TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/16 Ra 2020/18/0155

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.12.2021
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §28

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen das am 22. Februar 2019 mündlich verkündete und am 31. Jänner 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I409 2125215-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Ägypten, stellte im November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, an Demonstrationen gegen die ägyptische Regierung teilgenommen zu haben. Weil er befürchtet habe, deshalb verhaftet zu werden, habe er sich bei seinem Onkel versteckt. Dort sei es zu einem Streit mit einer anderen Familie gekommen, bei dem es Tote gegeben habe. Aus Angst, bei diesem Streit getötet zu werden, sei er geflohen.

2        Mit Bescheid vom März 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei, und setzte eine vierzehntägige Frist zur freiwilligen Ausreise.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, während derer der Revisionswerber als weiteren Fluchtgrund insbesondere vorbrachte, er habe sich dem christlichen Glauben zugewandt und würde deshalb bei Rückkehr verfolgt werden - mit einer näher ausgeführten Maßgabe als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit insbesondere vor, die schriftliche Ausfertigung des angefochtenen Erkenntnisses - die erst nahezu ein Jahr nach der mündlichen Verkündung erfolgt sei - stelle in rechtswidriger Weise einen Sachverhalt fest, der zum Zeitpunkt der mündlichen Verkündung noch nicht vorgelegen sei. Die schriftliche Ausfertigung halte nämlich fest, der Revisionswerber sei zwar getauft worden, es könne jedoch nicht festgestellt werden, dass er auch eine christliche Glaubensüberzeugung angenommen habe. Tatsächlich habe der Revisionswerber während der Verhandlung am 22. Februar 2019 (im Anschluss daran erfolgte die Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses) bloß eine Bestätigung einer christlichen Gemeinde vorgelegt, der zufolge er am Taufunterricht teilnehme und die Taufe am 3. März 2019 stattfinden werde. Durch die aktenwidrige Feststellung, dass bereits eine Taufe erfolgt sei, werde dem Revisionswerber die Geltendmachung dieses Asylgrundes in der Zukunft genommen.

5        Das BFA hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Revision ist zulässig und begründet.

8        Das BVwG hatte seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten. Dieser Zeitpunkt ist bei der Entscheidung durch einen Einzelrichter der Zeitpunkt der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung oder - falls eine solche stattgefunden hat - der mündlichen Verkündung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. VwGH 29.9.2021, Ra 2021/19/0223, mwN).

9        Im vorliegenden Fall durfte das BVwG seiner Entscheidung somit nur jene Tatsachen zugrunde legen, die im Zeitpunkt der mündlichen Verkündung des Erkenntnisses bereits vorlagen.

10       Das BVwG hat in der schriftlichen Ausfertigung seines Erkenntnisses festgestellt, der Revisionswerber sei getauft. Tatsächlich lag dem BVwG zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses bloß eine Bestätigung einer christlichen Gemeinde vor, der zufolge die Taufe des Revisionswerbers zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden werde. Die Feststellung der bereits erfolgten Taufe des Revisionswerbers war somit durch die zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Beweise nicht gedeckt.

11       Dieser Verfahrensmangel ist auch relevant, das heißt geeignet, im Fall seiner Vermeidung zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0525, mwN):

12       Hätte das angefochtene Erkenntnis Bestand, wäre ein allfälliger weiterer Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz, in dem er die - erst nach der Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses erfolgte, jedoch in dessen schriftlicher Ausfertigung zu Unrecht bereits als vollzogen angenommene - Taufe (und eine daraus abgeleitete größere Gefahr der Verfolgung) als Nachfluchtgrund geltend machen würde, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

13       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

14       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 16. Dezember 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180155.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten