TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/14 Ra 2018/04/0158

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Veröffentlicht am 14.12.2021
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Index

E6J
001 Verwaltungsrecht allgemein
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2006 §28 Abs1
BVergG 2006 §28 Abs1 Z1
BVergG 2006 §28 Abs2
BVergG 2006 §28 Abs2 Z1
BVergG 2018 §35 Abs2
VwRallg
62007CJ0250 Kommission / Griechenland
62013CJ0019 Fastweb VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision der Marktgemeinde L, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Hilmgasse 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 28. Mai 2018, Zl. LVwG 44.16-449/2018-24, betreffend vergaberechtliches Feststellungsverfahren (mitbeteiligte Partei: G GmbH in G, vertreten durch die Mecenovic Rechtsanwalt GmbH in 8010 Graz, Burggasse 16/III), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1        1. Aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt sich folgender - unbestritten gebliebener - zugrundeliegender Sachverhalt:

2        Die Gemeinde L (Revisionswerberin und Auftraggeberin) führte im Jahr 2017 ein näher bezeichnetes Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich betreffend Bauleistungen durch. Die mitbeteiligte G GmbH legte ein Angebot. Mit Schreiben vom 25. September 2017 gab die Auftraggeberin die Zuschlagsentscheidung zugunsten der S GmbH bekannt.

3        Mit Erkenntnis vom 31. Oktober 2017 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark dem dagegen erhobenen Nachprüfungsantrag der (im Vergabeverfahren zweitgereihten) Mitbeteiligten Folge und erklärte die Zuschlagsentscheidung für nichtig, weil das Angebot der S GmbH nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes auszuscheiden gewesen wäre.

4        Am 3. November 2017 erklärte die Auftraggeberin den Widerruf dieses Vergabeverfahrens, weil - so die Begründung - mit Ausnahme des auszuscheidenden Angebotes der S GmbH alle weiteren Angebotspreise weit über der Kostenschätzung der Auftraggeberin liegen würden.

5        In der Folge führte die Auftraggeberin über diesen Auftragsgegenstand ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 durch. Es wurden drei Unternehmen - darunter die S GmbH, nicht jedoch die (mitbeteiligte) G GmbH - zur Angebotslegung eingeladen. Nach Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung an die Bieter am 4. Dezember 2017 wurde am 12. Dezember 2017 der Zuschlag in diesem Vergabeverfahren an die S GmbH erteilt.

6        2. Mit Antrag vom 15. Februar 2018 begehrte die mitbeteiligte G GmbH die Feststellung, dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung bzw. ohne vorherigen Aufruf zum Wettbewerb durch die Gemeinde L betreffend das (näher beschriebene) Bauvorhaben wegen eines Verstoßes gegen die bundesgesetzlichen Vorschriften auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens, die dazu ergangenen Verordnungen oder unmittelbar anwendbares EU-Recht rechtswidrig gewesen sei. Weiters wurde die Nichtigerklärung des (zwischen der Auftraggeberin und der S GmbH als Ergebnis dieses Vergabeverfahrens abgeschlossenen) Vertrages bzw. die Verhängung einer Geldbuße über die Auftraggeberin begehrt.

7        3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 28. Mai 2018 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung dem Antrag auf Feststellung statt und traf die begehrte Feststellung (Spruchpunkt I.). Der Vertrag wurde nicht für nichtig erklärt, weil die Vorgehensweise der Auftraggeberin nicht offenkundig unzulässig gewesen sei (Spruchpunkt II.). Die Auftraggeberin wurde zum Ersatz der entrichteten Pauschalgebühr verpflichtet (Spruchpunkt III.). Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig (Spruchpunkt IV.).

8        3.2. Das Verwaltungsgericht verwies - über die bereits dargestellten Feststellungen hinaus - auf das Vorbringen der Auftraggeberin, wonach von den Bietern des ersten Verfahrens außer der S GmbH keiner eingeladen worden sei, weil deren Angebotspreise weit vom Kostenrahmen (der Auftraggeberin) entfernt gewesen seien. Die Auftraggeberin habe darauf hingewiesen, dass auf Grund des budgetären Rahmens eine Zuschlagserteilung zu diesen Preisen nicht möglich gewesen wäre. Das vorhandene Budget bzw. der geschätzte Kostenrahmen sei aber - wie in der mündlichen Verhandlung festgehalten - nicht in den Ausschreibungsunterlagen dokumentiert worden.

