TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/26 G315 2217377-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.08.2021
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Entscheidungsdatum

26.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G315 1418294-3/51E
G315 2217377-1/39E
G315 1418296-3/28E
G315 1418297-3/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M., als Einzelrichterin über die Beschwerde 1.) des XXXX , geboren am XXXX , 2.) der XXXX , geboren am XXXX , 3.) des XXXX , geboren am XXXX und 4.) der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Türkei, die minderjährige Beschwerdeführerin vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU GmbH), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.02.2019 (1.), vom 25.02.2019 (2.) vom 26.02.2019 (3.) und vom 27.02.2019 (4.), Zahlen: zu 1.) XXXX , zu 2.) XXXX , zu 3.) XXXX und zu 4.) XXXX , betreffend die Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 13.07.2020, zu Recht:

A)

I.       Die Beschwerden gegen die jeweiligen Spruchpunkte I., II. sowie III. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II.      Den Beschwerden wird hinsichtlich der jeweiligen Spruchpunkte IV. bis VI. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und werden diese behoben. Es wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl I 2005/100 idgF, wird XXXX , geboren am XXXX , XXXX , geboren am XXXX , XXXX , geboren am XXXX , und mj. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Türkei, jeweils eine "Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Aus dieser Ehe stammen der Drittbeschwerdeführer und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch „BF1“ bis „BF4“ genannt).

2. Die Beschwerdeführer reisten erstmals im Jänner 2011 illegal in das Bundesgebiet ein, wo sie am 25.01.2011 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellten. Zum damaligen Zeitpunkt waren der BF1 und die BF2 geschieden, lebten aber dennoch in einer Lebensgemeinschaft.

Am 25.01.2011 wurden sowohl der BF1 als auch die BF2 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Am 24.02.2011 fand vor dem damals zuständigen Bundesasylamt (im Folgenden: BAA), Außenstelle XXXX , jeweils die niederschriftliche Einvernahme sowohl des BF1 als auch der BF2 statt.

Mit Bescheiden des BAA vom 25.02.2011 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 25.01.2011 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und die Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht eine Beschwerde an den damals zuständigen Asylgerichtshof, warteten dessen Entscheidung trotz einer bereits für 05.07.2012 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht ab und reisten am 25.06.2012 freiwillig unter Inanspruchnahme der Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in die Türkei aus. Die Verfahren wurden anschließend als gegenstandslos gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 abgelegt.

3. Die Beschwerdeführer reisten im Jänner 2014 von der Türkei schlepperunterstützt bis nach Ungarn und stellten dort am 24.01.2014 Anträge auf internationalen Schutz. Sie reisten jedoch, ohne den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, wieder zurück in die Türkei. Das Verfahren in Ungarn wurde am 15.04.2014 eingestellt.

4. Ende Juli 2014 reisten die Beschwerdeführer neuerlich schlepperunterstützt aus der Türkei aus, und illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 01.08.2014 jeweils die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten.

5. Die Erstbefragungen vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand sowohl hinsichtlich des BF1 als auch der BF2 jeweils am 01.08.2014 statt.

6. In der Folge wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Ost, ein Dublin-Verfahren mit Ungarn eingeleitet, welches die Rückübernahme der Beschwerdeführer zusagte.

7. Im Rahmen dieses Dublin-Verfahrens wurde die BF2 vor dem Bundesamt am 26.08.2014 einvernommen.

Im Zuge dieser Einvernahme gab die BF2 vor dem Bundesamt an, sie sei seit ihrem 17. oder 18. Lebensjahr krank und halte sich in Österreich oft bei ihren hier lebenden Eltern und Geschwistern auf, wenn es ihr schlecht gehe. Dazu wurden auch Befunde der BF2, die bereits im ersten Asylverfahren im Jahr 2011 vorgelegt wurden, neuerlich beigebracht.

8. In der Folge wurde vom Bundesamt eine gutachterliche Stellungnahme vom 16.09.2014 über den Gesundheitszustand der BF2 im Zulassungsverfahren eingeholt.

Der Stellungnahme zufolge liege bei der BF2 ein hochgradiger Verdacht auf PTSD (F43.1) und der Verdacht auf psychotische (wahnhafte) Erlebnisverarbeitung vor und sei eine psychotherapeutische/psychiatrische Behandlung auch mit Medikamenten indiziert.

9. Aufgrund dieser gutachterlichen Stellungnahme wurde das gegenständliche Asylverfahren in Österreich zugelassen.

10. Am 09.11.2018 fand jeweils die niederschriftliche Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX (der gegenständlich belangten Behörde; in der Folge kurz: „bB“) im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Türkisch, statt.

Sowohl vom BF1 als auch von der BF2 wurde zudem jeweils ein Konvolut an psychiatrischen Befundberichten vorgelegt.

11. Am 12.11.2018 stellte die bB eine konkrete Anfrage an die Staatendokumentation. Die Anfragebeantwortung langte am 07.01.2019 bei der bB ein. Darüber hinaus nahm die bB noch weitere Anfragebeantwortungen zum Akt, hielt sie den Beschwerdeführern jedoch nicht vor und räumte ihnen dazu auch kein Parteiengehör ein.

12. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkte I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei jeweils als unbegründet abgewiesen (jeweils Spruchpunkte II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (jeweils Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (jeweils Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig ist (jeweils Spruchpunkte V.). Weiters wurde ihnen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise binnen zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (jeweils Spruchpunkte VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz – nach der Wiedergabe der Einvernahme des BF1 bzw. der BF2 und den Feststellungen zu deren Person und zu deren Privat- und Familienleben insbesondere aus, die vom BF1 und der BF2 vorgebrachten Fluchtgründe – nämlich die Verfolgung durch den türkischen Geheimdienst – hätten nicht glaubhaft gemacht werden können. In Anbetracht dessen, dass die Beschwerdeführer bereits im ersten Asylverfahren 2011 vorgebracht hätten, sie wären massiv von Verfolgung durch den MIT in der Türkei bedroht, könne nicht nachvollzogen werden, weshalb diese bereits 2012 freiwillig in die Türkei zurückgekehrt wären. Es sei auch nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführer nach der Rückkehr und Festnahme am Flughafen 2012 nicht bereits wieder ausreist wären und stattdessen noch weitere zwei Jahre in der Türkei verbracht hätten; dies noch dazu dort, wo die bisherigen Verfolgungen stattgefunden haben sollten. Die Beschwerdeführer hätten nicht versucht, in eine andere Stadt in der Türkei umzuziehen. Auch die Schilderungen zu den zwischen 2012 und 2014 erfolgten Entführungen wären widersprüchlich, zumal der einzig bekannte Anschlag auf die genannte Polizeistation am 21.08.2012 stattgefunden und die PKK sich bereits am nächsten Tag davon distanziert habe. Es habe daher insgesamt nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer die Türkei aufgrund einer aktuellen, konkret gegen sie gerichteten asylrelevanten Verfolgung maßgeblicher Intensität verlassen hätten. Weiters könne nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführern im Fall einer Rückkehr in die Türkei eine maßgebliche Gefährdung drohe. Eine Rückkehr in die Türkei sei möglich und zumutbar.

Die bB legte ihrer Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt aktuelle Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer zugrunde.

In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der seitens des BF1 und der BF2 vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG 2005 biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, weshalb gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt worden sei, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei und weshalb die Frist für eine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Im den, den damals noch minderjährigen BF3 sowie die minderjährige BF4 betreffenden, Bescheiden der bB wurde inhaltlich im Wesentlichen auf die Bescheide des BF1 und der BF2 verwiesen und ausgeführt, dass für sie jeweils keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden und eine maßgebliche Integration im Bundesgebiet nicht vorliege.

13. Mit Verfahrensanordnungen jeweils vom 28.02.2019 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht beigegeben.

14. Gegen die rechtswirksam zugestellten Bescheide wurde mit dem am 03.04.2019 beim Bundesamt fristgerecht eingebrachten Schriftsatz der damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 02.04.2019 das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, den Beschwerden stattgegeben und den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten oder allenfalls subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und den Beschwerdeführern Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen; in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen; in eventu die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und die Verfahren an das Bundesamt zur neuerlichen Entscheidung zurückverweisen.

Die gegenständlichen Bescheide wurden im vollen Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht, insbesondere wegen Vorliegens von Verfahrensfehlern, mangelhaften Ermittlungen, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Zunächst wurde das ausreisekausale Vorbringen wiederholt und moniert, dass die bB ein mangelhaftes Verfahren unter Verletzung des Parteiengehörs durchgeführt habe, da den Beschwerdeführern, insbesondere der BF2, in den Bescheiden herangezogene Beweismittel, nämlich mehrere Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation nicht vorgehalten und auch keine Möglichkeit zum Parteiengehör eingeräumt worden sei. Zum prekären Gesundheitszustand des BF1 und der BF2 werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens durch einen Facharzt für Psychiatrie oder Klinische Psychologie beantragt. Auch habe die bB die bei psychisch kranken Personen laut UNHCR vorzunehmende verstärkte Ermittlungspflicht verletzt. Die bB habe auch nicht ermittelt, welche Auswirkungen eine Abschiebung auf den Gesundheitszustand des BF1 und der BF2 hätte. Bei der Beweiswürdigung wären die festgestellten schweren Traumatisierungen des BF1 und der BF2 und ihre damit einhergehende psychische Verfassung überhaupt nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus wenden sich die Beschwerdeführer in mehreren Punkten gegen die Beweiswürdigung des belangten Bundesamtes. Im Übrigen wurde auf die Möglichkeit einer Verletzung der Rechte der Beschwerdeführer nach Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung in die Türkei wegen ihrer Erkrankungen sowie auf die nachhaltige Integration der Beschwerdeführer verwiesen und wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

Der Beschwerde war ein Konvolut an Beilagen beigefügt, und zwar:

-        ÖIF-Prüfungszeugnis Deutsch auf Niveau B2 der BF2 vom 26.01.2019;

-        Empfehlungsschreiben vom 14.03.2019;

-        Bestätigung eines Sprachencafés vom 15.03.2019 über die Teilnahme der BF2;

-        Jahreszeugnis Neue Mittelschule Schuljahr 2017/2018 für die BF4;

-        Schulnachricht Neue Mittelschule Schuljahr 2018/2019 für die BF4;

-        Bestätigung über Bewerbung für eine Lehrstelle des BF3 vom 09.07.2018 sowie Teilnahme in einer Jugendeinrichtungsorganisation des BF3 vom 08.10.2018;

-        psychosoziale Berichte hinsichtlich des BF1 vom 24.09.2014, vom 03.12.2015 und vom 13.09.2018;

-        Bestätigung über Psychotherapie für den BF1 vom 20.12.2017 und 15.09.2018;

-        psychosoziale Berichte hinsichtlich der BF2 vom 24.09.2014, vom 01.12.2015, vom 21.07.2016, vom 21.11.2017, vom 13.09.2018;

-        Bestätigung über Psychotherapie für die BF2 vom 12.09.2018;

15. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 12.04.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt. Sie wurden ursprünglich der Gerichtsabteilung L521 zugewiesen.

16. Mit Parteiengehör vom 14.05.2019 wurden der BF1 und die BF2 vom Bundesverwaltungsgericht über die beabsichtigte Bestellung einer Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie informiert und ihnen dazu Gelegenheit zur Stellungnahme oder der Erhebung von Einwendungen binnen sieben Tagen gegeben. Unter einem wurde um Übermittlung entsprechender Zustimmungserklärungen zur Einsichtnahme in medizinische Befunde durch die Sachverständige ersucht.

17. Per Fax vom 21.05.2019 wurden die entsprechenden Zustimmungserklärungen des BF1 und der BF2 übermittelt und ausdrücklich keine Einwendungen gegen die Bestellung der Sachverständigen erhoben.

18. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 28.05.2019, Zahlen L521 XXXX und L521 XXXX , wurde eine allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige aus dem Fachgebiet der Psychiatrie für den BF1 und die BF2 bestellt.

19. Die Begutachtung des BF1 fand am 04.07.2019 statt. Am 07.10.2019 langte das mit 01.10.2019 datierte, psychiatrische Sachverständigengutachten hinsichtlich des BF1 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

20. Die Begutachtung der BF2 fand am 27.06.2019 statt. Am 07.10.2019 langte das mit 01.10.2019 datierte, psychiatrische Sachverständigengutachten hinsichtlich der BF2 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

21. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 15.10.2019 wurden die beiden psychiatrischen Sachverständigengutachten dem BF1 und der BF2 jeweils zur Stellungnahme binnen vier Wochen übermittelt.

22. Am 14.11.2019 langte eine gemeinsame, mit 13.11.2019 datierte, Stellungnahme der damaligen Rechtsvertretung des BF1 und der BF2 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

23. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 06.02.2020 wurden den Beschwerdeführern nachfolgende Länderberichte zur Türkei zur Stellungnahme binnen sechs Wochen übermittelt und darüber hinaus um Beantwortung konkreter Fragen innerhalb derselben Frist ersucht.

