TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/15 Ra 2021/12/0039

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Veröffentlicht am 15.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
AVG §58 Abs2
AVG §60
BDG 1979 §39
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §25

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Hofrat Mag. Feiel als Richterin und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über die Revision des G Z in S, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2021, W213 2176759-1/39E, betreffend Feststellung von Dienstpflichten (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorstand des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln; nunmehr: Finanzamt Österreich, Dienststelle Weinviertel), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber steht als Amtsdirektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er wird beim Finanzamt Hollabrunn Korneuburg Tulln (nunmehr: Finanzamt Österreich, Dienststelle Weinviertel) im Bereich der Betriebsprüfung verwendet.

2        Am 19. April 2017 erhielt der Revisionswerber eine Weisung, mit welcher er mit Wirksamkeit vom 24. April 2017 auf die Dauer von 90 Kalendertagen dem Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel dienstzugeteilt wurde. Die Weisung wurde schriftlich wiederholt, nachdem er seinem Vorgesetzten seine Bedenken gegen diese mitgeteilt hatte.

3        Mit Bescheid vom 2. Oktober 2017 stellte die im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde über die Anträge des Revisionswerbers vom 19. April 2017 und vom 5. Juli 2017 nach § 44 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) fest, dass die Befolgung des Dienstauftrags (Weisung) vom 19. April 2017, demzufolge er aus dienstlichen Gründen nach § 39 BDG 1979 mit Wirksamkeit 24. April 2017 auf die Dauer von 90 Kalendertagen dem Finanzamt für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel dienstzugeteilt worden sei, zu seinen Dienstpflichten gezählt habe und im dienstlichen Interesse erfolgt sei.

4        Der über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ergangene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Jänner 2018 wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 2018, Ra 2018/12/0012, - auf das an dieser Stelle für Näheres verwiesen wird - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

5        Bereits mit Bescheid der belangten Behörde vom 18. Juli 2017 war der Revisionswerber aus wichtigem dienstlichen Interesse gemäß § 38 Abs. 1 und 2 BDG 1979 mit Wirksamkeit vom 23. Juli 2017 (Dienstantritt Montag, 24. Juli 2017) von einem Standort dieses Finanzamts, BV Team 04, zu einem anderen Standort dieses Finanzamts, BV Team 05, versetzt worden, wo er (wie zuvor) als Betriebsprüfer auf einem Arbeitsplatz der Verwendungsgruppe A2, Funktionsgruppe 3, verwendet wird.

6        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 7. Juli 2020 abgewiesen; die in dieser Sache erhobene außerordentliche Revision wies der Verwaltungsgerichtshof zurück (VwGH 7.12.2020, Ra 2020/12/0054).

7        Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2017 gemäß § 44 BDG 1979 als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.

8        Feststellend führte das Verwaltungsgericht über den eingangs dargestellten Sachverhalt und Verfahrensablauf hinaus fest, dass der Revisionswerber seit 1982 beim Finanzamt Korneuburg als Betriebsprüfer tätig gewesen sei. Er habe sich mehrmals erfolglos um die Funktion eines Teamleiters beworben. Ende des Jahres 2007 sei bei diesem Finanzamt die Funktion des „Teamleiter/Teamleiterin Betriebsveranlagung/-prüfung“ mit der Bewertung A2/6 nach § 20 Ausschreibungsgesetz 1989 zur Ausschreibung gelangt. Der Revisionswerber habe sich erfolglos um diese Stelle beworben. Aufgrund der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung habe er die Zuerkennung von Schadenersatz gemäß § 18a B-GlBG beantragt. Dieser Antrag sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 22. Juli 2015 abgewiesen worden. Die dagegen erhobene Beschwerde sei vom Bundesverwaltungsgericht mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 3. März 2017 abgewiesen worden.

9        Im Zusammenhang mit der unberücksichtigt gebliebenen Bewerbung des Revisionswerbers sei es zu schwerwiegenden persönlichen Spannungen an der Dienststelle des Revisionswerbers gekommen, die sich sogar in Strafanzeigen gegen den Leiter der belangten Behörde niedergeschlagen hätten. Darüber hinaus sei das Verhalten des Revisionswerbers gegenüber seinem Teamleiter von Destruktivität und mangelndem Respekt gekennzeichnet gewesen. Der Revisionswerber habe wenig Bereitschaft zu konstruktiver Zusammenarbeit mit anderen Bediensteten gezeigt. Das habe soweit geführt, dass auch die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen (Teambildung) davon abhängig gemacht worden sei, dass der Revisionswerber nicht daran teilnehme.

