TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/29 I415 2245678-1

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Veröffentlicht am 29.09.2021
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Entscheidungsdatum

29.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I415 2245678-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. ÄGYPTEN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion XXXX vom 23.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist ägyptischer Staatsangehöriger. Er reiste im September 2019 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stelle am 30.06.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 30.06.2021 wurde der BF hinsichtlich seines Antrages auf internationalen Schutz vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei führte der BF im Wesentlichen hinsichtlich seiner Fluchtgründe aus, er habe zehn Tage vor seiner Ausreise – um in der Slowakei Urlaub zu machen – einen Verkehrsunfall gehabt. Seinem Unfallgegner sei im Spital der Fuß abgenommen worden. Nun fürchte er Probleme zu bekommen durch die Familie des Verletzten.

3.       Mit Mitteilung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 30.06.2021 wurde dem BF zur Kenntnis gebracht, dass gemäß der Dublin-Verordnung Konsultationen in Form einer Anfrage mit der Slowakei geführt werden. Zudem wurde ihm zur Kenntnis gebracht, dass die in § 28 Abs. 2 Asylgesetz 2005 definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen für sein Verfahren nicht mehr gilt.

4.       Am 21.07.2021 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen führte der BF im Wesentlichen aus, er habe einen Verkehrsunfall gehabt. Die Familie des Unfalllenkers – diesem sei ein Bein amputiert worden – mache Probleme. Sein Vater habe ihm sodann geraten er solle in Österreich bleiben, da die Lösung des Problems noch länger dauern würde. Auf Nachfrage der belangten Behörde, weshalb er erst zwei Jahre später einen Asylantrag stellte, gab er an, er habe abgewartet ob es mit der Familie des verletzten Motorradfahrers zu einer Lösung käme, dies sei jedoch nicht geschehen. Die Familie des Unfalllenkers habe – obwohl dieser für den Unfall verantwortlich gewesen sei – „Probleme mit seiner Familie gemacht“. Diese seien der Meinung, den BF treffe die Schuld an dem Unfall, wobei der BF behauptet, nicht für den Unfall verantwortlich zu sein. Weitere Fluchtgründe brachte der BF nicht vor.

5.       Mit Bescheid vom 23.07.2021, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des Subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Ägypten (Spruchpunkt II.) ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gewährte ihm eine Frist für seine freiwillige Ausreise von 14 Tagen (Spruchpunkt VI.).

6.       Gegen diesen Bescheid erhob der BF rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Begründend führte er zusammengefasst aus, dass er in seiner Heimat einen Verkehrsunfall gehabt habe und daraufhin einen Urlaub in der Slowakei vornahm. Sein Vater habe ihm geraten in Österreich zu bleiben, bis der Vorfall mit der Familie des Unfallopfers geregelt sei. Der BF fürchte nun einen Racheakt der Familie des Unfallopfers. Bis zu einer Einigung lebe der BF in Ägypten in Gefahr.

7.       Mit Schriftsatz vom 19.08.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 23.08.2021, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zu der Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist geschieden und Staatsangehöriger von Ägypten. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Araber und ist sunnitischer Moslem. Der BF hat Sorgepflichten für zwei minderjährige Töchter. Seine Identität steht nicht fest.

Bis zu seiner Ausreise am 15.07.2019 lebte der BF in XXXX in Ägypten. Von dort aus reiste der BF per Flugzeug nach Österreich über den Flughafen Wien-Schwechat ein. Dem BF war von der slowakischen Botschaft in Kairo ein für einen Monat – ausgestellt im Juli 2019 – gültiges Schengenvisum ausgestellt worden. Er reiste illegal im Jahr 2019 ins Bundesgebiet ein, wohnte seinen Ausführungen nach bei Kollegen ohne melderechtlich in Erscheinung zu treten und stellte schließlich am 30.06.2021 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Seit seiner Antragstellung ist der BF durchgehend in Österreich aufhältig und seitdem auch melderechtlich lückenlos erfasst.

Der BF ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann, stammt aus XXXX und besuchte zwölf Jahre lang die Grundschule in seiner Heimat. Er war bis zu seiner Ausreise als Kleiderverkäufer in seinem eigenen Geschäft tätig. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung ist davon auszugehen, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in der Lage sein wird diese Tätigkeit erneut aufzunehmen oder anderweitig Arbeit zu finden und sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

In seiner Heimat leben nach wie vor die Ex-Ehegattin und ihre gemeinsamen zwei minderjährigen Kinder sowie die Eltern, der Bruder und die fünf Schwestern des BF. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Der BF spricht Arabisch.

Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er geht hier keiner Beschäftigung nach und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Zudem bekommt er von seinem Vater aus Ägypten Geld geschickt. Der BF weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.

Der BF verfügt über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Bundesgebiet.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF in Ägypten Gefahr durch die Familie des Unfalllenkers droht. Auch sonstige asylrelevante Fluchtgründe konnte der BF nicht glaubhaft machen.

Der BF wird im Falle seiner Rückkehr nach Ägypten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Zur aktuellen Lage in Ägypten werden auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 01.02.2021 folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt (AA 13.6.2020). Präsident Abdel Fatah Al-Sisi regiert Ägypten seit seiner Machtübernahme auf eine immer autoritärere Weise (FH 4.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Die Lage in Ägypten unter Staatspräsident Al-Sisi ist durch ein hohes Maß an staatlicher Repression und eine Politik geprägt, die – dominiert durch Militär und Sicherheitsbehörden und vermeintlich im übergeordneten Interesse der Stabilität – für oppositionspolitische Betätigungen und die Entfaltung bürgerlicher Freiheiten kaum noch Raum lässt (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020).

Abdel Fatah Al-Sisi ist seit dem 8.6.2014 Präsident Ägyptens. Ende März 2014 gab er seine Kandidatur um das ägyptische Präsidentenamt bekannt. Er musste aus dem Militärdienst ausscheiden, um bei den Wahlen antreten zu können. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi war seit dem 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter dem Ministerpräsidenten Hesham Kandil in der Regierung von Mohamed Mursi. Am 3.7.2013 war die Absetzung von Mursi durch das Militär erfolgt, mit Unterstützung der Bevölkerung, nachdem dieser versucht hatte, dem Präsidentenamt große Machtbefugnisse zuzuteilen, und das Land zu islamisieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte die de-facto Machtübernahme Al-Sisis (GIZ 6.2020a; vgl. ÖB 25.11.2020).

Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 und 2018 gewann Präsident Al-Sisi mit jeweils 97% der Stimmen (FH 4.3.2020). Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, der ehemalige Stabschef der ägyptischen Streitkräfte Sami Anan, wurde nur wenige Tage nach der Ankündigung seiner Kandidatur verhaftet und blieb bis Dezember 2019 in Haft (AA 13.6.2020). Die anderen Kandidaten wurden durch Druck und unfaire Wettbewerbsbedingungen aus dem Rennen gedrängt (AA 13.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.3.2020).

Der Großteil der Abgeordneten des von etwa 25% der ägyptischen Wahlberechtigten gewählten und im Jänner 2016 konstituierten ägyptischen Parlaments ist regierungstreu. Das Parlament führt kaum kritische Debatten und nimmt im Grunde die Rolle einer Legitimierungsinstitution für Regierungshandeln ein. Eine vergleichsweise kleine Gruppe von kritischen oppositionellen Abgeordneten erfährt immer wieder Restriktionen bis hin zu Ausschlüssen (AA 13.6.2020).

Im April 2019 trat nach einem Referendum eine Verfassungsänderung in Kraft, die dem Staatspräsidenten die Möglichkeit bietet, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Der Präsident erhielt des Weiteren mehr Macht über den Justizapparat und es kam zu einer Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben (DP 23.4.2019; vgl. ÖB 25.11.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        DP - Die Presse (23.4.2019): Ägypten: Referendum ermöglicht al-Sisi, bis 2030 Präsident zu bleiben, https://www.diepresse.com/5617070/agypten-referendum-ermoglicht-al-sisi-bis-2030-prasident-zu-bleiben, Zugriff 18.1.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 18.1.2020

-        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021

-        ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021
Sicherheitslage

Die Bedrohung durch Terrorismus ist hoch. Anfällig für Angriffe sind z.B. religiöse Stätten, Touristenattraktionen und Regierungsgebäude (MSZ o.D.; vgl. MEAE/FD 15.1.2021, AA 21.1.2021). Der Ausnahmezustand wurde 2017 zunächst nach der Explosion mehrerer Bomben gegen Kirchen in den Gouvernements Kairo und Alexandria verhängt und in Folge immer wieder verlängert (MAE 16.1.2021; vgl. MSZ o.D., ÖB 25.11.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AA 22.1.2021).

Die Lage auf der Sinai-Halbinsel ist sehr angespannt (MAE 16.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020). Der Einsatz der Sicherheitskräfte im Kampf gegen den Terrorismus hat vielfach dazu beigetragen, die Spannungen zwischen Beduinen und den staatlichen Institutionen zu verschärfen (AA 13.6.2020). Beduinenstämme sind für Einschüchterungsversuche und Gewalttaten verantwortlich (MAE 16.1.2021).

