TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/12 W213 2117770-2

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Entscheidungsdatum

12.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z5
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W213 2117770-2/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Albert SLAMANIG als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, vom 02.12.2019, Zl. 1009386205-190411304/BMI-BFA_BGLD_RD, betreffend Anerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht erkannt:

A)

1. In Erledigung der Beschwerde wird der dem Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.11.2015, Zahl 1009386205 - 14501883, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG in Verbindung mit § 9 Abs. 2 Z. 3 AsylG gemäß, von Amts wegen aberkannt.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG nicht zulässig ist.

3. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger stellte am 01.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.11.2015, GZ. 1009386205-14501883 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Hinsichtlich der unter einem erfolgten Abweisung seines Antrags auf Asyl wurde Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, dass mit Erkenntnis vom 16.2.2017, GZ. W 221 2120255-1/11 E, diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen hat.

I.3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde diese Aufenthaltsberechtigung in weiterer Folge bis 3.11.2020 verlängert.

I.4. Der Beschwerdeführer wurde am 18.04.2019 aufgrund eines Verstoßes gegen § 28 Abs. 1 fünfter Fall und § 28 Abs. 2 Z. 3 SMG festgenommen und anschließend in Untersuchungshaft genommen. Die belangte Behörde leitete daraufhin gegen den Beschwerdeführer mit Aktenvermerk vom 23.09.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16.09.2019 nach § 28 Abs. 1 fünfter Fall und § 28 Abs. 2 Z. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Am 22.11.2019 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen des Ermittlungsverfahrens niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass er wegen privater Grundstücksstreitigkeiten nicht nach Afghanistan zurückkehren könne.

I.5. Die belangte Behörde erließ in weiterer Folge den nunmehr angefochtenen Bescheid dessen Spruch nachstehenden Wortlaut hatte:

„I. Der Ihnen mit Bescheid vom 10.11.2015, Zahl 1009386205 - 14501883, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBI I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt.

II. Die mit Bescheid vom 21.09.2018, Zahl 1009386205 - 14501883, erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBI. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBla I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

VII. gemäß § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. “

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der illegal nach Österreich eingereiste Beschwerdeführer als Verfahrensidentität den Namen XXXX führe. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an. Er spreche Dari, Paschtu, Urdu, Farsi und Englisch, sei verheiratet, habe aber keine Kinder. Der Beschwerdeführer stamme aus dem Bezirk Gul Dara / Provinz Kabul / Afghanistan. Seine Kernfamilie (Frau, Mutter, Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins, ...) Halte sich im Bezirk Gul Dara / Provinz Kabul / Afghanistan auf. Der Beschwerdeführer leide an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes. Es seien keine Beeinträchtigungen seiner Arbeitsfähigkeit festgestellt worden.

Seit dem 27.11.2015 (rechtskräftig) verfüge er in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten.

Im Strafregister der Republik Österreich schienen folgende Verurteilungen auf:

01) LG F.STRAFS.WIEN 062 HIV 73/2019m vom 16.09.2019 RK 16.09.2019, §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 3 SMG, Datum der (letzten) Tat 14.04.2019, Freiheitsstrafe 2 Jahre.

Der Beschwerdeführer sei während seines bisherigen Aufenthaltes in Österreich straffällig geworden und wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes Falle, rechtskräftig verurteilt worden. Er sei rechtskräftig, wegen eines besonders schweren Verbrechens, von inländischen Gerichten verurteilt (wegen Besitz und Handel mit Suchtgift) und stelle in weiterer Folge eine Gefahr für die Gemeinschaft und die Sicherheit Österreichs dar.

Der Beschwerdeführer habe am 31.03.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht und sich zumindest seit diesem Tag durchgehend in Österreich aufgehalten. In Österreich habe er weder Familienangehörige noch sonstige Verwandte.

Hinsichtlich der Lage im Herkunftsstaat wurden die für den gegenständlichen Fall relevanten und zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides aktuellen Auszüge aus der BFA­ Staatendokumentation Afghanistan angeführt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt I aus, dass gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen sei, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung nicht oder nicht mehr vorlägen.