10       Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus (Schreibweise im Original, Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Die Feststellungen hinsichtlich der Verfahren nach § 18a B-GlBG bzw. § 38 BDG ergeben sich aus den hg. Erkenntnissen vom 03.03.2017, GZ. W122 2113836-1/55E bzw. 07.07.2020, GZ. W 122 2170538-1/21E, sowie dem Beschuss des Verwaltungsgerichtshofs vom 07.12.2020, GZ. Ra 2020/12/0054-3.

Die Feststellungen zu den an der Dienststelle des [Revisionswerbers] bestehenden Spannungsverhältnissen ergeben sich aus den zeugenschaftlichen Aussagen des Leiters der belangten Behörde sowie des als Teamleiter unmittelbaren Vorgesetzten des [Revisionswerbers], F. So hat beispielsweise auch die Zeugin I bestätigt, dass es zu Streitgesprächen zwischen dem [Revisionswerber] und dem Teamleiter F gekommen ist und dass die Spannungen zwischen ihnen die Teilnahme an Teamentwicklungen für sie zu einem ,Gräuel‘ machten.“

11       Rechtlich beurteilte das Bundesverwaltungsgericht den festgestellten Sachverhalt nach Wiedergabe maßgeblicher Gesetzesbestimmungen auf das Wesentliche zusammengefasst unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend, dass die Partei des Verwaltungsverfahrens die bescheidförmige Feststellung strittiger Rechte begehren könne, wenn der Bescheid im Einzelfall notwendiges Mittel zweckentsprechender Rechtsverteidigung sei und insofern im Interesse der Partei liege. Dieses rechtliche Interesse setze voraus, dass dem Feststellungsbescheid im konkreten Fall die Eignung zukomme, ein Recht oder Rechtsverhältnis für die Zukunft auch tatsächlich klarzustellen und dadurch eine Rechtsgefährdung des Antragstellers zu beseitigen. Der Umstand, dass die konkreten Auswirkungen eines Dienstauftrags der Vergangenheit angehörten, bilde für sich allein noch kein Hindernis für die Erlassung eines Feststellungsbescheids, doch müsse die an ein abgeschlossenes Geschehen anknüpfende Feststellung über ein Recht oder Rechtsverhältnis der Abwendung zukünftiger Rechtsgefährdung des Antragstellers dienen. Für das Vorliegen einer erforderlichen Klarstellung für die Zukunft reiche es dabei aus, dass nicht auszuschließen sei, dass dem Revisionswerber auch in Zukunft wiederholt eine derartige Weisung erteilt werde. Als subsidiärer Rechtsbehelf scheide der Feststellungsbescheid jedoch dann aus, wenn die für die Feststellung maßgebende Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgezeichneten Verwaltungsverfahrens zu entscheiden sei.

12       Bei Vorliegen der Voraussetzungen bejahe der Verwaltungsgerichtshof ein rechtliches Interesse an der Erlassung eines Feststellungsbescheids auch in Bezug auf Weisungen. Gegenstand eines solchen Feststellungsverfahrens könne einerseits die Frage sein, ob die Befolgung einer Weisung zu den Dienstpflichten des Beamten gehöre, das heiße, ob er verpflichtet sei, diese Weisung zu befolgen. Eine Pflicht zur Befolgung einer Weisung sei demnach dann zu verneinen, wenn einer der in Art. 20 Abs. 1 dritter Satz B-VG genannten Tatbestände vorliege („wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde“), wenn die Weisung nach erfolgter Remonstration nicht schriftlich wiederholt worden sei oder ihre Erteilung gegen das Willkürverbot verstoße. Andererseits könne Gegenstand eines Feststellungsverfahrens aber auch die „schlichte“ Rechtswidrigkeit der Weisung sein, also eine solche, die die Pflicht zu ihrer Befolgung nicht berühre; ein Recht auf eine solche bescheidmäßige Feststellung der Rechtmäßigkeit von Weisungen bestehe jedoch bloß dann, wenn durch die Weisung die aus dem Dienstrecht entspringenden Rechte und Pflichten des Beamten berührt würden.