Terroristische Organisationen sind vor allem, aber nicht ausschließlich, in den nordöstlichen Teilen des Gouvernements Sinai aktiv (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021). Die meisten Anschläge im Nordsinai richten sich gegen militärische Einrichtungen und Personal (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Sowohl Terroranschläge als auch Militäroperationen führen immer wieder zu zivilen Opfern (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, ACLED 14.5.2020).

Im Jahr 2018 führte die „Operation Sinai 2018“ zu einer deutlichen Intensivierung der militärischen Aktivitäten im Nordsinai (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021, MEAE/FD 15.1.2021, ÖB 25.11.2020). Die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des Islamischen Staates (IS) in der Region Nordsinai dauern weiterhin an (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AI 18.2.2020, ÖB 25.11.2020), wenn auch deren Häufigkeit reduziert wurde (AI 18.2.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im Sog der Gesundheitskrise und öffentlichen Unordnung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie konnte der Islamische Staat seine Aktivitäten auf der Halbinsel Sinai jedoch wieder verstärken (ACLED 14.5.2020, 9.4.2020).

Das Wüstengebiet von der libyschen Grenze im Westen bis zur sudanesischen Grenze im Süden ist ein Risikogebiet, in dem die Streitkräfte regelmäßig Operationen gegen Schlepper durchführen (MEAE/FD 15.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020) und Terroristen Anschläge verüben (OSAC 30.4.2020). Die Infiltration von terroristischen Elementen aus Libyen kann nicht ausgeschlossen werden (MEAE/FD 15.1.2021).

Es kommt gelegentlich zu Attentaten in den Großstädten (ÖB 25.11.2020).

In Ägypten sind folgende terroristische Organisationen aktiv. Der Islamischer Staat - Wilayat Sinai (auch: Ansar Bayt al-Maqdis - ABM) ist die aktivste Terrorgruppe in Ägypten (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Darüber hinaus gibt es den Islamischen Staat in Ägypten, Harakat Sawa'd Misr (HASM), Liwa al-Thawra, mit al-Qaida verbundene Gruppen, Harket Elmokawma Elsha'biya alias "Volkswiderstand" und andere verschiedene kleinere Terrorgruppen (OSAC 30.4.2020). Seit Mitte 2016 sind die neuen Terrorgruppen HASM und „Liwaa al-Thawra“ mit islamistisch-nationalistischer Ausrichtung im ägyptischen Kernland für mehrere schwere Anschläge, v.a. gegen Sicherheitskräfte u. Justiz, verantwortlich. Anschläge haben seit 2019 etwas abgenommen aber nicht aufgehört (ÖB 25.11.2020).

Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 13.6.2020; vgl. RSF 2020) und gelegentlich wird die Berichterstattung vollständig untersagt (ACLED 14.5.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.1.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 29.1.2021

-        ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (14.5.2020): CDT Spotlight: Egypt, https://acleddata.com/2020/05/14/cdt-spotlight-egypt/, Zugriff 29.1.2021

-        ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (9.4.2020): CDT Spotlight: Islamic State Attacks, https://acleddata.com/2020/04/09/cdt-spotlight-renewed-attacks-by-the-islamic-state/, Zugriff 29.1.2021

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (18.12.2020): Reiseinformation, Ägypten - Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aegypten/, Zugriff 22.1.2021

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020

-        MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Außenministerium Italien] (16.1.2021): Viaggiare Sicuri informatevi – Egitto, http://www.viaggiaresicuri.it/country/EGY, Zugriff 29.1.2021

-        MEAE/FD - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères / France diplomatique [Außenministerium Frankreich] (15.1.2021): Egypte - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/#securite, Zugriff 29.1.2021

-        MSZ - Ministerstwo Spraw Zagranicznych / Außenministerium Polen (o.D.): Informacje dla podró?uj?cych – Egipt, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/egipt, Zugriff 20.1.2021

-        ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021

-        OSAC - Overseas Security Advisory Council (30.4.2020): Egypt 2020 Crime & Safety Report, https://www.osac.gov/Country/Egypt/Content/Detail/Report/d1dea62c-57dd-4b34-bbb1-189224fb1423, Zugriff 29.1.2021

-        RSF - Reporters sans frontières / Reporter ohne Grenzen (2020): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aegypten, Zugriff 28.1.2021

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Einzelnen Gerichten fehlt es manchmal an Unparteilichkeit und diese gelangen zu politisch motivierten Ergebnissen. Die Regierung respektiert in der Regel Gerichtsbeschlüsse (USDOS 11.3.2020). Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im April 2019 führten Verfassungsänderungen zur Ausweitung der Befugnisse von Militärgerichten bei der Verfolgung von Zivilisten. Sie unterminierten die Unabhängigkeit der Justiz durch die Ausstattung des Präsidenten mit der Befugnis, Vorsitzende von Körperschaften der Justiz zu ernennen (AI 18.2.2020).

