Entscheidungsdatum
10.11.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W161 2247290-1/2E
W161 2247289-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von
1.) XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2021, Zl. 1283576409-211225027,
2.) XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2021, Zl. 1283576104-211224748,
beide StA Russische Föderation, alle vertreten durch Mag. Peter Josef KROISLEITNER, BBU GmbH,
zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005, i.d.g.F. und § 61 FPG i.g.F. als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer sind eigenen Angaben zufolge Lebensgefährten und Staatsangehörige der Russischen Föderation. Sie stellten am 28.08.2021 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz.
Eine EURODAC-Abfrage ergab für den Erstbeschwerdeführer je einen Treffer der Kategorie 1 mit Finnland vom 22.04.2018 und mit Frankreich vom 22.07.2021 und für die Zweitbeschwerdeführerin vier Treffer der Kategorie 1, nämlich mit Finnland vom 08.03.2019 sowie vom 13.11.2020, mit Schweden vom 30.07.2020 und mit Frankreich vom 22.07.2021.
2.1. Der Erstbeschwerdeführer gab in seiner Erstbefragung vom 29.08.2021 an, er habe seinen Herkunftsstaat am 21.04.2018 mit einem gültigen russischen Reisepass und einem gültigen finnischen Touristenvisum verlassen. Er habe sich dann bis 01.07.2021 in Finnland aufgehalten, anschließend ca. eine Woche in Schweden und sei über Dänemark und Deutschland nach Frankreich gelangt, wo er sich von 11. oder 12.07.2021 bis 11.08.2021 aufgehalten habe. Von 11.08.2021 bis 28.08.2021 sei er in Italien gewesen, seit 28.08.2021 sei er in Österreich. In Finnland habe er einen Asylantrag gestellt, dieser sei negativ entschieden worden. In Schweden hätte er mit seiner Freundin auf der Straße gelebt. In Frankreich hätten sie ebenfalls auf der Straße gelebt, dort hätten sie auch einen Asylantrag gestellt und sei ihnen anschließend auch eine Unterkunft angeboten worden, sie hätten dort jedoch nicht bleiben wollen. In Italien hätten sie von den Behörden Dokumente und einen Termin für eine Asylaufnahme am 24.11.2021 erhalten. Sie hätten jedoch nicht so lange warten wollen, deshalb seien sie nach Österreich weitergereist. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich oder einem anderen EU-Staat mit Status. Als Fluchtgrund gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei 2018 Wahlbeobachter in XXXX gewesen, es habe Probleme bei der Wahl gegeben und sei er festgenommen worden. Er sei auch bedroht worden, deshalb habe er das Land verlassen.
2.2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA, EAST-Ost am 23.09.2021 gab der Erstbeschwerdeführer an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, der Einvernahme zu folgen. Er habe bisher im Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Er nehme zurzeit keine Medikamente. Bei der Untersuchung in Österreich habe er um einen Termin mit einem Psychologen gebeten, früher habe er Antidepressiva genommen. Er habe keine Verwandten in Österreich. Er sei mit seiner Lebensgefährtin, der Zweitbeschwerdeführerin, nach Österreich gereist. Diese befinde sich seines Wissens nach derzeit auch in Anhaltung. Er habe in Finnland, Frankreich und Italien um Asyl angesucht. Er habe drei Jahre in Finnland gelebt. Sein Asylantrag sei negativ entschieden worden. Er habe sich dann einen Anwalt genommen und Einspruch erhoben. Auf diese Beschwerde habe er bis zur Ausreise keine Antwort bekommen. Er sei von 22.04.2018 bis 01.07.2021 in Finnland aufhältig gewesen. Er sei in Finnland untergebracht und versorgt worden. Befragt, ob er Gründe nennen wolle, die seiner Ausweisung nach Finnland entgegenstünden, fragte der Beschwerdeführer, ob man ihm vielleicht sagen könne, welche Möglichkeiten es gäbe, diese Abschiebung nach Finnland zu verhindern. Befragt nach konkreten Gründen gab er in der Folge an, Finnland habe sein Ansuchen nicht adäquat untersucht und deshalb eine total absurde Entscheidung getroffen. Wenn er in Russland wegen seiner politischen Ansichten verfolgt wurde, wäre er in Finnland verachtet worden, weil er in Russland geboren worden wäre. Er werde eine Beschwerde erheben, wenn er dazu gezwungen werde, seine Rechte zu verteidigen. Er werde nur dann nach Finnland zurückkehren, nachdem er alle Rechtsmittel ausgeschöpft habe und die höchste Instanz sage, dass er nach Finnland zurückkehren solle. Er und seine Frau seien keine Verbrecher und sie würden das tun, was die höchste Instanz entscheide. Die Länderfeststellungen zu Finnland seien eine allgemeine Information. Da stehe überhaupt nichts davon, dass man in Finnland Menschenrechte verletze. Befragt, inwiefern in Finnland seine Menschenrechte verletzt worden wären, gab der Beschwerdeführer an:
„Ich kann das nicht so juristisch formulieren, weil ich kein Jurist bin, aber ich werde es in meinen Worten erklären: Diese drei Jahre, welche ich in Finnland verbracht habe, habe ich massive Benachteiligungen seitens der Migrationsbehörde, aber auch seitens der finnischen Bevölkerung erfahren. Ich bin kein Krimineller und verachte jede Art von Kriminalität. Ich hatte weder in der EU noch in Russland etwas mit Kriminalität zu tun, aber ich habe permanent Beleidigungen in meine Richtung gehört nur, weil ich in Russland geboren bin. Die finnische Bevölkerung ist sehr offen, sie schämen sich nicht das zu sagen, was sie sich über einen Menschen denken. Das sagen sie einem ins Gesicht. Ich verstehe nicht warum man so abfällig sich einem Menschen gegenüber verhält. Das ist sehr schwer psychisch zu verkraften.“
Der Erstbeschwerdeführer gab in der Folge noch an, er habe in Finnland um psychologische Betreuung angesucht, das einzige, was er bekommen habe, wären Antidepressiva gewesen. Er habe den Fragen des Leiters der Amtshandlung folgen können und den Dolmetscher verstanden.
3.1. Die Zweitbeschwerdeführerin gab in ihrer Erstbefragung am 29.08.2021 an, sie habe ihren Herkunftsstaat am 06. oder 07.03.2019 mit einem gültigen Reisepass der Russischen Föderation und einem gültigen finnischen Touristenvisum verlassen. Sie habe sich von März 2019 bis 01.07.2020 in Finnland aufgehalten, bis Dezember 2020 in Schweden, dann wieder bis 01.07.2021 in Finnland, anschließend ca. zehn Tage in Schweden. In der Folge sei sie über Dänemark und Deutschland (jeweils Durchreise) nach Frankreich gelangt, dort sei sie ca. eine Woche gewesen, dann sei sie bis 28.08.2021 in Italien gewesen. Seit 28.08.2021 sei sie in Österreich. Sie habe zwei Mal in Finnland, in Schweden und einmal in Frankreich um Asyl angesucht. Sie bekomme in diesen Ländern kein Asyl und würde sofort wieder abgeschoben werden. Als Fluchtgrund gab die Zweitbeschwerdeführerin an, es sei gefährlich für sie im Heimatland zu bleiben. Das seien ihre allgemeinen Fluchtgründe, mehr habe sie dazu nicht zu sagen. Sie habe keine Familienangehörigen in Österreich oder einem anderen EU-Staat mit Status.
3.2. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, EAST-Ost, am 23.09.2021, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, der Einvernahme zu folgen. Sie habe bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Befragt, ob sie derzeit in ärztlicher Betreuung und/oder Behandlung bzw. Therapie sei, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie sei in der Betreuungsstelle bei einer Ärztin gewesen und habe ihre Beschwerden genannt. Ihr sei gesagt worden, dass sie eine Überweisung bekomme, sie habe aber dann am Vortag einen Transfer bekommen und sei das alles jetzt wahrscheinlich aufgeschoben oder aufgehoben. Sie habe Probleme mit dem Magen. Wenn sie gegessen habe, habe sie so starke Schmerzen, dass sie nicht einmal aus dem Bett aufstehen könne. Sie bekomme abführende Pulver. Die Schmerzen blieben trotzdem. Das sei ernsthaft und müsste untersucht werden. Weiters habe sie Schmerzen in der rechten Seite, sie vermute, dass es die Leber sei. Sie habe auch Beschwerden mit dem Herzen, aber das hätten sie in der Familie, das sei wahrscheinlich genetisch bedingt. In Finnland habe man sie unter dem Vorwand, sie sei zu jung und das könne nicht sein, nicht behandelt. Sie nehme zurzeit an Medikamenten Metagelan 500mg (schmerzstillend) und Laxogol (abführend). Sie habe keine Verwandten in Österreich bzw. im sonstigen Bereich der Europäischen Union. Sie sei mit ihrem Lebensgefährtin XXXX nach Österreich gereist. Sie habe zwei Mal in Finnland, in Schweden, in Frankreich und in Italien um Asyl angesucht. Ihr Asylantrag in Finnland sei zwei Mal negativ entschieden worden. Zudem sei auch die Abschiebung beschlossen worden. Sie sei von 08.03.2019 bis 02.07.2020 in Finnland aufhältig gewesen, dann sei sie nach Schweden weggelaufen. Schweden habe sie per Dublin nach Finnland zurückgeschickt, das sei im Dezember 2020 gewesen. Sie sei in Finnland untergebracht und versorgt worden. Befragt nach konkreten Gründen, die einer Ausweisung nach Finnland entgegenstünden, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie verstehe, dass Österreich sich an die Dublin-Verordnung halten solle. Sie möchte sagen, dass sie keinerlei Gesetze in Österreich brechen wolle und sich nicht gegen die Vorgehensweise der Behörde wehren wolle. Sie möchte aber angeben, dass sie nicht nach Finnland zurückkehren möchte, da dieses Land sich an keinerlei EU-Gesetze, was Migrations- und Flüchtlingsfragen betreffe, halte. Sie habe ihre Zähne beim Zahnarzt untersuchen lassen wollen, da sei sie als russischer Hund benannt worden, obwohl sie gar nichts Schlimmes getan habe. Es sei dort so viel Rassismus. Sie verstehe, dass niemand auf sie gewartet habe, aber man sollte sich doch zumindest an die Normen halten. Sie wisse auch, dass sie ein Anrecht auf eine Beschwerde gegen diese Entscheidung in Österreich habe. Wenn sie die Möglichkeit bekomme, werde sie einen Anwalt hinzuziehen und dafür kämpfen, hier in Österreich zu bleiben. Sie wäre nicht bereit, freiwillig nach Finnland zurückzukehren. Zu den Länderfeststellungen gab die Zweitbeschwerdeführerin an, was sie gelesen habe, stimme gar nicht. Was medizinische Versorgung, professionelle Übersetzung von Dolmetschern und Arbeit betreffe, stimme nicht. Es sei ihr sehr wichtig, dass die österreichische Migrationsbehörde wisse: Hätten sie in Italien oder Frankreich eine Unterkunft bekommen, wären sie nicht hier. Österreich sei eine Notlösung in ihrer Notsituation gewesen. In Finnland habe sie einen Dolmetscher bekommen, der nicht einmal die Deklinationen habe erklären können. Das hätte katastrophale Auswirkungen auf ihren Fall gehabt und sei sehr unprofessionell gewesen. Sie sei schockiert gewesen, als sie die Entscheidung bekommen habe. Es sei sehr wichtig, dass die Dolmetscher richtig arbeiten. In Finnland gäbe es die Möglichkeit, dass man drei Monate nach dem Asylantrag arbeiten dürfe. Sie habe über eine längere Zeit versucht, eine Arbeit zu finden, sei da jedoch immer auf die zweite Stelle gestellt worden, unter dem Vorwand, dass sie aus Russland komme. Sie habe nicht einmal bei einer Reinigungsfirma die Möglichkeit bekommen, ein wenig Geld zu verdienen. So sehr würde man sie als Russischstämmige in Finnland hassen. Sie habe den Fragen des Leiters der Amtshandlung folgen können und den Dolmetscher verstanden.
4.1. Am 30.08.2021 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge kurz: „BFA“) bezüglich der Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (in Folge kurz: „Dublin-III-VO“) ein Wiederaufnahmeersuchen an Finnland gestellt.
Mit Schreiben vom 30.08.2021 stimmte die finnische Dublin-Behörde der Aufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d Dublin-III-VO ausdrücklich zu.
5. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA wurden I. die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Finnland für die Prüfung der Anträge der Beschwerdeführer gem. § 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO zuständig sei, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen die Beschwerdeführer eine Außerlandesbringung angeordnet und ausgesprochen, dass demzufolge deren Abschiebung nach Finnland zulässig sei.
Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Finnland wurden in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
In Finnland existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (FIS o.D.a, FIS o.D.b; für ausführliche Informationen siehe dieselben Quellen).
(FIS o.D.a)
Ende 2019 waren in Finnland 4.520 Personen in einem Asylverfahren. Die Zahl der Erstanträge belief sich auf 2.445 und hat sich gegenüber 2018 um 505 Anträge bzw. 17% reduziert. 360 und somit 15% der Erstanträge 2019 entfielen auf die Türkei, 285 auf Russland und 270 auf den Irak (EUROSTAT o.D).
Von April 2019 bis inklusive März 2020 wurden insgesamt 7.259 Asylentscheidungen getroffen; 2.942 und somit 40,5% der Anträge wurden positiv bescheinigt, 2.673 Anträge (36,8%) negativ. Insgesamt 2.133 Personen erhielten Asyl, 377 subsidiären Schutz. Die verbleibenden 1.644 Fälle sind Dublin Fälle oder wurden aus anderen Gründen abgewiesen (FIS 15.4.2020).
