TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/16 Ra 2021/18/0277

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Dr. Claudia Stoitzner, MBA, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 45/5/36, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2021, I421 2203796-1/11E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein aus Mossul stammender irakischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2        Zu seinen Fluchtgründen brachte er - soweit im Revisionsverfahren von Relevanz ist - vor, sein Vater sei unter dem Regime von Saddam Hussein in leitender Position der Baath-Partei tätig gewesen. Er selbst sei Mitglied einer Untergruppierung dieser Partei gewesen. Deshalb würde er bei Rückkehr in den Irak „verhaftet“ werden bzw. sei sein Leben in Gefahr.

3        Mit Bescheid vom 18. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise legte die Behörde eine vierzehntägige Frist fest (Spruchpunkt VI.).

4        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

5        Begründend führte das BVwG unter anderem aus, die Parteimitgliedschaft des Revisionswerbers bei einer Untergruppe der Baath-Partei sei aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft. Selbst wenn der Vater des Revisionswerbers Mitglied der Baath-Partei gewesen sein sollte, habe eine konkrete Bedrohung des Revisionswerbers aus diesem Grund nicht festgestellt werden können. Es gebe keine „nachweisbaren Details“, dass der Revisionswerber wegen seines Vaters inhaftiert werden sollte oder Verfolgung ausgesetzt wäre. Er habe auch keine Aktivitäten angegeben, die der Regierung im Irak den Eindruck vermitteln hätten können, er oder sein Vater seien nach wie vor Anhänger der Baath-Partei. Aus diesem Grund könne nicht davon ausgegangen werden, dass dem Revisionswerber eine (gemeint: regierungskritische) politische Gesinnung unterstellt werden würde, die ihn einer Verfolgungsgefahr aussetzen würde. Zur Nichtgewährung des subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass dem Revisionswerber bei Rückkehr in den Irak eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte drohen würde. Er sei jung und arbeitsfähig, verfüge über Schulbildung und Berufserfahrung. Er könne auch ohne familiäres oder soziales Netzwerk, beispielsweise in der Hauptstadt Bagdad, ein Geschäft, wie er es vor seiner Ausreise betrieben habe, eröffnen und seinen Lebensunterhalt bestreiten.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Begründung der Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht wird, das BVwG habe keine Feststellungen hinsichtlich der Sicherheitslage im Irak für ehemalige Mitglieder der Baath-Partei und einer näher bezeichneten Untergruppe getroffen, welcher der Revisionswerber aufgrund der Position seines Vaters beigetreten sei. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur diesbezüglichen Verfolgungsgefahr. Das BVwG habe auch nicht beachtet, dass dem Revisionswerber mangels Nachweises für eine legale Ausreise aus dem Irak bei Rückkehr eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen könnte. Außerdem habe das BVwG keine ausreichenden Feststellungen zur ganzheitlichen Bewertung möglicher Rückkehrgefahren im Zusammenhang mit dem Abspruch über den subsidiären Schutz getroffen.

7        Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9        Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

Zu Spruchpunkt I.:

10       Soweit sich die Revision gegen die Nichtgewährung von Asyl wendet, gelingt es ihr nicht, eine Rechtsfrage darzulegen, der - entgegen dem Ausspruch des BVwG - im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

11       Wenn die Revision rügt, dass sich das BVwG nicht detailliert mit der Verfolgungsgefahr von Angehörigen bzw. Mitgliedern der Baath-Partei auseinandergesetzt habe, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt: Das BVwG erachtete eine Mitgliedschaft des Revisionswerbers bei der Baath-Partei, entgegen dem Revisionsvorbringen, als nicht glaubhaft. Die ehemalige Parteimitgliedschaft des Vaters wurde zwar für möglich erachtet, eine daraus resultierende Verfolgungsgefahr für den Revisionswerber wurde jedoch mit näherer Begründung verneint. Mit dieser Begründung setzt sich die Revision nicht näher auseinander. Sie zeigt auch nicht auf, dass und aufgrund welcher Länderberichte zur Situation von Angehörigen ehemaliger Mitglieder der Baath-Partei fallbezogen eine Rückkehrgefährdung für den Revisionswerber ableitbar wäre.

12       Soweit die Revision eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des Revisionswerbers bei Rückkehr in den Irak mangels Ausreisegenehmigung erwartet, verstößt ihr Vorbringen gegen das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und ist schon deshalb nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darzutun (vgl. etwa VwGH 6.11.2020, Ra 2020/18/0375, mwN).

13       Die Revision war daher in diesem Umfang mangels Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II.:

14       Berechtigung kommt der Revision jedoch insoweit zu, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten richtet.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass bei der Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 4.10.2018, Ra 2018/18/0183).

16       Das BVwG geht in seiner Begründung zur Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten davon aus, dass dem Revisionswerber eine ungefährdete „Rückkehr in den Irak“ möglich wäre und er auch ohne jede Unterstützung durch Familie oder ein soziales Netzwerk beispielsweise in Bagdad seinen Lebensunterhalt bestreiten werde können. Diese sehr pauschalen Einschätzungen stehen in einem unaufgeklärten Widerspruch zu den Länderfeststellungen im angefochtenen Erkenntnis. Danach ist die Sicherheitslage im Irak in verschiedenen Landesteilen unterschiedlich zu beurteilen und es ist deshalb nicht nachvollziehbar, den Revisionswerber auf eine ungefährdete Rückkehr in sämtliche Landesteile zu verweisen.

17       Soweit das BVwG speziell eine Ansiedlung des Revisionswerbers in Bagdad ins Auge fasst, wo der Revisionswerber über keine Unterstützung seitens der Familie oder sozialer Netzwerke verfügt, lassen seine Überlegungen außer Acht, dass nach den getroffenen Länderfeststellungen eine Person aus vormals vom IS kontrollierten Gebieten (wozu auch die Heimatstadt des Revisionswerbers Mossul gehört) für eine Ansiedlung in Bagdad zwei Bürgen aus der Nachbarschaft benötigt, in der die Person wohnen möchte, sowie ein Unterstützungsschreiben des lokalen Mukhtar. Dass der Revisionswerber diese Voraussetzungen erfüllen könnte, legt das BVwG nicht dar.

18       Das angefochtene Erkenntnis war daher in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

19       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180277.L01

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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