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41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M N, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Oktober 2021, I411 2173500-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 5. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er zusammengefasst damit begründete, dass er in Nigeria Mitglied einer Bewegung gewesen sei, die sich regierungskritisch für die Unabhängigkeit von Biafra einsetze. Im Laufe des Verfahrens brachte er vor, in Österreich habe er sich einer anderen Biafra-Bewegung zugewandt und engagiere sich nun für diese, indem er an Demonstrationen teilnehme und im Vorfeld bei deren Organisation mithelfe.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag - in Bestätigung eines Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26. September 2017 - zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Das BVwG führte - zusammengefasst und soweit entscheidungserheblich - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach er sich bereits in Nigeria für eine Biafra-Bewegung engagiert habe, sei aufgrund näher genannter Unplausibilitäten und vager Angaben nicht glaubhaft. Zudem lasse sich seinem Vorbringen nicht entnehmen, dass er in Nigeria jemals persönlich Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wäre. Der Revisionswerber zeige zwar ein gewisses Interesse an der Unabhängigkeit Biafras und habe sich für diese in Österreich auch engagiert; so habe er etwa detaillierte Angaben zu Demonstrationen und zu seinen Aktivitäten in Österreich machen können. Daraus könne aber noch nicht darauf geschlossen werden, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen des nigerianischen Staates rechnen müsse. Die Gefahr, in das Blickfeld der Behörden des Herkunftsstaates zu geraten, sei im konkreten Fall aus näher genannten Gründen nicht gegeben.
4 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit unter Verweis auf VwGH 18.5.2020, Ra 2019/18/0503, im Wesentlichen geltend gemacht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verfolgung aufgrund exilpolitischer Tätigkeit abgewichen. Das BVwG habe die Gefahr, dass der Revisionswerber in das Blickfeld der nigerianischen Behörden geraten sei, ausgeschlossen, ohne zunächst zu prüfen, ob er für die nigerianischen Auslandsvertretungsbehörden bei seinen Demonstrationen im öffentlichen Raum wahrnehmbar und insofern als auffällig regierungskritisch identifizierbar gewesen sei.
5 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrmals festgehalten, dass eine exilpolitische Betätigung im Ausland einen asylrelevanten Nachfluchtgrund bilden kann. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass es bei der Beurteilung der Gefährdungssituation von „Rückkehrenden“ regelmäßig entscheidend darauf ankommt, ob die asylwerbende Person infolge ihrer exilpolitischen Tätigkeit ins Blickfeld der zuständigen Behörden ihres Herkunftsstaates geraten konnte. Bei Beurteilung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte auseinander zu halten. Zunächst geht es darum, ob die asylwerbende Person so in Erscheinung getreten ist, dass sie als auffällig regierungskritisch identifizierbar war. Die Bejahung führt zur zweiten Frage, ob die Behörden des Herkunftsstaates in irgendeiner Form - zB durch Informationen oder Medienberichte - von ihrem Auftreten Notiz genommen haben oder nehmen könnten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die asylwerbende Person aus der Sicht dieser Behörden eine ernst zu nehmende politische Gefahr darstellen könne. Eine derartige subjektive Einschätzung kann nämlich nicht ohne weiteres extern vorweggenommen werden, insbesondere dann, wenn die asylwerbende Person schon in ihrem Heimatland politisch tätig gewesen ist. Entscheidend ist vielmehr, wie die exilpolitische Tätigkeit von den Behörden des Herkunftsstaates bewertet würde und welche Konsequenzen sie für die asylwerbende Person hätte (vgl. zum Ganzen VwGH 18.5.2020, Ra 2019/18/0503, mwN).
10 Im vorliegenden Fall hat sich das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausführlich mit den vom Revisionswerber vorgebrachten exilpolitischen Tätigkeiten auseinandergesetzt. Es traf Feststellungen zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Versammlungsfreiheit sowie zu den Biafra-Bewegungen in Nigeria auf Grundlage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation und der EASO Country Guidance Notes zu Nigeria. Begründend kam es zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr nach Nigeria keine Verfolgung aufgrund seiner politischen Aktivitäten für die Unabhängigkeit Biafras drohe.
11 Unter Bezugnahme auf hinreichend aktuelle Länderberichte hielt es fest, dass die Mitgliedschaft bei einer Biafra-Unabhängigkeitsbewegung nicht automatisch zu einer aktuellen Verfolgungsgefahr in Nigeria führe. Es müssten risikobeeinflussende Umstände wie etwa der Grad der Involvierung, der Bekanntheitsgrad eines Mitglieds, die Teilnahme an Demonstrationen sowie Treffen oder Medienauftritte berücksichtigt werden. Weiters führte es fallbezogen aus, durch die schlichte Teilnahme an einer oder mehreren öffentlichen Demonstrationen in Österreich mit zahlreichen Teilnehmenden sowie an sonstigen Treffen im kleinen Kreis hebe sich der Revisionswerber mit der Art und Weise seiner exilpolitischen Betätigung in der Öffentlichkeit nicht in den Vordergrund, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass seine gesetzten Verhaltensweisen in Österreich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu Verfolgungshandlungen in Nigeria führten. Damit verneinte das BVwG die vorrangig zu prüfende Frage, ob der Revisionswerber so in Erscheinung getreten ist, dass er als auffällig regierungskritisch identifizierbar war.
12 Mit dem bereits in der mündlichen Verhandlung erstatteten und in der Revision wiederholten Vorbringen, wonach davon auszugehen sei, dass die nigerianischen Vertretungsbehörden Teilnehmende von Demonstrationen separatistischer Organisationen beobachteten, setzte sich das BVwG ebenfalls auseinander. Dazu erwog es, dass die Bewegung, der der Revisionswerber angehöre, nach den Länderinformationen als relativ unbedeutende Randgruppe angesehen werde, derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv sei und keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung vorlägen. Vor diesem Hintergrund sei es nicht glaubhaft, dass die nigerianische Botschaft die Aktivitäten von einfachen Mitgliedern unbedeutender Randgruppen im Ausland genau verfolge.
13 Durch diese fallbezogene Auseinandersetzung mit den konkreten exilpolitischen Tätigkeiten des Revisionswerbers vor dem Hintergrund entsprechender Länderberichte unterschiedlicher Quellen unterscheidet sich der gegenständliche Revisionsfall auch von dem in der Revision ins Treffen geführten Erkenntnis.
14 Dass die solcherart getroffene Einschätzung des BVwG unvertretbar erfolgt bzw. von den in der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien zur Verfolgung aufgrund exilpolitischer Tätigkeit abgewichen wäre, vermochte die Revision mit ihrem pauschalen Vorbringen zur potentiellen Gefährdung auch „schlichter Aktivisten“ bei exilpolitischer Tätigkeit nicht darzutun.
15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. Dezember 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180381.L00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022