Quellen:
- EUROSTAT (o.D): First time asylum applicants in Finland. 2019, https://ec.europa.eu/eurostat/web/asylum-and-managed-migration/visualisations, Zugriff 24.4.2020
- FIS - Finish Immigration Service (o.D.a): Asylum in Finland, http://www.migri.fi/asylum_in_finland, Zugriff 14.4.2020
- FIS - Finish Immigration Service (o.D.b): Appealing a decision, https://migri.fi/en/negative-decision/appealing-a-decision, Zugriff 14.4.2020
- FIS - Finish Immigration Service (20.1.2020): Press release. Immigration statistics 2019. Small number of new asylum seekers, https://migri.fi/en/press-release/-/asset_publisher/maahanmuuton-tilastot-2019-oleskelulupaa-haki-ennatysmaara-tyontekijoita, Zugriff 21.4.2020
- FIS - Finish Immigration Service (15.4.2020): Statistics. Asylum applications, https://tilastot.migri.fi/index.html#decisions/23330/49?l=en, Zugriff 21.4.2020
Dublin-Rückkehrer
Personen, die im Rahmen des Dublin-Regimes nach Finnland zurückkehren, haben vollen Zugang zum Asylverfahren und zu entsprechenden Unterstützungsleistungen. Ihre Verfahren werden, je nach Ausgangslage, entweder neu begonnen oder fortgesetzt. Die Verfahren werden im ordentlichen – oder aber auch im beschleunigten - Verfahren abgewickelt und inhaltlich geprüft, außer der Antrag ist unzulässig nach Art. 33.2 b und c der Asylverfahrensrichtlinie. Auch ein Asylfolgeantrag ist möglich (FIS 10.12.2019).
Quellen:
- FIS - Finish Immigration Service (10.12.2019): Anfragebeantwortung per E-Mail
Non-Refoulement
Wenn ein Asylwerber sich nicht für internationalen Schutz qualifiziert, kann er eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des subsidiären Schutzes erhalten bzw. eine Aufenthaltsgenehmigung aus anderen Gründen (FIS o.D.e).
Unter eine Aufenthaltsgenehmigung aus anderen Gründen fallen etwa temporäre medizinische Gründe oder ein Aufenthalt aufgrund faktisch nicht möglicher Heimreise. Als praktischer Grund gelten jedoch nicht eine simple Weigerung oder ein bewusstes Erschweren der Heimreise (FIS o.D.f).
Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom November 2019, setzte Finnland Rückführungen in den Irak aus. Diese Aussetzung gilt jedoch nicht für verurteilte Kriminelle (USDOS 11.3.2020, vgl. AI 16.4.2020).
Quellen:
- FIS - Finish Immigration Service (o.D.e): Positive decision, https://migri.fi/en/asylum-in-finland/positive-decision, Zugriff 14.4.2020
- FIS - Finish Immigration Service (o.D.f): Residence permit on other grounds, https://migri.fi/en/residence-permit-on-other-grounds1, Zugriff 21.4.2020
- AI – Amnesty International (16.4.2020): Annual Report 2019 – Finland,
https://www.ecoi.net/de/dokument/2028194.html, Zugriff 20.4.2020
- USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Finland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027521.html, Zugriff 21.4.2020
Versorgung
Unterbringung
Asylwerber werden in Finnland in Aufnahmezentren untergebracht, die sich auf das ganze Land verteilen (FIS o.D.g). Das jeweilige Personal kümmert sich um die Bedürfnisse der untergebrachten Asylwerber. Dazu gehören Unterbringung, finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung (inklusive Gesundheitscheck), Übersetzerdienste, Rechtshilfe im Verfahren und allgemeine Beratung (FIS o.D.h; vgl. FRC o.D.).
Mit Stand vom 2.3.2020 gibt es in Finnland – neben privaten Unterkünften - 35 Aufnahmezentren für Erwachsene und Familien mit einer Gesamtaufnahmekapazität von ca. 6.400 Personen und fünf Einheiten für unbegleitete Minderjährige mit einer Kapazität von 97 Personen (FIS 2.3.2020).
Bedürftige Asylwerber erhalten eine Unterbringungszulage zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse, die vom Zentrum in bar oder auf eine Prepaid-Karte ausbezahlt und vom finnischen Staat finanziert wird. Ihre Höhe richtet sich nach dem Familienstand und danach, ob im jeweiligen Aufnahmezentrum Mahlzeiten angeboten werden oder selbst gekocht werden muss:
(FIS o.D.i).
Aufnahmezentren werden von vielen Betreibern wie dem FIS (Finish Immigration Service), den finnischen Gemeinden, verschiedenen Organisationen bzw. Firmen verwaltet. Alle Einrichtungen bieten dieselben Dienstleistungen für die dort betreuten Personen an (FIS o.D.g). Der FIS ist auch für das operative Management, die Planung und die Überwachung der beiden Haftzentren in Metsälä (Helsinki) und Konnunusuo (Joutseno) verantwortlich (FIS o.D.j).