9        In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht einleitend davon aus, dass die ersten beiden Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 (vorheriges offenes Verfahren, keine grundlegende Änderung der ursprünglichen Auftragsbedingungen) erfüllt seien. Zu prüfen sei daher, ob das letzte Kriterium (dass im vorhergehenden Verfahren „kein oder kein im Sinne dieses Bundesgesetzes geeignetes Angebot abgegeben“ worden sei) erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht verwies auf die Regelung in § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006, der zufolge als Voraussetzung für die Wahl eines Verhandlungsverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung vorgesehen sei, dass kein ordnungsgemäßes Angebot oder nur ein unannehmbares Angebot eingelangt sei. Zwar würden die (näher zitierten) Materialien trotz der unterschiedlichen Begrifflichkeiten nicht zwischen den Ausnahmetatbeständen nach Abs. 1 Z 1 einerseits und Abs. 2 Z 1 andererseits (jeweils des § 28 BVergG 2006) differenzieren. Allerdings müsse es - auch in Hinblick auf das Gebot der restriktiven Auslegung der Ausnahmetatbestände - zwischen § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006, der grundsätzlich eine vorherige Bekanntmachung vorsehe, und § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006, der eben keine Bekanntmachung vorsehe, einen Unterschied geben. Es könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, zwei Bestimmungen, die unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen würden, mit demselben Inhalt zu formulieren. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass nach § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006 nur dann von einer Bekanntmachung abgesehen werden könne, wenn alle Bieter des vorherigen Verfahrens, deren Angebote nicht ausgeschieden worden seien und die bestimmten Anforderungen entsprochen hätten, in das Verhandlungsverfahren einbezogen würden.

Auf Grund des von der Auftraggeberin herangezogenen Umstandes, dass die Angebotspreise (im ersten Verfahren) die Kostenschätzung deutlich überschritten hätten, könne zwar von unannehmbaren Angeboten, nicht jedoch von ungeeigneten Angeboten ausgegangen werden. Diese Begriffe seien nicht gleichzusetzen. Dass es sich bei allen im ersten (offenen) Verfahren gelegten Angeboten um nicht ausschreibungskonforme Angebote gehandelt habe, lasse sich dem Verfahrensakt nicht entnehmen. Entgegen der Auffassung der Auftraggeberin seien daher die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung nicht vorgelegen und sei die Durchführung dieses Verfahrens somit rechtswidrig gewesen.

10       Anschließend legte das Verwaltungsgericht dar, warum die Vorgehensweise der Auftraggeberin nicht offenkundig unzulässig und der Vertrag daher nicht für absolut nichtig zu erklären gewesen sei.

11       4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der ausdrücklich festgehalten wird, dass Spruchpunkt II. des Erkenntnisses unangefochten bleibt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:

12       1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision unter anderem vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Abgrenzung der Tatbestände des § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006 und des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006.

13       Die Revision erweist sich in Hinblick darauf als zulässig, aus nachstehenden Erwägungen jedoch als nicht berechtigt.

14       2. Der vorliegend noch maßgebliche § 28 BVergG 2006, BGBl. I Nr. 17, lautete auszugsweise wie folgt:

Wahl des Verhandlungsverfahrens bei Bauaufträgen

§ 28. (1) Bauaufträge können im Verhandlungsverfahren nach vorheriger Bekanntmachung vergeben werden, wenn

1.   im Rahmen eines durchgeführten offenen oder nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung oder eines durchgeführten wettbewerblichen Dialoges keine ordnungsgemäßen Angebote oder nur Angebote abgegeben worden sind, die nach den Vorschriften dieses Bundesgesetzes unannehmbar sind, und die ursprünglichen Bedingungen für den Bauauftrag nicht grundlegend geändert werden, oder

[...]