Die ägyptische Justiz ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 6.2020a).

In Ägypten existieren Straftatbestände, die als solche oder in ihrer konkreten Anwendung, eine Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale darstellen. So wird der Blasphemieparagraph überproportional gegen Christen und Atheisten angewendet. Der Unzuchtparagraph wird nahezu ausschließlich auf homosexuelle Männer angewendet. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Anlässlich ägyptischer Feiertage und Großereignisse werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich„normale“Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Das Parlament hat im März 2020 Gesetzesänderungen verabschiedet, die eine vorzeitige Haftentlassung von Personen ausschließen, die aufgrund der Straftatbestände Terrorismus, Geldwäsche, Drogenhandel und illegales Demonstrieren verurteilt sind (AA 13.6.2020).

Gesetzlich ist das Recht auf ein faires Verfahren vorgesehen, aber die Justiz kann dieses Recht oft nicht gewährleisten. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 11.3.2020). Die weitgehende Nutzung von außerordentlichen Gerichten, darunter Terrorismusgerichte [orig. terrorism circuits], Militärgerichte und Staatssicherheitsgerichte, führt zu unfairen Verfahren. Es kommt bei Verfahren der Terrorismusgerichte zu Vorwürfen von zwangsweisem Verschwindenlassen und Folter (AI 18.2.2020).

Auch lang andauernde Haft ohne Anklage aufgrund Veranlassung der Sicherheitsbehörden ist verbreitet, die Zahl solcher Haftfälle steigt. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen (AA 13.6.2020).

Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegen. Traditionelle Vorstellungen von (Blut-)Rache und (kollektiver) Vergeltung sind in den ländlichen Gebieten Oberägyptens nach wie vor vorherrschend. Traditionelle Streitschlichtungsmechanismen spielen auch aufgrund der Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen eine große Rolle. Dabei kommt es regelmäßig zu strukturellen Benachteiligungen der Christen (AA 13.6.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 18.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist zuständig für die Durchsetzung der Gesetze und innere Sicherheit, ihm unterstehen die Polizei (Public Police), die Zentralen Sicherheitkräfte (Central Security Force – CSF), der Nationale Sicherheitssektor (National Security Sector – NSS) sowie Zoll und Immigration. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und führen Einsätze bei Demonstrationen durch. Der NSS ist bei Bedrohungen der inneren Sicherheit zuständig sowie für die Bekämpfung des Terrorismus, gemeinsam mit anderen ägyptischen Sicherheitskräften. Zivile Behörden haben eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Militär und Sicherheitsbehörden nehmen im Staatsgefüge eine dominierende Position ein und verfügen über weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten. Gerade auf dem Gebiet der begrifflich sehr weit verstandenen Terrorismusbekämpfung sind die Sicherheitsbehörden der Kontrolle durch die Justiz und anderen Verfassungsorganen weitgehend entzogen. Polizei und Staatsschutz (National Security Services) sind formal getrennt, unterstehen jedoch gemeinsam dem Innenministerium (AA 13.6.2020). Der nach einem Terroranschlag im April 2017 verhängte landesweite Ausnahmezustand dauert weiterhin an und geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher (AA 22.1.2021).

Die Regierung bestraft oder verfolgt Beamte, die Vergehen begehen, nur inkonsistent. Dies gilt sowohl für die Sicherheitskräfte als auch andere Regierungsstellen. Die nicht umfassende Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen, vor allem innerhalb der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straffreiheit bei (USDOS 11.3.2020).

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle des Militärs auch im wirtschaftlichen Umfeld. Die traditionell starke Verflechtung des Militärs in sämtlichen ägyptischen Strukturen ist laut Schätzungen für bis zu 45% des BIP verantwortlich, auch wenn es dazu aus Gründen der Geheimhaltung keine offiziellen/verlässlichen Zahlen gibt (Präsident Al-Sisi spricht von knapp 2%). Das Militär ist in sämtlichen Infrastrukturbereichen ebenso tätig wie beispielsweise beim Abfüllen von Wasser oder der Produktion von Pasta und beim Import von Babymilchpulver (WKO 9.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.1.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 29.1.2021

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021

-        WKO - Wirtschaftskammer Österreich | AußenwirtschaftsCenter Kairo (22.9.2020): Außenwirtschaftsbericht Ägypten, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/aegypten-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.1.2021

Wehrdienst und Rekrutierungen

Männer im Alter von 18-30 Jahren werden zum Wehrdienst verpflichtet. Die Dienstpflicht beträgt zwischen 18-36 Monate, gefolgt von einer neun-jährigen Reserveverpflichtung. Die freiwillige Einberufung ist ab 15 Jahren (2017) möglich (CIA 17.12.2020). Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen orientiert ist, sie erfolgt allerdings nach Kriterien der sozialen Zugehörigkeit. Wehrpflichtige Angehörige niedriger, insbesondere ländlicher, Bevölkerungsschichten werden häufig für (bereitschafts-)polizeiliche Aufgaben unter harten Bedingungen eingesetzt. Die Möglichkeit des Ersatzdienstes besteht nicht. Vom Bestehen inoffizieller Möglichkeiten des „Freikaufs“ ist auszugehen. Amnestien im Bereich des Wehrdienstes sind nicht bekannt. Wehrdienstverweigerung wird mit Haftstrafen von im Normalfall bis zu zwei Jahren in Verbindung mit dem Entzug politischer Rechte und der Verpflichtung, den Wehrdienst nachträglich abzuleisten, bestraft (AA 13.6.2020).

Männer, die den Wehrdienst nicht abgeschlossen haben, dürfen nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Identifikationskarten indizieren den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 29.12.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (17.12.2020): The World Factbook – Egypt, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/eg.html, Zugriff 29.12.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Egypt, https://www.ecoi.net/en/document/2026355.html, Zugriff 29.12.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in Ägypten hat sich – bei bereits Besorgnis erregendem Niveau – [im Zeitraum 2019/2020] in fast allen Bereichen weiter verschlechtert (AA 13.6.2020).

Die nach 2011 angestoßene politische Konsolidierung hin zu einem auf einem Rechtsstaat basierenden demokratischen System ist zum Stillstand gekommen. Freiheitsrechte werden systematisch abgebaut. Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt. Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind erheblich eingeschränkt (AA 13.6.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Ägypten hat einige internationale Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 13.6.2020).

Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 6.2020a).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt Deutschland (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 29.12.2020

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020a): Ägypten - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/aegypten/geschichte-staat/, Zugriff 29.12.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Egypt, https://www.ecoi.net/en/document/2026355.html, Zugriff 29.12.2020

Meinungs- und Pressefreiheit

Die Verfassung sieht Meinungs- und Pressefreiheit vor, beinhaltet aber eine Klausel, wonach diese in Kriegszeiten oder anlässlich einer öffentlichen Mobilisierung einer begrenzten Zensur unterworfen werden kann. Die Regierung hat diese Rechte oft nicht respektiert (USDOS 11.3.2020) und die Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im World Press Freedom Index 2020 belegt Ägypten Rang 166 von 180 (RSF 2020). Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 13.6.2020; vgl. RSF 2020).

Kritische Stimmen finden in den Medien kaum Gehör – sei es in den direkt gesteuerten Staatsmedien oder in den privaten Medien, die durch Selbstzensur auf Regierungslinie berichten oder kommentieren. Nur einzelne Zeitungen und vor allem Onlineportale bieten kritischen Stimmen noch einen gewissen Raum. Auf diese Medien wird zunehmender Druck ausgeübt. Seit Mai 2017 sind über 400 Webseiten, darunter die von zahlreichen (Online-)Medien, wie u.a. Al Jazeera, Mada Masr, Daily News Egypt, ohne Angabe zu Urheber und Rechtsgrundlage gesperrt (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, ÖB 25.11.2020).

Das Anti-Terrorismusgesetz von 2015 stellt einen ebenso tiefen Einschnitt in die professionelle Arbeit von Journalisten in Ägypten dar. Durch das Gesetz sind Journalisten mit Strafen wegen „Verbreitung falscher Nachrichten“ bedroht. Es schränkt ihre Recherchemöglichkeiten erheblich ein und entzieht ihnen die freie Wahl ihrer Quellen. Das Abweichen von offiziellen Linien der Berichterstattung wird mit empfindlichen Geldstrafen sanktioniert (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, RSF 2020, ÖB 25.11.2020, ACLED 14.5.2020).

Es kommt regelmäßig zu Anhörungen und Verhaftungen von Journalisten (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, FH 4.3.2020, RSF 2020, ÖB 25.11.2020). Unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist Ägypten eines der Länder mit den meisten inhaftierten Journalisten geworden. Manche werden jahrelang ohne Urteil oder Anklage festgehalten, andere in Massenprozessen zu langen Haftstrafen verurteilt. Kritische Journalist*innen werden als angebliche Unterstützer der verbotenen Muslimbruderschaft gebrandmarkt. Neue Sicherheits-, Medien- und Internetgesetze legalisieren weitreichende Strafverfolgung und Zensur (RSF 2020; vgl. FH 4.3.2020, AI 18.2.2020).

Mit dem Mediengesetz und dem Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2018 wurden weitreichende Rechtsgrundlagen für die Kontrolle der Medien geschaffen und gleichzeitig verbleibende Freiräume in Internet und sozialen Medien eingeschränkt. Die Bestimmungen beinhalten u. a. die Unterstellung von Social-Media-Nutzern mit mehr als 5.000 Follower unter die Medienaufsicht, weitreichende Genehmigungspflichten sowie die Rechtsgrundlage für die Sperrung von Webseiten (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, ÖB 25.11.2020). Browsing von gesperrten Websites bzw. das Teilen von Inhalten gesperrter Websites wird mit Geld- und Haftstrafen bedroht (ÖB 25.11.2020). Die Repression richtet sich nicht allein gegen mutmaßliche Angehörige der verbotenen Muslimbruderschaft, sondern gegen sämtliche unabhängige zivilgesellschaftliche Akteure, Opposition und zunehmend auch Personen ohne direktes politisches Engagement (z.B. infolge von Facebook Posts oder zufälligen Handy-Durchsuchungen) (AA 13.6.2020).

Insbesondere im zeitlichen und räumlichen Umfeld von Protesten und Demonstrationen durchsucht die Polizei Mobiltelefone von Passanten ohne Rechtsgrundlage. Bei Weigerung ebenso wie beim Fund kleinster politischer Botschaften werden die Personen zur weiteren Befragung zur Polizeistation gebracht. Die meisten dieser Personen bleiben einige Tage in Gewahrsam (meo 22.2.2020; vgl. AI 2.10.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        ACLED - Armed Conflict Location and Event Data Project (14.5.2020): CDT Spotlight: Egypt, https://acleddata.com/2020/05/14/cdt-spotlight-egypt/, Zugriff 29.1.2021

-        AI - Amnesty International (2.10.2020): Egypt: Rare protests met with unlawful force and mass arrests, https://www.amnesty.org/en/latest/news/2020/10/egypt-rare-protests-met-with-unlawful-force-and-mass-arrests/, Zugriff 28.1.2021

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020

-        meo - Middle East Online (22.2.2020): Egypt rights advocates raise alarm over privacy violations, https://middle-east-online.com/en/egypt-rights-advocates-raise-alarm-over-privacy-violations, Zugriff 28.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht Ägypten 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%Bcr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf, Zugriff 21.1.2021

-        RSF - Reporters sans frontières / Reporter ohne Grenzen (2020): Ägypten, https://www.reporter-ohne-grenzen.de/aegypten, Zugriff 28.1.2021

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021

Haftbedingungen

Die Bedingungen in den Gefängnissen und Haftanstalten sind hart und potenziell lebensbedrohlich (USDOS 11.3.2020). Sie entsprechen nicht internationalen Standards. Haftanstalten und Polizeistationen sind überfüllt; Folter und Misshandlungen sowie Todesfälle in Haft, meist aufgrund schlechter medizinischer Versorgung, sind verbreitet (AA 13.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, HRW 13.1.2021). Gefangene, die aus politischen Gründen inhaftiert wurden, werden mit unbegrenzter oder lang andauernder Einzelhaft bestraft (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

2019 starb der ehemalige Präsident Mohamed Mursi während eines Gerichtstermins an einem Herzinfarkt. Laut verschiedener lokaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen sei sein Tod durch medizinische Vernachlässigung während der Haft verursacht worden (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Das Strafgesetzbuch sieht einen angemessenen Zugang zu den Gefangenen vor. Manchmal werden Besuche von Familienmitgliedern (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020) oder Rechtsvertretern verhindert (USDOS 11.3.2020).

Nichtstaatliche Beobachter, einschließlich das Internationale Komitee des Roten Kreuzes, dürfen Haftanstalten nicht besuchen. Das Gesetz erkennt die Rolle des Menschenrechtsauschusses des Parlaments (NCHR) bei der Überwachung von Gefängnissen formell an und legt fest, dass Besuche nur nach vorheriger Benachrichtigung des Generalstaatsanwalts erfolgen dürfen. NCHR führt immer wieder Besuche in Haftanstalten durch (USDOS 11.3.2020).

