TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/7 Ra 2021/22/0130

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Veröffentlicht am 07.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §21 Abs1
NAG 2005 §21 Abs3
NAG 2005 §21 Abs3 Z2
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger sowie die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des T B, vertreten durch MMag. Jochen Rauch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 2/13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 10. Mai 2021, VGW-151/085/14866/2020, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 22. September 2020 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen der Russischen Föderation, vom 23. Jänner 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nach § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 sowie § 21 Abs. 1 NAG abgewiesen.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Antragsabweisung nur erfolge, weil der Revisionswerber seiner Verpflichtung, die Entscheidung im Ausland abzuwarten, nicht nachgekommen sei. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

3        Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für den vorliegenden Fall von Bedeutung - fest, dass der Revisionswerber am 12. November 2019 die am 10. Februar 1994 geborene M, ebenfalls eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, geheiratet habe. Es handle sich für beide Ehegatten um die erste Ehe. Das Ehepaar habe eine gemeinsame, am 27. Mai 2020 in Wien geborene Tochter. Die Ehegattin verfüge über einen Konventionspass. Sie sei im Jahr 2005 mit ihren Eltern und zwei Brüdern nach Österreich gekommen. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 28. Jänner 2009 sei dem Schwiegervater des Revisionswerbers Asyl gewährt und dieses auf dessen Familienmitglieder erstreckt worden.

4        Der Revisionswerber habe zunächst über ein Schengen - Visum C (mehrfache Einreise, 90 Tage) mit Gültigkeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Mai 2019 sowie über ein Visum D (mehrfache Einreise, 355 Tage) für Polen mit Gültigkeit vom 26. Juli 2019 bis 14. Juli 2020 verfügt. Die aufgrund der beiden Visa zulässigen Aufenthaltszeiten von 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen im Schengenraum bzw. in Österreich habe er jeweils überschritten. Auch zum Zeitpunkt der Antragstellung habe er sich unrechtmäßig in Österreich aufgehalten.

5        Die Tochter des Revisionswerbers sei nach einer peripartalen Asphyxie vom 15. Juni bis 3. Juli 2020 stationär behandelt worden. Da auch eine Sinusvenenthrombose diagnostiziert worden sei, hätten dem Säugling über einen Zeitraum von drei Monaten zahlreiche Injektionen zur Auflösung der Thromben verabreicht werden müssen. Nach einer Kontrolluntersuchung am 3. September 2020 sei den Eltern von den behandelnden Ärzten mitgeteilt worden, dass die Thromben gelöst seien, jedoch ihre Tochter bis zum Alter von acht Jahren alle drei Monate einer Entwicklungskontrolle unterzogen werden müsse.

6        In rechtlicher Hinsicht ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Landeshauptmann von Wien die Abweisung des gegenständlichen Antrags zu Recht auf die Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG gestützt habe. Hingegen erweise sich der von der Behörde herangezogene Abweisungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG aus näher dargelegten Überlegungen als unzutreffend.

7        Der Zusatzantrag des Revisionswerbers nach § 21 Abs. 3 NAG vom 6. Mai 2020 sei bis zum 3. September 2020 zu bewilligen gewesen. Für den Zeitraum danach hätten sich jedoch keine besonderen Gründe ergeben, aus denen es dem Revisionswerber nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abzuwarten. Der vom Revisionswerber „darüber hinaus gestellte“ Zusatzantrag, in dem sich dieser auf durch die Covid-19 Pandemie bedingte Reisebeschränkungen berufen habe, sei nicht zu bewilligen gewesen; diese Beschränkungen begründeten nicht die Unmöglichkeit seiner Rückreise. Seit 4. September 2020 halte sich der Revisionswerber im Bundesgebiet unrechtmäßig auf. Es liege daher der Versagungsgrund des § 21 Abs. 1 NAG vor.

8        Gründe, weshalb eine mit der Einhaltung der Verpflichtung des § 21 Abs. 1 NAG einhergehende vorübergehende Trennung des Revisionswerbers von seiner Ehegattin und seiner Tochter unmöglich oder unzumutbar wäre, seien nicht hervorgekommen. Daran ändere auch die Tatsache, dass die Ehegattin des Revisionswerbers im Bundesgebiet asylberechtigt sei, nichts, weil das Asylrecht lediglich von deren Vater auf sie erstreckt worden und sie selbst in ihrem Herkunftsland keiner Verfolgung ausgesetzt sei; darüber hinaus befinde sich ihr Onkel, dessen Nähe zu tschetschenischen Kämpfern als Asylgrund genannt worden sei, noch für fünf bis sieben Jahre in Haft und bestehe daher nach der eigenen in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebrachten Einschätzung der Ehegattin des Revisionswerbers während dieser Zeit keine von den russischen Behörden ausgehende Gefahr. Gegenwärtig bestehe daher selbst bei einem Aufenthalt der Zusammenführenden mit ihrer Tochter in Dagestan keine Gefahr, dass diese von russischen Behörden verhört würden; dies gelte umso mehr für den Revisionswerber.

9        Auch wenn die Ehegattin und Tochter des Revisionswerbers in Österreich asylberechtigt seien, dieser insofern im Bundesgebiet über enge familiäre Bindungen verfüge und der Bindung eines Vaters zu seinem Kind große Bedeutung zukomme, habe sich der Revisionswerber zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe und der Zeugung seiner Tochter seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen. Er habe folglich nicht damit rechnen dürfen, dauerhaft bei seiner Ehegattin und seinem Kind in Österreich bleiben zu dürfen. Dementsprechend seien die bislang in Österreich erlangten familiären und sozialen Bindungen des Revisionswerbers zwar zu berücksichtigen, aber im Ergebnis in ihrem Gewicht als geschmälert zu betrachten.

10       Durch den unrechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers nach dem Erhalt der ärztlichen Bestätigung über die Gesundung seiner Tochter - bis zu diesem Zeitpunkt sei der Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG zu bewilligen gewesen - seien weiters öffentliche Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG betroffen. Da der Revisionswerber bereits zweimal über ein Visum verfügt habe, sei zudem davon auszugehen, dass durch die neuerliche Erteilung eines Visums die vorübergehende, mit der Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens nach dem NAG beschränkte Trennung des Revisionswerbers von seiner Ehegattin, mit der dieser auch über moderne Kommunikationsmittel Kontakt halten könne, sowie von seiner Tochter zumutbar sei (Hinweis: VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235).

11       Demgegenüber stehe die „Personensorge“ für die einjährige Tochter des Revisionswerbers, bei der dieser seine Ehegattin unterstütze. Es bestünden aber durchaus für Kleinkinder geeignete staatliche oder staatlich finanzierte Förderungs- und Betreuungsmöglichkeiten. Dafür, dass die Kinderbetreuung nicht weiterhin durch die Zusammenführende erfolgen könne, lägen keine Anhaltspunkte vor. Im Übrigen müssten auch berufstätige Alleinerzieher(innen) die Kinderbetreuung ohne die Unterstützung eines Partners übernehmen. Darüber hinaus lebten die Schwiegereltern des Revisionswerbers in Österreich und werde dessen Tochter schon jetzt fallweise von der mütterlichen Großmutter betreut und sei davon auszugehen, dass die Ehegattin des Revisionswerbers bei der Kinderbetreuung weiterhin auf die Unterstützung ihrer Mutter zurückgreifen könne. Ferner könne bei neuerlicher Erteilung eines Visums eine Unterstützung durch den Revisionswerber bei der Pflege und Erziehung seiner Tochter auch während der aufgrund eines Visums zulässigen Aufenthaltszeiten erfolgen und sei diese Unterstützung daher durch die Nichterteilung des gegenständlichen Aufenthaltstitels nicht gänzlich ausgeschlossen. Zudem hätte der Revisionswerber auch bei der Ausübung einer Berufstätigkeit nur begrenzt Zeit für die Kinderbetreuung und würde diese diesfalls weiterhin großteils durch die Zusammenführende bzw. durch deren Mutter bzw. bei deren Berufstätigkeit gegebenenfalls in Kinderbetreuungseinrichtungen erfolgen. Eine vergleichbare (für die Dauer einer erneuten „Antragstellung“) zeitlich befristete Trennung wäre beispielsweise auch bei Vätern gegeben, die beruflich häufig reisen müssten. Eine zeitlich begrenzte Trennung des Revisionswerbers von seiner Tochter sei nicht von Vornherein als eine Kindeswohlgefährdung zu betrachten, sondern hingen deren Auswirkungen im Wesentlichen davon ab, wie die Eltern mit der Trennung umgingen und wie sie diese dem Kind vermittelten.

12       Überdies sei davon auszugehen, dass das Erlangen eines Aufenthaltstitels bei Stellen eines neuen Antrags unter Beibringung sämtlicher Unterlagen eine Zeitspanne von etwa ein bis zwei Jahren nicht überschreiten werde. Dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht des Kindes auf regelmäßige Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen werde auch insofern Rechnung getragen, als die Dauer der Trennung bei neuerlicher Erteilung eines Visums für den Revisionswerber verkürzt werden könne.

13       Dessen Angabe in der mündlichen Verhandlung, wonach er nach Erhalt der ärztlichen Bestätigung über die Gesundung seiner Tochter nicht ausgereist sei, weil er den Ausgang des Aufenthaltstitelverfahrens habe abwarten wollen, weise auch auf eine Umgehung der Einwanderungsvorschriften sowie auf den Versuch hin, vollendete Tatsachen zu schaffen.

14       Zudem habe er die maßgeblichen Zeiten seiner Sozialisierung in seinem Herkunftsstaat verbracht. Er spreche dessen Sprache, habe dort die Schule besucht und sei dort einer Arbeit nachgegangen. Eine subjektive Entfremdung des seit 2019 in Österreich aufhältigen Revisionswerbers von seinem Herkunftsland liege nicht vor. Seine Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet seien zu kurz, um per se zu einem Überwiegen der persönlichen und familiären Interessen zu führen. Er verfüge über Deutschkenntnisse auf A1-Niveau, die nicht ausreichten, um eine längere Alltagskommunikation auf Deutsch zu ermöglichen. Zudem würde eine tiefergehende sprachliche Integration nichts am Ergebnis der vorliegenden Interessenabwägung ändern.

15       Der Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels stehe somit entgegen, dass der Revisionswerber die Entscheidung über seinen Antrag entgegen § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG nicht im Ausland abgewartet habe.

16       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen - unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - gegen das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht durchgeführten Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK wendet.

17       Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18       Im Hinblick auf das dargestellte Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt.

19       Auf Basis der Feststellungen des Verwaltungsgerichts hielt sich der Revisionswerber schon zum Zeitpunkt der Antragstellung rechtswidrig im Bundesgebiet auf. Es war daher gegenständlich zu prüfen, ob aufgrund des Zusatzantrags des Revisionswerbers gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG dessen Antragstellung und daran anschließender Verbleib im Inland abweichend von § 21 Abs. 1 NAG zuzulassen war.

20       Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus § 21 Abs. 3 Z 2 NAG, dass die Inlandsantragstellung auf begründeten Antrag dann zugelassen werden kann, wenn - ausnahmsweise, nämlich für den Fall der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Ausreise des Fremden - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Bei der vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 EMRK ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung eines Aufenthaltstitels mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 11 Abs. 3 NAG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. zu alldem etwa VwGH 21.1.2016, Ra 2015/22/0119, mwN).

21       Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar - auch im Zusammenhang mit der nach § 21 Abs. 3 Z 2 NAG vorzunehmenden Abwägung - festgehalten, dass die einzelfallbezogene Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG darstellt (VwGH 17.3.2016, Ra 2016/22/0014, Rn. 5, mwN). Der Revision ist allerdings darin beizupflichten, dass die im angefochtenen Erkenntnis durchgeführte Interessenabwägung im Widerspruch zu den Leitlinien der hg. Rechtsprechung steht.

22       Die Ehegattin und die Tochter des Revisionswerbers sind nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Österreich asylberechtigt. Eine Aberkennung dieses Status ist nicht erfolgt. Davon ausgehend erweisen sich die Überlegungen des Verwaltungsgerichts zur allfälligen Rückkehrmöglichkeit der Ehegattin und der Tochter des Revisionswerbers in ihren Herkunftsstaat von Vornherein als rechtlich unzutreffend; es steht im vorliegenden Fall im Hinblick auf den der Ehegattin und dem Kind des Revisionswerbers zukommenden Status als Asylberechtigte bereits fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat nicht möglich, jedenfalls aber nicht zumutbar ist (VwGH 13.11.2012, 2011/22/0081). Die in diesem Zusammenhang angestellten verwaltungsgerichtlichen Erwägungen entbehren einer rechtlichen Grundlage und stehen im Widerspruch zu dem den Familienmitgliedern des Revisionswerbers zukommenden Schutzstatus.

23       Kommt eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat (und auch sonst außerhalb Österreichs) nicht in Betracht, ist der mit der staatlichen Entscheidung, die eine Trennung der Familie bewirkt, verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss aber dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme (hier: an der Nichterteilung des Titels) ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung oder den „Familiennachzug“ (vgl. etwa VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0188, Rn. 24, mwN).

24       Eine Trennung des Revisionswerbers von dessen Ehegattin und der einjährigen Tochter erforderte aber eine besonders sorgfältige Prüfung der Auswirkungen dieser Trennung auf die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner minderjährigen Tochter sowie auf deren Wohlergehen. Demnach war im vorliegenden Fall auf die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Tochter und auch auf konkret absehbare zukünftige Entwicklungen Bedacht zu nehmen (vgl. dazu auch VwGH 20.9.2017, Ra 2017/19/0163, Rn. 12, mwN). Diese Grundsätze hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht hinreichend beachtet.

25       Eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Wohl des minderjährigen Kindes, dessen weitere (gesundheitliche) Entwicklung einer regelmäßigen Kontrolle bedarf, bei dessen Trennung von einem Elternteil ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu diversen staatlichen bzw. staatlich geförderten Kinderbetreuungseinrichtungen in Österreich, sonstigen Betreuungsmöglichkeiten sowie zur Situation anderer berufstätiger Eltern werden den Anforderungen an eine nachvollziehbare und wohl begründete Beurteilung des Kindeswohls fallbezogen nicht gerecht. Im Übrigen wäre in Ansehung des bestmöglich zu wahrenden Wohls des Kindes der Fokus der verwaltungsgerichtlichen Überlegungen nicht auf die mit externen Betreuungsmöglichkeiten einhergehende Unterstützung bzw. Entlastung des betreuenden Elternteils zu legen gewesen. Diesbezüglich wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem - wie im gegenständlichen Fall rund einjährigen - Kleinkind kaum (bzw. nicht) möglich ist. Auch kommt dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu (vgl. etwa VwGH 31.3.2021, Ra 2020/22/0030, Rn. 12).

26       Somit trifft es zwar zu, dass die vom Verwaltungsgericht festgestellte Absicht des Revisionswerbers, zwingende Bestimmungen des Einwanderungsrechts zu umgehen, zu dessen Lasten zu veranschlagen und diesem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung jedenfalls großes Gewicht zuzumessen ist. Dennoch hatte das Verwaltungsgericht eine auf alle wesentlichen Aspekte des gegenständlichen Falls Bedacht nehmende Interessenabwägung durchzuführen. Vorliegend erweist sich diese Abwägung, da sie aus den genannten Gründen (grundlegende Verkennung des der Ehegattin und der Tochter des Revisionswerbers zukommenden Schutzstatus als Asylberechtigte; unzureichende Prüfung des Kindeswohls) auf teils unzutreffenden Prämissen und auf in wesentlichen Punkten nicht hinreichend begründeten Erwägungen beruht, als nicht schlüssig. Insbesondere unter diesen Gesichtspunkten unterscheidet sich der Revisionsfall auch von dem dem hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2017, Ra 2016/21/0235, zugrundeliegenden Ausgangsverfahren, auf das das Verwaltungsgericht zur Stützung seiner Entscheidung verwiesen hat.

27       Die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Abwägung im Sinn von Art. 8 EMRK weicht somit von den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entwickelten Grundsätzen ab, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

28       Die Kostentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. Dezember 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021220130.L00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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