Im Falle der Z 1 kann von der Bekanntmachung Abstand genommen werden, wenn der Auftraggeber in das betreffende Verhandlungsverfahren nur jene befugten, zuverlässigen und leistungsfähigen Unternehmer einbezieht, deren Angebote nicht im Verlauf des vorangegangenen offenen oder nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung oder des vorangegangenen wettbewerblichen Dialoges gemäß § 129 Abs. 1 Z 1 ausgeschieden wurden und die Angebote unterbreitet haben, die den Anforderungen der §§ 106 bis 110 und 113 bis 115 entsprochen haben.

(2) Bauaufträge können im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vergeben werden, wenn

1.   im Rahmen eines durchgeführten offenen oder nicht offenen Verfahrens mit vorheriger Bekanntmachung kein oder kein im Sinne dieses Bundesgesetzes geeignetes Angebot abgegeben oder kein Teilnahmeantrag gestellt worden ist, die ursprünglichen Bedingungen für den Bauauftrag nicht grundlegend geändert werden und der Kommission ein Bericht vorgelegt wird, wenn sie dies wünscht, oder

[...]“

15       In den Erläuterungen (RV 1171 BlgNR 22. GP 46) wird dazu Folgendes festgehalten:

„Als ,kein ordnungsgemäßes Angebot‘ bzw. ein ,unannehmbares Angebot‘ gemäß den §§ 28 bis 30 (jeweils Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1) ist insbesondere ein Angebot zu qualifizieren, das nach den Vorschriften des BVergG (zB betreffend die Teilnahme, Eignungskriterien) auszuscheiden ist (den Ausschreibungsbestimmungen widersprechend) oder zwar alle Ausschreibungskriterien erfüllt aber verspätet eingereicht wurde oder unwirtschaftlich (zu teuer) ist.“

16       3.1. Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zu Grunde gelegt (und die Revisionswerberin tritt dem in ihrer Revision nicht entgegen), dass die im ersten (offenen) Verfahren weiteren (im Sinn von: zusätzlich zum Angebot der S GmbH) eingelangten Angebote nicht ausgeschieden worden seien und dass der Widerruf deshalb erfolgt sei, weil die Angebotspreise dieser weiteren acht Angebote weit über der Kostenschätzung der Auftraggeberin gelegen seien. Die Revisionswerberin tritt auch nicht den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis entgegen, wonach sich dem Vergabeakt nicht entnehmen lasse, dass diese weiteren Angebote als ausschreibungswidrig anzusehen (und demnach auszuscheiden) gewesen wären.

17       Es ist daher zu prüfen, ob in einem derartigen Fall davon ausgegangen werden kann, dass im vorangegangenen offenen Verfahren „kein im Sinne dieses Bundesgesetzes geeignetes Angebot abgegeben“ wurde.

18       3.2. Das BVergG 2006 enthielt - anders als nunmehr das BVergG 2018 in seinem § 35 Abs. 2 - keine Definition, wann ein Angebot als (un)geeignet im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 anzusehen war. Zwar wird - wie vom Verwaltungsgericht zugestanden und von der Revisionswerberin begründend ins Treffen geführt - in den oben zitierten Erläuterungen zu § 28 BVergG 2006 zum Begriff des nicht ordnungsgemäßen bzw. des unannehmbaren Angebotes sowohl auf den Tatbestand des Abs. 1 Z 1 als auch denjenigen des Abs. 2 Z 1 verwiesen. Daraus lässt sich aber - entgegen der Auffassung der Revisionswerberin - nicht der Schluss ziehen, dass die Voraussetzungen für die Wahl der darin jeweils vorgesehenen Verfahrensart dieselben sind.

19       Der von der Revisionswerberin vertretenen Sichtweise steht zunächst der unterschiedliche Wortlaut entgegen. Während in Abs. 1 Z 1 des § 28 BVergG 2006 von keinen ordnungsgemäßen Angeboten bzw. nur unannehmbaren Angeboten die Rede ist, stellt Abs. 2 Z 1 des § 28 BVergG 2006 auf „kein [...] geeignetes Angebot“ ab (der ebenfalls vorgesehene Fall, dass überhaupt kein Angebot abgegeben wurde, ist fallbezogen jedenfalls nicht erfüllt und kann daher außer Betracht bleiben). Zwar können nach den zitierten Erläuterungen auch unwirtschaftliche (zu teure) Angebote als unannehmbar zu qualifizieren sein. Würde man diesbezüglich aber auch von einem nicht geeigneten Angebot ausgehen, dann wäre die unterschiedliche Diktion in den beiden - mit unterschiedlichen Rechtsfolgen verbundenen - Regelungen nicht erklärbar. Wenn § 28 leg. cit. die Voraussetzungen für die Wahl verschiedener Verfahrensarten mit jeweils unterschiedlichen Begrifflichkeiten umschreibt, dann ist davon auszugehen, dass damit auch voneinander abzugrenzende Anwendungsfälle erfasst werden sollen und die Anwendungsvoraussetzungen nicht gleichzusetzen sind.

20       Zudem spricht die Gesetzessystematik für die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung. § 28 BVergG 2006 regelt, unter welchen Umständen Bauaufträge in einem Verhandlungsverfahren nach vorheriger Bekanntmachung (Abs. 1) bzw. ohne vorherige Bekanntmachung (Abs. 2) vergeben werden können. Zu beachten ist zunächst, dass das Verhandlungsverfahren nur in bestimmten, genau festgelegten Fällen zur Anwendung gelangen darf; es hat im Verhältnis zum offenen und nicht offenen Verfahren somit Ausnahmecharakter (vgl. EuGH 11.9.2014, C-19/13, Fastweb II, Rn. 49; VwGH 9.9.2019, Ro 2015/04/0013, Pkt. 2.3.2; jeweils mwN; weiters RV 1171 BlgNR 22. GP 45 f). Im Verhältnis dieser beiden Verfahrensarten zueinander stellt das (in Abs. 2 des § 28 BVergG 2006 geregelte) Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung die weniger transparente Verfahrensart und damit die stärkere Beeinträchtigung des Wettbewerbs dar.

21       § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006 ermöglicht bei nicht ordnungsgemäßen bzw. unannehmbaren Angeboten grundsätzlich die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nach vorheriger Bekanntmachung. Ausnahmsweise kann von der Bekanntmachung Abstand genommen werden (§ 28 Abs. 1 letzter Unterabsatz BVergG 2006), wenn der Auftraggeber in das Verhandlungsverfahren nur jene geeigneten Unternehmer einbezieht, deren Angebote im vorangegangenen Verfahren nicht ausgeschieden wurden und die bestimmten Anforderungen entsprochen haben. Demgegenüber sieht § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 keine Vorgaben dahingehend vor, welche Unternehmer dem danach möglichen Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung beizuziehen sind. Würde man die Voraussetzung des § 28 Abs. 1 letzter Unterabsatz BVergG 2006 (keine ordnungsgemäßen bzw. nur unannehmbare Angebote) mit derjenigen des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 (kein geeignetes Angebot) gleichsetzen, dann wäre die Durchführung eines - den Wettbewerb stärker beeinträchtigenden und daher restriktiver zu handhabenden - Verfahrens nach § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 aber an geringere Voraussetzungen geknüpft als die Durchführung eines Verfahrens nach § 28 Abs. 1 letzter Unterabsatz BVergG 2006, was einen Wertungswiderspruch darstellen würde.

22       Schließlich ist noch auf die mit dem § 35 Abs. 2 BVergG 2018 eingeführte Definition eines ungeeigneten Angebotes hinzuweisen. Zwar war diese Regelung im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar, allerdings lassen sich den diesbezüglichen Erläuterungen (RV 69 BlgNR 26. GP 67 und 69 f) keine Hinweise darauf entnehmen, dass der - auch im BVergG 2006 schon enthaltene - Begriff des (un)geeigneten Angebotes dadurch eine inhaltliche Änderung erfahren sollte. Da sich die Definition des ungeeigneten Angebotes (in § 35 Abs. 2 BVergG 2018) von den (in den zitierten Erläuterungen zu § 28 BVergG 2006 angeführten) Kriterien für ein nicht ordnungsgemäßes bzw. unannehmbares Angebot abhebt, spricht auch dies gegen eine von der Revisionswerberin ins Treffen geführte Gleichsetzung dieser Begriffe und damit der Anwendungsvoraussetzungen.

