TE Vwgh Beschluss 2021/12/20 Ra 2021/20/0262

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, in der Rechtssache der Revision des A A K in W, vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Mai 2021, I408 2172808-1/20E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, stellte am 14. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 12. September 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 29. Mai 2021 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zunächst bringt der Revisionswerber zur Zulässigkeit der Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe sich bei seiner Beurteilung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf veraltete Länderberichte gestützt, die eine eingetretene Verschlechterung der Sicherheitslage in Bagdad nicht beinhalteten, und das Dokument des UNHCR über rechtliche Zugangs- und Wohnsitzbeschränkungen vom Jänner 2021 nicht berücksichtigt.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung in Bezug auf Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 23.9.2021, Ra 2021/14/0277, mwN).

9        Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. erneut VwGH 23.9.2021, Ra 2021/14/0277, mwN).

10       Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungs- und Begründungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN). Diese geforderte Relevanzdarlegung gelingt dem Revisionswerber mit dem bloßen Verweis auf quartalsweise gestiegene sicherheitsrelevante Vorfälle und der nicht näher begründeten Behauptung, er könne als Sunnit die rechtlichen Voraussetzungen zur Wohnsitznahme in Bagdad nicht erfüllen, nicht.

11       Wenn der Revisionswerber eine fehlende Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen zu einer Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad geltend macht, begnügt er sich mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht hätte zwei weitere (näher genannte) Quellen berücksichtigen müssen, ohne darzulegen, welche Feststellungen auf deren Grundlage konkret zu treffen gewesen wären. Der Revision mangelt es daher auch in diesem Punkt an der erforderlichen Relevanzdarlegung. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen hervorzuheben, dass nach der EASO Country Guidance von Jänner 2021 allein der Umstand, dass eine Person arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und sunnitischen Glaubens ist, für sich genommen nicht zur Verfolgung führt.

12       Dem Vorbringen, die getroffenen Feststellungen seien aufgrund unterbliebener Quellen- und Datumsangaben nicht nachvollziehbar und somit vom Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbar, ist entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung offenlegte, auf welche Quellen es seine Feststellungen stützte.

13       Soweit sich der Revisionswerber mit seinem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe die Annahme der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Revisionswerbers zu seiner sexuellen Orientierung nicht mangelfrei begründet, gegen die Beweiswürdigung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. erneut VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN). Eine derartige nach dem Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes aufzugreifende Unvertretbarkeit wird in der Revision - auch mit dem Vorbringen, dem Revisionswerber hätten noch weitere Fragen gestellt werden müssen - nicht aufgezeigt.

14       Dem weiteren Revisionsvorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob eine homosexuelle Orientierung des Revisionswerbers im Fall einer Rückkehr eine asylrelevante Verfolgung nach sich zöge, ist somit der Boden entzogen (vgl. etwa VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0142, mwN).

15       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200262.L00

Im RIS seit

19.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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