Der Beschwerdeführer habe keine ihm konkret drohende aktuellen, an asylrelevante Merkmale im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK anknüpfende Verfolgung bzw. keine für eine aktuell drohende unmenschliche Behandlung oder Verfolgung sprechende Gründe glaubhaft vorgebracht. Daher sei davon auszugehen, dass ihm in Afghanistan keinen konkreten gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgung drohe. Aus der Länderfeststellungen ergebe sich, dass sich die gegenwärtige Lage in Kabul, Herat und Mazar-e- Sharif verglichen mit jenen zum Zeitpunkt der Gewährung des subsidiären Schutzes eindeutig verbessert habe.

Da dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 AsylG aberkannt worden sei, sei auch seine noch bestehende befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG zu entziehen gewesen.

Gemäß § 57 AsylG sei im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt im Bundesgebiet gem. § 46a Abs. 1 Z 1 od. Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet sei und die Voraussetzungen weiterhin vorlägen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar oder sei wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden. Eine Erteilung sei ferner vorgesehen zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von mit diesen im Zusammenhang stehenden zivilrechtlichen Ansprüchen, insbesondere an Zeugen oder Opfern von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel. Die Aufenthaltsberechtigung werde auch an Opfer von Gewalt erteilt, sofern eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder hätte werden können und die Erteilung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich sei. Da keine der drei genannten Voraussetzungen vorliege, sei ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen gewesen.

Unter Hinweis auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen (§ 10 Abs. 1 AsylG, § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG, § 9 Abs. 1 und drei BFA -VG sowie Art. 8 Abs. 2 EMRK) wurde ausgeführt, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schütze.

Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über keine Verwandten und habe keine Sorgepflichten, weshalb kein schützenswertes Familienleben vorliege. Mit einer Rückkehrentscheidung werde nicht in sein Familienleben eingegriffen

Das Recht auf Achtung des Privatlebens sichere dem Einzelnen zudem einen Bereich, innerhalb dessen er seine Persönlichkeit frei entfalten und erfüllen könne.

Dabei sei berücksichtigt worden, dass sich der Beschwerdeführer zumindest seit dem 31.03.2014 in Österreich aufhalten und bereits Deutschkurse belegt habe.

Er sei während seines Aufenthaltes in Österreich unregelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen. Seit 18.04.2019 befinde er sich in der Justizanstalt XXXX in Haft. Mitglied in einem Verein oder Organisation sei er nicht. Einen nennenswerten Freundes- oder Bekanntenkreis habe er sich nicht aufgebaut und auch sonstige integrationsfestigende Maßnahmen seien nicht vorgebracht worden.

Gem. Art. 8 Abs. 2 EMRK sei der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechts auf das Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, welche in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, der Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sei.

Das BFA sei eine öffentliche Behörde im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK; der Eingriff ist — wie bereits oben dargestellt — in § 10 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z 4 FPG gesetzlich vorgesehen. Daher sei zu prüfen, ob der Eingriff in Ihr Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, verfolge. Es sei eine individuelle Abwägung der betroffenen Interessen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Eingriff durch die Rückkehrentscheidung auch als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden könne.

Gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung spreche, dass der Beschwerdeführer sich zumindest seit dem 31.03.2014 in Österreich aufhalte. Seit dem 27.11.2014 (rechtskräftig) verfüge er in Österreich über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Er sei in Österreich unregelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen.

Für eine Rückkehrentscheidung sprächen die Aspekte des öffentlichen Interesses an der Außerlandesbringung (geordnetes Fremdenwesen, wenig ausgeprägte Integration, illegale Einreise). Sie sei Staatsangehöriger von Afghanistan. In Österreich habe er weder Familienangehörige noch sonstige Verwandte. Er lebe in Österreich auch nicht in einer Partnerschaft oder einer anderen eheähnlichen Beziehung. Sämtliche Familienangehörige des Beschwerdeführers lebten nach wie vor in Afghanistan, konkret: im Bezirk Gul Dara, Provinz Kabul, Afghanistan.

Eine Rückkehrentscheidung könne daher keinen Eingriff in das Familienleben darstellen. Es liege somit kein im Sinne von Artikel 8 EMRK schützenswertes Familienleben in Österreich vor. Da bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen keine weiteren Hinweise auf familiäre Anknüpfungspunkte bestünden, das Vorliegen eines schützenswerten Familienlebens im Sinne von Artikel 8 EMRK nicht feststellbar gewesen.

Zu prüfen sei ferner gewesen, ob ein schützenswertes Privatleben im Sinne von Artikel 8 EMRK in Österreich vorliege. Dabei sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer sich zumindest seit dem 31.03.2014 in Österreich aufhalte und seit dem 10.11.2014 in Österreich den Status eines subsidiär Schutzberechtigten habe. Er sei in Österreich unregelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen. Seit 18.04.2019 befinde er sich in der Justizanstalt XXXX .

Im Hinblick auf den mit einer Rückkehrentscheidung verbundenen Eingriff in das Privatleben sei festzuhalten, der Beschwerdeführer in Österreich nur als Asylwerber und in weiterer Folge als subsidiär Schutzberechtigter aufhältig (Anmerkung: von 2014 bis 2019) gewesen sei. Zu keinem Zeitpunkt sei er zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt gewesen. Eine besondere schützenswerte Integration in Österreich liege derzeit nicht vor.

Der Beschwerdeführer unregelmäßig einer Beschäftigung nachgegangen, wobei anzumerken sei, dass sein Aufenthaltsrecht befristet gewesen sei. Da seine befristete Aufenthaltsberechtigung nicht mehr verlängert werden, bestehen keine gesetzliche Grundlage zur rechtmäßigen Ausübung einer legalen Beschäftigung. Sonstige Integrationsbemühungen seien vom Beschwerdeführer während des über 4 Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich nicht vorgenommen worden. Es bestünden keine Mitgliedschaften in Vereinen. Er verfüge auch über keinen nennenswerten Freundes- und Bekanntenkreis.

Die Aufenthaltsbeendigung sei zur Verteidigung der Ordnung und zum wirtschaftlichen wohl des Landes (Verhinderung ungeordneter Zuwanderung) dringend geboten. Das aufrechte Privatleben im oben beschriebenen Ausmaß könne die genannten öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung nicht aufwiegen; die Aufenthaltsbeendigung könne nur durch die gegenständliche Rückkehrentscheidung erreicht werden.

Der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Gebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge rechtswidrig in das Bundesgebiet eingereist. Ihm sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten — wegen seines damaligen gesundheitlichen Zustandes - zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden. Es habe ihm daher klar sein müssen, dass der Aufenthalt in Österreich nur ein temporärer sein könne.

Der Beschwerdeführer wurde während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet wegen strafbaren Handlungen (SMG) rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, welche er zurzeit verbüße. Nach Ansicht der erkennenden Behörde stelle das von ihm begangenen Verbrechen einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die Rechtsprinzipen Österreichs dar.

Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit seine persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei Weitem überwiege.

Des Weiteren sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer den Großteil des bisherigen Lebens in Afghanistan verbracht habe, weshalb der Eingriff in sein Recht auf Privatleben relativiert wird. Unter Berücksichtigung seiner individuellen Situation in Österreich könne insgesamt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung festgestellt werden.

Aufgrund dieser Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergebe sich, dass die Erlassung Rückkehrentscheidung zur Erreichung des Oben angeführten und in Artikel 8 Absatz 2 EMRK genannten Zieles gerechtfertigt sei.

Daher sei die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA- VG zulässig. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG habe zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig sei (§ 58 Abs. 2 AsylG).

Da dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde und die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Absatz 1-3 BFA-VG zulässig sei, sei gemäß § 10 Absatz 1 AsylG und § 52 Absatz 2 Ziffer 4 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

Gemäß § 52 Absatz 9 FPG sein gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig sein. Dies gelte nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

Die Abschiebung Fremder in einen Staat sei gem. § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

Wie bereits unter den Spruchpunkt l. dargelegt, ergebe sich im vorliegenden Fall keine derartige Gefährdung. Gemäß § 50 Abs. 3 FPG sei eine Abschiebung schließlich unzulässig, wenn die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihr entgegenstehe. Eine solche vorläufige Maßnahme sei im vorliegenden Fall, also in Bezug auf Afghanistan, nicht empfohlen worden.

Es sei daher auszusprechen, dass im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei.

Gemäß § 55 FPG werde mit einer Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt werde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Im vorliegenden Fall seien derartige Gründe nicht feststellbar gewesen.

Mit einer Rückkehrentscheidung könne gemäß § 53 Abs. 1 FPG auch ein Einreiseverbot erlassen werden. Im vorliegenden Fall sei der Tatbestand des § 53 Abs. 1 Z. 1 FPG erfüllt, da der Beschwerdeführer während seines über vierjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet wegen Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtmittel rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von insgesamt 2 Jahren verurteilt worden sei.

Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziere gemäß § 53 Abs. 3 das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Im vorliegenden Fall sei berücksichtigt worden:

Aufgrund des Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten, d.h. im Hinblick darauf, wie er sein Leben in Österreich insgesamt gestalte, davon auszugehen gewesen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei.

Bei der Bemessung des Einreiseverbotes, könne sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern müsse insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einbeziehen.

Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausführlich geprüft und festgestellt, seien die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletze im vorliegenden Fall Art. 8 EMRK nicht. Es müssen daher nun, unter Berücksichtigung des in § 53 Abs. 3 genannten Tatbestandes ebenso davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich überwiege.

Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom Beschwerdeführer ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot ist daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

I.6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und brachte nach Wiedergabe des Verfahrensgangs im Wesentlichen vor, dass die Helmregion des Beschwerdeführers unsicher und instabil sei. Immer wieder gebe es terroristische Angriffe und religiöse Konflikte. Außerdem habe der Beschwerdeführer keine sozialen Anknüpfungspunkte von denen er finanzielle oder andere Unterstützung erhalten könne. Er wäre auf sich allein gestellt und würde daher Gefahr laufen einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder des Zusatzprotokolls Nr. 6 oder 13 zur Konvention ausgesetzt zu sein.

Der Beschwerdeführer sei nie wegen der Begehung eines Kapitalverbrechens verurteilt worden. Zum Zeitpunkt der Tatbegehung sei er junger Erwachsener gewesen, weshalb die Verantwortung für das rechtswidrige Verhalten herabgesetzt sei. Außerdem müsse die Reue des Beschwerdeführers berücksichtigt werden. Der Beschwerdeführer verfüge auch über keinerlei Bindungen und über keine Verwandten im Heimatsstadt, daher mit 9 Jahren nach Österreich gekommen sei.

Hinsichtlich des Einreiseverbotes werde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer zwar rechtskräftig verurteilt worden sei, darüber hinaus aber auf die Zukunftsprognose abzustellen sei. Der Beschwerdeführer bereue seine Taten sehe das Unrecht seiner Handlungen. Es sei darauf hinzuweisen, dass er damals Jugendlicher gewesen sei und ihm nun bewusst sei, dass er sein Leben umgestalten müsse.

Der Beschwerdeführer habe die Deutschprüfung A2 bestanden, spreche tatsächlich aber auf Niveau B1. Er habe bis zuletzt als Autowäscher bei der Firma „Clean & Car“ gearbeitet.

Mit Schriftsatz vom 06.03.2020 wurde die Beschwerde dahingehend ergänzt, dass der Gehbehinderung des Beschwerdeführers nicht Rechnung getragen wurde. Ferner sei die Dauer des verhängten Einreiseverbotes überschießend, da anlässlich der Verurteilung des Beschwerdeführers nach § 28 a SMG der Strafrahmen von bis zu 10 Jahren bei weitem nicht ausgeschöpft worden sei.

Es werde daher beantragt,

?        den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und festzustellen, dass dem BF weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt;

in eventu

?        einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 55, 57 AsylG 2005 zu erteilen;

in eventu

?        den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen;

In eventu

?        die Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären;

In eventu

?        den Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan gem. § 46 FPG aufzuheben;

?        den Spruchpunkt VII des gegenständlichen Bescheides zu Gänze aufzuheben oder dahingehend abzuändern, dass die Dauer des Einreiseverbotes reduziert wird;

?        eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen.

I.7. Mit hg. Schreiben vom 08.07.2021 wurde dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährt, wobei ihm aktuelle Informationen über die Lage in Afghanistan übermittelt wurden.

Die belangte Behörde gehe zu Unrecht davon aus, dass er an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leide und arbeitsfähig sei.

Dem sei entgegenzuhalten, dass er an einem posttraumatischen Belastungssyndrom und rezidivierenden abdominelle Schmerzen leide und sich in ärztlicher Behandlung befinde. Ferner leide er an „Congelatio erythematosa" am linken Vorfuß, einer Hohlfußstellung mit Spreizfußstellung und einer hochgradigen Hallux valgus-Stellung sowie Valgusfehlstellung am Interphalangelgelenk. Ausdrücklich festzuhalten sei, dass er aufgrund seines Lumbago WS-Syndroms in seiner Mobilität eingeschränkt sei. Ebenso sei er aufgrund dieser Behinderung arbeitsunfähig, darüber lägen ärztliche Atteste vor. Allein aufgrund seiner Behinderung, die im Falle einer Rückkehrentscheidung eine Gefahr für Leib und Leben darstelle, sei seiner Beschwerde stattzugeben. Eine Fluchtalternative sei aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht möglich. Er sei daher auch nicht selbsterhaltungsfähig.

In Österreich habe er während seines Aufenthalts die deutsche Sprache erlernen können. Zwar lägen keine Sprachzertifikate vor, jedoch sei er mächtig, sich in deutscher Sprache zu verständigen. Beginnend ab 18.08.2021 werde er über das AMS einen Deutschkurs besuchen und diesen mit einer Prüfung abschließen.

Anzumerken sei auch, dass er in Vergangenheit sehr bemüht gewesen sein, einer Beschäftigung nachzugehen, jedoch sei es ihm nicht gelungen, eine adäquate Arbeitsstelle zu finden. Er verfüge in Österreich über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, sodass auch dadurch seine Integration unterstrichen werde.

Zwar werde die strafrechtliche Verurteilung nicht verkannt und er wolle dies nicht verharmlosen, jedoch sei anzumerken, dass diese Verurteilung ein einmaliges Vergehen darstelle und er sowohl vor der Verurteilung als auch seit seiner Enthaftung ein ordentliches Leben führe. Der bisher ordentliche Lebenswandel sowie sein reumütiges Geständnis seien im Strafurteil als mildernd gewertet worden.

Bei einer Abwägung iSd § 9 BFA-VG würden zweifelsfrei die Interessen an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens Überwiegen, sodass eine Rückkehrentscheidung einen massiven Eingriff darstellen würde.

Darüber hinaus habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert und sei für die Zivilbevölkerung beängstigend. Afghanistan sei ein Kriegsgebiet, weshalb eine Abschiebung dorthin zumutbar sei und eine Gefahr für Leib und Leben darstelle.

Ferner wurden nachstehend angeführte Integrationsunterlagen vorgelegt:

?        Befund des Wilhelminenspitals vom 31.03.2014;

?        Befundbericht des Diagnosezentrums Brigittenau vom 21.07.2021;

?        Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit vom 21.10.2021; Akt

?        Befund des Krankenhauses Oberpullendorf vom 31. Juli 2014;

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen:

Zur Person des BF:

Der am XXXX geborene Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 01.04.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er spricht Dari, Paschtu, Urdu, Farsi und Englisch, ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Bezirk Gul Dara / Provinz Kabul / Afghanistan. Seine Kernfamilie (Ehefrau, Mutter, Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins, etc.) hält sich im Bezirk Gul Dara / Provinz Kabul / Afghanistan auf.

Der Beschwerdeführer hat keine zum dauerhaften Aufenthalt berechtigten Verwandten in Österreich.

Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner Beschäftigung nach, wobei er derzeit nicht arbeitsfähig ist (Lumbago CVS-Syndrom, ärztliche Bestätigung vom 21.07.2021). Er kann keinen mit Prüfung erfolgreich abgeschlossenen Deutschkurs vorweisen.

Er leidet an nachstehend angeführten gesundheitlichen Einschränkungen:

?        Congelatio erythematosa (linken Vorfuß);

?        posttraumatisches Belastungssyndrom;

?        rezidivierende abdominelle Schmerzen;

?        Lumbago CVS-Syndrom.

Er hat keine Bindungen in Österreich.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen vom 16.09.2019, GZ. 62 HV 73/19m, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall und Abs. 2 Z. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Dabei wurden als mildernd der bisherige ordentliche Lebenswandel, das reumütige Geständnis und die teilweise Sicherstellung, als erschwerend das 15 -fache Überschreiten der Wertgrenze gewertet. Am 18.08.2020 wurde er bedingt aus der Strafhaft unter Setzung einer dreijährigen Probezeit entlassen.

Gegenwärtig befindet sich der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 a Abs. 1 4. und 5. Fall SMG zu GZ. 318 HR 274/21k des Landesgerichts für Strafsachen Wien in Untersuchungshaft, wobei mittlerweile Die Staatsanwaltschaft Wien zur GZ. 404 St 148/21g Anklage wegen§ 28 a Abs. 1 4. und 5. Fall SMG erhoben hat.

Zur Lage in Afghanistan:

Quelle: Sonderkurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage in Afghanistan vom 17.08.2021

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).

Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).

Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a).

Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).

Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021).

Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021). Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).

Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021). (Quellen dieser Sonderinformation der Staatendokumentation: • BAMF (16.8.2021): Briefing Notes, per Email; • bbc.com (o.D.): Afghanistan: US takes control of Kabul

airport to evacuate staff from countryhttps://www.bbc.com/news/world-asia-58227029, Zugriff 16.8.2021; • Die Presse (17.8.2021): Die Türkei schottet sich mit Mauer gegen Flüchtlinge ab, https://www.diepresse.com/6021855/die-turkei-schottet-sich-mit-mauer-gegen-fluchtlinge-ab, Zugriff 17.8.2021; • IOM (16.8.2021): Aussetzung der Freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, per Email; • orf.at (16.8.2021): Krieg in Afghanistan ist vorbei, https://orf.at/stories/3225020/, Zugriff 16.8.2021; • orf.at (16.8.2021a): Verzweifelte Fluchtversuche aus Kabul, https://orf.at/stories/3225106/, Zugriff 17.8.2021; • orf.at (16.8.2021b): Nachbarländer in großer Unruhe, https://orf.at/stories/3225071/, Zugriff 17.8.2021).

Quelle: UNHCR-POSITION ZUR RÜCKKEHR NACH AFGHANISTAN August 2021:

Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern. UNHCR ist besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, sowie an Afghan*innen, bei denen die Taliban davon ausgehen, dass sie mit der afghanischen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan oder mit internationalen Organisationen im Land in Verbindung stehen oder standen. Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten.

Da die Situation in Afghanistan instabil und unsicher bleibt, fordert UNHCR alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR weist auf die Notwendigkeit hin zu gewährleisten, dass das Recht, Asyl zu beantragen, nicht eingeschränkt wird, dass Grenzen offengehalten werden und dass Personen, die internationalen Schutzbedarf haben, nicht in Gebiete innerhalb ihres Herkunftslands zurückgedrängt werden, die möglicherweise gefährlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Staaten auch gemäß Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Grenzen für die vor dem Konflikt fliehende Zivilbevölkerung offen zu halten und Flüchtlinge nicht zwangsweise zurückzuführen. Der Non Refoulement-Grundsatz beinhaltet auch die Nicht-Zurückweisung an der Grenze.

