TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/16 Ra 2021/18/0387

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

E3L E19103010
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FlKonv Art1 AbschnA Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
32011L0095 Status-RL Art9 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der revisionswerbenden Partei Z R, vertreten durch Mag.a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Oktober 2021, W133 2192928-1/25E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit der Gewalttätigkeit seines Vaters ihm gegenüber begründete. Im Laufe des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sowie dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) brachte der Revisionswerber vor, psychisch krank zu sein.

2        Mit Bescheid vom 14. März 2018 wies das BFA den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan fest (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

3        Mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 23. September 2020 wurde für den Revisionswerber ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt.

4        Die gegen den Bescheid vom 14. März 2018 erhobene Beschwerde wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 5. Oktober 2021 hinsichtlich Spruchpunkt I. als unbegründet ab, gab der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. statt und erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Weiters erteilte das BVwG ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

5        Begründend führte das BVwG aus, das Vorbringen, wonach der Vater den Revisionswerber sowie seinen Bruder fast täglich geschlagen und mehrmals über einen längeren Zeitraum im Keller eingesperrt habe, sei nicht glaubhaft. Es werde nicht davon ausgegangen, dass der Vater den Revisionswerber bei einer allfälligen Rückkehr suchen und dessen Leben bedrohen würde. Auch aufgrund der psychischen Erkrankung des Revisionswerbers könne keine asylrelevante Verfolgung angenommen werden. Er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer abhängigen (asthenischen) Persönlichkeitsstörung, einer gemischten Angst- und depressiven Störung sowie einer Anpassungsstörung. Bei einer Rückkehr müsse er zwar mit Diskriminierung und Stigmatisierung rechnen, diese würden jedoch nicht in einer Intensität auftreten um sie als „Verfolgung“ ansehen zu können.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG sei von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungs- sowie zur amtswegigen Ermittlungspflicht abgewichen. Das BVwG hätte ausgehend von den festgestellten psychischen Erkrankungen des Revisionswerbers und den Länderberichten, insbesondere den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2018, eine genaue Prüfung der Umstände des Einzelfalles vornehmen müssen. Die Feststellung, die psychische Erkrankung des Revisionswerbers trete nicht nach außen, sei aktenwidrig. Zur Ermittlungspflicht bringt die Revision im Wesentlichen vor, die mündliche Verhandlung beim BVwG habe bereits im Oktober 2019 stattgefunden. Das Gericht hätte sich danach abermals einen Eindruck vom Revisionswerber und dessen Verhalten verschaffen oder andernfalls ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen, um der Frage nachzugehen, inwieweit inadäquates Verhalten des Revisionswerbers aufgrund der festgestellten psychischen Erkrankungen nach außen in Erscheinung trete.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0362, mwN).

12       Die vorliegende Revision sieht einen revisiblen Begründungsmangel darin, dass das BVwG von den Länderberichten wie insbesondere dem „UNHCR-Risikoprofil“ abweiche und eine genaue Prüfung des Einzelfalles unterlassen habe. Die Auffassung die Krankheit des Revisionswerbers sei nicht unmittelbar wahrnehmbar, sei aktenwidrig.

13       Entgegen diesem Vorbringen hat das BVwG mit nachvollziehbarer Begründung die psychische Erkrankung des Revisionswerbers auf seine Asylrelevanz überprüft und diese vertretbar verneint. Dabei führte es - unter Beachtung des in den UNHCR-Richtlinien enthaltenen Risikoprofils zu Personen, die an psychischen Erkrankungen leiden, - aus, der Revisionswerber sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung zwar in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt, müsse nach den Länderinformationen mit Diskriminierung und Stigmatisierung rechnen und könne sich nicht auf ein nachhaltig unterstützungsfähiges und -williges Netzwerk verlassen. Allerdings handle es sich bei seinem Zustand um eine grundsätzlich therapierbare Erkrankung (im Gegensatz etwa zu einer angeborenen Behinderung), welche nach außen hin nicht unmittelbar wahrnehmbar sei. Der Revisionswerber sei als erwachsener Mann, Tadschike und Sunnit zudem von keinen zusätzlichen risikoerhöhenden Faktoren betroffen.

14       Soweit die Revision auf ein Judikat des Verwaltungsgerichtshofes verweist, aus dem sich eine Notwendigkeit der Asylgewährung bei vorgebrachter Verfolgung aufgrund einer psychischen Erkrankung ergeben soll (Hinweis auf VwGH 14.2.2019, Ra 2018/18/0442), so ist dem entgegen zu halten, dass der dort zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar ist, weil sich dieser Fall in seinem Krankheitsbild und dessen Schwere sowie dem zu erwartenden persönlichen Umfeld in Afghanistan deutlich unterschied. Dem BVwG ist im Revisionsfall auch nicht entgegenzutreten, wenn es dem Umstand Bedeutung zumisst, dass der Revisionswerber als erwachsener Mann, Tadschike und Sunnit keine zusätzlichen risikoerhöhenden Faktoren aufweise.

15       Sofern die Revision eine fehlende familiäre Unterstützung und unzureichende Behandlungsmöglichkeiten in Afghanistan ins Treffen führt, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG diese Umstände in einer umfassenden Beweiswürdigung zur Rückkehrsituation berücksichtigt und dem Revisionswerber aus diesen Gründen zutreffender Weise den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt hat.

16       Dass das BVwG im konkreten Einzelfall die oben dargelegte Beurteilung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen hat, zeigt die Revision nicht auf.

17       Des Weiteren bringt die Revision vor, das BVwG hätte nähere Ermittlungen - etwa durch einen weiteren Termin einer mündlichen Verhandlung oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - zur Frage anstellen müssen, inwieweit und in welcher Form die Krankheit des Revisionswerbers nach außen in Erscheinung trete. Bereits aus dem Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten, mit welchem für den Revisionswerber ein Erwachsenenvertreter bestellt worden sei, gehe ein „nicht immer adäquates Auftreten“ hervor. Die Relevanz dieses Verfahrensfehlers bestehe darin, dass der Revisionswerber bei allfälligen Straßenkontrollen durch Taliban-Kämpfer Todesgefahr durch nicht adäquates Benehmen ausgesetzt wäre und er sohin mit einem asylrelevanten Nachteil zu rechnen hätte.

18       Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen musste, unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 10.6.2020, Ra 2020/18/0068, mwN).

19       Von Letzterem kann vorliegend schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil dem BVwG lediglich ein im Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten aufscheinender Hinweis auf „nicht immer adäquates Auftreten“ des Revisionswerbers vorlag, welcher das BVwG - mangels eines entsprechenden Parteivorbringens - nicht dazu veranlassen musste, jede dadurch bedingte auch nur entfernt mögliche Gefahrensituation bei Rückkehr nach Afghanistan unter dem Blickwinkel der Asylrelevanz zu überprüfen.

20       Ausgehend davon gelingt es der Revision nicht, die Relevanz der gerügten Verfahrens- und Begründungsmängel in gebotener Weise aufzuzeigen.

21       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180387.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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