TE Bvwg Erkenntnis 2021/12/22 W141 2248455-1

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Veröffentlicht am 22.12.2021
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Entscheidungsdatum

22.12.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §4 Abs5

Spruch



W141 2248455-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard Höllerer als Vorsitzender und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie den fachkundigen Laienrichter
Mag. Michael SVOBODA als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 27.09.2021, OB XXXX , betreffend Abweisung Antrages auf Übernahme der entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung gemäß § 1 Abs. 1 und § 4 Abs. 5 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) in der geltenden Fassung, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:
1.         Die Beschwerdeführerin hat am 09.04.2021 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde genannt) einen Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes gestellt und angegeben, dass sie am 22.01.2014 Opfer einer Körperverletzung geworden sei, wobei sie und ihre Freundin von zwei Männern zu Boden gestoßen und geschlagen worden seien.
2.         Mit dem angefochtenen Bescheid vom 27.09.2021 hat die belangte Behörde den Antrag vom 09.04.2021 auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung wegen dem Vorfall vom 22.01.2014 gemäß § 1 Abs. 1 und
§ 4 Abs. 5 VOG abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass aus dem eingeholten Sachverständigengutachten hervorgehe, dass nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, dass das schädigende Ereignis als wesentliche Ursache zum derzeitigen Leidenszustand beigetragen habe.
3.         Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben.

Die Beschwerdeführerin führte im Wesentlichen aus, dass sie sich seit dem Vorfall im Jahr 2014 in der Umgebung von Männern unwohl fühle, da sie sich entwertet, nicht wahrgenommen, sexualisiert, gedemütigt und gelähmt fühle. Daher habe sie ihren damaligen Beruf aufgeben müssen, da die Kunden vorrangig männlich gewesen seien. Die Beschwerdeführerin sei darüber hinaus auch in ihren Hobbys eingeschränkt und lebe sie seit der Gewalttat weitgehend abgeschottet.

Darüber hinaus habe die medizinische Sachverständige die sexuelle Orientierung der Beschwerdeführerin nicht erkannt, diese sei jedoch mitausschlagender Faktor für den Angriff auf sie gewesen. Das Gutachten sei daher mangelhaft.

Die Beschwerdeführerin wolle nun eine Therapie machen, da sie sich in einer Ausbildung zur Programmiererin befinde und diese nicht wegen dem hohen Männeranteil und ihrem damit einhergehenden Unwohlsein verlieren wolle. Sie habe sich zudem erst jetzt eingestehen können, dass sie Hilfe benötige und wolle nunmehr ihre Probleme bekämpfen.

Darüber hinaus greife sie seit dem Vorfall auch ein, wenn Männer in öffentlichen Verkehrsmitteln Frauen belästigen würden, da sie hypersensibel geworden sei.

Die Beschwerdeführerin habe zudem die Matura im zweiten Bildungsweg absolviert und sei sexueller Diskriminierung von Seiten des Lehrkörpers ausgesetzt gewesen. Daher habe sie dem Unterricht nicht folgen können und habe einen externen Kurs besuchen müssen. Eine Therapie würde ihr auch hierbei helfen.

Eine Therapie sei ihr bereits im Jahr 2017 bewilligt worden, da sich die psychischen Auswirkungen bereits abgezeichnet hätten. Sie habe jedoch keine Unterstützung gehabt und habe keine Therapie beginnen können.

Die Zusammenfassung der belangten Behörde im Schreiben mit der GZ: XXXX sei zudem inkorrekt und verharmlosend gewesen und stelle nicht den tatsächlichen Tathergang dar.
4. Am 19.11.2021 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren und besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft.

Die Beschwerdeführerin war am 22.01.2014 mit einer Freundin unterwegs, als zwei Männer ihnen hinterhergepfiffen und sich ihnen angenähert haben. Als der Abstand unter zwei Meter betragen hat und die Männer zudringlicher wurden, blieb die Beschwerdeführerin stehen und gab den beiden zu verstehen, dass sie sie in Ruhe lassen sollten. Daraufhin rastete einer der Täter aus und schrie die Beschwerdeführerin an, es kam zu mehreren Stößen gegen den Oberkörper der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin wich zurück und schleuderte ihre Tasche gegen den Täter, um ihn auf Distanz zu halten. Sie wurde dann von beiden Tätern tätlich angegriffen, zu Boden gestoßen und getreten. Erst durch das Eingreifen eines unbeteiligten Zeugen ließen die Täter von der Beschwerdeführerin ab.