13       Fallbezogen sei die Weisung von einem zuständigen Organ erteilt worden und habe die Befolgung nicht gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen. Vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Funktion des Feststellungsbescheids als subsidiärem Rechtsbehelf, der nur dann zu erlassen sei und über das Bestehen einer Verpflichtung zu dem mit der Weisung aufgetragenen Verhalten abzusprechen habe, wenn eine Klärung der strittigen Fragen im Wege des § 44 Abs. 3 BDG 1979 versucht worden sei, sei für den vorliegenden Fall davon auszugehen, dass ein entsprechender Klärungsversuch unternommen worden sei. Mit E-Mail vom 20. April 2017 sei die Weisung schriftlich wiederholt worden. Fallbezogen sei daher lediglich der Einwand des Revisionswerbers, dass die Dienstzuteilung willkürlich erfolgt sei und § 43a BDG 1979 widerspreche, zu prüfen. Der Revisionswerber habe seinen Dienst über 35 Jahre lang zur vollsten Zufriedenheit geleistet und sei ein geschätzter Mitarbeiter. Seine fachliche Eignung für die ihm ursprünglich zugeteilte Abteilung stehe außer Frage. Die Dienstzuteilung sei aus rein subjektiven Gründen erfolgt.

14       Aus den Aussagen der in den Verhandlungen einvernommenen Zeugen ergebe sich, dass der Revisionswerber offenbar die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung für die Ende des Jahres 2007 beim Finanzamt ausgeschriebene Funktion des „Teamleiter/Teamleiterin Betriebsveranlagung/-prüfung“ nicht verkraftet habe. Es sei in der Folge zu schwerwiegenden Spannungen zwischen dem Revisionswerber und dem Leiter der belangten Behörde gekommen, die sogar zu strafrechtlichen Erhebungen geführt habe. Darüber hinaus sei das Verhältnis des Revisionswerbers zu seinem ihm unmittelbar vorgesetzten Teamleiter von destruktivem Verhalten und mangelndem Respekt geprägt gewesen. Durch diese Spannungen sei das gemeinsame Arbeiten an der Dienststelle des Revisionswerbers beeinträchtigt gewesen. Auch andere Bedienstete hätten diese als unangenehm und störend empfunden, was darin gegipfelt habe, dass mehrere Bedienstete es abgelehnt hätten, gemeinsam mit dem Revisionswerber an dienstlichen Veranstaltungen teilzunehmen.

15       In rechtlicher Hinsicht sei festzuhalten, dass das Vorliegen von wesentlichen Konflikten und Spannungen zwischen Beamten einer Dienststelle ein wichtiges dienstliches Interesse, das eine Versetzung rechtfertige, begründen könne. Häufig werde durch derartige Konflikte und damit verbundene Auseinandersetzungen auch ein beträchtlicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand herbeigeführt, der bei einem anderen Personaleinsatz meist vermeidbar wäre.

16       Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung könne daher keinesfalls von einem willkürlichen Vorgehen der belangten Behörde gesprochen werden. Die Spannungen zwischen dem Revisionswerber und dem Leiter der belangten Behörde sowie dem ihm unmittelbar vorgesetzten Teamleiter hätten sich auch auf andere Bedienstete nachteilig ausgewirkt. Es sei zu einer schweren Belastung des Betriebsklimas gekommen, wobei selbst die Teilnahme an dienstlichen Veranstaltungen (Teambildungen) als belastend empfunden worden seien, wenn der Revisionswerber daran teilgenommen habe. Die belangte Behörde habe daher zu Recht die verfahrensgegenständliche Dienstzuteilung ausgesprochen, um dadurch einerseits die persönlichen Spannungen an der Dienststelle zu beenden und andererseits durch die Einleitung eines Versetzungsverfahrens gemäß § 38 BDG 1979 langfristig die Herstellung eines gedeihlichen Arbeitsklimas zu gewährleisten.

17       Das Vorliegen von Spannungen zwischen den Bediensteten sei auch Gegenstand des gegen den Revisionswerber geführten Versetzungsverfahrens gewesen, das mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2020 rechtskräftig beendet worden sei. Wenn aber die im vorliegenden Fall gegebenen Spannungen zwischen den Bediensteten an der Dienststelle des Revisionswerbers ein wichtiges dienstliches Interesse an einer Versetzung begründeten, könne es keinesfalls willkürlich gewesen sein, wegen dieser Spannungen den Revisionswerber gemäß § 39 BDG 1979 einer anderen Dienststelle dienstzuzuteilen.

18       Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

19       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision aus den Gründen der Rechtswidrigkeit des Inhalts und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung.

