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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §58 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A E in Wien, vertreten durch Widter Mayrhauser Wolf Rechtsanwälte OEG in 1220 Wien, Wagramerstraße 135/11, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 7. Mai 2010, Zl. MA 35/IV-E 372/2006, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde am 12. November 1954 in Ägypten geboren. Er hat seit 11. Februar 1993 einen Hauptwohnsitz in Österreich und heiratete am 7. Dezember 1998 die österreichische Staatsbürgerin BMHH. Am 16. Jänner 2001 beantragte er bei der belangten Behörde die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. Dezember 2001 wurde dem Beschwerdeführer mit Wirkung vom 20. Dezember 2001 nach § 11a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. Mai 2010 hat die belangte Behörde wie folgt entschieden:
"I. Das mit rechtskräftigem Bescheid vom 20. Dezember 2001 abgeschlossene Staatsbürgerschaftsverfahren, in welchem Herrn A E, geboren am 12. November 1954 in E, Ägypten, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, wird gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 1991/51 in der geltenden Fassung in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG wieder aufgenommen. Das Verfahren tritt damit in den Stand vor Verleihung der Staatsbürgerschaft zurück.
II. Das Ansuchen des Herrn A E, vertreten durch Herrn Dr. W, Rechtsanwalt, vom 16. Jänner 2001 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wird nach derzeitiger Rechtslage neu zu bewerten sein."
In der Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe anlässlich der von ihm eingebrachten Scheidungsklage vor dem Bezirksgericht Hernals am 15. Februar 2002 zu Protokoll gegeben, seine damalige Ehefrau (BMHH) pflege seit etwa einem Jahr eine außereheliche Beziehung, sie sei seit dem gleichen Zeitraum aus der ehelichen Wohnung ausgezogen und wohne seither bei ihrem Freund; die Ehegattin würde seither jeglichen Kontakt mit ihm verweigern.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 19. April 2002 (zu GZ 3 C 14/02a) sei die Ehe des Beschwerdeführers mit der österreichischen Staatsbürgerin (BMHH) mit Wirkung vom 7. Mai 2002 rechtskräftig geschieden worden. Die als Zeugin vernommene Ehegattin (BMHH) habe bestätigt, dass sie den gemeinsamen Haushalt im Februar 2001 verlassen habe. Zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft (20. Dezember 2001) habe somit ein gemeinsamer Haushalt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner damaligen Ehegattin nicht bestanden.
Nach der Wiedergabe der Bestimmungen des § 11a StbG 1985 (in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998) und des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG begründete die belangte Behörde näher, dass bzw. warum der Beschwerdeführer den Verleihungsbescheid erschlichen habe. Hätte die Behörde rechtzeitig von den tatsächlichen Lebensverhältnissen und dem getrennten Haushalt Kenntnis erlangt, wäre dem Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht verliehen worden. Das Verfahren sei daher zum Zeitpunkt vor Verleihung der Staatsbürgerschaft wieder aufzunehmen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 (AVG), lautet:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem."
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Auslegung des Spruchs eines Bescheides nach dessen Begründung nur in jenen Fällen in Betracht, in denen der Spruch für sich allein Zweifel an seinem Inhalt offen lässt. Eine Umdeutung (oder Ausweitung) eines klar gefassten Spruches an Hand der Begründung des Bescheides kommt nicht in Betracht. Ist der Spruch des Bescheides eindeutig, dann kommt der Begründung eine den Inhalt des Bescheides modifizierende Wirkung nicht zu. Selbst ein Widerspruch der Begründung zum Spruch ist unerheblich, wenn nach dem Wortlaut des Spruchs eines Bescheides über dessen Inhalt kein Zweifel herrschen kann. Eine über den formalen Spruchinhalt hinausgehende Gesamtbetrachtung von Spruch und Begründung findet ihre Grenze dann, wenn der formale Spruchinhalt durch Ausführungen im Begründungsteil nicht ergänzt bzw. komplettiert wird, sondern mit diesem in Widerspruch gerät (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 13. Mai 2005, Zl. 2004/02/0354, und vom 2. Dezember 2008, Zl. 2007/18/0327, mwN).
Die belangte Behörde hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens auf den Tatbestand nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG gestützt. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Inhalt des Bescheidspruchs. Der Begründung des angefochtenen Bescheides, die alleine Ausführungen zum Wiederaufnahmetatbestand nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG enthält, kommt daher keine den Inhalt des Bescheides modifizierende Wirkung zu.
Die gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG verfügte Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens ist somit gänzlich unbegründet. Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Wideraufnahme nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wurden im angefochtenen Bescheid nicht getroffen.
Die (in der Bescheidbegründung) im angefochtenen Bescheid allein dargelegten Ausführungen, der Beschwerdeführer habe den Verleihungsbescheid nach § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG erschlichen, gehen ins Leere, da eine darauf gestützte Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens nach dem Inhalt des Bescheidspruches nicht verfügt wurde.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß §42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Zudem ist anzumerken, dass die belangte Behörde zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (12. Mai 2010) das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 2. März 2010 in der Rechtssache C-135/08, Rottmann, zwar bereits bedenken konnte, jedoch im Beschwerdefall nicht geprüft hat, ob nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil "Rottmann" fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist (vgl. hiezu auch das Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgerichtshofes vom 11. November 2010, Zl. BVerwG 5 C 12.10, Rz 23 bis 25; sowie die hg. Erkenntnisse jeweils vom 14. Dezember 2011, Zl. 2009/01/0064 und Zl. 2009/01/0067).
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGH in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, 16. Februar 2012
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Spruch und BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2012:2010010033.X00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022