Die Beschwerdeführerin erlitt hierdurch Prellungen des rechten Ellenbogens, des Bauches, des Darmbeines links und Prellungen mit Abschürfungen am linken Knie, Hämatom-Verfärbung mit Abschürfung am linken Ellenbogen, Hämatom am rechten Oberarm, Abschürfungen mit Hämatom-Verfärbung am linken Knie, Hämatom am rechten Oberschenkel.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 15.01.2015, XXXX , wurde einer der Täter u.a. betreffend beschwerdegegenständlichem Vorfall wegen dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Zusatzstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.02.2017 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 06.07.2016 auf Übernahme der entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung ab Behandlungstermin zur Aufarbeitung der durch den beschwerdegegenständlichen Vorfall erlittenen psychischen Schädigung bewilligt.

Die Beschwerdeführerin hat sich nicht in psychiatrische Therapie begeben.

Als psychiatrische Diagnose lässt sich bei der Beschwerdeführerin eine Somatisierungsstörung feststellen.

Eine somatoforme Störung ist ein psychiatrischer Sammelbegriff, bei diesen versucht die betroffene Person emotionale Stresssituationen durch eine Fokussierung auf somatische Symptome zu bewältigen und reagiert bei psychischen Belastungen mit körperlichen Beschwerden.

Ein kausaler Zusammenhang der erhobenen Somatisierungsstörung zum beschwerdegegenständlichen Vergehen im Jahr 2014 kann nicht mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Die bestehende Somatisierungsstörung wird in der unbefriedigenden Arbeitssituation vermutet.

Der Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes ist am 09.04.2021 bei der belangten Behörde eingelangt.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur österreichischen Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin sowie zu ihrem Geburtsdatum gründen sich auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Verurteilung des Täters sowie zum Tathergang gründen sich auf dem Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 15.01.2015 zur Zahl XXXX . Der festgestellte Tathergang wurde den Feststellungen des genannten Urteiles entnommen.

Die Feststellungen zur Gesundheitseinschränkung und zur Kausalität gründen sich auf dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 21.06.2021.

Diese konnte nach persönlicher Untersuchung und ausführlicher Anamneseerhebung schlüssig und nachvollziehbar darlegen, dass bei der Beschwerdeführerin eine Somatisierungsstörung vorliegt. Dabei handelt es sich um ein Zustandsbild, welches mit verschiedenen körperlichen, organisch nicht begründbaren oder nicht vollständig begründbaren Leiden einhergehen. Bei der Beschwerdeführerin liegen Symptome vor, welche mit den medizinischen Befunden nicht in Einklang zu bringen sind. Dies wird von der Beschwerdeführerin im vorgelegten Gedankenprotokoll bestätigt, wo sie vorbringt, dass die körperlichen Untersuchungen ihrer Leiden (Verdauungsprobleme, Knieprobleme, Hautausschläge, Schlafstörungen, Hörsturz, Migräne, Tinnitus) zu keinen Befunden geführt habe, sie „gesund“ sei. In der Anamneseerhebung der persönlichen Untersuchung brachte sie dies ebenfalls vor. Diese Beschwerden stehen daher nach Ausführungen der medizinischen Sachverständigen in Verbindung mit psychosozialen Problemen bzw. Konflikten.

Vorauszuschicken ist, dass der festgestellte Tathergang den Feststellungen des Urteils entnommen wurde, die Einwendungen der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 15.09.2021 gegen den von der Behörde angenommenen Sachverhalt können daher nicht berücksichtigt werden. Eine Verharmlosung des Tatgeschehens liegt nicht vor, sondern war dieser Tathergang der Entscheidung zu Grunde zu legen. Die Beschwerdeführerin führte diesbezüglich explizit an, dass die Ausführungen „Der Täter … rastet daraufhin aus,…“ und „Sie wichen zurück und schleuderten ihre Handtasche gegen den Angreife“ unrichtig seien, diese Ausführungen sind jedoch explizit den Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils zu entnehmen und kann daher kein anderer Tathergang festgestellt werden.

Die psychologische Sachverständige führte zudem schlüssig und nachvollziehbar aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Somatisierungsstörung und dem beschwerdegegenständlichen Vergehen aus dem Jahr 2014 nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit besteht. Nach Ansicht der Sachverständigen liegen diese mit Wahrscheinlichkeit in der unbefriedigenden Arbeitssituation.

Dabei ist darauf zu verweisen, dass aus der dem Gutachten zugrundeliegenden Anamneseerhebung hervorgeht, dass sie ihre Arbeitsstelle im Schallplattengeschäft aufgrund von Konflikten mit ihrem Vorgesetzten aufgegeben hat, da sie sich dort nicht als mit Männern gleichberechtigt gefühlt habe, wodurch sie sich ausgenützt und nicht ernst genommen gefühlt habe. Sie brachte zudem in ihrem vorgelegten Gedankenprotokoll vor, dass es im Rahmen der Ausbildung zum Nachholen der Matura zu sexistischen Beleidigungen von Seiten eines Mathematiklehrers gekommen sei und sie daher einen externen Kurs absolviert habe. Darüber hinaus brachte sie in der Beschwerde vor, dass sie einen Teil ihres Freundeskreises verloren habe, da ihr an ihren Freunden sexistische Charakterzüge aufgefallen seien. Diesbezüglich ist auszuführen, dass sowohl die einvernehmliche Auflösung ihres Dienstverhältnisses, ihre Schwierigkeiten in der Ausbildung als auch der Verlust von Freunden nach den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin auf sexistisches Verhalten von diversen Männern in ihrer Umgebung zurückzuführen ist. Ein kausaler Zusammenhang mit dem beschwerdegegenständlichen Vergehen im Jahr 2014 ist nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit feststellbar. Die Beschwerdeführerin und ihre Freundin wurden zwar von zwei Männern überfallen und körperlich attackiert, nachdem diese ihnen nachgepfiffen haben, doch steht dies in keinem Zusammenhang zu den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Alltagssexismen und den daraus entstandenen Konsequenzen.

Die Beschwerdeführerin führte aus, dass sie seit dem beschwerdegegenständlichen Vorfall im Jahr 2014 Angst vor Männern habe und aus ihren Ausführungen geht zudem hervor, dass sich diese Angst insbesondere auf ihre Ausbildung und ihr Berufsleben auswirke. Dazu ist anzuführen, dass diese Angst, wie von der medizinischen Sachverständigen ausgeführt, auf die unbefriedigende Arbeitssituation zurückzuführen ist, insbesondere da sie vorbringt, Angst davor zu haben, wieder mit Männern zusammenzuarbeiten. Da sie in den vergangenen Jahren vermehrt im beruflichen und im Ausbildungsumfeld Sexismus begegnet ist, ist es nachvollziehbar, dass diese Ängste auf die negativen Erfahrungen an ihrem Arbeitsplatz und in ihrer Ausbildung zurückzuführen sind. Die Beschwerdeführerin bringt zwar vor, dass sie diesen Sexismus ihr gegenüber erst nach dem Vorfall im Jahr 2014 vermehrt bemerkt habe, doch wäre sie auch ohne den Vorfall im selben Ausmaß den von ihr vorgebrachten Sexismus ausgesetzt gewesen.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, sie nehme Belästigungen von Frauen an öffentlichen Plätzen und in öffentlichen Verkehrsmitteln vermehrt wahr und schreite auch helfend ein, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern, zumal dies Zivilcourage darstellt.

Entgegen der Ausführungen der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 15.09.2021 und in der Beschwerde ist dem Strafurteil nicht zu entnehmen, dass der tätliche Übergriff aufgrund ihrer sexuellen Orientierung stattgefunden hat und es ist daher nicht erheblich, dass die medizinische Sachverständige auf diese nicht eingegangen ist. Aus dem der Stellungnahme vom 15.09.2021 angefügten Gedächtnisprotokoll ist zudem zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin gegenüber der Sachverständigen im Zuge der persönlichen Untersuchung ihre Homosexualität verschwiegen hatte und sie führte aus, sie habe die englische Bezeichnung „partner“ verwenden, da diese geschlechtsneutral sei. Dies ist jedoch in der deutschen Sprache auch als männlicher Partner zu verstehen und es wurde das Missverständnis von der Beschwerdeführerin absichtlich nicht klargestellt. Eine Unschlüssigkeit des Gutachtens lässt sich daraus nicht ableiten. Die sexuelle Orientierung der Beschwerdeführerin ist zudem zur Beurteilung der Kausalität zwischen der vorliegenden Somatisierungsstörung und dem beschwerdegegenständlichen Vergehen der Körperverletzung nicht entscheidungsrelevant, da ein Vergehen aufgrund der sexuellen Orientierung der Beschwerdeführerin dem Urteil des Strafgerichtes nicht zu entnehmen ist und auch die vorgebrachten Sexismusfälle nicht auf ihre sexuelle Orientierung ausgerichtet sind.

Das Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Wollte die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall noch ein weiteres Gutachten einbezogen wissen, wäre es an ihr gelegen, selbst ein solches zu beschaffen und dieses dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen (vgl. VwGH 25.10.2018, Ra 2017/07/0136, mwN).

Der Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes (VOG) weist am Eingangsvermerk den 09.04.2021 auf.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des VOG durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)
1.         Zur Entscheidung in der Sache:

Gemäß § 1 Abs. 1 VOG haben Anspruch auf Hilfe österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

Gemäß § 1 Abs. 2 VOG ist Hilfe auch dann zu leisten, wenn

1. die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2. die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3. der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

Als Hilfeleistungen sind gemäß § 2 VOG vorgesehen:

1.       Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

2.       Heilfürsorge

a)       ärztliche Hilfe,

b)       Heilmittel,

c)       Heilbehelfe,

d)       Anstaltspflege,

e)       Zahnbehandlung,

f)       Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit (§ 155 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 189/1955);

2a.      Kostenübernahme bei Krisenintervention durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie Psychotherapeuten

3.       orthopädische Versorgung

a)       Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, deren Wiederherstellung und Erneuerung,

b)       Kostenersatz für Änderungen an Gebrauchsgegenständen sowie für die Installation behinderungsgerechter Sanitärausstattung,

c)       Zuschüsse zu den Kosten für die behinderungsgerechte Ausstattung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

d)       Beihilfen zur Anschaffung von mehrspurigen Kraftfahrzeugen,

e)       notwendige Reise- und Transportkosten;

4.       medizinische Rehabilitation

a)       Unterbringung in Krankenanstalten, die vorwiegend der Rehabilitation dienen,

b)       ärztliche Hilfe, Heilmittel und Heilbehelfe, wenn diese Leistungen unmittelbar im Anschluß oder im Zusammenhang mit der unter lit. a angeführten Maßnahme erforderlich sind,

c)       notwendige Reise- und Transportkosten;

5.       berufliche Rehabilitation

a)       berufliche Ausbildung zur Wiedergewinnung oder Erhöhung der Erwerbsfähigkeit,

b)       Ausbildung für einen neuen Beruf,

c)       Zuschüsse oder Darlehen (§ 198 Abs. 3 ASVG 1955);

6.       soziale Rehabilitation

a)       Zuschuß zu den Kosten für die Erlangung der Lenkerberechtigung, wenn auf Grund der Behinderung die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar ist,

b)       Übergangsgeld (§ 306 ASVG 1955);

7.       Pflegezulagen, Blindenzulagen;

8.       Ersatz der Bestattungskosten;

9.       einkommensabhängige Zusatzleistung;

10.      Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Erbringt der Träger der Krankenversicherung auf Grund der Satzung dem Opfer oder dem Hinterbliebenen einen Kostenzuschuß für psychotherapeutische Krankenbehandlung infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1, so sind gemäß § 4 Abs. 5 VOG die Kosten für die vom Träger der Krankenversicherung bewilligte Anzahl der Sitzungen, die das Opfer oder der Hinterbliebene selbst zu tragen hat, bis zur Höhe des dreifachen Betrages des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Sobald feststeht, dass der Träger der Krankenversicherung einen Kostenzuschuss erbringt, kann vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auch eine Direktabrechnung der Kosten mit dem Psychotherapeuten unter Bevorschussung des Kostenzuschusses des Trägers der Krankenversicherung vorgenommen werden, in diesem Fall ist der geleistete Kostenzuschuss vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zu vereinnahmen. Eine Kostenübernahme bis zum angeführten Höchstausmaß erfolgt auch, sofern der Träger der Krankenversicherung Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstattet.

