TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2021/13/0078

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.2021
beobachten
merken

Index

L37089 Dienstgeberabgabe Wien
001 Verwaltungsrecht allgemein
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
21/03 GesmbH-Recht
32 Steuerrecht
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag
33 Bewertungsrecht
34 Monopole

Norm

AbgÄG 2012
ABGB §863
ABGB §871
BAO §20
BAO §280 Abs1 lite
BAO §80
BAO §9 Abs1
BAO §9a
BAO §93 Abs3 lita
DienstgeberabgabeG Wr §6a Abs2
DienstgeberabgabeG Wr §6a Abs3
GmbHG §15 Abs1
KommStG 1993 §6a Abs2
KommStG 1993 §6a Abs3
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des H in W, vertreten durch Mag. Franz Kellner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 14, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. Februar 2021, Zl. RV/7400036/2020, betreffend Haftung (Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Schreiben vom 12. März 2018 hielt die belangte Behörde dem Revisionswerber vor, die O GmbH, deren Geschäftsführer der Revisionswerber seit 15. Mai 2017 sei, habe Kommunalsteuer und (Wiener) Dienstgeberabgabe im Jahr 2017 nicht entrichtet. Dem Revisionswerber werde im Hinblick auf eine mögliche Haftungsinanspruchnahme die Gelegenheit gegeben, zum Sachverhalt Stellung zu nehmen.

2        Der Revisionswerber teilte mit, er sei Koch in einem (anderen) China-Restaurant; er sei so gut wie nicht der deutschen Sprache mächtig und könne die lateinische Schrift überhaupt nicht lesen. Er habe zwar zur Kenntnis zu nehmen gehabt, dass er laut Firmenbuch seit 15. Mai 2017 Geschäftsführer der O GmbH gewesen sei. Dieser Umstand sei ihm erst später zur Kenntnis gelangt, er habe mit der Geschäftsführung zu keinem Zeitpunkt etwas zu tun gehabt, er sei auch in keiner Weise über Geschäfte der O GmbH von den Gesellschaftern oder einer anderen Person informiert worden. Als ihm die Bestellung zum Geschäftsführer bewusst geworden sei, habe er am 4. Jänner 2018 gegenüber den Gesellschaftern seinen Rücktritt von der Geschäftsführung erklärt. Zu einer Löschung im Firmenbuch sei es aufgrund der nachfolgenden Entwicklung aber nicht mehr gekommen. Den Revisionswerber treffe kein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgaben.

3        Mit Bescheid vom 26. März 2019 wurde der Revisionswerber gemäß § 6a Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG) für den Rückstand an Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen der O GmbH in Höhe von 2.325,20 € für den Zeitraum Juli bis August und November 2017 haftbar gemacht. Weiters wurde er gemäß § 6a Wiener Dienstgeberabgabegesetz für den Rückstand an Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der O GmbH in der Höhe von 497,76 € für den Zeitraum Juni bis August und November bis Dezember 2017 haftbar gemacht. Begründend wurde - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt, über das Vermögen der O GmbH sei im Jänner 2018 ein Konkursverfahren eröffnet worden. Der Revisionswerber sei seit 15. Mai 2017 im Firmenbuch als Geschäftsführer der O GmbH eingetragen; er habe weder die Zahlung der Abgaben veranlasst noch irgendwelche Schritte zur Abdeckung des Rückstandes unternommen. Für das Verschulden sei es nicht maßgebend, ob der Haftungspflichtige seine Funktion als Vertreter tatsächlich ausgeübt habe; es komme vielmehr darauf an, ob er als Geschäftsführer zum Vertreter der Primärschuldnerin bestellt gewesen sei und es daher ihm oblegen wäre, die Funktion auszufüllen. Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter komme es nicht an.

