TE Vwgh Beschluss 2021/12/20 Ro 2018/08/0010

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ABGB §863
ASVG §17
B-VG Art133 Abs4
VwGG §25a Abs1
VwGG §34 Abs1a
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des W K in O, vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in 1070 Wien, Mariahilferstraße 88a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Jänner 2018, W151 2136372-1/3E, betreffend Weiterversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 17 ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Pensionsversicherungsanstalt in Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Der Revisionswerber stellte am 2. Dezember 2013 bei der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde (im Folgenden: Behörde) einen „Antrag auf Selbstversicherung“ in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG für Zeiten der Pflege einer nahen Angehörigen (seiner Mutter).

Die Behörde teilte dem Revisionswerber mit Schreiben vom 10. Jänner 2014 mit, dass der (als solcher gewertete) Anspruch auf Weiterversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 17 ASVG ab dem 1. Dezember 2012 anerkannt werde.

Der Revisionswerber begehrte, über den Antrag bescheidmäßig abzusprechen.

2.1. Mit Bescheid vom 22. August 2016 entschied die Behörde, dass der Anspruch des Revisionswerbers auf Weiterversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 17 ASVG für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 30. November 2012 „abgelehnt“ werde. Sie führte dazu begründend aus, im Hinblick auf § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG könnten Beiträge zur Weiterversicherung nur innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des Beitragszeitraums, für den sie gelten sollten, wirksam entrichtet werden.

2.2. Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem Vorbringen, er habe am 2. Dezember 2013 den Antrag auf Weiterversicherung gestellt, wobei er diese rückwirkend ab Beginn der Pflege (am 1. Juli 2009) begehrt habe. Er habe sich bereits im Jahr 2009 und neuerlich im Februar sowie im April 2013 bei der Behörde über seinen frühestmöglichen Pensionsantritt und die erforderlichen Versicherungsmonate beraten lassen. Dabei sei ihm eine Selbstversicherung als pflegender Angehöriger als nicht geeignet dargestellt worden, ferner sei er über eine mögliche Korridorpension ab Jänner 2017 bei Erwerb weiterer Versicherungsmonate informiert worden, hingegen sei er über einen möglichen Antrag auf Weiterversicherung gemäß § 17 ASVG nicht belehrt worden. Er habe in der Folge selbst die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung in Erfahrung gebracht und am 2. Dezember 2013 den gegenständlichen Antrag gestellt. Nach der Rechtsprechung (Hinweis auf VwGH 21.4.2004, 2001/08/0077) herrsche bei der freiwilligen Weiterversicherung zwar grundsätzlich das Antragsprinzip. Die Behörde habe jedoch im Rahmen ihrer Betreuungs- und Informationspflicht durch Auskünfte und Belehrungen auf eine wirksame Antragstellung hinzuwirken, die den Interessen des Anspruchswerbers Rechnung trage. Ein Antrag sei folglich im Geiste sozialer Rechtsanwendung und im Zweifel zugunsten des Versicherten nach dessen klarzustellendem Willen auszulegen; hingegen sei es verboten, einen Antrag auf Pensionsgewährung nur strikt nach dessen Wortlaut und nicht nach dem verfolgten Verfahrensziel auszulegen. Auch wenn nicht jedem Pensionsantrag von vornherein der Sinn beizulegen sei, dass auch die freiwillige Weiterversicherung beantragt werde, sei der Antrag doch einer dementsprechenden Präzisierung und Klarstellung zugänglich. Vorliegend sei die Behörde ihrer Betreuungs- und Informationspflicht nicht nachgekommen, indem sie den Revisionswerber trotz mehrerer Beratungsgespräche nicht auf die Möglichkeit eines Antrags auf Weiterversicherung hingewiesen bzw. seinen diesbezüglichen Willen nicht geprüft habe. Wäre dies geschehen, hätte er die freiwillige Weiterversicherung bereits im Jahr 2009 beantragt.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde - ohne Durchführung einer vom Revisionswerber beantragten mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab.

Das Verwaltungsgericht führte begründend im Wesentlichen aus, auch wenn der Versicherte als Beginn der freiwilligen Versicherung einen bereits verstrichenen Zeitpunkt wählen könne, ergebe sich aus der allgemeinen Regel des § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG, wonach die rückwirkende Anerkennung von Versicherungszeiten auf zwölf Monate beschränkt sei, als frühestmöglicher Beginn der dem Antragszeitpunkt vorangehende Monatserste des Vorjahres (Hinweis u. a. auf VwGH 15.5.2013, 2011/08/0012). Vorliegend habe der Revisionswerber den Antrag erst im Dezember 2013 gestellt, sodass Zeiträume vor dem 1. Dezember 2012 als Beitragszeiten nicht in Betracht kämen. Der Anspruch auf eine (rückwirkende beitragswirksame) Selbstversicherung (gemeint wohl: Weiterversicherung) für den Zeitraum vom 1. Juli 2009 bis zum 30. November 2012 sei daher nicht begründet. Daran könne auch die vom Revisionswerber monierte mangelnde Information durch die Behörde nichts ändern. Vielmehr gelte das Antragsprinzip und hätte sich der Revisionswerber rechtzeitig über die Rechtslage erkundigen müssen. Einen allfälligen Amtshaftungsanspruch wegen der vermeintlich mangelnden Rechtsauskunft hätte der Revisionswerber im Zivilrechtsweg geltend zu machen.

3.2. Das Verwaltungsgericht hielt im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses fest, dass die Revision zulässig sei. Hingegen führte es in den Entscheidungsgründen aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

5.1. Nach der Bestimmung des § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, wobei dieser Ausspruch kurz zu begründen ist. Erklärt das Verwaltungsgericht - wie vorliegend - im Spruch der Entscheidung die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, so ist bis zu einer etwaigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, davon auszugehen, dass die Revision die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG erfüllt und daher als ordentliche Revision zu behandeln ist. Daran vermag - wie hier - auch eine Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die abweichend vom Spruch die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erachtet, nichts zu ändern (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, VwSlg. 18886 A).

5.2. Ein Revisionswerber hat auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. VwGH 9.9.2019, Ro 2016/08/0009). Fehlt es - wie hier - an einer Begründung der Zulässigkeit durch das Verwaltungsgericht, so ist diese ausschließlich anhand der Zulässigkeitsbegründung in der Revision zu prüfen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ro 2020/05/0001).

6. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art.133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7. Fallbezogen ist die Revision - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts - nicht zulässig, zeigt doch der Revisionswerber in seiner (gesonderten) Zulässigkeitsbegründung das behauptete Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den im Folgenden näher erörterten Punkten nicht auf.

8.1. Der Revisionswerber macht geltend, er habe einen schlüssigen Antrag auf Weiterversicherung in der Pensionsversicherung bereits im Jahr 2009 gestellt. Es bestehe kein Zweifel, dass er einen Antrag gewollt habe, weshalb seine damalige Vorsprache als schlüssige Antragstellung zu werten sei. Ein ausdrücklicher Antrag sei nur deshalb unterblieben, weil die Behörde ihrer Informations- und Belehrungspflicht nicht nachgekommen sei.

8.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, herrscht im Bereich der freiwilligen Weiterversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 17 ASVG das Antragsprinzip (vgl. VwGH 21.4.2004, 2001/08/0077). Die freiwillige Weiterversicherung ist daher in die Dispositionsbefugnis des Versicherten gestellt, seine Einbeziehung in die Versicherung erfolgt - selbst wenn deren Inhalt in der Folge durch das Gesetz bestimmt wird - lediglich aufgrund eines Antrags (vgl. VwGH 29.4.2015, Ro 2015/03/0015).

Vorliegend berief sich der Revisionswerber im Verfahren vor der Behörde und vor dem Verwaltungsgericht (vgl. im Einzelnen das oben wiedergegebene Beschwerdevorbringen) darauf, dass er die freiwillige Weiterversicherung (erst) am 2. Dezember 2013 beantragt habe, zumal er von der Behörde nicht früher über die Möglichkeit eines solchen Antrags informiert worden sei. Soweit der Revisionswerber erstmals im Revisionsverfahren behauptet, er habe einen (schlüssigen) Antrag bereits im Jahr 2009 gestellt, liegt daher eine unzulässige Neuerung (§ 41 VwGG) vor.

8.3. Aber selbst bei einem zeitgerechten Vorbringen wäre daraus für den Revisionswerber nichts zu gewinnen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sind, wenn - wie hier - allgemeine Regelungen über die Wertung von Willenserklärungen in den Verwaltungs- oder Verfahrensvorschriften nicht enthalten sind, die im ABGB normierten Grundsätze heranzuziehen. So misst § 863 ABGB auch schlüssigen Willenserklärungen einen Erklärungswert bei. Bei der Beurteilung der Schlüssigkeit eines Verhaltens ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine schlüssige Willenserklärung liegt nur dann vor, wenn eine Handlung oder Unterlassung nach der Verkehrssitte und den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen ist. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein Rechtsfolgewille in einer bestimmten Richtung vorliegt (vgl. VwGH 11.9.2015, Ra 2015/02/0100; 6.11.2019, Ro 2019/12/0001).

Fallbezogen ist freilich nicht zu sehen, inwiefern der Revisionswerber gegenüber der Behörde ein Verhalten gesetzt habe, das den aufgezeigten Anforderungen an eine schlüssige Willenserklärung entsprochen hätte. Die bloße Inanspruchnahme eines Beratungsgesprächs im Jahr 2009 kann - selbst unter Zugrundelegung des vom Revisionswerber geschilderten Verlaufs - nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen im Allgemeinen nicht als schlüssige Willenserklärung im Sinn einer Antragstellung gemäß § 17 ASVG verstanden werden.

9.1. Der Revisionswerber releviert, die Betreuungs- und Informationspflicht der Behörde gebiete es, eine rechtsunkundige Person aufzuklären, und verbiete es, einen Pensionsantrag nur strikt nach dem Wortlaut und nicht nach dem erkennbaren Verfahrensziel auszulegen (Hinweis auf VwGH 21.4.2004, 2001/08/0077). Vorliegend könne daher das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags im Jahr 2009 dem Revisionswerber nicht zum Nachteil gereichen, da die Behörde auf eine entsprechende Antragstellung hätte hinwirken müssen.

9.2. Soweit sich der Revisionswerber auf das Erkenntnis VwGH 2001/08/0077 beruft, übersieht er, dass der damalige Fall anders beschaffen war, ging es doch dort um die Frage, ob ein Pensionsantrag einer nachträglichen Klarstellung in dem Sinn zugänglich sei, dass ein während aufrechten Verfahrens gestellter späterer Antrag auf freiwillige Weiterversicherung auf den Zeitpunkt der Stellung des Pensionsantrags zurückbezogen werden könne, dies mit der Folge, dass die daraus resultierenden Versicherungsmonate weiter zurückreichen könnten (vgl. in dem Sinn auch VwGH 15.5.2013, 2011/08/0012; 23.9.2014, 2013/08/0236).

Im Hinblick darauf ist jedoch die vom Revisionswerber herangezogene Rechtsprechung für die hier gegenständliche - anders gelagerte - Fallkonstellation nicht einschlägig und daraus für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen.

10.1. Der Revisionswerber bemängelt weiters, das Verwaltungsgericht habe die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen. Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 (gemeint wohl: Abs. 4) VwGVG für den Entfall der Verhandlung seien nicht vorgelegen, diese wäre jedenfalls zur vollständigen Sachverhaltsermittlung geboten gewesen.

10.2. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht - ungeachtet eines Parteiantrags - von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen. Dies ist etwa der Fall, wenn das Vorbringen des Revisionswerbers - wie hier - nicht geeignet ist, irgendeine entscheidungswesentliche Tatsachen- oder Rechtsfrage aufzuwerfen, die eine mündliche Verhandlung erforderlich machen würde (vgl. VwGH 12.12.2017, Ra 2015/05/0043; 14.8.2019, Ra 2019/08/0111).

11. Insgesamt wird daher vom Revisionswerber in seiner Zulässigkeitsbegründung keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 20. Dezember 2021

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Rechtsgrundsätze Allgemein Anwendbarkeit zivilrechtlicher Bestimmungen Verträge und Vereinbarungen im öffentlichen Recht VwRallg6/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2018080010.J00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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