Quellen:
- FIS - Finnish Immigration Service (o.D.g): Living in a reception centre, https://migri.fi/en/living-in-a-reception-centre, Zugriff 21.4.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (o.D.h): Daily life in a reception centre, https://migri.fi/en/daily-life-in-a-reception-centre, Zugriff 14.4.2020
- FIS – Finish Immigration Service (2.3.2020): Reception Units for adults and families in operation on 2.3.2020, https://migri.fi/documents/5202425/6428609/vastaanottokeskusten+kapasiteetti_en.xlsx/b0d7539e-a039-4372-a367-4c997b0c80e1/vastaanottokeskusten+kapasiteetti_en.xlsx.pdf, Zugriff 21.4.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (o.D.i): Reception allowance, https://migri.fi/en/reception-allowance, Zugriff 14.4.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (o.D.j): Detention, https://migri.fi/en/detention, Zugriff 26.11.2019
- FRC – Finnish Red Cross (o.D.): The reception of asylum seekers and refugees, https://www.redcross.fi/node/16512, Zugriff 20.4.2020
Medizinische Versorgung
Erwachsene Asylwerber haben in Finnland Anspruch auf notwendige und dringende medizinische Behandlung. Hierzu zählen auch dringende zahnärztliche Behandlung, psychische Gesundheitsfürsorge, Behandlung von Rauschmittelmissbrauch und psychosoziale Unterstützung. Die Leistungen von Entbindungskliniken sind Teil der medizinischen Grundversorgung. Da Asylwerber nicht über einen dauerhaften persönlichen Identitätscode verfügen, wird der Transfer von Patientendaten zwischen den Versorgungseinheiten erschwert. Je nach Anzahl ihrer Bewohner beschäftigen die Aufnahmezentren Krankenschwestern und Krankenpfleger, die die Gesundheitsdienste der Asylsuchenden koordinieren, Erstuntersuchungen durchführen, akute Fälle behandeln und Gesundheitsinformationsveranstaltungen organisieren. Einige Zentren werden auch von ehrenamtlich tätigen Ärzten, Zahnärzten, Psychologen, psychiatrischen Krankenschwestern und -pflegern sowie von Zahnarzthelfern und Hygienikern besucht. Die finnische Einwanderungsbehörde ist für die Organisation der genannten Dienstleistungen zuständig; sie kontrolliert diese gemeinsam mit dem Nationalen Institut für Gesundheit und Wohlfahrt und übernimmt auch deren Kosten. Minderjährige Asylwerber haben Anspruch auf dieselben medizinischen Leistungen wie finnische Staatsbürger. Sowohl Erwachsene als auch Minderjährige haben Anspruch auf grundlegende Sozialfürsorgeleistungen. Alle Gemeinden müssen garantieren, dass Kindern, Schulkindern und Schwangeren Zugang zu öffentlichen präventiven Gesundheitsdiensten gewährt wird (FIH 11.10.2019).
Abgelehnte Asylwerber sind neben illegalen Migranten die einzige Bevölkerungsgruppe, die kein Anrecht auf Gesundheitsdienstleistungen hat (OECD 2019).
Derzeit wird auf Grundlage der im Rahmen eines EU-geförderten Projekts erfassten Daten zur Beurteilung des Gesundheitszustands und des Bedarfs an Gesundheitsdiensten für Asylsuchende ein System für eine systematische Gesundheitsüberwachung und eine evidenzbasierte Entwicklung von Diensten für Asylsuchende entwickelt. Ein gemeinsames Protokoll für Gesundheitsuntersuchungen wird auch die Praktiken in allen Aufnahmezentren vereinheitlichen (FIH 10.1.2020).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Asylwerber haben das Recht, nach Ablauf von drei Monaten nach Einreichung Ihres Asylantrags eine Erwerbstätigkeit in Finnland aufzunehmen. Voraussetzung ist, dass sie den Behörden ein gültiges Reisedokument vorgelegt haben. Ist dies nicht der Fall, verlängert sich diese Frist auf sechs Monate. Das Recht auf Erwerbstätigkeit besteht bis zu einem rechtskräftigen Entscheid über den Asylantrag. Wenn dem Antrag stattgegeben wird, erhält der Asylwerber eine Aufenthaltserlaubnis, die fast immer auch das Recht auf Arbeit beinhaltet. Wird der Asylantrag abgelehnt, besteht während der Bearbeitung eines allenfalls eingelegten Rechtsmittels das Recht zu arbeiten (FIS o.D.l).
Endet das Asylverfahren negativ, muss der Betreffende das Land in der Regel binnen 30 Tagen verlassen. Tut er das nicht fristgerecht, wird die Polizei die Ausreise erzwingen. Ist dies nicht umsetzbar, obwohl dem Fremden die freiwillige Ausreise sehr wohl möglich wäre, endet nach den 30 Tagen das Recht auf Versorgung (FIS o.D.n).