4        Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

5        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. Dezember 2019 änderte die belangte Behörde den Haftungsbescheid dahin ab, dass die Haftung betreffend Kommunalsteuer in Höhe von 2.178,77 € für den Zeitraum Juli bis August und November 2017 sowie die Haftung betreffend Dienstgeberabgabe in Höhe von 334,52 € für den Zeitraum Juni bis August und November 2017 geltend gemacht werde. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Bestellung des Geschäftsführers werde durch Gesellschafterbeschluss und Annahme der Bestellung durch den Bestellten wirksam. Für das Verschulden sei es nicht maßgebend, ob der Bestellte seine Funktion als Vertreter tatsächlich ausgeübt habe. Dem Vorbringen des Revisionswerbers, er habe die von ihm unterschriebenen Dokumente nicht lesen können und sei über deren Inhalt auch nicht informiert gewesen, sei entgegen zu halten, dass er nicht glaubhaft gemacht habe, warum er sich nicht eines Dolmetschers bedient habe oder warum er sich nicht bei den Gesellschafterinnen (deren Geschäftsführern) erkundigt habe, die sowohl deutsch als auch chinesisch sprächen. Der Revisionswerber sei auch an einer der Gesellschafterinnen der Primärschuldnerin beteiligt gewesen. In Anbetracht des Engagements im österreichischen Wirtschaftsleben sei das behauptete Unvermögen, der Tragweite seiner Unterschrift bewusst zu werden, nicht nachvollziehbar. Die Reduktion der Haftungsbeträge ergebe sich zum einen aus der im Insolvenzverfahren der O GmbH erzielten Quotenzahlung. Zum anderen ergebe sich aus den Aussagen von Zeugen, dass der Revisionswerber am 4. Jänner 2018 seinen Rücktritt erklärt habe. Der Revisionswerber werde daher für den Abgabenbetrag für Dezember 2017 nicht mehr in Haftung genommen.

6        Der Revisionswerber beantragte, die Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesfinanzgericht vorzulegen. Er machte ergänzend geltend, er habe erst gegen Ende des Jahres 2017 bemerkt, dass er als Geschäftsführer der O GmbH im Firmenbuch eingetragen gewesen sei. Bei Unterfertigung der seine Geschäftsführerstellung begründenden Dokumente sei ihm eine unrichtige Erklärung vom Inhalt der Dokumente erteilt worden, auf welche er vertraut habe. Nur aus diesem Grund sei es zu keiner Beiziehung eines Dolmetschers gekommen.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge und änderte den Haftungsbescheid im Sinne der Beschwerdevorentscheidung ab. Es sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8        Nach Wiedergabe des Verfahrensgangs führte das Bundesfinanzgericht - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei seit 1991 in Österreich aufhältig. Er verfüge über keinerlei Deutschkenntnisse und könne die lateinische Schrift nicht lesen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 15. Mai 2017 sei er von den beiden Gesellschafterinnen zum Geschäftsführer der O GmbH bestellt worden. Am selben Tag habe er vor einem öffentlichen Notar eine Musterzeichnungserklärung als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der O GmbH geleistet. Dabei habe sich der Revisionswerber, der für eine der Gesellschafterinnen der O GmbH als Koch gearbeitet habe, weder eines Dolmetschers bedient noch habe er Erkundungen eingeholt, wozu seine Unterschrift benötigt werde. Die Geschäftsführerbestellung ab 15. Mai 2017 sei am 14. Juni 2017 im Firmenbuch eingetragen worden.

9        Erst nach dem Gespräch mit der Frau eines Mitgesellschafters habe der Revisionswerber im November 2017 bemerkt, dass er als Geschäftsführer der O GmbH geführt werde. Nachdem ihm die Einsicht in die Bücher verweigert worden sei, habe er mit Schreiben vom 4. Jänner 2018 seinen Rücktritt als Geschäftsführer mit sofortiger Wirkung erklärt. Am 24. Jänner 2018 sei über das Vermögen der O GmbH der Konkurs eröffnet worden.

10       Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Bundesfinanzgericht ergänzend aus, in der mündlichen Verhandlung habe sich gezeigt, dass der Revisionswerber „kaum bis gar nicht“ deutsch spreche oder verstehe. Er habe dennoch vor einem öffentlichen Notar eine Musterzeichnungserklärung als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der O GmbH abgegeben, ohne sich dabei eines Dolmetschers zu bedienen oder sonstige Fragen zu stellen oder Erkundungen einzuholen. Er habe dabei „quasi blind“ unterschrieben und auf die Angaben des faktischen Geschäftsführers vertraut, dass er eigentlich als Gesellschafter eingesetzt werde.

11       Der Revisionswerber sei im haftungsrelevanten Zeitraum des Jahres 2017 unbestritten im Firmenbuch als alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin ausgewiesen gewesen. Schon damit habe er zu dem in den §§ 80 ff BAO genannten Personenkreis gehört; ein „faktischer Geschäftsführer“ sei hingegen nicht zur Vertretung der Gesellschaft berufen und könne daher nicht zur Haftung herangezogen werden. Es habe zu den Pflichten des Revisionswerbers als Geschäftsführer der GmbH gehört, die abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft wahrzunehmen und für die Entrichtung der Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu sorgen. Soweit der Revisionswerber vorbringe, faktisch sei eine andere Person als Geschäftsführer tätig gewesen, sei ihm die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach die Bestellung eines „Geschäftsführers auf dem Papier“ an seiner Stellung als Organwalter und am Bestand der ihn nach § 80 BAO treffenden Pflichten nichts ändere. Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter auf die Geschäftsführung komme es nicht an.