Gemäß § 4a VOG sind die Kosten einer Krisenintervention (klinisch-psychologische und gesundheitspsychologische Behandlung durch klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen und Behandlung durch Psychotherapeuten) in Notfällen, die Opfer oder Hinterbliebene infolge einer Handlung nach § 1 Abs. 1 zu tragen haben, pro Sitzung bis zur Höhe des vierfachen Betrages des Kostenzuschusses nach § 4 Abs. 5 des zuständigen Trägers der Krankenversicherung zu übernehmen. Eine Kostenübernahme gebührt für höchstens zehn Sitzungen.

Gemäß § 10 Abs. 1 dürfen Leistungen nach § 2 nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen drei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

Köperverletzung

Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist gemäß § 83 Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

Im gegenständlichen Fall begehrte die Beschwerdeführerin Hilfeleistungen nach dem VOG in Form der Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung, über welchen mit dem gegenständlichen Bescheid abgesprochen wurde. Das Vorliegen einer rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung iSd § 1 Abs. 1 Z 1 VOG ist nicht mehr strittig. Es galt daher zu klären, ob die vorliegende Gesundheitsschädigung der Beschwerdeführerin mit Wahrscheinlichkeit iSd VOG kausal auf die Körperverletzung zurückzuführen ist und in weiterer Folge das Erfordernis einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung bewirkt hat.

Für die Auslegung des Begriffes „wahrscheinlich“ ist der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VwGH 01.12.1988, 88/09/0135).

Diesen Grad der geforderten Wahrscheinlichkeit konnten die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht begründen.

Wie in den beweiswürdigenden Ausführungen festgehalten, ist nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Gesundheitsschädigung der Beschwerdeführerin kausal auf die erlittene Körperverletzung zurückzuführen ist. Dem Sachverständigengutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 21.06.2021 und an dessen Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit keine Zweifel bestehen, ist zur Folge zu entnehmen, dass kein Zusammenhang zwischen dem beschwerdegegenständlichen Vergehen der Körperverletzung und der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Somatisierungsstörung besteht.

Daher sind im Fall der Beschwerdeführerin schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 VOG nicht gegeben, an welche die von der Beschwerdeführerin beantragte Hilfeleistung knüpft.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall wird das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt erschien, weil der Sachverhalt durch die belangte Behörde nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt wurde und den Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere jenen im Bescheid, in der Beschwerde nicht substantiiert entgegen getreten wurde. Der Sachverhalt – wie er im angefochtenen Bescheid festgestellt wurde – war weder in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht. Zudem liegt eine Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität vor (vgl. zum Erfordernis einer schlüssigen Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid und zur Verhandlungspflicht bei Neuerungen VwGH 11.11.1998, 98/01/0308, und 21.01.1999, 98/20/0339; zur Bekämpfung der Beweiswürdigung in der Berufung VwGH 25.03.1999, 98/20/0577, und 22.04.1999, 98/20/0389; zum Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung VwGH 18.02.1999, 98/20/0423; zu Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens VwGH 25.03.1999, 98/20/0475; siehe auch VfSlg. 17.597/2005; VfSlg. 17.855/2006; zuletzt etwa VfGH 18.6.2012, B 155/12, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt unbestritten und die Rechtsfrage von keiner besonderen Komplexität ist). Das Bundesverwaltungsgericht hat vorliegend daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen (vgl. EGMR 20.6.2013, Appl. Nr. 24510/06, Abdulgadirov/AZE, Rz. 34 ff). Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art 6. Abs. 1 EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte entgegen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Kausalität Körperverletzung Psychotherapeut Sachverständigengutachten Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2248455.1.00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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