Den Beschwerdeführern wurden nachfolgende Länderberichte übermittelt:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei vom 29.11.2019

-        Asylländerbericht der Österreichischen Botschaft in Ankara von 2019

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom September 2018 – Turkey: Kurds

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom August 2018 – Turkey: Kurdish political parties

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom August 2018 – Turkey: Kurdistan Workers`s Party

-        Home Office: Country Background Note Turkey vom Jänner 2019

24. Am 20.03.2020 langte eine mit 19.03.2020 datierte schriftliche Stellungnahme der damaligen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es wurde zu den übermittelten Länderberichten im Wesentlichen nur insofern Stellung genommen, als diese das Vorbringen der Beschwerdeführer untermauern würden. Darüber hinaus wurden die an die Beschwerdeführer gerichteten Fragen beantwortet und ein Konvolut an Beilagen übermittelt, und zwar:

-        Bestätigung über psychotherapeutische Behandlung des BF1 vom 03.03.2020;

-        Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie für die BF2 vom 02.03.2020;

-        Bestätigung über psychotherapeutische Behandlung der BF2 vom 02.03.2020;

-        Meldebestätigung der in Österreich lebenden Familienangehörigen der BF2;

-        Kursrechnung über Deutschkurs auf Niveau C1 der BF2 vom 20.02.2020 samt Kursterminen bis April 2020;

-        Konvolut an Unterstützungserklärungen;

-        Deutschkursbestätigung auf Niveau A1 für den BF1 vom 01.08.2019 und auf Niveau A2+ vom 10.02.2020;

-        Bestätigung eines Jugendvereins vom 04.03.2020 für den BF3;

-        persönliches Schreiben des BF3 vom 03.03.2020;

-        Jahres- und Abschlusszeugnis einer Neuen Mittelschule im Schuljahr 2018/2019 für die BF4 mit einer Deutsch-Beurteilung in der „vertieften Allgemeinbildung“ von „Befriedigend“;

-        Schulnachricht einer öffentlichen Fachmittelschulde und polytechnischen Schule für das Schuljahr 2019/2020 für die BF4 samt ergänzender differenzierter Leistungsbeschreibung;

-        persönliches Schreiben der BF4 (undatiert);

-        persönliche Schreiben des BF1 und der BF2 jeweils vom 05.03.2020;

25. Mit einer weiteren Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme wurde ausschließlich dem BF1 eine damals aktuelle Version des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zur Lage in der Türkei mit Stand 12.06.2020 zur allfälligen schriftlichen Stellungnahme bis zur für 13.07.2020 anberaumten mündlichen Beschwerdeverhandlung oder mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung übermittelt.

26. Nach Unzuständigkeitseinrede der bisher zuständigen Gerichtsabteilung L521 wegen eines möglichen Eingriffes in die sexuelle Selbstbestimmung der BF2 gemäß § 20 AsylG wurden die gegenständlichen Beschwerdefahren am 02.07.2020 der Gerichtsabteilung L526 zugewiesen.

27. Mit Ladungen vom 06.07.2020 wurde den Beschwerdeführern der erfolgte Richterwechsel angezeigt und neuerlich zu der bereits zuvor von der Gerichtsabteilung L521 für 13.07.2020 anberaumten Verhandlung geladen.

28. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.07.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, eine Dolmetscherin für die Sprache Türkisch sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Die bevollmächtigte Rechtsvertretung der Beschwerdeführer erschien entschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung. Die Beschwerdeführer erklärten, die Verhandlung ohne Rechtsvertreter durchführen zu wollen.

Im Verlauf der Verhandlung wurde die aktuelle Lageentwicklung in der Türkei anhand der den Beschwerdeführern einerseits schon im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen und im Rahmen der mündlichen Verhandlung dargelegten, aktuelleren Länderinformationen erörtert.

Dabei handelte es sich um nachfolgende Länderinformationen, deren schriftliche Übermittlung den Beschwerdeführern in Anschluss an die mündliche Verhandlung zugesagt wurde:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Türkei vom 08.04.2020;

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom Februar 2020 – Turkey: Kurds;

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom September 2018 – Turkey: Military Service;

-        Home Office: Country Policy and Information Note vom Februar 2020 – Turkey: Kurdistan Workers`s Party;

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 08.01.2019 betreffend Struktur und Vorgehensweise des Geheimdienstes MIT;

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 07.01.2019 betreffend posttraumatisches Belastungssyndrom;

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 02.03.2020 betreffend Behandlung von paranoider Schizophrenie vom 02.03.2020;

Mit dem BF1 und der BF2 wurden sodann auch die sie betreffenden psychiatrischen Sachverständigengutachten jeweils vom 01.10.2019 erörtert. Die BF2 gab dazu an, sie habe inzwischen ihren behandelnden Arzt gewechselt, erhalte andere Medikamente und fühle sich dadurch besser. Beide verwiesen in weiterer Folge auf die aktenkundigen Befunde und die Notwendigkeit der Einnahme der angeführten Medikamente.

Im Zuge der Verhandlung wurden nachfolgende (sofern nicht bereits aktenkundige) Unterlagen durch die Beschwerdeführer vorgelegt:

-        schriftliche Ausfertigung des vom Unabhängigen Bundesasylsenat in der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2007 mündlich verkündeten Bescheides vom 16.10.2008, mit welchem dem Vater der BF2 der Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt wurde;

-        Niederschriften der vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlungen am 09.05.2007 und am 18.06.2007 hinsichtlich der Eltern und Geschwister der BF2, wonach ihnen mit mündlich verkündeten Bescheiden jeweils vom 18.06.2007 der Status von Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt wurde.

-        Kopie des österreichischen Reisepasses des Vaters der BF2, dem bereits die österreichische Staatsangehörigkeit zukommt;

-        Kopien des österreichischen Reisepasses der Mutter und der Schwester der BF2, denen bereits die österreichische Staatsangehörigkeit zukommt;

-        diverse Deutschkursbestätigungen für die BF2;

-        ÖSD-Deutschzertifikat auf Niveau A2 vom 14.07.2015 der BF2;

-        ÖSD-Deutschzertifikat auf Niveau B1 vom 19.05.2017 der BF2;

Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

29. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.07.2020 wurde den Beschwerdeführer bzw. ihrer damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung mitgeteilt, dass noch die Möglichkeit der Stellung weiterer Beweisanträge bestünde und informativ mitgeteilt, dass eine Befragung der BF2 im Rahmen der mündlichen Verhandlung konkret zu den im bisherigen Verfahren erwähnten sexuellen Übergriffe aufgrund offensichtlicher Ermüdung der BF2 nicht erfolgt sei und um Mitteilung ersucht werde, ob die BF2 eine weitere Befragung in einer fortgesetzten Verhandlung, allenfalls im Beisein einer weiblichen Vertreterin der bB, wünsche.

Diesbezüglich erfolgten keine weiteren Ausführungen oder Anträge seitens der BF2.

30. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 21.07.2020 wurde den Beschwerdeführern bzw. der damaligen Rechtsvertretung wie bereits in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2020 angekündigt, die dort in das Verfahren eingeführten Länderberichte und auch noch weitere Länderinformationen zur Stellungnahme bis 03.08.2020 übermittelt.