12       Der Umstand, dass der Revisionswerber rechtsunkundig bzw. der deutschen Sprache nicht oder nur sehr eingeschränkt mächtig sei, habe ihn nicht von seinen abgabenrechtlichen Verpflichtungen entbunden, weil er als Geschäftsführer der GmbH dafür einzustehen habe, dass er über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Angesichts der Unterschriftsleistung vor einem öffentlichen Notar hätte sich der Revisionswerber eines Dolmetschers bedienen und weitere Erkundungen zu den Urkunden und Vorgängen rund um die Unterschriftsleistung anstellen müssen. Der Revisionswerber habe hingegen „nicht einmal die Zettel gemustert“ und auch sonst nichts hinterfragt. Beim Revisionswerber hätten daher schon anlässlich seiner Bestellung zum Geschäftsführer zumindest Bedenken über seine mit dieser Stellung verbundenen Rechte und Pflichten entstehen müssen. In der Unterlassung von Erkundungen liege ein zumindest fahrlässiges Verhalten. Die Rechtsunkenntnis sei auch vorwerfbar, weil Rechtskenntnis bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit hätte erreicht werden können. Zu den Andeutungen des Revisionswerbers, er sei von anderen Personen, insbesondere vom faktischen Geschäftsführer getäuscht worden, sei nochmals auszuführen, dass es auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter auf die Geschäftsführung nicht ankomme. Das Beschwerdevorbringen sei daher insgesamt nicht geeignet, die Pflichtverletzung zu entschuldigen.

13       Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit der Revision wird insbesondere geltend gemacht, der Revisionswerber habe dezidiert vorgebracht, dass er über den Inhalt der von ihm unterfertigten Dokumente getäuscht worden sei. Das Bundesfinanzgericht habe - wenngleich nur im Rahmen der Beweiswürdigung - auch festgestellt, dass der Revisionswerber auf die Angaben eines Dritten vertraut habe, dass er eigentlich als Gesellschafter eingesetzt werde. Der Revisionswerber sei insoweit getäuscht bzw. in Irrtum geführt worden; ein schuldhaftes Verhalten liege insoweit nicht vor. Dem Revisionswerber sei daher auch die Verletzung von abgabenrechtlichen Vorschriften nicht anzulasten.

14       Nach Einleitung des Vorverfahrens hat die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16       Die Revision ist zulässig und begründet.

17       Gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG) haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

18       Gemäß § 6a Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

19       Nach § 80 Abs. 1 BAO haben u.a. die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

20       Wer zur Vertretung von juristischen Personen in Betracht kommt, bestimmt sich nach den Vorschriften des Zivilrechts (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, § 80, Seite 787).

21       Gemäß § 18 Abs. 1 GmbHG wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Nach § 15 Abs. 1 GmbHG erfolgt die Bestellung zu Geschäftsführern durch Beschluss der Gesellschafter.

22       Die Bestellung des Geschäftsführers durch Gesellschafterbeschluss wird mit der Fassung des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses und der Annahme der Bestellung durch den Bestellten wirksam; die Eintragung ins Firmenbuch hat nur deklarative Bedeutung (vgl. VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601, mwN; vgl. auch RIS-Justiz RS0059880). Die Bestellung von Geschäftsführern ist sohin ein zweiseitiger Akt, der der Zustimmung des in Aussicht genommenen Geschäftsführers bedarf; erst mit der Annahme durch den Bestellten wird die Bestellung wirksam (vgl. VwGH 20.12.2006, 2005/08/0102; vgl. weiters OGH 14.10.1993, 8 Ob 621/93; Ratka/Völkl in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, 119. Lfg, § 15 Tz 36 f und Tz 54 f). Die Zustimmung zur Bestellung ist u.a. deswegen notwendig, weil mit der Übernahme der Organstellung erhebliche Pflichten und Haftungen verbunden sind (vgl. N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG², § 15 Tz 32).

23       Die Annahme der Bestellung kann auch schlüssig erfolgen; dies etwa durch Abgabe der Musterzeichnung oder auch durch Tätigwerden für die Gesellschaft (vgl. N. Arnold/Pampel, aaO; Ratka/Völkl, aaO, § 15 Tz 37).

24       Eine faktische Aufnahme der Tätigkeit als Geschäftsführer der O GmbH durch den Revisionswerber erfolgte unstrittig nicht; eine versuchte Einsicht in die Bücher wurde ihm nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts verweigert. Eine schlüssige Annahme der Bestellung könnte im vorliegenden Fall aber darauf gestützt werden, dass der Revisionswerber die Musterzeichnung abgegeben hat.