Der Ausbruch von COVID-19 ab Februar 2020 verschlimmerte die ohnehin schon miserablen Haftbedingungen. In den überfüllten Haftanstalten ist Abstand halten unmöglich. Die Behörden verhängten eine umfassende Informationssperre über Haftanstalten und untersagten Besuche, auch durch Anwälte, bis Ende August 2020, ohne Alternativen wie Video- oder Telefonanrufe anzubieten. Seit Ende August 2020 konnten Familien Besuche per Telefon vorbuchen, waren aber auf einen Verwandten einmal im Monat für 20 Minuten beschränkt (HRW 13.1.2021).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021

Todesstrafe

Ägyptische Gerichte verhängen die Todesstrafe für ein breites Spektrum von Verbrechen, einschließlich Fällen von angeblicher politischer Gewalt und Terrorismus (HRW 13.1.2021; vgl. AA 13.6.2020, EFHR 22.7.2020) und Besitz, Einfuhr oder Herstellung von Sprengstoff. Auch bei schweren Verbrechen ohne politischen Hintergrund wird die Todesstrafe verhängt. In der ägyptischen Gesellschaft besteht breite Zustimmung zur Verhängung der Todesstrafe (AA 13.6.2020).

Zivil- und Militärgerichte verhängen Todesurteile häufig in unfairen Massenprozessen in Fällen, die auf angeblicher politischer Gewalt oder geplanter Gewalt beruhen (AI 18.2.2020, 21.4.2020; vgl. FH 4.3.2020). Vorwürfe der Angeklagten über gewaltsames Verschwindenlassen und Folter werden fast nie von den Richtern untersucht (HRW 13.1.2021).

Öffentlichkeitswirksam wurden zahlreiche Führungskader der Muslimbrüder erstinstanzlich zum Tode verurteilt. Die Verfahren entsprachen nicht rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern sind das Instrument einer politisierten Justiz, sich an der staatlichen Repression gegen die Muslimbrüder zu beteiligen und diese unter zusätzlichen Druck zu setzen (AA 13.6.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Im Juni 2014 wurde nach einem seit 2011 bestehenden de-facto Moratorium die Vollstreckung der Todesstrafe wieder aufgenommen. Dabei handelte es sich zunächst um Personen, die vor 2011 wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden waren. Seit Dezember 2017 ist die Zahl der Hinrichtungen drastisch gestiegen (AA 13.6.2020). Die Todesstrafe wird durch Hängen vollstreckt (AI 21.4.2020).

2019 kam es zu einem besorgniserregenden Anstieg bei den Exekutionen (je nach Quelle 38 bis 46), wobei allein im Dezember 16 Urteile vollstreckt wurden. Dieser Trend setzt sich 2020 fort (ÖB 25.11.2020; vgl. AI 21.4.2020, AA 13.6.2020). Die Zivilgesellschaft geht von mindestens 450 erstinstanzlichen Todesurteilen im Jahr 2019 aus (AA 13.6.2020; vgl. AI 21.4.2020). In der ersten Jahreshälfte 2020 verhängten Zivil- und Militärgerichte insgesamt 171 Todesurteile, vorwiegend in Kriminalfällen. Außerdem bestätigte das Berufungsgericht die Todesurteile gegen zehn Angeklagte in drei vorwiegend politischen Fällen. Im selben Zeitraum wurden 34 Personen aus elf Fällen hingerichtet, davon betrafen drei Fälle politische Gewalt (EFHR 22.7.2020).

Zu Todesurteilen und Hinrichtungen existieren keine offiziellen Zahlen, man muss von einer höheren Dunkelziffer ausgehen (AA 13.6.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        AI - Amnesty International (21.4.2020): Death sentences and executions 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5018472020ENGLISH.PDF, Zugriff 22.1.2021

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025829.html, Zugriff 19.1.2021

-        EFHR - Egyptian Front for Human Rights (22.7.2020): A brief on the death penalty during the first half of 2020, https://egyptianfront.org/research/monitoring-reports/a-brief-on-the-death-penalty-during-the-first-half-of-2020/, Zugriff 22.1.2021

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025912.html, Zugriff 18.1.2020

-        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043578.html, Zugriff 18.1.2021

-        ÖB - Österreichische Botschaft Kairo (25.11.2020): Asylländerbericht zu Ägypten, 25 November 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2042213/%C3%84GYPTEN__Asyll%C3%A4nderbericht_%28ALB%29_f%C3%BCr_2020__finale_Version_%28GZ_Kairo-%C3%96B_KONS_1165_2020%29.pdf Zugriff 29.12.2020