Ergänzend zu den in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichten wurden nachfolgende Länderberichte übermittelt:

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.05.2011 zur Türkei – Medikamente

-        Medical Country of Origin Information ‚Availability of medical treatment‘ vom 03.07.2018

31. Am 04.08.2020 langte die mit 03.08.2020 datierte schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführer samt Urkundenvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Aus dem bereits eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des BF1 gehe hervor, dass nicht nur die die medikamentöse/therapeutische Behandlung des BF1, sondern insbesondere dessen Distanz zu den auslösenden Ereignissen für eine Heilung erforderlich wäre. Außerdem habe der BF1 bereits begründet vorgebracht, in der Türkei bereits gefoltert worden zu sein, sodass der österreichische Staat verpflichtet sei, jeglichen Zweifel an der Gefahr auszuräumen, erneut einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein (mit Verweis auf EGMR, 09.03.2010, R.C. v. Sweden). Sollten Zweifel daran bestehen, dass der BF1 Folterüberlebender sei, werde die Einholung eines entsprechenden medizinischen Sachverständigengutachtens dafür, dass der BF1 auf die von ihm beschriebene Art gefoltert wurde, beantragt.

Auch die BF2 leide entsprechend dem vom Bundverwaltungsgericht eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten an einer psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreist. Eine Rückführung in die Türkei würde zu einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes führen und könne eine suizidale Krise nicht ausgeschlossen werden. Laut Verhandlungsprotokoll, S 22, habe die BF2 angegeben, dem BF1 würde unterstellt werden, ein Gebäude der politischen Partei HDP angezündet zu haben. Wie aus der übermittelten Anfragebeantwortung vom 08.01.2019 zur Vorgehensweise des MIT hervorgehe, habe es zuerst einen Bombenanschlag vor einer Polizeistation mit mehreren Todesopfern gegeben. In der Folge habe ein wütender Mob das politische Gebäude der prokurdischen BDP Partei in Brand gesetzt. Die BF2 habe darauf hinweisen wollen, dass sich infolge des Bombenanschlages der Zorn gegen Kurden gerichtet und auch Gebäude ihrer politischen Vertretungen angezündet wurden. Der BF1 selbst sei in Zusammenhang mit dem Bombenanschlag verhört und gefoltert worden.

Darüber hinaus wurde auf die langjährige Aufenthaltsdauer und die Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer verwiesen.

Unter einem wurde nachfolgende Unterlagen vorgelegt:

-        Medikationsübersicht des BF1 vom 16.07.2020;

-        Medikationsübersicht der BF2 vom 20.07.2020;

-        Kopien Schweizer Konventionspässe der Cousins des Vaters der BF2 und Kopie der Schweizer Identitätskarte einer Tochter einer dieser Cousins;

-        Jahres- und Abschlusszeugnis einer Fachmittelschule & Polytechnischen Schule der BF4 des Schuljahres 2019/2020 mit einer Beurteilung im Fach Deutsch mit „Sehr gut“.

-        Bestätigung über die Aufnahme der BF4 in die Handelsschule ab WS 2020;

32. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 20.08.2020 zu den Beschwerdeführern und ihrem Vorbringen eine konkrete Anfrage an die BFA-Staatendokumentation.

33. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.09.2020, Zahl L526 XXXX , wurde ein Facharzt für Gerichtsmedizin zum medizinischen Sachverständigen hinsichtlich der vom BF1 vorgebrachten Verletzungen und deren Ursache bestellt.

34. Am 02.10.2020 langte per E-Mail seitens der Staatendokumentation in Beantwortung der Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.08.2020 nachfolgende Anfragebeantwortungen ein:

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Türkei: Haftanstalten, Menschenrechtsverletzungen, Situation kurdischer Häftlinge vom 05.09.2019;

-        Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Türkei: Körperliche Übergriffe und Folterungen von mutmaßlichen PKK Anhängern, MIT Operationen, vom 01.10.2020;

35. Zum 31.12.2020 wurde die Vertretungsvollmacht der bisherigen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer zurückgelegt.

36. Am 28.01.2021 langte die Vollmachtsbekanntgabe der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

37. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 14.01.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L526 abgenommen und am 01.02.2021 der nunmehr zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

38. Das gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten hinsichtlich des BF1 vom 24.02.2021 langte am 26.02.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

40. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.03.2021 wurden dem BF1 und der bB das gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten vom 24.02.2021 zur Einsicht und allfälliger Stellungnahme binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens übermittelt. Innerhalb derselben Frist wurde noch die Möglichkeit ergänzende Bescheinigungsmittel vorzulegen, eingeräumt.

41. Mit einem weiteren Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.03.2021 wurden die Beschwerdeführer zudem aufgefordert, im ergänzenden Ermittlungsverfahren konkret genannte Fragen binnen zwei Wochen schriftlich zu beantworten und soweit möglich durch Bescheinigungsmittel zu belegen.

42. Am 17.05.2021 langte die mit 14.05.2021 datierte Stellungnahme der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die an die Beschwerdeführer gerichteten Fragen wurden schriftlich beantwortet. Ausführungen zum gerichtsmedizinischen Gutachten des BF1 wurde nicht erstattet und auch keinerlei Vorbringen mehr hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten erstattet, sondern lediglich kurze Ausführungen zur Gewährung von subsidiärem Schutz oder allenfalls der Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, getroffen.

Unter einem wurden nachfolgende Unterlagen (sofern nicht bereits aktenkundig) vorgelegt:

-        Schulnachricht einer Handelsschule für das Schuljahr 2020/2021 für die BF4 mit einer Beurteilung im Fach Deutsch von „Gut“; zugehörige Schulbesuchsbestätigung und Empfehlungsschreiben des Klassenvorstandes;

-        Medikationsübersicht des BF1 vom 12.05.2021;

43. Mit Dokumentenvorlage vom 12.07.2021 wurde zudem ein Jahreszeugnis der BF4 aus der Handelsschule für das Schuljahr 2020/2021 mit einer Beurteilung im Fach Deutsch von „Gut“ übermittelt.

44. Am 21.07.2021 langte zudem eine Kopie des Integrationsprüfungszeugnisses des BF1 vom 24.06.2021 auf Niveau A2 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

45. Mit Schreiben vom 09.08.2021 wurden die Beschwerdeführer eingeladen, weitere Integrationsunterlagen vorzulegen und zu den unter Punkt 34 aufgelisteten Dokumenten und dem aktuellen Länderinformationsblatt mit Stand 17.05.2021 eine Stellungnahme abzugeben.

