TE Bvwg Beschluss 2021/11/11 W240 2247967-1

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Entscheidungsdatum

11.11.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2247967-1/3E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Iran, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2021, Zl. 1280230410/210906581, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein iranischer Staatsangehöriger stellte am 06.07.2021 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Bei der Erstbefragung am 06.07.2021 gab der BF im Wesentlichen an, er sei zwei Monate im Iran gewesen, rund einen Monat in der Türkei und danach rund 15 bis 20 Tage in Italien. Er habe in Italien einen Zettel erhalten, auf dem gestanden habe, er müsse Italien so bald als möglich – spätestens binnen einer Woche – verlassen.

Betreffend den Beschwerdeführer liegt zu Italien eine EURODAC-Treffermeldung vom 14.06.2021 (Kategorie 2, erkennungsdienstliche Behandlung) zu Italien vor.

Das BFA richtete am 21.07.2021 ein auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 22.09.2021 teilten die österreichischen Behörden den italienischen Behörden mit, dass mangels Antwort auf das Aufnahmeersuchen im gegenständlichen Fall Italien zuständiger Mitgliedstaat für das Verfahren des BF ist.

Der BF wurde vom BFA am 06.10.2021 niederschriftlich einvernommen. Er führte als Gründe, die gegen eine Rückkehr nach Italien sprechen, insbesondere aus, dass er in Italien nicht willkommen gewesen sei. Die italienischen Behörden hätten den BF konkret aufgefordert, das Land zu verlassen. Er habe ungefähr zehn Nächte auf der Straße geschlafen, die Polizei habe alles gesehen, habe dem BF und den anderen Personen jedoch nicht geholfen.

Befragt, warum der BF in Italien keinen Asylantrag gestellt habe so wie in Österreich, gab der BF an, er hätte nicht dazu die Möglichkeit gehabt. Es seien ihm die Fingerabdrücke abgenommen worden und dann sei er zum Bahnhof gebracht worden.

Dem BF wurde zur Kenntnis gebracht, dass die italienischen Behörden verpflichtet sind, seinen in Österreich gestellten Antrag auf internationalen Schutz „fortzusetzen“ [sic], der BF gab an, er könne diese Ausweisung vorlegen. Er hätte innerhalb von sieben Tagen Italien verlassen müssen, bei einer Rückkehr könnte es sogar sein, dass er deswegen in Haft genommen werde.

Der BF legte Kopien von zahlreichen Dokumenten in fremder Sprache vor.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.10.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde betreffend den BF insbesondere ausgeführt, der BF habe keine familiären oder privaten Bindungen im Inland. Konkret zu Italien befragt habe der BF zusammenfassend angegeben, nicht zurückkehren zu wollen, da er dort nicht willkommen gewesen wäre. Er hätte die Aufforderung bekommen, Italien wieder zu verlassen. Außerdem hätte er ungefähr zehn Nächte auf der Straße schlafen müssen. Diesbezüglich sei dem BF entgegenzuhalten, dass er in Italien keinen Asylantrag gestellt habe, was seine Kritik, insbesondere hinsichtlich eigener Erfahrungen, am italienischen Asylwesen bereits relativiert. Da der BF auch über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe, sei der BF somit illegal in Italien aufhältig. Der BF habe somit nicht glaubhaft vorgebracht, in Italien Misshandlung, Verfolgung oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. Betreffend Ihre Behauptung, dass der in Italien nicht die Möglichkeit gehabt hätte, einen Asylantrag zu stellen, wurde vom BFA festgehalten, dass es nicht glaubhaft erscheine, warum die italienischen Behörden dem BF beim illegalen Überschreiten der Grenze nach Italien die Fingerabdrücke abnehmen, ihn in weiterer Folge aber eine Asylantragstellung verwehren sollten.

3. In der gegen nunmehr angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde zusammengefasst ausgeführt, eine erkennungsdienstliche Behandlung im Zuge der Asylantragstellung in Österreich habe ergeben, dass der BF bereits in Italien anlässlich seiner Einreise über die Außengrenze erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Am 06.10.2021 sei der BF Opfer eines gewaltsamen Angriffs in seiner Unterkunft geworden. Es sei eine Wegweisung gegen seinen Angreifer ausgesprochen worden, der BF sei am 07.10.2021 von der Polizei als Opfer einvernommen worden und habe am selben Tag eine Benachrichtigung des Gewaltschutzzentrums Kärnten bekommen. Diese Benachrichtigung werde mit der Beschwerde nunmehr übermittelt. Der für § 57 AsylG relevante Vorfall habe sich zwei Wochen vor Bescheiderlassung ereignet. Dem BFA hätte der Vorfall bekannt sein müssen, er sei jedoch nicht im Verfahren berücksichtigt worden, was einen Verfahrensmangel darstelle. Weiters habe der BF in seiner Einvernahme angegeben, dass er in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und dass ihm aufgetragen worden sei, das Land binnen sieben Tagen zu verlassen. Er hätte mehrere Tage auf der Straße verbringen müssen. Neben der unterlassenen amtswegigen Prüfung der Voraussetzungen des § 57 AsylG habe sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit der Rückkehrsituation des BF auseinandergesetzt. Der BF befürchte bei einer Rückkehr in Haft genommen zu werden und dass er in Italien wieder obdachlos sein werde und er daher ernstlich Gefahr laufe, dadurch einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden. Durch die Vornahme der Außerlandesbringung nach Italien würde der Beschwerdeführer in seinem Recht nach Art 2 und Art 3 EMRK verletzt werden. Bei vollständiger Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass sich Österreich im Sinne einer Art. 3 und Art. 8 EMRK konformen Auslegung der Bestimmungen der Dublin-III-VO für vertraglich zuständig zu erklären habe. Beantragt wurde ua., dem BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 zuzusprechen.

Zusammen mit der Beschwerde wurde ein Schreiben des Gewaltschutzzentrums Kärnten adressiert an den BF, datiert mit 07.10.2021, übermittelt. Es wurde darin ausgeführt, die Polizei habe die Verfasser des Schreibens darüber informiert, dass zum Schutz des BF ein Betretungs- und Annährungsverbot ausgesprochen worden sei. Der BF wurde darüber informiert, dass mit Beginn des Betretungs- und Annährungsverbots auch Fristen zu laufen beginnen und es müssten für eine Verlängerung des Betretungsverbotes am Bezirksgericht binnen von 14 Tagen ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt werden, falls der Gefährder nicht woanders untergebracht werde. Bei dieser Antragstellung würde man dem BF behilflich sein. Verwiesen wurde auf die Möglichkeit einer Prozessbegleitung im Gerichtsverfahren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der BF, ein iranischer Staatsangehöriger, gelangte nach Österreich und stelle am 06.07.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Das BFA richtete am 21.07.2021 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 22.09.2021 teilten die österreichischen Behörden den italienischen Behörden mit, dass mangels Antwort auf das Aufnahmeersuchen im gegenständlichen Fall Italien zuständiger Mitgliedstaat für das Verfahren des BF ist.

Der BF wurde vom BFA am 06.10.2021 niederschriftlich einvernommen. Er führte als Gründe, die gegen eine Rückkehr nach Italien sprechen, insbesondere aus, dass er in Italien nicht willkommen gewesen sei. Die italienischen Behörden hätten den BF konkret aufgefordert, das Land zu verlassen. Er habe ungefähr zehn Nächte auf der Straße geschlafen, die Polizei habe alles gesehen, habe dem BF und den anderen Personen jedoch nicht geholfen.

Beantragt wurde in der Beschwerde gegen nunmehr angefochtenen Bescheid ua., dem BF „einen „Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zuzusprechen“ [sic]. Zusammen mit der Beschwerde wurde ein Schreiben des Gewaltschutzzentrums Kärnten adressiert an den BF, datiert mit 07.10.2021, übermittelt. Es wurde darin ausgeführt, die Polizei habe die Verfasser des Schreibens darüber informiert, dass zum Schutz des BF ein Betretungs- und Annährungsverbot ausgesprochen worden sei.

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch das BFA nicht hinreichend festgestellt, weshalb dieser Bescheid zu beheben war.

2. Beweiswürdigung:

Aus dem zusammen mit der Beschwerde übermittelten Schreiben ergibt sich der begründete Verdacht, dass der BF gemäß § 57 Abs. 1 Z. 3 AsylG Opfer von Gewalt wurde. Da in der Beschwerde durch die ausgewiesene Vertretung für den BF ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gem. § 57 AsylG gestellt wurde, weitere Informationen und Unterlagen dem BVwG jedoch nicht vorliegen, steht im gegenständlichen Fall der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht fest. Ob diesem Antrag letztlich stattzugeben sein wird, ist nicht in diesem Verfahren zu beurteilen.

Die im nunmehr angefochtenen Bescheid betreffend den Beschwerdeführer erfolgte Beweiserhebung stellt im gegenständlichen Fall keine hinreichende geeignete Ermittlungstätigkeit dar.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

II.1. Mit 1.1.2014 sind das BVwG (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFAVG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2)      Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3)      Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 57

„Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       

wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.

zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.

wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß
Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

(3) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden.

(4) Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382c EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Dublin III-VO behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

In Kapitel 3 beziehungsweise den Artikeln 7 ff der Dublin III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.

„Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 21 Aufnahmegesuch

lautet auszugsweise:

(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.

(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern.

In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

Art. 22

Antwort auf ein Aufnahmegesuch

lautet auszugsweise:

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs zur Durchführung der gegenständlichen Verfahren ist dem BFA beizupflichten, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit Italiens ergibt.

Es ist zunächst zu prüfen, welcher Mitgliedstaat zur inhaltlichen Prüfung der Asylanträge zuständig ist. Dabei ist eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.06.2012, U462/12). Dies, sofern maßgeblich, unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande sowie vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-155/15, Karim.

Verfahrensgegenständlich ist die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz in materieller Hinsicht in Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO begründet, da der BF aus einem Drittstaat, Libyen, kommend die Seegrenze Italiens illegal überschritten hat. Italien hat der Aufnahme des BF auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO durch Unterlassen der fristgerechten Beantwortung des Aufnahmegesuches, somit durch Verfristung, zugestimmt. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Italiens in der Zwischenzeit erloschen sein könnte, liegen nicht vor.

Auch aus Art. 16 (Abhängige Personen) und Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO (Humanitäre Klausel) ergibt sich keine Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung des Antrages.“

II.2. Im gegenständlichen Verfahren ging das BFA unter der Annahme, dass der BF in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurde sowie aufgrund der Zustimmung Italiens zur Aufnahme des BF aufgrund der Zustimmung der italienischen Behörden durch Verfristung grundsätzlich zu Recht zunächst von der Zuständigkeit Italiens zur Führung des Asylverfahrens des BF beziehungsweise von der diesbezüglichen Unzuständigkeit Österreichs aus. Aufgrund des zusammen mit der Beschwerde vorgelegten Schreibens des Gewaltschutzzentrums Kärnten adressiert an den BF, datiert mit 07.10.2021, stellt sich der zu beurteilende Sachverhalt nunmehr jedoch anders dar.

So steht der entscheidungswesentliche Sachverhalt im gegenständlichen Fall nicht hinreichend fest. Es besteht nunmehr aufgrund des Schreibens des Gewaltschutzzentrums der begründete Verdacht, dass der BF als besonders schutzbedürftiges Opfer nach § 66a StPO einzustufen ist, und in Österreich ein Verfahren anhängig ist, in dem der BF als Opfer und/oder als Zeuge geführt wird.

Es wurde im zusammen mit der Beschwerde übermittelten Schreiben des Gewaltschutzzentrums ausgeführt, die Polizei hätten die Verfasser des Schreibens darüber informiert, dass zum Schutz des BF ein Betretungs- und Annährungsverbot ausgesprochen worden sei. Der BF wurde darüber informiert, dass mit Beginn des Betretungs- und Annährungsverbots auch Fristen zu laufen beginnen und es müssten für eine Verlängerung des Betretungsverbotes am Bezirksgericht binnen von 14 Tagen ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gestellt werden, falls der Gefährder nicht woanders untergebracht werde. Bei dieser Antragstellung würde man dem BF behilflich sein. Verwiesen wurde auf die Möglichkeit einer Prozessbegleitung im Gerichtsverfahren.

Aus dem zusammen mit der Beschwerde übermittelten Schreiben ergibt sich somit der begründete Verdacht, dass der BF gemäß § 57 Abs. 1 Z. 3 AsylG Opfer von Gewalt wurde. Da in der Beschwerde durch die ausgewiesene Vertretung für den BF ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gem. § 57 AsylG gestellt wurde, weitere Informationen und Unterlagen dem BVwG jedoch nicht vorliegen, steht im gegenständlichen Fall der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht hinreichend fest. Ob diesem Antrag letztlich stattzugeben sein wird, ist nicht in diesem Verfahren zu beurteilen.

Insgesamt hatte sich die erstinstanzliche Behörde mit diesem entscheidungswesentlichen Aspekt bei der Beurteilung des Antrages der BF auf internationalen Schutz zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht auseinandergesetzt.

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen ist.

Die BF hat durch seine Vertretung in der Beschwerde einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG gestellt und ist über einen solchen Antrag binnen sechs Wochen zu entscheiden, wobei vor einer allfälligen Erteilung eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion eingeholt werden muss und bis zum Einlangen dieser Stellungnahme der sechswöchige Fristenlauf gehemmt ist. Das Ergebnis über den eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ ist im vorliegenden Fall nach Ansicht des erkennenden Gerichts untrennbar mit der gegenständlich angefochtenen Entscheidung verbunden. Im konkreten Fall wäre der BF daher unter Einbeziehung der vorherigen Erwägungen eine vorangehende Klärung der Frage notwendig, ob dem BF ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG erteilt wird.

Auch wenn gemäß § 58 Abs. 13 AsylG ein Antrag gemäß § 57 AsylG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründet, ist nicht auszuschließen, dass unter Berücksichtigung der zur alten Rechtslage ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur des VwGH (VwSlg 17777 A/2009) ein allgemeines Recht abgeleitet werden kann, die Entscheidung über einen Antrag nach § 57 AsylG im Inland abzuwarten (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, Kommentar (Wien-Graz 2016), § 57 AsylG 2005, K5).

Schließlich ist im gegenständlichen Fall noch darauf hinzuweisen, dass durch den BF Kopien von Unterlagen in fremder Sprache vorgelegt wurden, diesbezüglich wurden keine Übersetzungen der Unterlagen durch das BFA veranlasst und diese Unterlagen in keiner Weise im Rahmen der Entscheidung berücksichtigt bzw. wurde nicht ausgeführt, warum laut Einschätzung des BFA die Berücksichtigung der Kopien der vorgelegten Unterlagen unterblieben ist.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt durch das BFA nicht hinreichend festgestellt, weshalb dieser Bescheid zu beheben war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Kern der getroffenen zurückverweisenden Entscheidung ist die mangelhafte Ermittlung von relevanten Sachverhaltselementen im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens entsprechend den insofern eindeutigen Verfahrensvorschriften durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie die daran anknüpfende Konsequenz des § 21 BFA-VG. Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage sind sohin nicht zu erblicken.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2247967.1.00

Im RIS seit

17.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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