TE Bvwg Beschluss 2021/11/9 W227 2212249-1

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Veröffentlicht am 09.11.2021
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Entscheidungsdatum

09.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W227 2212249-1/15E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde der afghanischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30. November 2018, Zl. 1098752404-151980430/BMI-BFA_NOE_RD:

A)

Der angefochtene Bescheid wird behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Begründung

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 11. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigte (Spruchpunkt I.) sowie des Status als subsidiär Schutzberechtigte (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gewährte ihr eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde.

4. Am 22. Oktober 2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die Beschwerdeführerin wurde in Teheran geboren, hielt sich nie in Afghanistan auf und hat u.a. keinerlei Kenntnisse über die geografischen und religiösen Gegebenheiten Afghanistans.

Die Beschwerdeführerin spricht reines Farsi, ohne Dari-Färbung.

Das BFA setzte keinerlei Ermittlungen, um den Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zweifelsfrei festzustellen. Der Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin kann sohin nicht zweifelsfrei festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung

2.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt und ist unstrittig.

2.2. Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführerin im Iran geboren ist, sich nie in Afghanistan aufgehalten hat und über keinerlei Kenntnisse hinsichtlich der örtlichen und religiösen Gegebenheiten Afghanistans verfügt, ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung (VHS vom 22. Oktober 2021, S. 4 f). So wusste sie etwa nicht, dass es sich bei Ghazni und Kabul nicht um dieselbe Provinz handelt und konnte keinerlei Angaben über die (angebliche) Herkunftsprovinz ihrer Eltern machen. Zudem konnte die Beschwerdeführerin – trotz der behaupteten streng religiösen Erziehung durch ihren Vater – nur Vermutungen anstellen, zu welcher konkreten Glaubensrichtung sie erzogen wurde. Auf eine diesbezügliche Nachfrage verwies die Beschwerdeführerin bloß auf ihr allgemeines Desinteresse an der Religion.

2.3. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin reines Farsi ohne (eine für Personen, die aus Afghanistan stammen, typische) Dari-Färbung spricht, ergibt sich aus der Erläuterung der anwesenden Dolmetscherin (VHS, S. 7). Aufgrund der amtsbekannten Expertise der Dolmetscherin konnte ihrer diesbezüglichen Aussage somit ohne Zweifel gefolgt werden.

Da die Beschwerdeführerin als Tochter von ihren – wie sie selbst angibt – in Afghanistan geborenen und aufgewachsenen Eltern erzogen wurde und somit in einem afghanischen Haushalt sozialisiert wurde, erscheint ein solches Fehlen der Dari-Färbung jedoch nicht plausibel. Die Erstbefragung der Beschwerdeführerin sowie die Niederschrift vor dem BFA fanden auf Farsi statt, mit einer fehlenden Dari-Färbung setzte sich das BFA jedoch überhaupt nicht auseinander.

2.4. Dass das BFA keinerlei Ermittlungsmaßnahmen setzte, um den Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zweifelsfrei festzustellen, ergibt sich aus der Zusammenschau der soeben ausgeführten Würdigungen. So stellte das BFA zwar im angefochtenen Bescheid die afghanische Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin fest, ging auf diese Feststellung in der Beweiswürdigung jedoch mit keinem Wort ein.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zur Zurückverweisung [Spruchpunkt A)]

3.1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist
(Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Aus § 18 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass (unter anderem) die belangte Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

3.1.2. Mit Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung not-wendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, siehe dazu bspw. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.; siehe auch VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, jeweils m.w.H. sowie VwGH 08.08.2018, Ra 2017/10/0097).

3.1.3. Da das BFA keinerlei Ermittlungsschritte zur zweifelsfreien Klärung des Herkunftsstaates der Beschwerdeführerin gesetzt hat, sind weitere Ermittlungsmaßnahmen – wie etwa eine neuerliche Befragung der Beschwerdeführerin – jedenfalls erforderlich. Im angefochtenen Bescheid befasste sich das BFA de facto gar nicht mit dem Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin und stellte diesen, ohne dies ausreichend zu begründen, fest.

Das BFA verstieß damit gravierend gegen die amtswegige Ermittlungspflicht und sohin gegen einen tragenden Grundsatz des Verfahrensrechts. Da zu einem tragenden Sachverhaltselement sohin keine eindeutigen Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sind, ist eine meritorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weder im Sinne einer Kostenersparnis noch einer Verfahrensbeschleunigung gegeben.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]

3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Einvernahme Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2212249.1.00

Im RIS seit

17.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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