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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
VwGG §46 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der D GmbH in W, vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1A, 3. Stock, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 30. September 2020, Zl. RR/6100012/2020, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom 15. Mai 2020, welches dem zustellbevollmächtigten steuerlichen Vertreter der revisionswerbenden Partei am 18. Mai 2020 zugestellt wurde, wies das Bundesfinanzgericht eine Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab.
2 Eine gegen dieses Erkenntnis gerichtete, am 30. Juni 2020 zur Post gegebene ordentliche Revision wies das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom 17. August 2020 wegen Versäumung der Revisionsfrist zurück.
3 Mit Schriftsatz vom 27. August 2020, eingelangt beim Bundesfinanzgericht am 1. September 2020, beantragte die revisionswerbende Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist, erhob gleichzeitig ordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, das Erkenntnis vom 15. Mai 2020 sei ihrem mit Zustellvollmacht ausgestatteten steuerlichen Vertreter zugestellt worden. Die Zustellung sei aufgrund des Bundesgesetzes, mit dem das Integrationsgesetz, das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz, das Zustellgesetz und das Agrarmarkt Austria Gesetz (AMA-Gesetz 1992) geändert worden seien (BGBl. I Nr. 42/2020), in eine für die Zustellung vorgesehene Abgabeeinrichtung (Zustellbehälter) des steuerlichen Vertreters eingelegt worden, die vor der Zugangstür zur Kanzlei angebracht worden sei. Darauf sei ein Hinweis angebracht gewesen, dass das Kanzleipersonal bei Einwurf einer Postsendung durch mündliche Verständigung oder Anklingeln an der Tür zu verständigen sei. Das weitere Prozedere und die Übernahmen des hier in Rede stehenden Erkenntnisses vom 15. Mai 2020 wird im Antrag auf Wiedereinsetzung sodann wie folgt dargestellt:
„Während der Zeit der Anbringung des Zustellbehälters vor der Eingangstür bestand die Anweisung, dass eine Mitarbeiterin den für die Zustellung vorgesehenen Behälter jeweils nach einer erfolgten Verständigung sowie mehrmals täglich und am Ende des Tages entleert. Im Büro hat anschließend die langjährige und verlässliche Mitarbeiterin [Margret S] auf die behobenen Postsendungen einen Eingangsstempel mit Datum des Zugangs angebracht und anschließend zur weiteren Veranlassung Herrn [Mag. Josef N] vorgelegt.
Wenn Frau [Margret S] kurzfristig nicht anwesend war, waren andere Mitarbeiter damit beauftragt, nach täglicher Entleerung des Postkastens ein Post-it mit dem Datum der Zustellung anzubringen. Anschließend wurden die Poststücke [Margret S] zwecks Anbringung des Eingangsstempels übergeben. Diese hat dann den Eingangsstempel mit Datum auf dem Post-it angebracht und [Mag. Josef N] vorgelegt. Wenn Frau [Margret S] länger als einen Tag abwesend war, war eine weitere Mitarbeiterin mit der Anbringung des Eingangsstempels beauftragt.
Im vorliegenden Fall war Frau [Margret S] am 18.05.2020 wegen Kurzarbeit nicht in der Kanzlei anwesend. Die an diesem Tag eingeworfene Post wurde von der ebenfalls langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin [Ursula E] aus der Postkiste entnommen, mit einem Post-it des Zustelltages versehen und [Margret S] zur weiteren Behandlung bereitgelegt. [Margret S] ist am 19.05.2020 wieder in das Büro zurückgekehrt und hat den Eingangsstempel angebracht. Die Mitarbeiterin [Ursula E] kann sich nicht erinnern, dass der Postzusteller den Einwurf des gegenständlichen Erkenntnisses in die Postkiste durch mündliche Verständigung mitgeteilt hat. Sie weiß jedoch mit Sicherheit, dass sie die Post an diesem Tag entleert und auch ein Post--it über den Zustellzeitpunkt angebracht hat. Die Anbringung des Zustellstempels erfolgte dann durch Frau [Margret S].
