TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/16 Ra 2021/18/0097

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Veröffentlicht am 16.12.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AVG §68 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Dr.in Gröger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M M, vertreten durch Mag. Thomas Mayer, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Döblinger Hauptstraße 7/63, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Jänner 2021, W159 2128318-2/42E und W159 2128318-3/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger Somalias, reiste im Jahr 2015 nach Österreich ein und stellte am 29. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 22. November 2016 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihm jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

3        Über Antrag des Revisionswerbers verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die befristete Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 30. November 2017 um zwei Jahre.

4        Im März 2019 wurde das BFA von der Anklageerhebung wegen Körperverletzungsdelikten gegen den Revisionswerber informiert. Daraufhin leitete es amtswegig ein Aberkennungsverfahren ein. Mittlerweile wurde das Strafverfahren eingestellt.

5        Mit Bescheid vom 9. Mai 2019 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten „gemäß § 9 Abs. 1“ Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005, erteilte keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

6        Mit Bescheid vom 20. Juli 2020 wies das BFA überdies den Antrag des Revisionswerbers vom 3. Juli 2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab.

7        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die gegen diese beiden Bescheide erhobenen Beschwerden als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. Begründend führte es aus, dass sich die persönliche Situation des Revisionswerbers nicht wesentlich geändert habe, jedoch habe sich die allgemeine Lage in Somalia wesentlich und nachhaltig gebessert. Der Revisionswerber werde im Fall seiner Rückkehr mit ausreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage sein, sich einen notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. In Mogadischu habe sich die Sicherheitslage verbessert. Daraus ergebe sich auch, dass der Revisionswerber mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dort Fuß fassen könne.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem darauf verweist, das BVwG hätte auf Basis aktueller Quellen die Feststellung treffen müssen, dass sich die Versorgungs- und Sicherheitslage in Somalia im Vergleich zum letzten Entscheidungszeitpunkt (Verlängerungsbescheid im Jahr 2017) nicht maßgeblich verbessert, sondern sogar verschlechtert habe.

9        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Schutzstatus (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht mehr vorliegen. Sowohl das BFA als auch (erkennbar) das BVwG stützen die Aberkennung des subsidiären Schutzes auf diese Bestimmung.

13       Die Heranziehung dieses Tatbestands setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0262; VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, unter Verweis auf VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153).

14       Das BVwG erachtete in dem angefochtenen Erkenntnis als maßgeblich, dass subsidiärer Schutz - im Jahr 2016 - aufgrund der allgemeinen Lage, insbesondere der akuten Nahrungsversorgungsunsicherheit in Somalia, gewährt worden wäre. Nunmehr gehe aus den Länderfeststellungen hervor, dass es im Vergleich dazu zu grundlegenden Veränderungen und Verbesserungen der Versorgungslage im Herkunftsstaat des Revisionswerbers gekommen sei.

15       Bei dieser Beurteilung lässt das BVwG allerdings außer Acht, dass dem Revisionswerber zuletzt mit Bescheid vom 30. November 2017 eine Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen von Bescheiden nicht zulässig ist, die Aberkennung auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Fall des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0367, mwN).

16       Das BVwG hat diese rechtlichen Leitlinien nicht berücksichtigt und die Änderung der Umstände ausschließlich im Vergleich mit dem Erkenntnis des BVwG vom 22. November 2016 (mit dem subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist) beurteilt, während der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 30. November 2017 keine Beachtung geschenkt wurde.

17       Bei diesem Ergebnis braucht auf die in der Revision weiter aufgeworfene Frage der Notwendigkeit einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Lageänderung nicht mehr eingegangen werden. Für das fortgesetzte Verfahren sei jedoch darauf hingewiesen, dass nicht jede Änderung des Sachverhalts die Aberkennung des subsidiären Schutzes rechtfertigt. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0262).

18       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19       Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180097.L01

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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