Entscheidungsdatum
14.09.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W123 2236542-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2020, Zl. 1257142010/200027980, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 09.01.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer wurde am 09.01.2020 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen und gab zu seinem Fluchtgrund an, dass Kuchi-Nomaden seine Familie angegriffen hätten. Die Ernte sei ihnen entwendet und ihr Haus zerstört worden. Deshalb sei der Beschwerdeführer geflüchtet.
2. Am 27.07.2020 erfolgte eine Einvernahme vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer gab zu Beginn an, dass er mit seiner Familie – Vater, Mutter, Bruder und Schwester – von der Landwirtschaft gelebt habe. In diesem Zusammenhang habe er als Hirte Schafe gehütet. Kuchi-Nomaden hätten das Haus seiner Familie angezündet; nach Intervention des „Weißbärtigen“ seien keine Menschen umgekommen, jedoch habe seine Familie Haus und Grundstücke verloren. Die Familie sei nach der Ausreise des Beschwerdeführers in den Iran zu einem Onkel gezogen.
Der Beschwerdeführer legte darüber hinaus ein Schreiben eines Dekanalamtes XXXX vor, wonach der Beschwerdeführer seit 13.06.2020 wöchentlich an einem Glaubenskurs teilnehme, zumindest einmal pro Woche die Heilige Messe besuche und voraussichtlich Ende Mai 2021 das Sakrament der Taufe und Firmung empfangen werde. Dazu gab der Beschwerdeführer an, dass er vor seiner Ausreise aus Afghanistan keinen Kontakt mit dem Christentum gehabt habe. In Griechenland und Österreich habe er Menschen getroffen, die ihm den katholischen Glauben nähergebracht hätten. Der Beschwerdeführer wolle nun zum Christentum konvertieren und gab diesbezüglich auch seine Sicht und Erfahrungen mit dem katholischen Glauben wieder.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm
§ 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).
4. Gegen den obgenannten Bescheid der belangten Behörde richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde vom 28.10.2020, in der einleitend auf eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers durch Kuchi-Nomaden hingewiesen wurde. Es bestehe mittlerweile auch kein (telefonischer) Kontakt mehr zur Familie, da der Beschwerdeführer ihnen gegenüber bekannt gegeben habe, dass er konvertiert sei. Seine innere Einstellung sei gefestigt und der Beschwerdeführer helfe in einer Kirche als Ministrant aus. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei für ihn – auch im Rahmen einer innerstaatlichen Fluchtalternative – schon aufgrund einer derartigen ehrenamtlichen Tätigkeit für die katholische Kirche nicht mehr zumutbar bzw. würde er sich einer asylrelevanten Verfolgung aussetzen. Es werde daher ausdrücklich ein subjektiver Nachfluchtgrund im Sinne des § 3 Abs. 2 erster Satz AsylG geltend gemacht.
5. Mit E-Mail vom 26.05.2021 bestätigte der Diakon des Dekanalamtes XXXX , dass dem Beschwerdeführer am 29.06.2021 das Sakrament der Taufe und Firmung gespendet werde. Der Beschwerdeführer sei aktiv ehrenamtlich in der Pfarre als Ministrant tätig und leiste auch Hilfestellung im sozialen Bereich. Darüber hinaus stellte sich der Diakon für weitere Angaben im Rahmen einer Videokonferenz zur Verfügung.
6. Mittels Schreiben vom 06.07.2021 brachte die Vertreterin des Beschwerdeführers weitere Unterlagen (zwei Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeiten, Bestätigung über erfolgte Taufe und Firmung, Deutschkursteilnahme Niveau A2, Einladung zu einem Aufnahmetest betreffend Pflichtschulabschluss für Erwachsene, Fotografien) in das Verfahren ein. Am 15.07.2021 wurde der Taufschein samt Firmbestätigung vom Diakon mittels E-Mail übermittelt.