Weder Frau [Ursula E] noch Frau [Margret S] können sich erklären, warum im vorliegenden Fall auf dem Zustellstück ein anderes Datum, nämlich der 19.05.2020 angebracht ist, als jener Tag (der 18.05.2020), an welchem laut Zusteller die Hinterlassung an der Abgabestelle erfolgt ist.“
4 Sollte die Hinterlassung an der Abgabenstelle im vorliegenden Fall tatsächlich am 18. Mai 2020 erfolgt sein, könnten sich die Mitarbeiterinnen Ursula E und Margret S den Fehler nur so erklären, dass der Poststempel entweder beim von Ursula E angebrachten „Post-it“ oder bei Anbringung des Eingangsstempels durch Margret S versehentlich einen Tag vorgestellt gewesen sei. Hierbei handle es sich um einen minderen Grad des Versehens von einer der beiden Mitarbeiterinnen, die über langjährige Erfahrung verfügten und bisher immer zuverlässig gearbeitet hätten. Aufgrund dieses minderen Grades des Versehens sei ein unrichtiger Zustellzeitpunkt, nämlich jener des 19. Mai 2020 auf dem zugestellten Schriftstück vermerkt und von [Mag. Josef N] der Ablauf der Rechtsmittelfrist mit 30. Juni 2020 eingetragen worden. Den nunmehr einschreitenden Rechtsanwälten, die vom steuerliche Vertreter mit der Einbringung einer Revision beauftragt worden seien, sei die Information der Zustellung am 19. Mai 2020 sowie das angefochtene Erkenntnis mit der darauf angebrachten Stampiglie des Zustelldatums zugekommen; ausgehend von dieser Zustellung sei die Revision am 30. Juni 2020 rechtzeitig zur Post gegeben worden. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden u.a. eidesstattliche Erklärungen von Ursula E, Margret S und Mag. Josef N beigelegt.
5 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, wies das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens aus, die Klärung der Frage, ob der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, die für eine korrekte Vormerkung von Fristen erforderlich seien, könne im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Entscheidend sei, dass die Revisionswerberin neben ihrem steuerlichen Vertreter auch Rechtsanwälte mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen betraut habe. Es sei daher zu prüfen, ob die mit der Erhebung einer Revision betrauten Rechtsanwälte den ihnen obliegenden Sorgfaltspflichten nachgekommen seien.
6 In einer Rechtsanwaltskanzlei sei nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets der Rechtsanwalt für die Beachtung der Rechtsmittelfrist verantwortlich, er selbst habe die Frist zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Das gelte auch, wenn der Auftrag zur Einbringung einer Revision vom steuerlichen Vertreter der Revisionswerberin erteilt werde und dieser der Rechtsanwaltskanzlei das seiner Ansicht nach richtige Zustelldatum der Revision mitteile. Von einem Rechtsanwalt könne erwartet werden, dass er sich bei der Abfassung des Rechtsmittels selbst über deren Rechtzeitigkeit schlüssig sei. Es stimme mit dessen Sorgfaltspflichten nicht überein, wenn er sich bei der Abfassung fristgebundener Eingaben ausschließlich auf den Eingangsstempel / die Angaben einer Mitarbeiterin / eines Steuerberaters einer anderen Kanzlei verlasse und bei der Übernahme des Auftrages, eine Revision einzubringen, nicht deren Rechtzeitigkeit prüfe (Hinweis auf VwGH 10.2.1989, 88/17/0191). Den Rechtsanwälten der Revisionswerberin, die trotz der vorgelegenen besonderen Sachlage keine Veranlassung zur Kontrolle der richtigen Einbringung der Revision gesehen und eine wirksame Überwachung nicht einmal behauptet hätten, sei somit anzulasten, nicht die gebotenen Schritte zur Gewährleistung einer fristgerechten Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit unternommen zu haben.
7 In der gegen diesen Beschluss gerichteten Revision wird zu deren Zulässigkeit vorgebracht, entgegen der Auffassung des Bundesfinanzgerichts liege zur hier in Rede stehenden Konstellation keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vor. Das anzufechtende Erkenntnis sei zunächst dem steuerlichen Vertreter der Revisionswerberin zugestellt worden, der es unter Bekanntgabe des Zustelldatums an die einschreitenden Rechtsanwälte weitergeleitet und hinsichtlich des Zustelldatums keinerlei Zweifel geäußert habe. Von den einschreitenden Rechtsanwälten sei das bekanntgegebene Zustelldatum übernommen und im Kalender richtig vermerkt worden. Diesbezüglich sei kein Fehler unterlaufen. Im vorliegenden Fall gehe es daher um die Frage, inwieweit sich ein Rechtsanwalt auf das ihm durch einen anderen berufsmäßigen Parteienvertreter, mit dem er im Übrigen bereits lange Zeit als verlässlichem steuerlichen Vertreter zusammenarbeite, bekanntgegebene Zustelldatum verlassen könne.
