Entscheidungsdatum
22.12.2021Norm
SLG Vlbg 2021 §6 Abs2Text
Im Namen der Republik!
Erkenntnis
Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat durch sein Mitglied Mag. Pathy über die Beschwerde des G P, B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B vom 17. Mai 2021 betreffend Sozialhilfe, zu Recht erkannt:
Gemäß § 28 Abs 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wird der Beschwerde keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass im Spruch das Wort „zurückgewiesen“ durch „abgewiesen“ ersetzt wird.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.
Begründung
Angefochtener Bescheid
1. Der Beschwerdeführer hat Sozialhilfe zur Absicherung des allgemeinen Lebensunterhaltes und zur Befriedigung des Wohnbedarfs beantragt. Im angefochtenen Bescheid hat die Bezirkshauptmannschaft diesen Antrag „mangels Rechtsanspruch zurückgewiesen“.
Die Bezirkshauptmannschaft stützte ihre Entscheidung auf die §§ 6 und 18 Sozial-leistungsgesetz. Gegen den Beschwerdeführer sei ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot erlassen worden. Aufgrund dieses Aufenthaltsverbotes sei der Antrag mangels Rechtsanspruch zurückzuweisen.
Beschwerde
2. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde erhoben. Die Beschwerde wurde im Wesentlichen wie folgt begründet:
Es sei zwar richtig, dass gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Gleichzeitig sei ihm aber vom Landesgericht Feldkirch ein Vorgehen gemäß § 39 SMG („Therapie statt Strafe“) bewilligt worden. Gemäß § 59 Abs 4 FPG sei der Eintritt der Durchsetzbarkeit einer Rückführung für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, wenn eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt, aber – aufgrund eines Strafaufzuges gemäß § 39 SMG – noch nicht vollzogen sei. Er sei jedenfalls bis zum Abschluss der gesundheitsbezogenen Maßnahmen in Österreich aufenthaltsberechtigt und damit auch berechtigt, Leistungen nach dem Vorarlberger Sozialleistungsgesetz zu beziehen.
Der Beschwerdeführer hat weiter vorgebracht, dass er seit vielen Jahren schwer suchtkrank sei. Eine Ausgrenzung aus der Sozialhilfe würde bedeuten, dass er keine Substitutionsbehandlung mehr in Anspruch nehmen könnte und in die Kriminalität gezwungen würde, um Opiate zu erwerben. Einen kalten Opiatentzug würde er aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit möglicherweise nicht mehr ohne gravierende Folgen überstehen.
Sachverhalt
3. Der Beschwerdeführer ist i Staatsangehöriger. Er hat im Mai 2008 erstmals einen Hauptwohnsitz in Österreich angemeldet. Er hat seinen Hauptwohnsitz in Vorarlberg und hält sich dauernd in Vorarlberg auf.
4. Der Beschwerdeführer hat von Februar 2013 bis August 2018 mehrere Straftaten begangen. Er wurde deswegen im Oktober 2018 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt (Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 5. Oktober 2018).
Ein Teil der Freiheitsstrafe, nämlich zehn Monate, wurde bedingt nachgesehen. Die unbedingte Freiheitsstrafe von fünf Monaten hat der Beschwerdeführer zur Hälfte verbüßt, danach wurde er am 29. November 2018 bedingt aus der Haft entlassen (Strafrest: zwei Monate).
5. Der Beschwerdeführer wurde wegen dieser Straftaten nicht nur zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat auch ein achtjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Bescheid vom 9. Oktober 2018). Das Aufenthaltsverbot ist seit dem 16. Juli 2019 rechtskräftig.
6. Am 25. Juli 2019 hat sich der Beschwerdeführer wieder strafbar gemacht (er hat unter anderem eine schwere Körperverletzung begangen) und wurde zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt (Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 2. September 2019).
Außerdem wurden die bedingte Strafnachsicht von zehn Monaten und die bedingte Entlassung von zwei Monaten, die für die im Oktober 2018 verhängte Freiheitsstrafe gewährt wurden, widerrufen.
7. Der Beschwerdeführer hat sich bis zum 25. Mai 2020 in Haft befunden. Danach hätte er die (im Jahr 2018 bedingt nachgesehene) zehnmonatige Freiheitsstrafe und die (nach der ursprünglichen bedingten Entlassung im Jahr 2018 verbliebene) zweimonatige Freiheitsstrafe antreten sollen.
Das Landesgericht hat aber gemäß § 39 Abs 1 Suchtmittelgesetz (SMG) den Vollzug dieser Strafen für die Dauer von zwei Jahren aufgeschoben und gesundheitsbezogene Maßnahmen bestimmt (Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Dezember 2019).