7. Am 17.08.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist ein afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Ghazni geboren und aufgewachsen und ging dort 4 Jahre zur Schule. Der Beschwerdeführer arbeitete als Hirte im Rahmen der familieneigenen Landwirtschaft. Die Familie des Beschwerdeführers – Vater, Mutter, Bruder, Schwester – zog nach der Ausreise des Beschwerdeführers zu einem Onkel in den Iran. Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist nach seiner Ausreise erstmals im Jahr 2019 in Athen mit dem Christentum in Berührung gekommen. Dabei wurde er von einer Person auf das Christentum angesprochen und aufgefordert, sich mit dem Islam sowie darauffolgend mit dem Christentum auseinander zu setzen und betrat der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch eine Kirche. Nach seiner Ankunft in XXXX schloss der Beschwerdeführer Bekanntschaft mit einem Mann, der ihm bei der Bewältigung des neuen Alltags half und mit ihm über das Christentum sprach (vgl. Seite 7 ff Verhandlungsschrift).
Nach der Aufhebung von Ausgangsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Eindämmung des Covid-19-Virus und einem Transfer nach XXXX suchte der Beschwerdeführer einen Diakon auf. Er nahm ein Jahr lang an einem Katechumenat (einjährige Vorbereitungszeit zum Wechsel vom islamischen zum römisch-katholischen Glauben) teil, empfing am 29.06.2021 die Taufe (vgl. vorgelegter Taufschein) und ließ sich firmen. Ferner nahm der Beschwerdeführer als Ministrant an Gottesdiensten teil (vgl. Beilage zur Verhandlungsschrift) und besuchte diesen auch sonst wöchentlich (vgl. Nachrichten des Diakons an die zuständige Gerichtsabteilung).
Der Beschwerdeführer berichtete seiner im Iran lebenden Familie von seiner Absicht, sich taufen zu lassen. In weiterer Folge brachen sie den Kontakt zum Beschwerdeführer ab (vgl. Seite 3 f Verhandlungsschrift). Darüber hinaus ist es dem Beschwerdeführer ein Anliegen, weiteren Personen vom katholischen Glauben zu berichten und sie zu ermuntern, sich mit diesem auseinanderzusetzen (vgl. Seite 17 Verhandlungsschrift: „Ich erzähle ihnen meinen Weg, den ich gegangen bin und schlage ihnen vor, dass sie einmal die Bibel lesen.“ sowie „Ja, ich habe einen missioniert, er besucht derzeit den Glaubenskurs.“ Vgl. zudem Niederschrift zum Antrag auf internationalen Schutz, AS 302 f: „Ich habe im Christentum gelernt, dass ich das heilige Buch lesen muss und meiner Umgebung darüber erzählen soll. Und dann muss ich allen über Jesus Christus erzählen und die Leute missionieren.“ und „Ja, weil es kann ja sein, dass jemand so ist wie ich. Ich bin ja auch zum Christentum gekommen, weil mir jemand etwas darüber erzählt hat, dann würde ich das auch gerne weitergeben.“).
1.1.3. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben zum Christentum konvertiert ist. Es ist nicht anzunehmen, dass er bereit ist, seinen christlichen Glauben – insbesondere auch nicht in islamischer Umgebung – zu verleugnen.
1.2. Feststellungen zum Herkunftsstaat:
1.2.1. Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11.06.2021
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 11.06.2021
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 19.5.2021; vgl. USDOS 12.5.2021, AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3% der Bevölkerung aus (CIA 19.5.2021, USDOS 12.5.2021). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (USDOS 12.5.2021; vgl. UP 16.8.2019,BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017. Genaue Angaben zur Größe der Gemeinschaft der Ahmadi und der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 12.5.2021).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 12.5.2021; vgl. FH 4.3.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 12.5.2021), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 12.5.2021). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 12.5.2021). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 12.5.2021).
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 12.5.2021). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 12.5.2021; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 12.5.2021).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 12.5.2021).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 12.5.2021).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 12.5.2021; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 12.5.2021).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 12.5.2021). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 12.5.2021).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 12.5.2021).
In Hinblick auf die Gespräche im Rahmen des Friedensprozesses, äußerten einige Sikhs und Hindus ihre Besorgnis darüber, dass in einem Umfeld nach dem Konflikt von ihnen verlangt werden könnte, gelbe (Stirn-)Punkte, Abzeichen oder Armbinden zu tragen, wie es die Taliban während ihrer Herrschaft von 1996 bis 2001 vorgeschrieben hatten (USDOS 12.5.2021).