8 Das Finanzamt hat trotz Aufforderung hierzu keine Revisionsbeantwortung erstattet.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
11 Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
12 Ein Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung ist dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das Versehen einer Kanzleiangestellten eines Rechtsanwalts ist dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleiangestellten verletzt hat. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das, was der Wiedereinsetzungswerber in Erfüllung seiner nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht vorgenommen hat, hat er im Wiedereinsetzungsantrag substantiiert zu behaupten (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/15/0023).
13 Das Bundesfinanzgericht vertrat im angefochtenen Beschluss den Standpunkt, es könne im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen habe, die für eine korrekte Vormerkung von Fristen erforderlich seien, weil die mit der Revision beauftragten Rechtsanwälte den ihnen obliegenden Sorgfaltsplichten in Bezug auf die Überwachung von Fristen nicht nachgekommen seien. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei stets der Rechtsanwalt für die Beachtung der Rechtsmittelfrist verantwortlich, er selbst habe die Frist zu berechnen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Den im angefochtenen Beschluss vertretenen Standpunkt hat das Bundesfinanzgericht auch auf das Erkenntnis vom 10. Februar 1989, 88/17/0191, gestützt, in dem der Verwaltungsgerichtshof unter anderem ausgesprochen hat, dass von einem Rechtsanwalt erwartet werden könne, dass er sich bei der Abfassung der Rechtsmittelschrift selbst über deren Rechtzeitigkeit oder Verspätung schlüssig werde. Es stimme mit der einem Rechtsanwalt obliegenden Überwachungs- und Aufsichtspflicht nicht überein, wenn sich der Rechtsanwalt bei der Verfertigung fristgebundener Eingaben ausschließlich auf den von seinen Kanzleiangestellten angelegten Terminvermerk verlasse und nicht einmal bei der Verfassung der Rechtsmittelschrift deren Rechtzeitigkeit im besonderen Fall prüfe.
14 Diese Begründung trägt den angefochtenen Beschluss schon deswegen nicht, weil die vom Bundesfinanzgericht für seinen Standpunkt ins Treffen geführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Vormerkung von Fristen bzw. die Überwachung von Terminvormerken, die von Kanzleiangestellten angelegt worden sind, betrifft. Insoweit ist den einschreitenden Rechtsanwälten aber kein Fehler unterlaufen, die sich laut der auf den Wiedereinsetzungsantrag gestützten Sachverhaltsfeststellung des Bundesfinanzgerichts nicht auf einen von Kanzleiangestellten angelegten Vermerk über den Zustellungszeitpunkt, sondern auf einen fehlerhaften Eingangsstempel des steuerlichen Vertreters und dessen Angaben, wonach das anzufechtende Erkenntnis am 19. Mai 2020 zugestellt worden sei, verlassen haben. Im gegenständlichen Fall hat der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin den Rechtsanwälten Auftrag und Vollmacht für die Verfassung und Einbringung einer Revision erteilt. Dabei hat der steuerliche Vertreter den Rechtsanwälten das anzufechtende Erkenntnis, auf dem in seiner Kanzlei der Eingangsstempel angebracht worden war, übergeben, und zwar ohne Aufklärung, dass das angegebene Zustelldatum möglicherweise unrichtig sein könnte. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass den einschreitenden Rechtsanwälten hätte auffallen müssen, dass der auf dem anzufechtenden Erkenntnis angebrachte Eingangsvermerk nicht dem Zustelltag des angefochtenen Erkenntnis darstellen kann, zumal das an die Revisionswerberin zu Handen ihres steuerlichen Vertreters adressierte Erkenntnis mit Freitag dem 15. Mai 2020 datiert und ein - durch ein Wochenende unterbrochener - Postlauf von vier Tagen nicht ungewöhnlich ist.
15 Im fortgesetzten Verfahren wird daher zu prüfen sein, ob der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin alle organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, die eine fehlerfreie Anbringung des Eingangsstempels und damit eine korrekte Vormerkung von Fristen sicherstellen.
16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
17 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Dezember 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150130.L00Im RIS seit
18.01.2022Zuletzt aktualisiert am
25.01.2022