Wegen dieses Aufschubes ist auch die Durchsetzbarkeit des Aufenthaltsverbotes aufgeschoben.
8. Der Beschwerdeführer hat (im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung) Mindestsicherung erhalten, zuletzt von März bis Mai 2021 monatlich 501,08 Euro zur Abdeckung seines Lebensunterhaltes.
Nach Inkrafttretens des Sozialleistungsgesetzes hat die Bezirkshauptmannschaft ab Mai 2021 keine Sozialhilfe gewährt, weil gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht.
Erwägungen zur Feststellung des Sachverhalts
9. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Behördenakt, in dem sich insbesondere der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 9. Oktober 2018 betreffend Aufenthaltsverbot und der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 4. Dezember 2019 betreffend Aufschiebung des Vollzugs gemäß § 39 Abs 1 SMG befinden.
Der Sachverhalt ist nicht strittig. Das Landesverwaltungsgericht geht auch davon aus, dass der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in Vorarlberg hat und sich hier aufhält, hat er doch bis Mai 2021 Mindestsicherung erhalten, sodass auch die Behörde davon ausgegangen ist, dass er sich in Vorarlberg aufhält; es gibt keinen Hinweis darauf, dass dies nicht mehr der Fall ist.
10. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht beantragt und war auch nicht erforderlich. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ist nicht strittig. Im Verfahren war lediglich eine Rechtsfrage zu lösen, deren mündliche Erörterung keine weitere Klärung gebracht hätte.
Maßgebliche Rechtsvorschriften
11. Das Sozialleistungsgesetz (SLG) lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 6
Anspruchsberechtigte Personen
[LGBl.Nr. 81/2020]
(1) Leistungen der Sozialhilfe sind unbeschadet zwingender völkerrechtlicher oder unionsrechtlicher Verpflichtungen ausschließlich hilfsbedürftigen Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft, asylberechtigten und subsidiär schutzberechtigten Personen (§§ 3 und 8 AsylG 2005), im Übrigen – vorbehaltlich des Abs. 2 – nur dauerhaft niedergelassenen Fremden zu gewähren, die sich seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich und rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.
(2) Ist eine Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe aufgrund völkerrechtlicher oder unionsrechtlicher Vorschriften zwingend geboten, sind aufenthaltsberechtigte EU-/EWR-Bürger und -Bürgerinnen, Schweizer Bürger und Bürgerinnen sowie Drittstaatsangehörige vor Ablauf der Frist nach Abs. 1 Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft gleichgestellt; dies ist im Einzelfall nach Anhörung der zuständigen Fremdenbehörde festzustellen.
(3) Leistungen der Sozialhilfe können nur hilfsbedürftigen Personen gewährt werden, die ihren Hauptwohnsitz und ihren tatsächlichen dauernden Aufenthalt in Vorarlberg haben.
(4) Keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe haben:
a) asylwerbende Personen und sonstige Personen, die in den Anwendungsbereich des 3. Abschnittes (Grundversorgung) fallen;
b) ausreisepflichtige Fremde;
c) Personen, die wegen einer oder mehrerer mit Vorsatz begangener gerichtlich strafbarer Handlungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zumindest sechs Monaten verurteilt wurden, für den Zeitraum der Verbüßung ihrer Strafhaft in einer Anstalt (§ 8 des Strafvollzugsgesetzes).
(5) Hilfsbedürftigen Personen, die nicht unter Abs. 1 bis 3 fallen, können Leistungen im Zusammenhang mit der Unterstützung bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung (§ 12), in besonderen Lebenslagen (§ 13) sowie zur Unterstützung im Todesfall (§ 14) gewährt werden, soweit dies aufgrund der persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Verhältnisse dieser Person zur Vermeidung von sozialen Härten unbedingt erforderlich ist.“
12. Der § 10 Abs 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018, lautet:
„Ungültigkeit und Gegenstandslosigkeit von Aufenthaltstiteln und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts
§ 10. (1) Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts werden ungültig, wenn gegen Fremde eine Rückkehrentscheidung, ein Aufenthaltsverbot oder eine Ausweisung durchsetzbar oder rechtskräftig wird. Solche Fremde verlieren ihr Recht auf Aufenthalt. Ein Aufenthaltstitel oder eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts lebt von Gesetzes wegen wieder auf, sofern innerhalb ihrer ursprünglichen Geltungsdauer die Rückkehrentscheidung, das Aufenthaltsverbot oder die Ausweisung im Rechtsweg nachträglich behoben wird.“
13. Der § 70 Abs 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 87/2012, lautet auszugsweise:
„Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub
§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.“
Rechtliche Beurteilung
14. Der Beschwerdeführer hat Sozialhilfe beantragt. Er ist EU-Bürger (I) und wurde mit einem Aufenthaltsverbot belegt. Die Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes ist aufgeschoben. Es geht um die Frage, ob er trotz des Aufenthaltsverbotes einen Anspruch auf Sozialhilfe nach dem Sozialleistungsgesetz hat.