Quellen:
- FIH – Finnish Institute for Health and Welfare (11.10.2019): Asylum seekers health and services, https://thl.fi/en/web/migration-and-cultural-diversity/good-practices/asylum-seekers-health-and-services, Zugriff 20.4.2020
- FIH - Finnish Institute for Health and Welfare (10.1.2020): Developing the health examination protocol for asylum seekers in Finland: A national development project (TERTTU), https://thl.fi/en/web/thlfi-en/research-and-expertwork/projects-and-programmes/developing-the-health-examination-protocol-for-asylum-seekers-in-finland-a-national-development-project-terttu-, Zugriff 20.4.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (o.D.l): Asylum in Finland. Asylum seekers’s right to work, https://www.infofinland.fi/en/moving-to-finland/non-eu-citizens/coming-to-finland-as-an-asylum-seeker#Turvapaikkapuhuttelu, Zugriff 21.4.2020
- FIS – Finish Immigration Service (o.D.n): Negative decision. Termination of Reception Services, https://migri.fi/en/termination-of-reception-services, Zugriff 27.4.2020
- OECD / European Observatory on Health Systems and Policies (2019): Finland: Country Health Profile 2019, State of Health in the EU, https://www.ecoi.net/en/file/local/2022408/Country-Health-Profile-2019-Finland.pdf, Zugriff 20.4.2020
Zum Corona-Virus wurde festgestellt:
Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ist notorisch:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gab es mit Stand 29.09.2021, 734.864 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 10.748 Todesfälle.
In Finnland wurden zu diesem Zeitpunkt 140.889 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, sowie 1.072 Todesfälle bestätigt (WHO, 29.09.2021, https://covid19.who.int/region/euro/country/at ).
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
Soweit sich das Bundesamt im Bescheid jeweils auf Quellen älteren Datums beziehe, werde angeführt, dass diese – aufgrund der nicht geänderten Verhältnisse in Italien – nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.
Begründend wurde ausgeführt, die Identität der Beschwerdeführer stehe nicht fest.
Es könne nicht festgestellt werden, dass beim Erstbeschwerdeführer schwere psychische Störungen und/oder schwere, ansteckende Krankheiten vorlägen. Der Erstbeschwerdeführer habe angegeben, früher Antidepressiva genommen zu haben und habe bei der BBU in Traiskirchen nach einem Termin bei einem Psychologen gefragt.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe angegeben, nach dem Essen Probleme mit dem Magen und Schmerzen zu haben. Weiters vermute sie Leberschmerzen und Probleme mit dem Herzen, aber das liege laut ihren Angaben in der Familie und sei genetisch bedingt. Diese Angaben habe die Zweitbeschwerdeführerin am 23.09.2021 beim Parteiengehör getätigt. Am 30.09.2021 sei mit der Sanitätsstelle ihrer Unterkunft Rücksprache gehalten worden, welche mitgeteilt hätte, dass die Zweitbeschwerdeführerin dort keine dieser Angaben getätigt hätte. Weiters wäre der Arzt seit der Unterkunftnahme der Zweitbeschwerdeführerin mindestens schon drei Mal im Haus gewesen, diese hätte jedoch nicht nach einem Termin verlangt oder den Arzt aufgesucht. Es dürfe also davon ausgegangen werden, dass sie gesund sei und die gesundheitlichen Probleme nach der Einnahme Metagelan und Laxogol, wie im Parteiengehör angegeben, nicht mehr bestünden. Es könne nicht festgestellt werden, dass im Fall der Zweitbeschwerdeführerin sonstige schwere psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckenden Krankheiten bestünden.
Der Erstbeschwerdeführer habe am 22.04.2018 in Finnland einen Asylantrag gestellt.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe am 08.03.2019 erstmals einen Asylantrag in Finnland gestellt.
Finnland habe sich mit Schreiben vom 30.08.2021 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d Dublin-III-VO für die Führung der Asylverfahren der Beschwerdeführer für zuständig erklärt.
Es liege kein Familienverfahren vor. Die Beschwerdeführer würden als Lebensgefährten gemeinsam in der Betreuungsstelle Steiermark am XXXX leben. Darüber hinaus befänden sich keine weiteren Verwandten in Österreich und könne auch eine besondere Integrationsverfestigung der Beschwerdeführer nicht festgestellt werden.
Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen, betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der Beschwerdeführer ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG sei nicht erschüttert worden und habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.
8. Gegen die Bescheide richten sich von beiden Beschwerdeführern eingebrachten, inhaltlich nahezu identen Beschwerden.
Darin wird insbesondere ausgeführt, die belangte Behörde gehe fälschlicherweise davon aus, dass den Beschwerdeführern in Finnland keine unmenschliche Behandlung drohe. Von den Beschwerdeführern sei im Zuge der Einvernahme am 23.09.2021 bereits unmissverständlich dargelegt worden, dass sie von Seiten der finnischen Behörden bzw. der dortig ansässigen Bevölkerung massive Diskriminierung aufgrund ihres Status als Asylwerber und ihrer staatsrechtlichen Herkunft in Finnland erlebt hätten. Unter anderem sei der Zugang zu einer angemessen medizinischen Behandlung in Finnland verwehrt worden.
Darüber hinaus habe der Erstbeschwerdeführer von den finnischen Behörden trotz anhaltender, ernsthafter psychischer Beschwerden keinen Zugang zu einer adäquaten medizinischen Behandlung erhalten, obwohl diese aufgrund der beschriebenen Beschwerden des Erstbeschwerdeführers – massive psychische Betroffenheit und Verletztheit aufgrund der anhaltenden Diskriminierung seitens der finnländischen Bevölkerung und den ansässigen Behörden – offensichtlich erforderlich bzw. indiziert gewesen wäre. Allein die Verabreichung von Antidepressiva ohne Zugang zu einer vollumfänglichen psychischen Behandlung stelle ausdrücklich keine angemessene medizinische Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar.
Auch die Zweitbeschwerdeführerin habe von den finnischen Behörden trotz anhaltender Beschwerden keinerlei medizinische Behandlung erhalten, obwohl diese aufgrund der detailliert beschriebenen Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin offensichtlich erforderlich bzw. indiziert gewesen wäre. Diesbezüglich werde auch im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass insbesondere abgelehnte Asylwerber kein Anrecht auf Gesundheitsdienstleistungen haben. Es bleibe sohin unverständlich, warum die belangte Behörde davon ausgehe, dass der Zweitbeschwerdeführerin in Finnland eine im Sinne des Art. 3 EMRK angemessene medizinische Behandlung zur Verfügung stehe, wo doch die belangte Behörde selbst das Gegenteil feststelle.
Im Fall einer Abschiebung nach Finnland drohe den Beschwerdeführern Verfolgung durch die angeführten Gruppen und somit eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK. Darüber hinaus befürchten die Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach Finnland, dass sie aufgrund der bei ihrer Rückkehr fehlenden medizinischen Behandlung ihrer Beschwerden in Finnland einen ernsthaften und dauernden gesundheitlichen Schaden davontragen.
Die Beschwerdeführer befürchten auch im Falle ihrer Abschiebung nach Finnland von eben dort sofort und ohne Durchführung eines ordentlichen Verfahrens nach Russland abgeschoben zu werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Erstbeschwerdeführer verließ seinen Herkunftsstaat am 24.04.2018 und gelangte in Finnland in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. Er hielt sich in Finnland von 21.04.2018 bis 01.07.2021 auf und stellte dort am 22.04.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz, der in der Folge abgelehnt wurde. Er verließ in der Folge Finnland, stellte am 22.07.2021 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Frankreich und gelangte am 28.08.2021 nach Österreich, wo er am 28.08.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Zweitbeschwerdeführerin verließ ihren Herkunftsstaat am 06. oder 07.03.2019 und gelangte ebenfalls in Finnland in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten. Sie stelle in Finnland erstmalig am 08.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz, begab sich in der Folge weiter nach Schweden, wo sie am 30.07.2020 einen Asylantrag stellte und im Zuge eines Dublin-Verfahrens nach Finnland rücküberstellt wurde. Am 13.11.2020 stellte sie einen weiteren Asylantrag in Finnland. Auch ihre Asylanträge in Finnland wurden abgelehnt. Sie verließ in der Folge gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer Finnland, stellte am 22.07.2021 in Frankreich einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz und gelangte schließlich am 28.08.2021 nach Österreich, wo sie am selben Tag den gegenständlichen Asylantrag stellte.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 30.08.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin-III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Finnland. Mit Schreiben vom 30.08.2021 stimmten die finnischen Behörden der Aufnahme der Beschwerdeführer gem. Art. 18 Abs. 1 lit. d Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.
Besondere, in der Person der beschwerdeführenden Parteien gelegenen Gründe, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Finnland sprechen, liegen nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedsstaat an.
Die beschwerdeführenden Parteien leiden an keiner akut lebensbedrohenden Krankheit.
Vom Erstbeschwerdeführer wurden keine Erkrankungen angegeben. Er gab lediglich an, früher Antidepressiva genommen zu haben und bei der Untersuchung um einen Termin mit einem Psychologen gebeten zu haben.
Die Zweitbeschwerdeführerin nannte ebenso wenig eine konkrete Erkrankung. Sie gab an, Probleme mit dem Magen zu haben, abführende Pulver einzunehmen und nach dem Essen Schmerzen zu haben. Sie gab an ein schmerzstillendes sowie ein abführendes Medikament einzunehmen. Weiters nannte sie in ihrer Einvernahme Schmerzen in der rechten Seite und ihrer Meinung nach genetisch bedingte Herzbeschwerden.
Von beiden Beschwerdeführern wurden keinerlei ärztliche Unterlagen vorgelegt, ebenso wenig Bestätigungen über einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus.
Die beschwerdeführenden Parteien haben in Österreich keine besonderen privaten oder familiären Bindungen.
Besondere, individuelle Gründe, die für ein Verbleiben der beschwerdeführenden Parteien in Österreich sprechen würden, wurden weder bei den Befragungen, noch in der Beschwerde vorgebracht.
Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Bulgarien.
Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-COV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung so schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 03.11.2021 hat es in Finnland insgesamt 160.000 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 1.173 Todesfälle gegeben.
2. Beweiswürdigung:
Die festgestellten Tatsachen über Herkunft und die Reiseroute der Beschwerdeführer sowie über den Stand ihrer Asylverfahren in Finnland ergeben sich aus dem Verwaltungsakt im Zusammenhang mit den EURODAC-Treffern und den Antwortschreiben der finnischen Behörden.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich ebenfalls aus der Aktenlage. Wie dargelegt wurden von den Beschwerdeführern keinerlei ärztliche Befunde vorgelegt, auch war ein Spitalsaufenthalt ihrerseits bislang nicht erforderlich. Aus ihrem Vorbringen kann im Zusammenhalt mit dem Akteninhalt nicht auf das Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung geschlossen werden. Im übrigen ergibt sich aus den Länderfeststellungen, dass erwachsene Asylwerber in Finnland Anspruch auf notwendige und dringende medizinische Behandlung haben. Von beiden Beschwerdeführern wurde kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren.
Eine die beschwerdeführenden Parteien konkret treffende Bedrohungssituation in Finnland wurde nicht ausreichend substantiiert vorgebracht (siehe dazu die weiteren Ausführungen im Punkt 3).
Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das BFA hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Finnland auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-VO) samt dem jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen.
Aus den nicht in Zweifel gezogenen Feststellungen der angefochtenen Bescheide geht auch hervor, dass Dublin-Rückkehrer in Finnland vollen Zugang zum Asylverfahren und zu entsprechenden Unterstützungsleistungen haben. Ihre Anträge werden – je nach Ausgangslage – entweder neu begonnen oder fortgesetzt. Auch ein Asylfolgeantrag ist möglich. Ebenso ist ein Non-Refoulementschutz gegeben.
Die getroffenen notorischen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus den unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen. Demnach ist nicht zu erkennen, dass sich die Situation in Finnland schlechter darstelle als in Österreich.
Es ist notorisch, dass die Mitgliedstaaten allesamt – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – vom Ausbruch der Pandemie betroffen sind und hier vor großen Herausforderungen im Gesundheitsbereich stehen. Diesbezüglich wurden und werden in den einzelnen Ländern tagesaktuell entsprechende Maßnahmen gesetzt (beispielsweise die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen sowie teilweise die Vornahme von Grenzschließungen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr), welche die Ausbreitung von COVID-19 hintanhalten und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung – seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde – möglichst sicherstellen sollen. Für den hier gegenständlichen Anwendungsbereich der Dublin-III-VO bedeutet dies konkret, dass zahlreiche Mitgliedstaaten die Durchführung von Überstellungen temporär ausgesetzt haben respektive keine sogenannten Dublin-Rückkehrer übernehmen, wobei die Mitgliedstaaten aufgrund der dynamischen Entwicklung der Situation im engen Austausch miteinander stehen, ebenso mit der Europäischen Kommission.
Mittlerweile haben die Mitgliedstaaten, die im regen Austausch miteinander stehen, die Überstellungen von Dublin- Rückkehrern (sowohl „in“ als auch „out“) wieder aufgenommen und sind laut Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die Dublin-Out Überstellungen (wenn auch auf niedrigerem Niveau) seit Mitte Juni 2020 wieder gut angelaufen. Nichtsdestotrotz sind Überstellungen aufgrund der COVID-19 Situation nach wie vor zum Teil Einschränkungen (z.B. Vorlage von COVID-Tests) unterworfen und können Anpassungen rasch notwendig sein. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass die Pandemie noch nicht überstanden ist, es ist aber davon auszugehen, dass etwaig daraus resultierende erneute Überstellungshindernisse jedenfalls in der Maximalfrist der Verordnung (vgl. die in Art. 29 Dublin III-VO geregelte grundsätzliche sechsmonatige Überstellungfrist) überwunden sein werden.
Gegenständlich relevant ist noch, dass die Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Beschwerdeverfahrens Ausführungen hinsichtlich einer Gefährdung im Zusammenhang mit der Covid-Situation in Finnland getroffen haben ; insofern also eine spezifische Verfahrensergänzung hierzu im vorliegenden Eilverfahren nicht erforderlich war; die Einschätzung, dass sich Finnland nicht in einer Art. 3 EMRK-widrigen Ausnahmesituation infolge der Pandemie befindet, wird wie eben erwogen durch das Bundesverwaltungsgericht – auch in seiner sonstigen Rechtsprechung – als notorisch vorausgesetzt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Die gegenständliche Beschwerde ist nach dem 01.01.2014 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden, sodass insgesamt nach der Rechtslage ab diesem Tag vorzugehen ist.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBl I 2013/144).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 i.d.g.F. lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuwiesen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzuhalten, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
…
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
…
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
…
und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
…
3.3. § 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) i.d.g.F. lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war.
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, indem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
3.4. § 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) i.d.g.F. lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4 a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
3.5. Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:
„KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Art. 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
Artikel 18
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wiederaufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mit