[…]
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Letzte Änderung: 11.06.2021
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt (LI 7.4.2021; cf. FH 4.3.2020, AA 16.7.2020, USDOS 12.5.2021). Weder in der afghanischen Verfassung noch im Strafgesetzbuch wird Apostasie erörtert, und daher sollte Apostasie im Einklang mit der Scharia bestraft werden. Eine wichtige Bedingung ist, dass die Ablehnung des Islams und die Konversion freiwillig sein müssen, um als Apostasie zu gelten. Der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion gilt als Apostasie und ist sowohl nach der sunnitischen Hanafi-Rechtsprechung als auch nach der schiitischen Jafari-Rechtsprechung verboten (LI 7.4.2021). Die Scharia sieht die Verhängung der Todesstrafe gegen erwachsene, geistig gesunde Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen (LI 7.4.2021; vgl. FH 4.3.2020, AA 16.7.2020, USDOS 12.5.2021). Frauen werden sowohl nach der Hanafi- als auch nach der Jafari-Jurisprudenz anders bestraft als Männer, wobei beide die Auspeitschung und Schläge vorschreiben, um sie zur Rückkehr zum Islam zu bewegen (LI 7.4.2021).
Die Zahl der afghanischen Christen in Afghanistan ist höchst unsicher, die Schätzungen schwanken zwischen einigen Dutzend und mehreren Tausend, allerdings gibt es derzeit keine zuverlässigen Schätzungen über die Zahl der Christen in Afghanistan (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Der Islam spielt eine entscheidende Rolle in der afghanischen Gesellschaft und definiert die Auffassung der Afghanen vom Leben, von Moral und Lebensrhythmus. Den Islam zu verlassen und zu einer anderen Religion zu konvertieren bedeutet, gegen die gesellschaftlichen Kerninstitutionen und die soziale Ordnung zu rebellieren (LI 7.4.2021).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 12.5.2021) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Christliche Afghanen können ihren Glauben nicht offen praktizieren (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021). Es gibt wenig konkrete Informationen darüber, wie sie ihren Glauben tatsächlich praktizieren; das einzige verfügbare Material, das ihre Situation und Herausforderungen beschreibt, ist bescheiden und anekdotisch. Christliche Afghanen, die sich in der Öffentlichkeit oder über digitale Medien zu ihrem Glauben bekennen, sind ausnahmslos Afghanen, die außerhalb des Landes leben. Es gibt keine Anzeichen für christliche Traditionen, christliche Präsenz oder Kirchengebäude jeglicher Art in Afghanistan. Es gibt derzeit eine einzige offizielle Kirche im Land; die katholische Kirche in der diplomatischen Enklave in Kabul (LI 7.4.2021). Nach Angaben von Landinfo sind weder diese Kirche noch die evangelische Kirche für Ausländer in Kabul, die Community Christian Church of Kabul (CCK), für Afghanen zugänglich. Christliche Afghanen müssen ihren Glauben allein oder in kleinen Gemeinschaften in Privathäusern in so genannten Hauskirchen praktizieren (LI 7.4.2021).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 12.5.2021; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 12.5.2021).
Landinfo argumentiert, dass die größte Bedrohung für einen afghanischen Konvertiten das Risiko ist, dass seine Großfamilie von der Konversion erfährt. Wenn das der Fall ist, wird diese versuchen, ihn oder sie davon zu überzeugen, zum Islam zurückzukehren. Dieser Druck kommt oft von den engsten Familienmitgliedern wie Eltern und Geschwistern, kann aber auch Onkel, Großeltern und männliche Cousins betreffen (LI 7.4.2021). Ein Konvertit wird in jeder Hinsicht stigmatisiert: als Repräsentant seiner Familie, Ehepartner, Eltern/Erzieher, politischer Bündnispartner und Geschäftspartner. Weigert sich der Konvertit, zum Islam zurückzukehren, riskiert er, von seiner Familie ausgeschlossen zu werden und im Extremfall Gewalt und Drohungen ausgesetzt zu sein. Einige Konvertiten haben angeblich Todesdrohungen von ihren eigenen Familienmitgliedern erhalten (LI 7.4.2021; vgl. USDOS 12.5.2021).
Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 12.5.2021) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017). Es gibt keine Informationen, die darauf hindeuten, dass sich die Behörden oder der Geheimdienst in besonderem Maße auf die Hauskirchen konzentrieren. Es wurden keine Berichte gefunden, die darauf hindeuten, dass Razzien, Durchsuchungen oder Beschlagnahmungen stattfinden, noch dass Mitglieder dieser Gemeinden zur Befragung vorgeladen oder verhaftet wurden. Es gibt jedoch anekdotische, nicht verifizierte Informationen, dass einige Konvertiten befragt und für mehrere Tage in Gewahrsam genommen wurden (LI 7.4.2021; vgl. Iyengar 2018). Auch kann es einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).
Die dominierende Rolle des Islam schränkt den Zugang zu Informationen über andere Religionen für die in Afghanistan lebenden Afghanen ein. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen in Afghanistan das Christentum kennen lernen, ist relativ gering. Normalerweise sind es Afghanen, die im Ausland leben, unter anderem in Pakistan oder im Iran, die mit dem Christentum in Kontakt kommen. In den letzten Jahren jedoch, seit dem Sturz des Taliban-Regimes, ist die internationale Präsenz in Afghanistan beträchtlich und einige Menschen kommen möglicherweise durch ausländische christliche Entwicklungshelfer oder anderes internationales Personal mit dem Christentum in Kontakt. Verschiedene digitale Plattformen haben ebenfalls dazu beigetragen, dass mehr Menschen mit dem Christentum bekannt gemacht werden (LI 7.4.2021).
Die Bibel wurde sowohl in Dari als auch in Paschtu übersetzt. Es konnten keine Informationen gefunden werden, die darauf hindeuten, dass die Bibel in Afghanistan zum Verkauf steht oder anderweitig auf legalem Wege erhältlich ist. Sie ist jedoch in Pakistan und im Iran erhältlich. Mehrere Ausgaben der Bibel wurden von iranischen Verlagen veröffentlicht und sind, wenn auch in begrenztem Umfang, in gewöhnlichen Buchläden im Iran erhältlich (LI 7.4.2021; vgl. LI 2017). Mit der zunehmenden Nutzung digitaler Plattformen und sozialer Medien sind Informationen über verschiedene Religionen, einschließlich des Christentums, besser verfügbar als in der Vergangenheit. Die Bibel kann sowohl in Dari als auch in Paschtu kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden, ebenso wie anderes christliches Material (LI 7.4.2021).
Apostaten haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Apostaten durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 12.5.2021).
[…]
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu Namen, Sprachkenntnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im Asylverfahren.
Auch lassen die Angaben des Beschwerdeführers zum Alter bzw. Geburtsdatum nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass dem Beschwerdeführer seine persönliche Glaubwürdigkeit abzusprechen wäre. Das von ihm genannte Geburtsdatum findet sich auf einer Kopie einer afghanischen Tazkira und wurde vom Beschwerdeführer stets im Zusammenhang mit seinem Alter und unter Verweis auf die Tazkira genannt. Steht dieses Vorbringen im möglichen Widerspruch zum „absoluten Mindestalter“ des medizinischen Sachverständigengutachtens (zur multifaktoriellen Diagnostik zur Feststellung eines absoluten Mindestalters zum Antragszeitpunkt) so ist insbesondere auf allgemeine Feststellungen im Zusammenhang mit der Tazkira – welche sich auch schon im Bescheid der belangten Behörde finden und der Länderinformation entstammen – zu verweisen (vgl. AS 540):
„Eintragungen in der Tazkira sind oft ungenau. Geburtsdaten werden häufig lediglich in Form von „Alter im Jahr der Beantragung“, z. B. „17 Jahre im Jahr 20xx“ erfasst, genauere Geburtsdaten werden selten erfasst und wenn, dann meist geschätzt (AA 2.9.2019). Insgesamt sind in Afghanistan sechs Tazkira-Varianten im Umlauf (AAN 22.2.2018). Es gibt keine einheitlichen Druckverfahren oder Sicherheitsmerkmale für die Tazkira in A4-Format.“
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Die getroffene Feststellung betreffend die Konvertierung des Beschwerdeführers zum Christentum ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Beschwerdeverhandlung am 17.08.2021 und den Nachrichten des Diakons vom 15.07.2021, 29.06.2021 sowie 26.05.2021 an die zuständige Gerichtsabteilung.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer ein eher rudimentäres Wissen über den Islam – im Gegensatz zum Christentum – vorweisen konnte. Der Beschwerdeführer konnte glaubhaft darlegen, dass ihm eine Auseinandersetzung mit dem Islam in seinem Herkunftsstaat nicht möglich war und diesbezüglich auch keine Notwendigkeit aufgrund gesellschaftlicher Gepflogenheiten bestand (vgl. Niederschrift zum Antrag auf internationalen Schutz, AS 299).
Bei der Frage, ob eine Person aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertierte, kommt es nicht allein auf einen zu erfüllenden „Wissenscheck“ im Rahmen einer Beschwerdeverhandlung an; noch viel weniger auf den jeweiligen Bildungsstand dieser Person. In Anbetracht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer seit einem Jahr jeden Sonntag den Gottesdienst in einer katholischen Gemeinde besucht, dabei auch als Ministrant und darüber hinaus auch ehrenamtlich in der Gemeinde aktiv ist, zu diesen Umständen mehrfach Bestätigungen sowie die Fürsprache des Diakons vorliegen, aus der Niederschrift vor der belangten Behörde – und somit kurz nach Ankunft des Beschwerdeführers in Österreich – bereits die nähere Auseinandersetzung mit dem katholischen Glauben erkennbar ist und der Beschwerdeführer auch Ansichten zur (höchst)persönlichen Bedeutung des katholischen Glauben (abseits eines „Wissenschecks“) teilte, hegt das Bundesverwaltungsgericht keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der erfolgten Konversion des Beschwerdeführers.
2.2.2. Auf Grund der nunmehrigen Lebensumstände und der glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Tatsache der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum über das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers hinaus auch nach außen hin bekannt geworden ist (vgl. Feststellungen). Insbesondere ist es dem Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan nicht (mehr) zuzumuten, die verinnerlichte Konversion zu verleugnen.
2.2.3. Das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seiner Konversion vom Islam zum Christentum war daher in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen.
2.2.4. Da der Beschwerdeführer somit die innerliche Hinwendung zum Christentum glaubhaft machen konnte, erübrigt sich ein näheres Eingehen auf sonstige vorgebrachte Verfolgungsgründe. Wie von der belangten Behörde jedoch zutreffend festgestellt, handelt es sich bei den seitens des Beschwerdeführers behaupteten Handlungen durch die Kuchis um keine relevante Bedrohung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe dazu auch unten, 3., rechtliche Beurteilung).
2.3. Zum Herkunftsstaat:
Es wurde vor allem Einsicht genommen in folgende Erkenntnisquellen des Herkunftsstaates des Beschwerdeführers:
Auszug Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11.06.2021
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquelle sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
Es kann zudem davon ausgegangen werden, dass sich die traditionell geprägten Gewohnheiten und Einstellungen in der stark islamisch geprägten afghanischen Gesellschaft zu religiösen Minderheiten in absehbarer Zeit nicht verändern werden und daher die diesbezüglichen Informationen der zuletzt aktuellen Länderinformation zu Religionsfreiheit, sowie Apostasie, Blasphemie und Konversion nach wie vor Aussagekraft besitzen; insbesondere wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass die bisherige Staatsgewalt durch die radikalislamischen Taliban ersetzt wurde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg.cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist).
Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder in Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH vom 19.10.2000, 98/20/0233).
Zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, ist auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung setzt positiv getroffene Feststellungen der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, 95/01/0627).
"Glaubhaftmachung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK ist die Beurteilung des Vorgetragenen daraufhin, inwieweit einer vernunftbegabten Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen wohlbegründete Furcht vor Verfolgung zuzugestehen ist oder nicht. Erachtet die Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben des Asylwerbers grundsätzlich als unwahr, können die von ihm behaupteten Fluchtgründe gar nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden. Zudem ist auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung gar nicht näher zu beurteilen (vgl. VwGH vom 09.05.1996, 95/20/0380). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH vom 30.09.2004, 2001/20/0006, betreffend Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH 28.05.2009, 2007/19/1248; 23.01.1997, 95/20/0303) reichen für sich alleine nicht aus, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. VwGH 26.11.2003, 2001/20/0457).
3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, im Hinblick auf die erfolgte Konversion des Beschwerdeführers begründet ist:
3.2.1. Vorauszuschicken ist, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sowie des Asylgerichtshofes die von dem Beschwerdeführer geltend gemachte Furcht vor den Kuchi Nomaden in keinem kausalen Zusammenhang mit einem der in der GFK abschließend genannten Verfolgungsgründe steht (vgl. dazu die Entscheidungen des BVwG vom 13.07.2016, W123 2127467-1/4E u.a.; 10.03.2015, W220 1427924-1/17E; 21.07.2014, W220 1428066-1/5E; 27.06.2014, W142 1425581-1; und des AsylGH vom 02.12.2013, C9 413027-1/2010; 16.04.2012, C9 410761-1/2009; 14.07.2011, C10 411667-1/2010; 28.06.2011, C10 416354-1/2010; 18.02.2010, C18 406530-1/2009; 15.10.2009, C17 405246-1/2009; sowie 23.03.2009, C2 400504-1/2008, in welchen jeweils die Verfolgung aus Konventionsgründen im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Hazara und [Kuchi-]Nomaden verneint wurde).
Das erkennende Gericht sieht keinen Grund für ein Abweichen von dieser langjährigen Rechtsprechung. In Afghanistan ist es zwar immer wieder zu gewalttätigen und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem (paschtunischen) Nomadenvolk der Kuchi und der Volksgruppe der Hazara gekommen. Die Überfälle der Kuchi sind jedoch nicht auf einen Konventionsgrund zurückzuführen, sondern haben ihren wesentlichen Grund vielmehr in der allgemein schlechten Wirtschafts- und Versorgungslage sowie in den ungeklärten Boden- und Wasserverhältnissen in Afghanistan, unter denen besonders die Nomadenstämme leiden. Die Überfälle bzw. Übergriffe der Kuchi wegen des von ihnen begehrten Weidelandes richten sich potenziell gegen alle Bewohner der betroffenen Region ohne Unterscheidung ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Gesinnung. Aus den zur Lage in Afghanistan vorliegenden Erkenntnisquellen ergibt sich, dass der maßgebliche Faktor für die Überfälle der Kuchi auf im zentralafghanischen Hochland lebende Hazara der (keinem Konventionsgrund zuzuordnende) Konflikt über Boden und Weiderechte ist (vgl. dazu etwa VwGH 14.01.2003, 2001/01/0432 betreffend Verneinung eines Konventionsgrundes im Zusammenhang mit Grundstücksstreitigkeiten).
Vor allem aus den herkunftsstaatsbezogenen Informationsquellen ergeben sich keine geeigneten Anhaltspunkte dafür, dass das geltend gemachte Bedrohungsszenario über diesen Konflikt hinaus zu einem wesentlichen Teil auch auf andere Umstände (etwa auf die Zugehörigkeit der Dorfbewohner zur Volksgruppe der Hazara bzw. zur Religionsgruppe der Schiiten) zurückzuführen sein könnte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die wiederkehrenden Wanderungen von Nomaden in fruchtbare Weidegebiete der Hazara mitunter auch mit schweren Waffen ausgetragene Auseinandersetzungen mit sich bringen. Vielmehr steht die Suche nach Weideland für die Tiere der Nomaden, welche die Grundlage ihrer Existenz darstellen, im Vordergrund, und dabei kommt der Frage, in wessen Eigentum das existenzerhaltende Weideland für die eigenen Tiere steht, nachrangige Bedeutung zu.
3.2.2. Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt jedoch dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Allein aus der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit kann das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der GFK aber nicht abgeleitet werden (VwGH, 09.11.1995, Zahl 94/19/1414). Es sind darüberhinausgehende konkret gegen den Asylwerber gerichtete, von staatlichen Stellen ausgehende bzw. von diesen geduldeten Verfolgungshandlungen gegen seine Person erforderlich, um die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zu erweisen (VwGH 08.07.2000, Zahl 99/20/0203; 21.09.2000, Zahl 98/20/0557).
Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/83/EG (Status-Richtlinie) kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftsstaates beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Hat der Fremde nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion (allenfalls sogar mit der Todesstrafe) belegt zu werden (VwGH 24.10.2001; Zahl 99/20/0550; 19.12.2001, Zahl 2000/20/0369; 17.10.2002; Zahl 2000/20/0102; 30.06.2005, Zahl 2003/20/0544).
Aus dem oben zur Person des Beschwerdeführers festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation in Afghanistan, ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Person mit christlicher Überzeugung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite – ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme – als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum den afghanischen Behörden verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des Beschwerdeführers vor (vgl. auch Beweiswürdigung); insbesondere auch vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse wie der Machtergreifung durch die radikalislamischen Taliban.
Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.
3.2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam zum Christentum konvertierten Mannes verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des Beschwerdeführers stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Apostasie Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe staatlicher Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2236542.1.00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022