TE Vwgh Erkenntnis 2021/12/20 Ra 2020/06/0134

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Veröffentlicht am 20.12.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
96/02 Sonstige Angelegenheiten des Straßenbaus

Norm

BStMG 2002 §10 Abs1
BStMG 2002 §11 Abs1
BStMG 2002 §19
BStMG 2002 §19 Abs4
BStMG 2002 §20 Abs1
BStMG 2002 §20 Abs2
BStMG 2002 §20 Abs5
BStMG 2002 §20 Abs5 idF 2013/I/099
B-VG Art7 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des S M in S, vertreten durch Dr. Winfried Mutz, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Kaiserstraße 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 18. Mai 2020, LVwG-1-171/2020-R14, betreffend Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Dornbirn), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 24. April 2020 wurde über den Revisionswerber gemäß § 20 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 und § 11 Abs. 1 Bundesstraßen-Mautgesetz 2002 (in der Folge: BStMG) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 300,- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und neun Stunden verhängt, weil er am 4. September 2019 ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug auf einer näher genannten Straße auf dem mautpflichtigen Straßennetz gelenkt habe, ohne die zeitabhängige Maut ordnungsgemäß errichtet zu haben. Zudem wurde der Revisionsweber gemäß § 64 VStG zum Ersatz der Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet.

2        Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (in der Folge: Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis keine Folge. Gleichzeitig wurde der Revisionswerber zum Ersatz der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet und eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig erklärt.

3        Begründend führte das Verwaltungsgericht hierzu, soweit vorliegend relevant, aus, der Revisionswerber habe ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug zum Tatzeitpunkt auf einer näher genannten mautpflichtigen Straße gelenkt, ohne die vorgeschriebene zeitabhängige Maut entrichtet zu haben. Mit Schreiben vom 27. November 2019 habe die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (in der Folge: ASFINAG) eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der Ersatzmaut ausgefertigt und per Einschreiben an den Revisionswerber aufgegeben. Am 28. Februar 2020 habe der Revisionswerber eine Zahlung in der Höhe von EUR 120,- an die ASFINAG geleistet. Er argumentiere, dass er die schriftliche Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut tatsächlich nicht erhalten und auch keine Kenntnis von einer angeblichen Hinterlegung gehabt habe; weiters gebe er an, er habe die Ersatzmaut bei erster Gelegenheit bezahlt, nämlich nachdem ihm ein Schreiben der ASFINAG vom 6. Februar 2020, wonach eine näher bezeichnete Rechnung storniert worden sei, zugestellt worden sei. Ein Fall der „fristgerechten Nachzahlung“ liege jedoch nicht vor. Selbst wenn der Revisionswerber, wie er darlege, das Aufforderungsschreiben der ASFINAG vom 27. November 2019 weder tatsächlich erhalten, noch Kenntnis von dessen Hinterlegung erlangt hätte, würde dies nicht bewirken, dass die Aufforderung unterblieben wäre; die vierwöchige Frist des § 19 Abs. 4 BStMG werde nämlich bereits durch die Ausfertigung der Aufforderung ausgelöst. Die Auffassung des Revisionswerbers, die genannte Gesetzesbestimmung stelle auf die tatsächliche Zugangsbedürftigkeit der Aufforderung ab, treffe daher nicht zu. Die Bezahlung der Ersatzmaut in der Höhe von EUR 120,-- am 28. Februar 2020 sei somit nicht fristgerecht erfolgt, da die vierwöchige Frist bereits durch die Ausfertigung der Aufforderung, im vorliegenden Fall somit am 27. November 2019, ausgelöst worden sei. Straflosigkeit sei aus diesem Grund nicht eingetreten.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zu ihrer Zulässigkeit u.a. gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes betreffend die Zugangsbedürftigkeit einer Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut gemäß § 19 Abs. 4 BStMG wendet.

5        Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7        Die Revision ist aus dem genannten Zulassungsgrund zulässig und auch begründet.

8        § 19 und § 20 BStMG, jeweils in der anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 45/2019, lauten auszugsweise:

Ersatzmaut

§ 19. (1) In der Mautordnung ist für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut eine Ersatzmaut festzusetzen, die den Betrag von 250 € einschließlich Umsatzsteuer nicht übersteigen darf.

[...]

(4) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 sowie § 32 Abs. 1 zweiter Satz zu keiner Betretung, so ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft befugt, den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans beruht. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält.

[...]“

Mautprellerei

§ 20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach § 10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

[...]

(5) Taten gemäß Abs. 1 bis 3 werden straflos, wenn der Mautschuldner nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 bis 5 der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspricht.

(6) Die Rückforderung gemäß § 19 ordnungsgemäß gezahlter Ersatzmauten ist ausgeschlossen.“

9        Die Entrichtung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut gemäß § 20 Abs. 5 BStMG stellt einen Strafaufhebungsgrund dar. Die Tat wird nach der hg. Rechtsprechung dann nicht straflos, wenn die in § 20 Abs. 5 BStMG angeführten Beträge nicht entrichtet werden, mag auch die Aufforderung aus welchen Gründen immer unterblieben sein. Das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß § 19 BStMG hat die Folge, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wird, womit die Möglichkeit besteht, gegebenenfalls die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens „fristgerecht“ zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit im Sinne des § 20 Abs. 5 BStMG zu bewirken (vgl. etwa VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167; 25.1.2018, Ra 2016/06/0025 und auch bereits 28.11.2006, 2005/06/0156, jeweils mwN).

10       Weiters bezieht sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Wortfolge „binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung“ in § 19 Abs. 4 BStMG nur auf die Dauer der Zahlungsfrist, sie bedeutet aber nicht, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung keinen Fall des Unterbleibens der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde. Die bloße Kenntnisnahme der Aufforderung kann dabei nicht mit deren rechtswirksamer Zustellung gleichgesetzt werden, und der Ansicht, es sei im Hinblick auf den Beginn des Fristenlaufes nach § 19 Abs. 4 leg.cit. auf die „Ausfertigung“ der Aufforderung abzustellen, ist nicht beizupflichten, da es auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Fälle hinausliefe, in denen einem Fahrzeuglenker keine Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut wirksam zugestellt wird, würde jenen Lenkern, bei denen immerhin der Versuch der Zustellung unternommen wurde, das Recht abgesprochen, in gleicher Weise wie die anderen Lenker bis zum Abschluss des Verfahrens die Ersatzmaut zu entrichten (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167).

11       Darauf, dass eine nicht rechtswirksame Zustellung eines Aufforderungsschreibens nach § 19 Abs. 4 BStMG ein Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstellen würde, sodass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt würde, hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom 25. Mai 2021, Ra 2021/06/0039, hingewiesen; die Frage der ordnungsgemäßen Zustellung eines Aufforderungsschreibens zur Zahlung der Ersatzmaut ist daher entscheidungsrelevant.

12       Im Revisionsfall brachte der Revisionswerber in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht (wie auch schon im Verwaltungsstrafverfahren vor der belangten Behörde) vor, er habe die Aufforderung der ASFINAG vom 27. November 2019 zur Zahlung der Ersatzmaut nicht erhalten und auch keine Kenntnis von einer angeblichen Hinterlegung dieses Schreibens gehabt. Mit diesem Vorbringen hat sich das Verwaltungsgericht in keiner Weise auseinandergesetzt. Da der Revisionswerber nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtes die festgesetzte Ersatzmaut in der Höhe von EUR 120,-- am 28. Februar 2020 an die ASFINAG geleistet hat, kommt der Frage, ob dem Revisionswerber das Aufforderungsschreiben vom 27. November 2019 wirksam zugestellt wurde, im vorliegenden Fall maßgebliche Bedeutung zu, da im Falle einer nicht rechtswirksamen Zustellung des Schreibens vom 27. November 2019 an ihn die Zahlung vom 28. Februar 2020 einen Strafaufhebungsgrund darstellen würde (vgl. oben Rz 9).

13       Da das Verwaltungsgericht im Revisionsfall in Folge seiner unrichtigen Rechtsansicht, die vierwöchige Frist des § 19 Abs. 4 BStMG werde bereits durch die Ausfertigung der Aufforderung ausgelöst und es käme auf deren wirksame Zustellung nicht an, keine entsprechenden Feststellungen zur Frage der Zustellung des Aufforderungsschreibens vom 27. November 2019 an den Revisionswerber traf, war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben (vgl. in diesem Sinn nochmals VwGH 25.5.2021, Ra 2021/06/0039).

14       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Dezember 2021

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020060134.L00

Im RIS seit

18.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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