Aufgrund der Unbeständigkeit der Situation in Afghanistan hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsperspektive zu verwehren

Quelle: Kurzinformation der Staatendokumentation Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan Stand: 20.8.202:

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a) Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a). Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b). Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c). Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021). Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021). Exkurs: Die Anführer der Taliban Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen TalibanFührer auch nach außen auf. Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird. Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht. Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der TalibanRegierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an. Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c). Stärke der Taliban-Kampftruppen Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).

2. Beweiswürdigung:

Der Beweiswürdigung liegen folgende maßgebende Erwägungen zugrunde:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakten des BFA und des BVwG.

Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen Angaben im Vorverfahren und im gegenständlichen Verfahren. Die Identität des BF steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest, zumal ihm vordem auch der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt worden war. Die Feststellungen zu seinem Privat-und Familienleben, insbesondere zu seinem Gesundheitszustand ergeben sich aus der Aktenlage, sowie den vom Beschwerdeführer vorgelegten unbedenklichen Urkunden (ärztliche Befunde).

Situation in Afghanistan

Die Feststellungen über das Herkunftsland ergeben sich aus den oben zitierten Quellen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Zu A.)

§ 9 AsylG lautet wie folgt:

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

Gemäß § 9 Abs. 1, erster Halbsatz, AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen (Z 1);

Im vorliegenden Fall stützt die belangte Behörde ihre nun angefochtene Entscheidung auf § 9 Abs 1 Z 1, erster Fall. Diese Bestimmung stellt darauf ab, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung nie vorgelegen haben. Für den Beschwerdeführer existierten mit Harat und Mazar-e-Sharif innerstaatliche Fluchtalternativen.

Die belangte Behörde stützt die von ihr ausgesprochene Aberkennung des subsidiären Schutzes ferner darauf, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig, ferner mit den kulturellen und sprachlichen Gepflogenheiten in seinem Heimatland vertraut sei Er sei anpassungsfähig sowie anpassungswillig. Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurde durch die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen (Dienstzeugnisse, Prüfungszertifikate etc.) festgestellt, dass er sich mittlerweile in Österreich in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert hat und auf diesem Weg Berufserfahrung sammeln konnte, somit aktuell über eine im Erwachsenenalter erworbene Berufserfahrung verfügt.

Wie den vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist, besteht beim Beschwerdeführer eine erhebliche Fehlstellung des Fußes. Darüberhinaus leidet er an einem posttraumatischen Belastungssyndrom und einem Lumbago CVS-Syndrom, wodurch er gegenwärtig nicht arbeitsfähig ist. Ungeachtet der unzutreffenden Feststellungen der belangten Behörde über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Änderung des Sachverhaltes allerdings aus nachstehenden Gründen:

Wie aus den aktuellen Länderfeststellungen betreffend Afghanistan hervorgeht, hat sich die dortige Sicherheitslage seit 15.08.2021 in einer Weise maßgeblich verschlechtert, dass jedenfalls davon ausgegangen werden muss, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, ernsthaften Schaden zu erleiden bzw. in eine ausweglose Situation zu geraten, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Dass es sich bei der in Afghanistan bestehenden Entwicklung der Sicherheitslage um eine bloß vorübergehende Erscheinung handeln würde, kann nicht angenommen werden. Die aktuell anzunehmende Gefährdungslage bezieht sich ferner auf ganz Afghanistan. Weder Kabul noch Mazar-e-Sharif, noch Herat können aktuell als innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG angenommen werden. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland würde somit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 E-MRK bedeuten.

Im Ergebnis ist daher keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts eingetreten, die eine Aberkennung der mit Bescheid vom 22.08.2017 zuerkannten Berechtigung zu subsidiärem Schutz rechtfertigen würde.

Eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kann daher im vorliegenden Fall nicht auf § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG gestützt werd

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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