15. Als EU-Bürger hat der Beschwerdeführer, der im Übrigen weder asylberechtigt noch subsidiär schutzberechtigt ist, nur dann Anspruch auf Sozialhilfe, wenn er in Österreich aufenthaltsberechtigt ist; er muss sich rechtmäßig in Österreich aufhalten (vgl. § 6 Abs 1 und 2 SLG).
Nach § 10 Abs 1 NAG werden Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ungültig und Fremde verlieren ihr Aufenthaltsrecht, wenn gegen sie ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar oder rechtskräftig wird.
Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltsverbot rechtskräftig. Er hat damit sein Aufenthaltsrecht verloren. Da er nicht mehr aufenthaltsberechtigt ist, hat er auch keinen Anspruch auf Sozialhilfe.
16. Die Durchsetzbarkeit des (rechtskräftigen) Aufenthaltsverbotes ist aufgeschoben, weil dem Beschwerdeführer ein Strafaufschub gemäß § 39 Abs 1 SMG gewährt wurde (vgl. VwGH vom 17.05.2021, Ra 2020/21/0445). Der Beschwerdeführer ist nicht ausreisepflichtig. Er darf sich weiterhin in Österreich aufhalten, um die angeordneten gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu absolvieren.
Das bedeutet aber nicht, dass der Beschwerdeführer aufenthaltsberechtigt im Sinne des § 6 SHG ist:
? Nach § 10 Abs 1 letzter Satz NAG lebt eine Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts von Gesetzes wegen wieder auf, wenn das Aufenthaltsverbot nachträglich behoben wird. Der Durchsetzungsaufschub hat das Aufenthaltsverbot nicht behoben. Es besteht weiterhin. Der Beschwerdeführer hat daher trotz des Durchsetzungsaufschubes kein Aufenthaltsrecht.
? Selbst wenn der Beschwerdeführer wegen des Durchsetzungsaufschubes ein Aufenthaltsrecht hätte, könnte er keine Sozialhilfe erhalten:
Der § 6 Abs 1 SLG sieht vor, dass Sozialhilfe nur „dauerhaft niedergelassenen Fremden“ zu gewähren ist. Der Beschwerdeführer als EU-Bürger müsste daher daueraufenthaltsberechtigt sein, es sei denn, völkerrechtliche oder unionsrechtliche Vorschriften gebieten zwingend die Gewährung von Sozialhilfe (vgl § 6 Abs 2 SLG).
Wenn der Beschwerdeführer für die Dauer des Durchsetzungsaufschubes ein Aufenthaltsrecht hätte, dann bestünde dieses Aufenthaltsrecht lediglich für die Dauer des Durchsetzungsaufschubs. Der Beschwerdeführer wäre daher nicht daueraufenthaltsberechtigt.
17. Der Beschwerdeführer hat daher keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Bezirkshauptmannschaft hat seinen Antrag zu Recht abgelehnt. Der Beschwerde konnte keine Folge gegeben werden.
Die Bezirkshauptmannschaft hat im angefochtenen Bescheid die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruches auf Sozialhilfe geprüft (und verneint), indem sie sich mit der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat. Die Behörde hat damit in der Sache selbst entschieden und hätte den Sozialhilfeantrag abweisen müssen. Der Spruch des angefochtenen Bescheides wurde daher korrigiert.
Zulässigkeit der Revision
18. Die Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit ersichtlich gibt es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 6 SLG und zur Frage, ob ein EU-Bürger, der mit einem rechtskräftigen, aber nicht durchsetzbaren Aufenthaltsverbot belegt ist, berechtigt ist, Leistungen der Sozialhilfe zu beziehen. Die gesetzlichen Bestimmungen sind nicht so klar und eindeutig, dass keine andere als die in diesem Erkenntnis vorgenommene Auslegung möglich wäre.
Schlagworte
Sozialleistung, Aufenthaltsverbot, StrafaufschubEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGVO:2021:LVwG.340.10.2021.R11Zuletzt aktualisiert am
17.01.2022