46. Mit Schreiben vom 18.08.2021 wurden folgende Integrationsunterlagen zu BF3 vorgelegt:
Jahres- und Abschlusszeugnis einer öffentlichen Fachmittelschule vom 30.6.2017

-        Bestätigung der Wiener Bildungsdrehscheibe vom 18.08.2021, dass der BF3 aufgrund der Spracheinstufung Deutsch vom 29.10.2019 auf einer Warteliste für einen B2 Deutschkurs ist

-        Empfehlungsschreiben des Einrichtungsleiters des Vereins XXXX vom 08.10.2018

-        Zusage einer Lehrstelle der SPAR Akademie vom 09.07.2018

-        Schreiben von XXXX vom 4.3.2020, dass der BF3 laut einem Einstufungstest ein halbes Jahr zuvor Deutsch auf C1 Niveau gesprochen hat

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge auch kurz „BF“ genannt) führen die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), sind türkische Staatsangehörige, Zugehörige zur kurdischen Volksgruppe und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Der BF1 ist mit der BF2 verheiratet und sind beide die leiblichen Eltern des inzwischen bereits volljährigen BF3 und der minderjährigen BF4. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist grundsätzlich Kurdisch, sie sprechen jedoch bevorzugt Türkisch. Die Identität der Beschwerdeführer steht fest (vgl. etwa Erstbefragung BF1 vom 01.08.2014, S 1 ff BF1; Erstbefragung BF2 vom 01.08.2014, S 1 ff; im ersten Asylverfahren 2011 im Original vorgelegte Personalausweise (Nüfus), AS 25 ff Verwaltungsakt Teil I BF1; AS 31 ff Verwaltungsakt Teil I BF2; Niederschrift Bundesamt BF1 vom 09.11.2018, S 2 ff; Niederschrift Bundesamt BF2 vom 09.11.2018, S 2 ff; Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 4 ff).

Der BF1 und die BF2 heirateten erstmals standesamtlich am 06.11.2002 und ließen sich mit Beschluss des Familiengerichtes XXXX , Zahl XXXX , vom XXXX scheiden (vgl. Kopie des originalen türkischen Scheidungsbeschlusses samt Übersetzung, AS 111 ff Verwaltungsakt Teil 1 BF2). Dennoch lebten BF1 und BF2 weiter in einer Lebensgemeinschaft. Am 29.06.2012 heirateten sie in der Türkei standesamtlich ein weiteres Mal und sind seither aufrecht verheiratet (vgl. Kopie der im Original vorgelegten Heiratsurkunde, Verwaltungsakt Teil 2 BF2).

Der BF1 ist in XXXX /Türkei geboren und hat dort die sechs Jahre die Grundschule besucht. Eine konkrete Berufsausbildung hat er nicht absolviert, wurde jedoch schon im Teenager-Alter als Bauarbeiter angelernt und war als solcher dann auch jahrelang erwerbstätig. Mit seinem Einkommen konnte er den Unterhalt der Familie erwirtschaften. Darüber hinaus hat er von 2003 bis 2004 den Militärdienst abgeleistet. In der Türkei leben die beiden Eltern, vier Brüder und eine verheiratete Schwester des BF1 nach wie vor in XXXX . Der Vater und die Brüder des BF sind alle Bauarbeiter von Beruf. Dem Vater des BF1 gehört dort ein Haus. Darüber hinaus leben noch viele Onkel und Tanten des BF1 in der Türkei. Zu seinen Eltern hat der BF1 regelmäßig Kontakt. Bei der Rückkehr der Beschwerdeführer aus Österreich im Jahr 2012 konnten sie anfangs bei der Familie des BF1 in XXXX Unterkunft nehmen. In Österreich hat der BF1 abgesehen von seiner Ehefrau und den beiden Kindern (BF2 und BF4) keine weiteren Angehörigen (vgl. etwa Erstbefragung BF1 vom 01.08.2014, S 1 ff BF1; Niederschrift Bundesamt BF1 vom 09.11.2018, S 2 ff; Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 8, 11 & 14; Stellungnahme vom 14.05.2021, S 1 ff).

Die BF2 ist in XXXX /Türkei geboren und hat dort sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule und drei Jahre ein Gymnasium besucht und dieses mit Matura abgeschlossen. Sie hat auch eine Aufnahmeprüfung für eine Universität positiv absolviert, jedoch nicht studiert. Sie hat bisher keinen Beruf ausgeübt und war Hausfrau. In der Türkei lebt lediglich noch eine Tante mütterlicherseits der BF2 in XXXX . Die Eltern, die Schwester und ein Bruder der BF2 reisten schon im Jahr 2001 bzw. 2003 nach Österreich. Ihnen wurde mit mündlich verkündeten Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 18.06.2007 jeweils der Status von Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG 1997 zuerkannt. Den Eltern und der Schwester der BF2 kommt inzwischen bereits die österreichische Staatsangehörigkeit zu. Der Bruder lebt derzeit in der Schweiz, wo auch noch zwei Cousins des Vaters der BF2 als Asylberechtigte leben. Ein weiterer Bruder der BF2 ist in der Türkei verschollen (vgl. etwa Erstbefragung BF1 vom 01.08.2014, S 1 ff BF2; Niederschrift Bundesamt BF2 vom 09.11.2018, S 2 ff; Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 19 & 23 f; in der mündlichen Verhandlung am 13.08.2020 vorgelegte Verhandlungsprotokolle des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 09.05.2007 und vom 18.06.2007; schriftliche Ausfertigung des Asylgerichtshofes vom 16.10.2008).

Sowohl der BF3 als auch die minderjährige BF4 sind jeweils in XXXX /Türkei geboren und haben dort – unterbrochen durch ihren vorübergehenden Aufenthalt während des ersten Asylverfahrens in Österreich 2011/2012 – die Grundschule besucht. Der BF3 und die BF4 hielten sich bis zur neuerlichen Ausreise im Jänner 2014 bei ihren Großeltern väterlicherseits in XXXX auf und nach der Rückkehr im Februar 2014 bis zur dritten Ausreise Ende Juli 2014 mit ihren Eltern in XXXX . (vgl. etwa Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 26 f; Fremdenregisterauszüge des BF3 und der BF4 jeweils vom 27.07.2021).

1.2. Der BF3 und die minderjährige BF4 sind beide gesund, nehmen keine Medikamente ein und sind arbeits- und schulfähig (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 4, 7 & 25 f; Konvolut aktenkundiger Schulbesuchsbestätigungen, Schulnachrichten und Praktikumsbestätigungen).

Der BF1 und die BF2 sind physisch gesund (vgl. etwa Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 4 & 19).

In psychiatrischer Hinsicht liegt bei BF1 dem vom Gericht eingeholgen Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen vom 01.10.2019 eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) vor.

Aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten des BF1 vom 01.10.2019 ergibt sich:

„[…]

Aus psychiatrischer Sicht liegen bei Herrn XXXX die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung vor. Diese Störung, die auf Basis eines Missverhältnisses zwischen Belastbarkeit und erlebter Belastung entsteht, beruht lt. Definition des ICD 10 (Diagnosemanual der WHO) auf einem Ereignis mit ungewöhnlich bedrohlicher Intensität, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der Störung steigt dann, wenn es sich um so genannte „man made desasters“ handelt, also um Übergriffe, die dem Betroffenen von anderen gezielt angetan werden und wenn keine Möglichkeit besteht, diesen Übergriffen selbstwirksam zu entkommen. Als typische Symptome gelten das intrusive Wiedererleben der Bedrohung (s.: „er habe das im Kopf immer wieder erlebt“), eine generell erhöhte Anspannung und Besorgnis bzw. ein erhöhter Angstlevel („arousal“), ein Vermeiden von analogen Situationen oder Situationen, die Angst auslösen können incl. sozialem Rückzug sowie Schlafstörungen, also Symptome, die von Herrn XXXX allesamt geschildert werden. Herr XXXX wird sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch behandelt, wobei es sich bei der verordneten Medikation um eine adjuvante handelt, die zur Symptomverbesserung eingesetzt werden kann (in diesem Fall Trazodon (Trittico) gegen die Schlafstörungen und Quetiapin (Seroquel) zur emotionalen Distanzierung), aber nicht in der Lage ist, die Störung an sich zur Remission zu bringen. Posttraumatische Belastungsstörungen führen in der Regel nicht zu Chronifizierung, der Verlauf ist allerdings abhängig von der Persönlichkeitsstruktur (die bei Herrn XXXX eine eher solide sein dürfte mit ausgeprägtem Interesse an einer Besserung der Beschwerden) und von den Lebensbedingungen. Bei Anhalten der Bedrohung bzw. Wiederholung der Traumatisierung kann eine so genannte „Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung“ auftreten, die dann als nicht mehr reversible Veränderung anzusehen ist.

In Beantwortung der gestellten Fragen ist aus psychiatrischer Sicht anzuführen,

??dass Herr XXXX an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, die – soweit beurteilbar – monokausal auf die in der Türkei erlebte Behandlung durch Sicherheitskräfte zurückzuführen ist. Andere mögliche Ursachen ergeben sich aus den Schilderungen in der Exploration nicht.

??Die Behandlung ist in der aktuell durchgeführten Form weiter erforderlich, d.h. dass sowohl die psychotherapeutische als auch die adjuvante medikamentöse Behandlung weiter durchgeführt werden sollte. Ein für die Remission bzw. Ausheilung der aktuell vorliegenden Störung wesentlicher Faktor ist allerdings auch die Distanz zu den auslösenden Ereignissen, widrigenfalls von einer Ineffizienz der therapeutischen Behandlung auszugehen ist.

??Eine dauerhafte Behandlungsnotwendigkeit ist aktuell noch nicht anzunehmen bzw. ist noch nicht mit Sicherheit festzustellen, ob eine vollständige Rückbildung der gesamten Symptomatik mit Erreichen des vorbestehenden sozialen Funktionsniveaus im vollen Umfang möglich ist oder ob Restsymptome bleiben, die einer weiteren Behandlung nicht mehr zugänglich sind.

??Folgt man den Schilderungen des Herrn XXXX (deren Faktizität naturgemäß aus psychiatrischer Sicht nicht beurteilt werden kann), wäre eine Überstellung in die Türkei mit einer signifikanten Verschlechterung des Zustands verbunden bzw. würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine therapeutisch nicht mehr beeinflussbare Chronifizierung im Sinne einer „andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung“ eintreten.

??Herr XXXX ist einvernahmefähig und allseits orientiert und in der Lage, seine Biografie stringent und chronologisch geordnet darzulegen. Bei der Schilderung der belastenden Ereignisse können Beeinträchtigungen im Sinne von Angst und negativer emotionaler Reaktionsbildung auftreten, die kurze Pausen erfordern.

??Soweit in der eigenen Untersuchung feststellbar, erfolgte die Entscheidung zur Rückkehr (die sehr wohl in Ambivalenz getroffen wurde) aufgrund von Heimweh und Unzufriedenheit mit der damaligen Lebenssituation in Österreich, wobei die geschilderte „Einsamkeit“ und fehlende soziale Anbindung damals eine depressive Anpassungsstörung begründet haben dürften. Ein im engeren Sinn krankhaftes Verhalten lag dieser Entscheidung nicht zugrunde, wohl aber der eher vom Wunsch als von faktischen Kenntnissen getragene Glauben an positive Veränderungen im Herkunftsland.“

Der BF1 ist seit der Wiedereinreise im September 2014 durchgehend in Österreich in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung. Zum Entscheidungszeitpunkt nimmt der B1 die Medikamente DULOXETIN + pharma 60 mg, DULOXETIN + pharma 30 mg, TRITTICO retard 150 mg, INDERAL 40 mg sowie SEROQUEL XR 300 mg ein. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF1 völlig arbeitsunfähig wäre. Der BF1 leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium, die in der Türkei nicht behandelbar wäre (vgl. entsprechendes aktenkundiges Konvolut aus psychotherapeutischen und psychiatrischen Befunden des BF1; Verhandlungsprotokoll vom 13.07.2020, S 6 ff; Medikationsübersicht BF1 vom 12.05.2021; Stellungnahme vom 14.05.2021).

In psychiatrischer Hinsicht leidet die BF2 dem vom Gericht eingeholtem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen vom 01.10.2019 zufolge an einer nicht näher differenzierbaren Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10 F20.9) vor.

Aus dem psychiatrischen Sachverständigengutachten der BF2 vom 01.10.2019 ergibt sich:

„[…]

GUTACHTEN

Bei Frau XXXX , geboren am XXXX , ist aus psychiatrischer Sicht folgende Diagnose nach ICD-10 (internationale Klassifikation psychischer Störungen der WHO) zu stellen:

??Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, nicht näher differenzierbar F20.9

Frau XXXX ist in geordneten, offenbar gut situierten Verhältnissen in der Türkei als Mitglied der kurdischen Volksgruppe aufgewachsen, hat eine höhere Schulausbildung besucht und wurde mit 19 im Rahmen einer arrangierten Ehe, verheiratet. Um diese Zeit stellte sich im Leben der Frau XXXX , die bis dahin vor allem ihre Ausbildung betreffend sehr erfolgreich unterwegs war, eine Zäsur ein: Frau XXXX absolvierte zwar die Zulassungsprüfung zur Universität, begann dann aber kein Studium und gibt selbst an, dass sie seit dem 20. Lebensjahr Probleme mit der Konzentration habe, was angesichts des zuvor guten Ausbildungserfolgs ursprünglich nicht in diesem Umfang vorgelegen sein dürfte.

In weiterer Folge lebte Frau XXXX mit ihrem Mann und erledigte den Haushalt, wobei der Mann in der eigenen Untersuchung berichtet, dass seine Frau auch schon in der Türkei in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und seit Beginn der Ehe phasenweise verstärkt auffällig sei, wobei man dann mit ihr nicht kommunizieren könne und sie nur vor sich hinschaue bzw. selbst die Geburtsdaten der Kinder nicht kenne.

Die berichteten Probleme mit dem türkischen Geheimdienst, die sukzessive zur Ausreise der gesamten Familie (bis auf einen Bruder, der verschollen sei) führten, sind nach Angaben der Frau XXXX auf die Verwandtschaft ihres Vaters zurückzuführen, die mit der PKK sympathisierte bzw. politisch aktiv war. Die Eltern der Frau XXXX emigrierten schon vor längerer Zeit nach Österreich. Die Familie entschloss sich, nach Angaben der Frau XXXX nachdem der Mann wiederholt von Geheimdienstmitarbeitern abgeführt und vernommen worden sei, ebenfalls zur Ausreise und reiste 2011 nach Österreich ein, wo offenbar Probleme mit der Integration entstanden. Frau XXXX war damals schon bei einer Psychoanalytikerin in Behandlung, die ihr eine posttraumatische Störung attestierte, und entschloss sich 2012 (wobei der Eindruck entsteht, dass Entscheidungen in der Familie eher von Frau XXXX als von ihrem Mann getroffen werden) zur Rückkehr in die Türkei, ohne mit irgendjemandem aus der Verwandtschaft Rücksprache zu halten oder diese Entscheidung mit anderen zu besprechen. Schon unmittelbar nach der Rückkehr kam es nach Angaben von Frau XXXX wieder zu Schwierigkeiten, die sich infolge verdichteten, sodass 2014 neuerlich die Entscheidung zur Flucht aus der Türkei getroffen wurde. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich war Frau XXXX wiederum in Behandlung. In diesen Behandlungsunterlagen finden sich nun durchaus Hinweise auf eine gravierendere bzw. eigenständige Erkrankung der Frau XXXX , in dem ihr (neben einer posttraumatischen Belastungsstörung) wiederholt eine schizo-depressive Störung attestiert wurde. Die verordnete Medikation war allerdings der Dosierung nach nicht geeignet, eine suffiziente Behandlung darzustellen, wobei Frau XXXX angibt, dass sie schon in der Türkei behandelt worden sei, wegen der Schwierigkeiten mit der Versicherung bzw. mit dem Aufsuchen von offiziellen Behandlungseinrichtungen aber nur privat Medikamente besorgt habe und die Medikation auch nicht benennen kann. Seit 2014 ist Frau XXXX in Österreich und wird hier psychotherapeutisch (psychoanalytisch) und medikamentös behandelt, wobei auch aktuell eine antipsychotische Medikation verabreicht wird (Quetiapin 300 mg), überdies ein antidepressives Medikament. Die häufig beobachtbare und im Ergebnis fatale Praxis, sämtliche psychischen Auffälligkeiten bei Asylanten als posttraumatische Belastungsstörung zu interpretieren, führt leider relativ häufig dazu, dass schwere psychische Erkrankungen nicht als solche erkannt und folglich nicht adäquat behandelt werden, was den Längsverlauf dieser Erkrankungen signifikant verschlechtert. Allerdings treten Psychosen (schwere psychische Krankheiten) weltweit und in allen Kulturkreisen mit identer Häufigkeit auf und sind folglich auch bei dieser Personengruppe mit einiger Wahrscheinlichkeit immer wieder anzutreffen.

Da die Diagnose von schweren psychischen Erkrankungen immer auf einer möglichst umfangreichen Längsschnittbeobachtung beruht, weil psychische Erkrankungen bzw. Geisteskrankheiten im engeren Sinn chronische Erkrankungen darstellen und nur im Längsverlauf verlässlich beurteilt werden können, über diesen Längsverlauf bei Frau XXXX aber nur rudimentäre Informationen vorliegen, ist eine genaue diagnostische Zuordnung der bei Frau XXXX zweifelsohne vorliegenden Symptomatik nur mit Einschränkung möglich. In der eigenen Untersuchung fassbar sind allerdings deutliche formale Denkstörungen, die zu teilweise extrem langen Antwortlatenzen und Vorbeireden führen, angedeutet findet sich bei ausgeprägter Dissimulationstendenz auch eine paranoide Verarbeitung von Ereignissen (siehe Operation am Fuß), wo Frau XXXX beginnt, nicht nachvollziehbare Argumente vorzubringen und die Operation an sich als „komisch“ bezeichnet, bei Nachfragen aber wieder verstummt und offensichtlich nicht bereit ist, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dahinterliegende paranoide Symptomatik näher auszuführen. Im Längsverlauf auffällig ist allerdings eine seit dem 20. Lebensjahr - und damit dem häufigsten Prädilektionsalter für Erstmanifestationen von schizophrenen Erkrankungen - bestehende Konzentrationsstörung. Sowohl vom Ehemann der Frau XXXX als auch von ihr selbst wird eine schon vor den gesamten, schließlich zur Flucht führenden Ereignissen bestehende, psychische Alteration beschrieben, die auch schon in der Türkei zu einer medikamentösen Behandlung führte. Schließlich wurde auch 2014 und 2015 eine „schizo-depressive Störung“ diagnostiziert, womit davon auszugehen ist, dass auch damals schon Symptome vorlagen, die dem schizophrenen Formenkreis zuzurechnen sind.

Die Leitsymptome einer schizophrenen Erkrankung sind inhaltliche Denkstörungen im Sinne von Wahnideen, aber ganz wesentlich auch formale Denkstörungen, die bei Frau XXXX eben auch aktuell zu beobachten sind (und auch von ihrem Mann beschrieben werden), weiters Konzentrationsstörungen als Folge dieser formalen Denkstörungen sowie eine Affektabflachung, die auch bei Frau XXXX beobachtet werden kann.

Im Längsverlauf der Erkrankung kommt es in der Regel zu sozialem Rückzug, mit verminderter sozialer Leistungsfähigkeit, wesentlich ist aber auch eine Zäsur im Sinne einer Veränderung des sozialen Funktionsniveaus, die bei Frau XXXX um das 19. – 20. Lebensjahr herum anzusetzen ist. Die bei Frau XXXX trotz umfangreichen Bemühens nicht näher explorierbaren Ängste sind vor dem Hintergrund der jedenfalls beobachtbaren formalen Denkstörung denn auch weit eher dem schizophrenen Spektrum zuzuordnen denn als Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung zu interpretieren; die Ängste erscheinen jedenfalls eher vage und nicht gerichtet (Männer würden beim Fenster hereinschauen) und beziehen sich nicht unmittelbar auf eigenes Erleben. Ein konkretes Vermeidungsverhalten, wie bei posttraumatischer Belastungsstörung zu erwarten, ist nicht explorierbar, vielmehr ist diese Symptomatik im Sinne des typischen sozialen Rückzugs bei Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis zu interpretieren, so wie auch der streckenweise sehr abgeflacht imponierende Affekt dem schizophrenen Spektrum zuzurechnen ist und nicht als emotionale Abstumpfung im Sinn einer posttraumatischen Belastungsstörung einzuordnen ist.

