht der neurologischen Obergutachterin schon ein Einfluss auf das Leiden 1 ergibt, und der GdB deshalb um eine Stufe erhöht wird.

Dem Sachverständigen zu Folge, ist eine ärztliche Nachuntersuchung und eine Überprüfung, ob durch therapeutische Maßnahmen die Leiden 1 und 2 gebessert werden könnten, erforderlich. Er würde eine Begutachtung in 2 Jahren anregen.

Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Die Einwendungen der Beschwerdeführerin waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.

Zu 1.3.) Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde das Datum 07.02.2020 auf.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

Gemäß § 35 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 7. Juli 1988 über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl. Nr. 400/1988 idgF, bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1.       in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2.       in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

–        Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

–        Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

–        In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Gemäß § 43 Abs 1. hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auftretende Änderungen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Maßgeblich für die gegenständliche Entscheidung ist, dass das Leiden 1 „emotionale instabile Persönlichkeit (Borderline)“ durch das Leiden 2 „Fibromyalgiesyndrom“ wegen wechselseitiger Leidensbeeinflussung erhöht wird, wodurch sich gegenüber dem Vorgutachten eine Anhebung des Grades der Behinderung um eine Stufe von 40 vH auf 50 vH ergibt.

Insgesamt ist eine Anhebung des Gesamtgrades der Behinderung auf 50 von Hundert unter Berücksichtigung der Gutachten aus allen Fachgebieten gerechtfertigt. Es liegen somit die Voraussetzungen für die Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass vor.
2.         Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Maßgebend für die gegenständliche Entscheidung über den Gesamtgrad der Behinderung sind die Art und das Ausmaß der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Gesundheitsschädigungen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet.

Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern. Das Ergebnis des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der - verfahrensgegenständlichen - Höhe des Grades der Behinderung, wurde sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von der belangten Behörde zur Kenntnis genommen und von der Beschwerdeführerin telefonisch bekanntgegeben, dass sie keine schriftliche Stellungnahme abgeben wird und sie mit dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens einverstanden ist.

. Das Beschwerdevorbringen war – wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt – geeignet, relevante Bedenken an den Feststellungen der belangten Behörde hervorzurufen. Die vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt und es resultiert daraus die geänderte Beurteilung. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und unbestritten. Daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2245550.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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