23       3.3. Zum Vorbringen der Revisionswerberin, es sei unklar, welche Mängel ein Angebot aufweisen müsse, damit es als nicht geeignet zu qualifizieren sei, genügt folgender Hinweis (auf die Qualifikation eines Angebotes als nicht ordnungsgemäß bzw. unannehmbar muss nicht weiter eingegangen werden, weil sich die Revisionswerberin nicht auf § 28 Abs. 1 Z 1 BVergG 2006 gestützt hat):

Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zu Grunde (und die Revisionswerberin trat dem nicht entgegen), dass der von der Revisionswerberin für die mangelnde Annehmbarkeit der im ersten Verfahren eingelangten Angebote und für den Widerruf dieses Verfahrens begründend herangezogene Kostenrahmen in der Ausschreibung nicht festgelegt gewesen sei. Soll dem Begriff der fehlenden Eignung gegenüber der „Unannehmbarkeit“ eines Angebotes eine eigenständige Bedeutung zukommen, dann kann der Umstand des Überschreitens eines bloß intern festgelegten Kostenrahmens aber nicht die fehlende Eignung des Angebotes (im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006) nach sich ziehen. Vielmehr muss die (fehlende) Eignung eines Angebotes auch für den Bieter auf Basis der Ausschreibung vorab zu beurteilen sein (vgl. etwa Fink/Heid, in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht4 [2015] Rz. 875, denen zufolge die Eignung der Angebote nicht aus der Warte des Auftraggebers bewertet wird). Dabei ist auch zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des EuGH die Rechtfertigungsgründe für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung eng auszulegen sind und die Beweislast dafür, dass die eine Ausnahme rechtfertigenden, außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorliegen, derjenige trägt, der sich darauf berufen will (vgl. VwGH 4.5.2020, Ra 2018/04/0152, Rn. 26, mwN auch zur Rechtsprechung des EuGH).

24       Nur ergänzend sei auch in diesem Zusammenhang erneut auf die Definition des § 35 Abs. 2 BVergG 2018 verwiesen, die auf die Offensichtlichkeit und auf die in der Ausschreibung genannten Bedürfnisse und Anforderungen des Auftraggebers abstellt. Zwar war diese Definition - wie dargelegt - im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar, allerdings enthalten die Erläuterungen keine Hinweise darauf, dass mit dieser Definition das bisherige Verständnis zum Vorliegen eines ungeeigneten Angebotes eine Änderung erfahren sollte.

25       Auch aus dem von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Urteil des EuGH (EuGH 4.6.2009, C-250/07, Kommission/Griechenland) lässt sich nichts anderes ableiten. So hat der EuGH in diesem Urteil zunächst festgehalten, dass dem Vorbringen (der dortigen Beklagten), wonach der Begriff des „ungeeigneten“ Angebotes weit auszulegen sei, nicht gefolgt werden könne (Rn. 39). Des Weiteren ergibt sich aus den Ausführungen des EuGH, dass Angebote, die - sich aus nationalen und gemeinschaftlichen Umweltschutzbestimmungen ergebenden - technischen Anforderungen nicht entsprechen, als ungeeignet anzusehen sind (Rn. 42 ff). Daraus lässt sich aber nicht der Schluss ziehen, dass Angebote, die über einem intern festgelegten Kostenrahmen lagen, als nicht geeignet anzusehen waren.

26       Soweit die Revisionswerberin schließlich noch fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage geltend macht, ob für die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 alle Angebote des vorherigen Verfahrens ausgeschieden werden müssen, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht - entgegen der Sichtweise der Revisionswerberin - das Ausscheiden aller Angebote (zutreffender Weise) nicht als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des genannten Ausnahmetatbestandes angesehen hat. Aus dem Umstand, dass bei einem Ausscheiden aller Angebote der genannte Tatbestand als erfüllt anzusehen ist (und dieser Umstand daher zu prüfen ist), ergibt sich umgekehrt nicht (und auch in der angefochtenen Entscheidung wird kein derartiger Schluss gezogen), dass die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 Z 1 BVergG 2006 das tatsächliche Ausscheiden aller Angebote zwingend voraussetzt.

27       4. Die Revision war somit - da ihr Inhalt erkennen ließ, dass die von der Revisionswerberin behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen - ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen (vgl. VwGH 19.12.2018, Ra 2018/03/0122).

Wien, am 14. Dezember 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62013CJ0019 Fastweb VORAB

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018040158.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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