Angesichts des überblickbaren Längsverlaufs bzw. vor allem im Hinblick auf den klinischen Eindruck im Rahmen der eigenen Untersuchung ist somit davon auszugehen, dass bei Frau XXXX seit ihrem 19. bzw. 20. Lebensjahr eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis besteht, die zumindest im überblickbaren Zeitraum in Österreich nie adäquat behandelt wurde und dem typischen Verlauf dieser Erkrankung folgend fluktuierend verläuft, d.h. Phasen mit intensiverer Symptomatik wechseln sich mit Phasen besseren Funktionsniveaus ab, wobei im Längsverlauf eine Verschlechterung des sozialen Funktionsniveaus entsteht.

In Beantwortung der gestellten Fragen ist somit auszuführen,

1. dass bei Frau XXXX eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vorliegt, die auf keine konkreten Ursachen zurückzuführen ist, sondern als Erkrankung sui generis zu betrachten ist. Hinweise auf sexuellen Missbrauch haben sich in der eigenen Untersuchung nicht ergeben.

2. Bei Frau XXXX wäre dringend eine ausreichende antipsychotische Behandlung erforderlich, wobei aufgrund der nicht zutreffenden diagnostischen Zuordnung (posttraumatische Belastungsstörung) bis dato nur eine unwirksame bzw. kontrainduzierte psychoanalytische Therapie und eine viel zu niedrig dosierte antipsychotische Behandlung stattfindet. Eine Aussage über die Art der erforderlichen Medikation kann nicht getroffen werden, da bis dato keine wirksame Medikation etabliert wurde und die medikamentöse Behandlung immer nur in der Empirie auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden kann. Jedenfalls wäre eine regelmäßige fachärztliche Behandlung mit einem ausreichend hoch dosierten Antipsychotikum erforderlich, die idealerweise im Rahmen eines stationären Aufenthalts mit entsprechender stationärer Beobachtung etabliert werden müsste.

3. Aufgrund der primär chronischen Natur der Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis ist von einer dauernden Behandlungsnotwendigkeit auszugehen, d.h. es sind laufende psychiatrisch- fachärztliche Kontrollen erforderlich und die laufende Einnahme einer antipsychotisch wirksamen Medikation.

4. Falls eine solche Behandlung (weiterhin) unterbleibt, ist von einer zunehmenden Defekt- bzw. Residualentwicklung bzw. einem zunehmenden Nachlassen des sozialen Funktionsniveaus mit zunehmendem Verlust der Leistungsfähigkeit auszugehen, wobei bei fluktuierendem Erkrankungsverlauf auch akutere Episoden mit manifest paranoider Symptomatik zu erwarten sind.

5. Da die Erkrankung nach dem Stress-Diathese-Modell in ihrem Verlauf auch vom biographischen Verlauf abhängig ist und eine Rückführung in die Türkei für Frau XXXX ein aktuell massiv angstbesetztes Szenario darstellt, ist davon auszugehen, dass dieser innerpsychische Stress auch zu einer Verschlechterung des Erkrankungsverlaufs führen würde bzw. dass Frau XXXX , die schon die Entscheidung zur Rückkehr in die Türkei nicht auf Basis nachvollziehbarer, logisch-stringenter Überlegungen getroffen hat, auch auf eine solche Rückführungsentscheidung eher kurzschlüssig und getrieben von mehr oder weniger paranoiden Ängsten reagieren würde, womit auch suizidale Intentionen (bzw. so wie 2012 angekündigt suizidale Handlungen unter Einbeziehung abhängiger Angehöriger, in diesem Fall der Kinder) nicht ausgeschlossen werden können.

6. Die Einvernahmefähigkeit der Frau XXXX ist mit Sicherheit reduziert, prinzipiell ist Frau XXXX zeitlich und örtlich orientiert und damit in der Lage, ein schlüssiges Narrativ zu berichten, allerdings treten aufgrund der formalen Denkstörungen immer wieder Sperrungen auf, d.h. es kommt zu extrem langen Antwortlatenzen und zu Konzentrationsstörungen, die von Frau XXXX nicht willentlich beeinflusst werden können. Wie schon ausgeführt, gestaltete sich die eigene dreistündige Untersuchung als inhaltlich relativ wenig ergiebig (siehe Untersuchungsprotokoll): Es ergaben sich immer wieder lange Pausen, in denen Frau XXXX auf Fragen nicht antwortete bzw. nach langer Latenz an der Frage vorbeiantwortete, wobei hier nicht der Eindruck einer mutwilligen Behinderung, sondern der Eindruck einer genuinen Beeinträchtigung entstand. Eine zweistündige, Dolmetsch gestützte Einvernahme ist prinzipiell möglich, allerdings aufgrund dieser Beeinträchtigungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durchgängig ergiebig.

7. Die Aussage, dass die seinerzeitige freiwillige Rückkehr in die Türkei aufgrund psychischer Probleme erfolgte und nicht wohl überlegt und in Kenntnis der Konsequenzen getroffen wurde, ist in Anbetracht der durchgängigen Denkstörungen der Frau XXXX und ihrer Tendenz, ihr eigenes inneres Erleben als Grundlage von Entscheidungen und Handlungen anzusehen und dieses innere Erleben nicht an der äußeren Realität bzw. an den realen Gegebenheiten abzugleichen, nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund des durchaus guten Bildungsniveaus der Frau XXXX und ihrer prinzipiell vorhandenen Anbindung an die Familie ist jedenfalls hier von einer durch die paranoide Symptomatik wesentlich mitbeeinflussten Rückkehrentscheidung auszugehen, wobei - wie schon angeführt - in der Untersuchung der Ehegatten XXXX immer wieder der Eindruck entsteht, dass Frau XXXX trotz ihrer dem Ehemann durchaus bekannten Einschränkungen in der Entscheidungsfindung in der Familie eher die führende Rolle einnimmt.“

Die BF1 leidet bereits seit etwa ihrem zwanzigsten Lebensjahr an psychiatrischen Problemen und Konzentrationsstörungen. Sie war bereits während ihres ersten Aufenthalts in Österreich 2011/2012 in psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung und hat sich nach freiwilliger Rückkehr in die Türkei im Juni 2012 weiterhin Medikamente in der Apotheke besorgt, war dort aber nicht in fachärztlicher oder psychologischer Behandlung. Seit der Wiedereinreise der BF2 im September 2014 befindet sie sich – wie auch ihr Ehemann (BF1) –durchgehend in psychiatrischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung. Zum Entscheidungszeitpunkt nimmt die BF2 die Medikamente ABILIFY 15mg, MIRTABENE 30 mg, MUTAN 40 mg, ALOPRAZOLAM 0,5 mg bei Bedarf. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF1 völlig arbeitsunfähig wäre. Der BF1 leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium, die in der Türkei nicht behandelbar wäre (vgl. etwa aktenkundiges Konvolut an psychiatrischen und psychologischen Befunden der BF2; gutachterliche Stellungnahme zur BF2 im Zulassungsverfahren zum gegenständlichen Antrag auf internationalen Sch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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