20       Die Zulässigkeit der Revision sieht der Revisionswerber darin gelegen, dass das Verwaltungsgericht der nach der (näher dargelegten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehenden Begründungspflicht - insbesondere im Hinblick auf die Beweiswürdigung - nicht nachgekommen sei. Die Beweiswürdigung erstrecke sich über knapp zwei Absätze, wobei nur auf die konkrete Aussage einer einzelnen Zeugin eingegangen werde. Darüber hinaus begnüge sich das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Aussagen des Teamleiters und des Leiters der belangten Behörde mit einem Verweis auf deren Aussagen, ohne konkret anzugeben, welche damit gemeint seien und welche Feststellungen damit hätten getroffen werden können. Insgesamt seien neben dem Revisionswerber zehn Personen als Zeugen einvernommen worden, die - wie weitere Beweisergebnisse - in der Beweiswürdigung überhaupt keine Erwähnung fänden. Die genannte Zeugin habe zudem in den letzten 15 Monaten vor der Dienstzuteilung mit dem Revisionswerber nicht mehr „direkt“ zusammengearbeitet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

21       Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

22       Zwar ist der als Rechtsinstanz tätige Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (VwGH 25.9.2020, Ra 2020/19/0145).

23       Wie der Verwaltungsgerichtshof schon zu dem gemäß § 17 VwGVG auch von den Verwaltungsgerichten anzuwendenden § 45 Abs. 2 AVG ausgesprochen hat, bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht, dass der in der Begründung der (nunmehr: verwaltungsgerichtlichen) Entscheidung niederzulegende Denkvorgang der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht unterliegt. Die Bestimmung des § 45 Abs. 2 AVG hat nur zur Folge, dass die Würdigung der Beweise keinen gesetzlichen Beweisregeln unterworfen ist. Dies schließt aber eine Kontrolle in die Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also nicht den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut widersprechen. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat. Hingegen ist der grundsätzlich zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, die einer Überprüfung unter den genannten Gesichtspunkten standhält, auf ihre Richtigkeit hin zu beurteilen, das heißt sie mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Ablauf der Ereignisse bzw. ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. zum Ganzen VwGH 2.9.2015, Ra 2015/19/0091, 0092, mwN).

24       Die von § 60 AVG verlangte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und den Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es allerdings einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann. Eine dem § 60 AVG entsprechende Entscheidungsbegründung muss (auch) zu widersprechenden Beweisergebnissen im einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was die Behörde (das Verwaltungsgericht) veranlasst hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen; die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, das heißt mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Einklang stehen (VwGH 20.11.2019, Ro 2019/03/0018; 20.5.2015, Ra 2014/09/0041).

25       Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich drei als Zeugen einvernommene Personen in der Beweiswürdigung namentlich erwähnt. Auch dies erfolgte lediglich summarisch, indem ausgeführt wurde, dass die Feststellungen zu den Spannungsverhältnissen sich aus deren Einvernahmen ergäben. Weder wurden die Feststellungen mit für die Beweiswürdigung wesentlichen Details aus diesen Aussagen untermauert, noch erfolgte eine Auseinandersetzung mit den Angaben der weiters einvernommenen Personen und der übrigen aufgenommenen Beweise. Da auch keineswegs davon gesprochen werden kann, dass sämtliche Zeugen übereinstimmend ausgesagt hätten und es keine widerstreitenden Beweisergebnisse gegeben hätte, stellt sich diese Beweiswürdigung als in einem an Willkür grenzenden Maße mangelhaft und nicht überprüfbar dar.

26       Wenn sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung ferner darauf beruft, dass die im vorliegenden Fall gegebenen Spannungen ein wichtiges dienstliches Interesse für die erfolgte Versetzung zu begründen vermocht hätten, weshalb es keinesfalls willkürlich gewesen sein könne, den Revisionswerber wegen dieser Spannungen einer anderen Dienststelle dienstzuzuteilen, übersieht es, dass zunächst aufgrund eines mängelfreien Ermittlungsverfahrens und einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung die entsprechenden Feststellungen zu treffen sind, aus welchen das vom Verwaltungsgericht behauptete Spannungsverhältnis abzuleiten ist. Abgesehen davon, dass in den beiden Verfahren mit einer Versetzung und einer Dienstzuteilung zu jeweils unterschiedlichen Dienststellen verschiedene dienstrechtliche Maßnahmen gegenständlich waren, hat jeder Richter in seinem Verfahren für sich nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob aufgrund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (siehe dazu auch § 45 Abs. 2 AVG). Die zu den entsprechenden Feststellungen führende Bewertung der einzelnen Beweismittel ist daher von dem zur Entscheidung im konkreten Verfahren berufenen Richter selbst durchzuführen (vgl. etwa VwGH 30.4.2021, Ra 2020/08/0043). Sie kann schon aufgrund der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht aus einem anderen Erkenntnis übernommen werden.

27       Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

28       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Dezember 2021

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Begründung hinsichtlich einander widersprechender Beweisergebnisse Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete Beweiswürdigung Wertung der Beweismittel freie Beweiswürdigung Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021120039.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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