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz sieht die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Zudem darf laut Verfassung kein Bürger daran gehindert werden, das Staatsgebiet zu verlassen. Dennoch dürfen Männer, die den Wehrdienst nicht absolviert und keine Ausnahmegenehmigung erhalten haben, nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Personalausweise belegen den Abschluss des Militärdienstes (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden verlangten sporadisch, dass Bürger im Alter von 18 bis 40 Jahren eine Erlaubnis des Innenministeriums vorlegen, um in bestimmte Länder zu reisen. Dies soll den Beitritt zu terroristischen Gruppen erschweren und die Flucht von Kriminellen verhindern (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung verhängt zunehmend Reiseverbote für Menschenrechtsverteidiger und politische Aktivisten, die wegen Straftaten angeklagt oder untersucht wurden. Weiters gibt es kein von der Regierung auferlegtes Exil, und die Verfassung verbietet der Regierung, Bürger auszuweisen oder Bürgern die Rückkehr ins Land zu verbieten. Einige Politiker leben freiwillig außerhalb des Landes, da sie von der Regierung mit Strafverfolgung bedroht wurden (USDOS 11.3.2020).

Zu internen Ausweichmöglichkeiten liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es ist grundsätzlich von einer unterschiedslosen Verfolgungspraxis auszugehen. Allerdings kann zumindest bei vergleichsweise minder schweren Verfolgungsgründen (z.B. niedrigschwelligem oppositionellen Engagement) der Ortswechsel innerhalb des Landes dazu führen, dass die Betroffenen unbehelligt bleiben. Auf dem Nordsinai und in entlegenen Wüstenregionen ist das staatliche Gewaltmonopol zum Teil faktisch eingeschränkt. Bei geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen (z.B. Genitalverstümmelung, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt) ist eine interne Ausweichmöglichkeit keine realistische Option (AA 13.6.2020). Die Regierung versucht, den Zugang zum Nordsinai einzuschränken (USDOS 11.3.2020).

Es besteht keine zentrale Meldepflicht (DEB 3.2014). Die Wohnadresse wird auf dem Personalausweis angeführt. Bei einem Umzug muss die Adresse aktualisiert werden. Es gibt aber keine Überprüfung der Wohnsitzdaten durch die Meldebehörde, wodurch veraltete oder falsche Adressen unentdeckt bleiben und es gibt keine Strafe für die Nichtaktualisierung der Adresse (DFAT 17.6.2019). Bei Forderungen gegen unbekannt verzogene ägyptische Staatsangehörige ist daher der Versuch einer Aufenthaltsermittlung nahezu aussichtslos (DEB 3.2014).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand: März 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033569/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_%C3%84gypten_%28Stand_M%C3%A4rz_2020%29%2C_13.06.2020.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        DEB - Deutsche Botschaft Kairo (03.2014): Rechtsverfolgung in Ägypten in Zivil- und Handelssachen, https://kairo.diplo.de/blob/1504098/ed993d3218a2f43cdbae47f47c9650da/merkblatt-rechtsverfolgung-in-aegypten-data.pdf, Zugriff 21.1.2021

-        DFAT – Department of Foreign Affairs and Trade / Australian Government (17.6.2019): DFAT Country Information Report – Egypt, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-information-report-egypt.pdf, Zugriff 21.1.2021

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Egypt, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026355.html, Zugriff 19.1.2021

Grundversorgung und Wirtschaft

Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben keinen Zugang zu diesem System (AA 13.6.2020).

Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er- und 1960er-Jahren geschlossen und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 13.6.2020).

Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an besonders Bedürftige sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 13.6.2020).

Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind (AA 13.6.2020; vgl. USSSA 9.2019). Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und wohltätige Stiftungen (AA 13.6.2020).

Subventionsabbau droht – trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 13.6.2020).

Ägypten hat per se gute Voraussetzungen um im globalen Wettbewerb zu bestehen und verfügt über eine verhältnismäßig gut diversifizierte Wirtschaft, was bei der Absorbierung von externen wie internen Schocks hilft (WKO 9.2020). Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt etwa die Hälfte des BIP bei (GIZ 11.2020c). Schätzungsweise 63 Prozent aller ägyptischen Arbeitskräfte gehören dem informellen Sektor an; er umfasst fast 50 Prozent aller nicht-landwirtschaftlichen Arbeitsplätze einen überwältigenden Anteil von 30-40 Prozent der Wirtschaft des Landes (MEI 22.6.2020; vgl. WKO 9.2019).

Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt (GIZ 11.2020c).

Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurück bleiben (GIZ 11.2020c).

Die Armutsquote (2019) ist auf ca. 32,5 % gestiegen (die höchste seit 2000). Rund 8,6 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 11.2020c). Über USD 20 Mrd. werden jährlich von ägyptischen Migranten aus dem Ausland rücküberwiesen. Diese Überweisungen sind für die Bevölkerung und den Konsum unverzichtbar (WKO 9.2020).

Das dreijährige IWF-Hilfs- und Reformprogramm inklusive Subventionskürzungen ist abgeschlossen. Nun müss

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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