25       Bei der Beurteilung von Erklärungen - hier der Annahme der Bestellung zum Geschäftsführer durch den Revisionswerber - kommt es auf den objektiven Erklärungswert an, also darauf, wie ein redlicher Empfänger einer Erklärung diese unter Berücksichtigung aller Umstände verstehen musste. Der Inhalt einer Urkunde wird durch deren Unterfertigung nur dann zum Inhalt der Willenserklärung des Unterfertigenden, wenn der andere Teil aus den Umständen nicht etwas anderes entnehmen musste. Hat der Erklärungsempfänger beim Erklärenden ganz bewusst eine falsche Vorstellung vom Inhalt der Urkunde erweckt (ihn also getäuscht) und war es für ihn erkennbar, dass der Erklärende die Urkunde ungelesen unterfertigt, kann der Erklärungsempfänger nicht annehmen, dass der dem Erklärenden unbekannte Inhalt der Urkunde Inhalt seiner Erklärung ist bzw. dass der Erklärende den unbekannten Inhalt in Kauf genommen hat. In einem derartigen Fall liegt eine wirksame Willenserklärung von vornherein nicht vor (vgl. z.B. OGH 29.10.2009, 9 Ob65/09p; 24.5.2017, 9 ObA 18/17p; vgl. weiters VwGH 20.9.2017, Ra 2016/11/0172).

26       Das Bundesfinanzgericht ist davon ausgegangen, dass der Revisionswerber vor einem öffentlichen Notar eine Musterzeichnungserklärung als selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der O GmbH geleistet habe. Ein derartiges Verhalten könnte als schlüssige Annahme der Bestellung beurteilt werden. Das Bundesfinanzgericht hat aber - wenn auch nur im Rahmen der Beweiswürdigung - disloziert dargelegt, dass der Revisionswerber die Musterzeichnungserklärung „quasi blind“ unterfertigt habe; er habe dabei auf die Angaben des faktischen Geschäftsführers vertraut, dass er eigentlich als Gesellschafter eingesetzt werde. Damit hatte aber der „faktische Geschäftsführer“ (der O GmbH), der als Geschäftsführer einer der Gesellschafterinnen der O GmbH (gemeinsam mit einem Geschäftsführer der anderen Gesellschafterin) den Revisionswerber zum Geschäftsführer der O GmbH bestellt hatte und der somit Empfänger der (konkludenten) Erklärung über die Annahme der Bestellung war, die Unterfertigung der Musterzeichnungserklärung nicht als schlüssige Annahme der Bestellung durch den Revisionswerber verstehen können (vgl. auch Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5, § 871 Rz 28).

27       Somit war die Bestellung des Revisionswerbers zum Geschäftsführer - trotz Eintragung im Firmenbuch - mangels Annahme der Bestellung durch den Revisionswerber unwirksam, eine Haftung des Revisionswerbers als Geschäftsführer scheidet damit aus.

28       Sowohl das Bundesfinanzgericht als auch die belangte Behörde führen im Übrigen unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2009, 2009/16/0092, aus, ein „faktischer Geschäftsführer“ sei nach dem GmbHG nicht zur Vertretung der Gesellschaft berufen, somit nicht als Vertreter iSd § 80 BAO anzusehen und könne daher nach § 9 Abs. 1 BAO nicht zur Haftung herangezogen werden. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass sowohl das KommStG als auch das Wiener Dienstgeberabgabegesetz jeweils in § 6a Abs. 2 vorsehen, dass auch Personen, soweit sie auf die Erfüllung der Abgabepflichtigen und der in §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter tatsächlich Einfluss nehmen, diesen Einfluss dahingehend auszuüben haben, dass diese Pflichten erfüllt werden. Nach § 6a Abs. 3 sowohl des KommStG als auch des Wiener Dienstgeberabgabegesetzes haften diese Personen für die Abgabe insoweit, als diese infolge ihrer Einflussnahme nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. nunmehr auch § 9a BAO idF des Abgabenänderungsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 112, und dazu die Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1960 BlgNR 24. GP 55: es solle - nach dem Vorbild des § 6a Abs. 2 und 3 KommStG - eine Haftung u.a. für faktische Geschäftsführer vorgesehen werden). Ein faktischer Geschäftsführer wäre daher im vorliegenden Verfahren eine (allenfalls weitere) Person, die zur Haftung herangezogen werden könnte. Bei mehreren Haftungspflichtigen ist aber die Ermessensentscheidung, wer von ihnen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß in Anspruch genommen wird, entsprechend zu begründen (vgl. VwGH 31.12.2020, Ra 2020/13/0084, mwN).

29       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

30       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021130078.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten