TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/22 W103 2222713-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.11.2021
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Entscheidungsdatum

22.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W103 2222713-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwältin in XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2019, Zl. 751699808/190032036, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.08.2021, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf sechs Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 13.10.2005 infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Asylantrag, welchem im Berufungsverfahren mit rechtskräftigem Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.01.2008, Zahl: 301.380-C1/10E-IX/49/06, stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt wurde. Die Zuerkennung des Status des Asylberechtigen wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer ins Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte geraten sei, da er seinen Neffen und andere tschetschenische Widerstandskämpfer bei sich aufgenommen hätte und somit einem Personenkreis angehöre, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die föderalen Behörden bzw. tschetschenischen Sicherheitskräfte dem Beschwerdeführer – sollte er rückgeführt werden – besondere Aufmerksamkeit widmen würden und er Gefahr liefe, massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu sein.

2. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge mehrfach straffällig (vgl. dazu die Feststellungen).

3. Infolgedessen leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Aktenvermerk vom 10.01.2019 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ein, in welchem am 25.02.2019 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs stattgefunden hat. Der Beschwerdeführer gab im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache zusammengefasst zu Protokoll, seine Muttersprache sei Tschetschenisch, außerdem beherrsche er Russisch und Deutsch. Er sei gesund, nehme jedoch seit 2012 vom Psychologen verordnete Antidepressiva ein. Er sei dazu in der Lage, arbeiten zu gehen, derzeit arbeite er jedoch nicht. Er habe am 01.02.2019 einen Auffrischungskurs zum Schweißer gemacht und sich für eine Anstellung in diesem Beruf beworben. Der Beschwerdeführer sei in Tschetschenien geboren, habe dort elf Jahre lang die Schule besucht, zwei Jahre lang den Wehrdienst geleistet und sei 2005 nach Österreich gekommen. Sein älterer Bruder sowie viele Onkeln und Tanten würden sich noch im Heimatland aufhalten. Im Falle einer Rückkehr habe der Beschwerdeführer Angst vor Kadyrow, sein Asylgrund sei nach wie vor aktuell. Dies wisse er, da dort Chaos herrsche. Sie hätten eine Straße und Krankenhäuser gebaut und wenn die Polizisten zu wenig Geld hätten, würden sie einfach irgendjemanden verhaften. Dies sei bei ihnen immer so gewesen und werde sich auch nicht ändern. Dieses Problem betreffe alle Personen, die sich in Tschetschenien aufhielten. Auf die Frage, ob er auch ein persönliches Problem hätte, wenn er zurückkehren müsste, erklärte der Beschwerdeführer, dass er im Falle einer Abschiebung aus dem Flugzeug springen würde. Auf Wiederholung der Frage, gab der Beschwerdeführer an, er wisse nicht, was dort passiere. Im günstigsten Fall werde er in Moskau vom FSB in Empfang genommen. Außerdem lebe er hier mit seiner Familie, seiner Frau und seinen fünf Kindern. Egal was sei Frau irgendwo sage, das stimme nicht. Der Beschwerdeführer lebe immer zu Hause. Nachgefragt, was seine Frau sagen sollte, erwiderte der Beschwerdeführer, er sei dort nicht gemeldet. Auf die Frage, welche Befürchtungen er im Falle einer Rückkehr in einen anderen Teil seines Heimatlandes hätte, gab der Beschwerdeführer an, da fahre er lieber nach Tschetschenien als nach Russland, da es in Russland noch gefährlicher sei. Für ihn sei es in Russland gefährlich, da man Probleme mit den Behörden bekomme, wenn man in Russland keinen Ausweis hätte. In Österreich habe er eineinhalb Jahre als Schweißer gearbeitet; sonst habe er nichts gemacht. Er habe eine Frau und fünf Kinder im Alter zwischen sieben und neunzehn Jahren in Österreich. Weiters habe er einen Cousin und einen weiteren entfernten Verwandten in Österreich. Sein ältestes Kind mache gegenwärtig Kurse beim BFI, die anderen Kinder gingen alle in die Schule. Seine Frau arbeite nicht. Der Beschwerdeführer sei in keinen Vereinen Mitglied und habe eine Vorstrafe, da er mit seiner Frau gestritten hätte. In Deutschland sei er auch im Gefängnis gewesen, er hätte jedoch niemanden geschleppt. Befragt, weshalb er dann im Gefängnis gewesen wäre, erwiderte der Beschwerdeführe, früher hätte er dies schon gemacht, als er dann festgenommen worden sei, hätte er niemanden geschleppt. Der Beschwerdeführer habe zweimal Menschen geschleppt und sei zweimal erwischt worden. Nach einem Jahr im Gefängnis sei er entlassen worden. Er ersuche um eine Chance, er habe bis zu diesem Fehler nichts gemacht und könne versichern, sich in Zukunft korrekt verhalten zu werden.

Dem Beschwerdeführer wurden sodann die herangezogenen Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht; aus der allgemeinen Lage sowie aus seinen persönlichen Merkmalen – so der Vorhalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl – sei nichts ersichtlich, das auf eine Verfolgung im Sinne der GFK oder eine reale Gefahr für sein Leben oder die Gesundheit schließen ließe. Zudem sei es dem Beschwerdeführer zuzumuten, selbst unter durchaus schwierigen Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung zu suchen und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, zumal er auch durch seine in Russland lebenden Angehörigen unterstützt werden könnte. Hierzu gab der Beschwerdeführer an, er werde dagegen Beschwerde einreichen. Er wolle keine weiteren Angaben erstatten und habe alles umfassend vorbringen können. Nach Rückübersetzung seiner Angaben gab der Beschwerdeführer an, er wolle noch hinzufügen, dass man Probleme bekomme, wenn man nicht für Kadyrow arbeite. Der Beschwerdeführer erklärte sodann, die aufgenommene Niederschrift nicht unterschreiben zu wollen, da es nicht seine Muttersprache sei. Auf Vorhalt, dass er zu Beginn der Befragung bestätigt hätte, mit einer Einvernahme in Russisch einverstanden zu sein, erklärte der Beschwerdeführer, er hätte das eh verstanden, er vertraue auch der Dolmetscherin.

Durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurden sodann die Ausfertigungen der in Deutschland erfolgten Verurteilungen des Beschwerdeführers angefordert.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.07.2019 wurde dem Beschwerdeführer in Spruchteil I. der ihm mit Bescheid vom 21.01.2008 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass diesem die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihm in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und in Spruchpunkt VI. ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zudem wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen (Spruchpunkt VII.).

Zur Entscheidung über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten sowie zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in Österreich straffällig geworden und unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Nötigung und gefährlicher Drohung verurteilt worden. Auch weise er in Deutschland zwei Vorstrafen wegen Einschleusens von Ausländern und vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln auf. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland hätte er keine Gefährdungs- und Bedrohungslage zu befürchten. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation habe dieser nicht glaubhaft machen können. Im Rahmen seiner Einvernahme habe er lediglich davon gesprochen, Angst vor Kadyrow zu haben, ohne diese Aussage weiter zu konkretisieren. Dieser habe auch gemeint, dass die Probleme, welche er haben würde, alle Menschen in Tschetschenien betreffen würden, sodass es sich um keine gegen ihn persönlich gerichtete Gefährdungslage handle. Da Personen, welche vor 2006 gegen das System gearbeitet hätten, amnestiert worden seien, ergebe sich für die Person des Beschwerdeführers keine Gefährdungslage im Heimatland, zumal er bereits vor 2006 ausgereist sei. Insofern habe sich sowohl die subjektive als auch – wie den Länderinformationen zu entnehmen sei – die objektive Lage in seinem Heimatland maßgeblich geändert. Da eben ehemalige Unterstützer keiner Verfolgung ausgesetzt seien, lasse sich eine enorme Verbesserung der Lage im Heimatland feststellen und habe der Beschwerdeführer auch keine Gefährdungslage mehr zu befürchten. Da sich schließlich aus dem Grund, welcher zur Schutzgewährung geführt hätte, keine aktuelle Gefährdungslage im Falle einer Rückkehr ableiten ließe, sei diesem eine Rückkehr zumutbar. Insofern sei ein Endigungsgrund im Sinne der GFK eingetreten. Da der Beschwerdeführer straffällig geworden wäre, sei die in § 7 Abs. 3 AsylG genannte Frist von fünf Jahren nicht zu berücksichtigen.

Dieser könne seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten, würde dort Arbeitsmöglichkeiten finden und hätte noch familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatland. Seitens der Behörde hätten keine exzeptionellen Umstände im Hinblick auf die Russische Föderation festgestellt werden können, die einer in Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK genannten Gefährdung gleichzuhalten wären. Es könne nicht angenommen werden, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. Es lägen keine Hinwiese auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage vor.

Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 hätten sich nicht ergeben.

Der Beschwerdeführer spreche Deutsch, ginge zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung keiner Arbeit nach und lebe laut einem Auszug aus dem ZMR nicht mit seiner Kernfamilie zusammen. Der mit der Rückkehrentscheidung unbestrittener Weise einhergehende Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers sei insofern gerechtfertigt, als bei der Abwägung seiner familiären und privaten Interessen mit jenen der Öffentlichkeit zu Gunsten der Allgeneinheit und zur Sicherung des rechtskonformen Miteinanders zu entscheiden sei, zumal dieser wiederholt wegen unterschiedlicher Straftaten verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer zeige ein negatives Persönlichkeitsbild, eine Fortsetzung seines Aufenthalts stelle eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit dar. Hinsichtlich der Gründe für die Erlassung des Einreiseverbotes wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Nötigung, gefährlicher Drohung sowie Einschleusens von Ausländern und vorsätzlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln rechtskräftig verurteilt worden sei. Aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass er eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, gerechtfertigt sei. Der Beschwerdeführer habe bislang keine Besserungstendenzen gezeigt, zumal er bereits wiederholt rückfällig geworden wäre.

5. Mit am 19.08.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehrige gewillkürte Vertreterin des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei kein der in Art. 1 Abschnitt C der GFK angeführter Endigungsgrund eingetreten. Vielmehr hätten sich die Umstände, aufgrund derer der Beschwerdeführer Asyl erhalten hätte, nicht geändert und es sei dem Beschwerdeführer keinesfalls möglich, sich unter den Schutz seines Heimatlandes zu stellen. Der Beschwerdeführe habe auch versucht, dies während seiner Einvernahme deutlich zu machen, er sei jedoch unzureichend befragt worden. Die belangte Behörde habe zwar allgemeine Feststellungen zum Herkunftsland des Beschwerdeführers getroffen, jedoch keinen ausreichenden Bezug zum Beschwerdeführer und dessen Fluchtgründen hergestellt, sodass letztlich offenbleibe, worin die Verbesserung der Situation im Herkunftsland, die dem Beschwerdeführer eine Rückkehr ermöglichen solle, bestehen würde. Dem Beschwerdeführer komme eine allfällige Amnestie im Jahr 2006 nicht zugute, er habe eine solche auch nicht für sich in Anspruch genommen. Vielmehr sei der Beschwerdeführer bereits aus dem Herkunftsstaat geflohen und hätte in weiterer Folge Asyl in Österreich erhalten. Schon aus diesem Grund habe er im Falle einer Rückkehr mit der umgehenden Verhaftung zu rechnen. Faire, rechtsstaatliche Verfahren seien in dessen Herkunftsstaat nicht zu erwarten. Vielmehr würden völlig unzulässige Mittel wie Misshandlung und Folter zum Einsatz gelangen. Tatsächlich habe sich die Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers weder hinsichtlich seiner Fluchtgründe noch im Allgemeinen verbessert. Im Hinblick auf die Nichtgewährung subsidiären Schutzes ignoriere die belangte Behörde die eigenen Länderfeststellungen; gerade Personen, die in das Herkunftsland zurückkehren, hätten erhebliche Probleme, wirtschaftlich Fuß zu fassen bzw. sich selbst zu versorgen. Der Beschwerdeführer sei kein junger Mann mehr und könne nicht auf die Unterstützung Angehöriger hoffen. Weiters leide er unter einer Depression, die medikamentös behandelt werden müsse, was von der Behörde außer Acht gelassen worden sei. Der Beschwerdeführer sei seit rund vierzehn Jahren durchgehend aufgrund seines Asylantrages bzw. der Gewährung internationalen Schutzes rechtmäßig in Österreich aufhältig. Dessen gesamte Kernfamilie lebe auf Dauer und rechtmäßig in Österreich. Es sei unrichtig, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern nicht im gleichen Haushalt wohne und kein Familienleben führe. Die unterschiedliche Meldeadresse vermöge die Annahme der Behörde, es bestünde kein Familienleben, nicht zu tragen. Weitere Ermittlungen zum Familienleben des Beschwerdeführers habe die belangte Behörde nicht durchgeführt und auch keine sonstigen Feststellungen dazu getroffen. Der Beschwerdeführer habe während seines Aufenthalts in Österreich viele Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen, sei erwerbstätig gewesen, nehme aktiv am sozialen Leben teil, weise hervorragende Deutschkenntnisse auf und sei selbsterhaltungsfähig. Im Herkunftsland habe er keinerlei relevante bzw. enge Bindungen mehr; zu seinem dort lebenden Bruder habe er lediglich gelegentlich telefonischen Kontakt. Der Beschwerdeführer sei zwar strafgerichtlich nicht unbescholten, doch handle es sich bei den Straftaten um keine schwerwiegenden Delikte, die eine besondere Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zur Folge hätten, sondern nur um Vergehen. Der Beschwerdeführer bereue sein Verhalten. Die Behörde habe es verabsäumt, Feststellungen zu den Tatumständen sowie den einzelnen Verurteilungen zu treffen. Vor dem Hintergrund des rund vierzehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalts sowie seiner äußerst engen familiären Bindungen im Bundesgebiet zu den Kindern und der Ehefrau werde deutlich, dass die familiären Interessen des Beschwerdeführers an seinem weiteren Aufenthalt in Österreich allfällige öffentliche Interessen an einer Rückkehrentscheidung jedenfalls überwiegen würden. Eine Rückkehrentscheidung hätte eine dauerhafte Trennung des Beschwerdeführers von seinen Angehörigen zur Folge, welche nicht nur die familiären Interessen des Beschwerdeführers, sondern auch jene der Kinder und der Ehefrau massiv verletzen würde. Der Beschwerdeführer nehme Pflege und Erziehung der Kinder gemeinsam mit der Kindesmutter wahr, sohin bestehe eine enge, vor allem auch emotionale, Bindung der minderjährigen Kinder an ihn, welche nicht über soziale Medien aufrechterhalten werden könne. Hinsichtlich des Einreiseverbotes habe die Behörde lediglich auf die Verurteilung an sich verwiesen, jedoch keine Ausführungen zu Art und Schwere der Straftat sowie dem Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers getroffen, welche für eine gesetzeskonforme Gefährdungsprognose jedoch unabdingbar seien. Tatsächlich sei für den Beschwerdeführer trotz seines Fehlverhaltens eine günstige Prognose zu treffen. Dieser habe sich zur Tat hinreißen lassen und sei festen Willens, die Rechtsordnung künftig einzuhalten. Von ihm ginge sohin keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in Österreich aus. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 23.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Schreiben vom 18.12.2019 übermittelte der BF div. Unterlagen (A2 und B1 Deutschzeugnise aus dem Jahre 2008 bzw. 2012, einen Versicherungsdatenauszug aus dem hervorgeht, dass es seit 08.06.2019 Notstandshilfe bezieht, sowie Schulbesuchsbestätigungen der Kinder, sowie div. Kursbesuchsbestätigungen über eine Ausbildung als Schweißer).

8. Mit Erkenntnis vom 07.02.2020, XXXX wies das Bundesverwaltungsgericht die gegenständlich erhobene Beschwerde ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 10 Abs. 1 Z 4, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9, 55 FPG 2005 idgF als unbegründet ab, gab ihr jedoch insofern statt, als das die Dauer Einreiseverbots gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 auf 6 Jahre herabgesetzt wurde.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht (mehr) festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation unverändert aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Der Beschwerdeführer sei im Zeitraum des zweiten Tschetschenienkrieges aufgrund der Beherbergung dreier tschetschenischer Rebellen ins Blickfeld prorussischer Sicherheitskräfte geraten, habe im nunmehrigen Verfahren jedoch keinen Hinweis dafür aufgezeigt, weshalb er im Falle einer nunmehrigen Rückkehr rund vierzehn Jahre später unverändert einer behördlichen Verfolgung auf dem gesamten Staatsgebiet unterliegen sollte. Nicht ersichtlich sei außerdem, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der Beschwerdeführer leide an einer Depression und benötige diesbezüglich Medikamente. Die erforderliche medizinische Behandlung stünde jedoch auch in der Russischen Föderation zur Verfügung.

9. Der dagegen erhobenen ao. Revision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 16.02.2021, XXXX , stattgegeben und das angefochtene Erkenntnis vom 07.02.2020, XXXX , wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend wurde darin zusammenfassend ausgeführt, dass der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides beschwerdeseitig nicht nur unsubstantiiert entgegengetreten worden sei. Der BF habe vorgebracht, er sei entgegen der Annahmen des BFA nicht arbeitsfähig, sondern leide an einer Depression, die unbehandelt dazu führe, dass der BF nicht in der Lage sei, sich um seine eigenen Belange zu kümmern. Er würde daher in Hinblick auf die prekäre wirtschaftliche Lage und die fehlende Unterstützung durch Angehörige, in eine Notlage geraten. Zwar habe sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis mit diesem Vorbringen auseinandergesetzt, als es ausgeführt habe, dass schon aufgrund des Ablaufes von mehr als 14 Jahren seit den die Fluchtauslösenden Ereignissen keine Gefahr einer Verfolgung mehr für den Revisionswerber bestehe und die für die Depression des Revisionswerbers erforderliche medizinische Behandlung auch im Herkunftsstaat zur Verfügung stehe. Diese ergänzenden beweiswürdigenden Erwägungen hätten jedoch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorausgesetzt, weshalb das angefochtene Erkenntnis schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben gewesen sei.

10. Am 17.03.2021 langte der Verwaltungsakt erneut nach Rückübermittlung des VwGH beim BVwG ein.

11. Am 23.08.2021 fand daher eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt (siehe OZ 23Z).

12. Mit Schriftsatz vom 30.08.2021 führte der BF durch seine gewillkürte Vertreterin aus, dass er seit dem Jahr 2012 bei Dr. Werner, einer FA für Psychiatrie und Neurologie, sowie Psychotherapeutin in Behandlung sei. Beim BF sei eine posttraumatische Belastungsstörung bei komplexer Traumatisierung diagnostiziert worden und werde er mit antidepressiver Medikation und therapeutischen Gesprächen behandelt. Konkret erhalte der BF die Medikamente Paroxetin, Trittico retard und Pregabalin. Nach dem aktuellen Länderinformationsblatt stünden diese Medikamente (mit Ausnahme von Paroxetin) im Herkunftsland des Beschwerdeführers nicht zur Verfügung. Es seien auch keine vergleichbaren Medikamente verfügbar. Eine Gesprächstherapie stünde ihm dort ebenfalls nicht offen. Die psychische Erkrankung berge einen enormen Leidensdruck für den Beschwerdeführer, der unter massiven Schlafstörungen, Angstzuständen bzw. frei flottierender Angst und Impulsdurchbrüchen sowie depressiven Verstimmungszuständen leide, was es ihm auch erschwere, einer laufenden Erwerbstätigkeit nachzugehen. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsland nach wie vor asylrelevante Verfolgung zu befürchten habe, drohe ihm aufgrund seiner psychischen Erkrankung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art 3 EMRK. Nicht nur, dass im Herkunftsland keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten vorhanden seien und Gesprächstherapien nicht angeboten würden, könnte er sich dort aufgrund seiner Erkrankung auch nicht selbst erhalten. Der BF wäre nicht in der Lage, sich seine Lebensgrundlage zu sichern. Hinzu kämen noch die äußerst ausgeprägten familiären Bindungen in Österreich, vor allem zu den rechtmäßig aufhältigen Kindern. Dem Beschwerdeführer käme gemeinsam mit der Ehefrau die Obsorge für die mj Kinder zu. Zwei der Kinder (Chalid und Jasmina), würden künftig beim Beschwerdeführer leben wollen und nicht mehr bei der Mutter.

Persönlicher und direkter Kontakt zum Beschwerdeführer, wäre nicht mehr möglich, hielte sich der Beschwerdeführer wieder im Herkunftsland auf. Aufgrund ihres Asylstatus könnten die Kinder ihn dort nicht besuchen. Eine Trennung vom Beschwerdeführer schade, insbesondere bei seinen jüngeren Kindern, dem Kindeswohl, wobei zu beachten sei, dass die Kinder ohnehin schon durch die Fluchtgeschichte der Familie belastet seien. Der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung seine Reue hinsichtlich seines strafgerichtlichen Fehlverhaltens zum Ausdruck gebracht. Er habe in den letzten 4 Jahren auch gezeigt, dass von ihm kein strafbares Verhalten mehr zu erwarten sei. Die Verurteilungen wegen gefährlicher Drohung und Körperverletzung bzw. Widerstand gegen die Staatsgewalt seien im Zusammenhang mit der früheren Ehe gestanden. Mittlerweile sei diese Ehe jedoch beendet und habe sich die Situation daher beruhigt. Vor diesem Hintergrund könne eine positive Zukunftsprognose für den Beschwerdeführer getroffen werden. Eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot sei nicht notwendig, um die in Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zu schützen, sondern erweise sich als unverhältnismäßiger Eingriff in das in Österreich bestehende Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers. Er sei seit 2005, somit seit rund 16 Jahren, in Österreich aufhältig, habe sehr gute Deutschkenntnisse erworben (B1) und sich beruflich fortgebildet. Allein aufgrund seiner Erkrankung sei er nicht in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Es bestünden hingegen keine nennenswerten Bindungen zum Herkunftsland mehr, wo der Beschwerdeführer sich auch seit 16 Jahren nicht mehr aufgehalten habe.

13. Mit Schreiben vom 14.09.2021 wurde der Rechtsvertreterin des BF zwei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 06.07.2021 bzw. vom 17.06.2020 zur Stellungnahme übermittelt, aus denen hervorgeht, dass die Medikamente Lyrica (Pregabalin) bzw. Trittico bzw. entsprechende Generika in der Russischen Föderation vorhanden sind.

14. Mit Schriftsatz vom 20.09.2021 brachte der BF durch seine rechtsfreundliche Vertreterin vor, dass die Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 6.7.2018 und 17.6.2020 sind nicht aktuell genug seien, um einer Entscheidung zugrunde gelegt zu werden. Beide Anfragebeantwortungen seien im Übrigen äußerst allgemein gehalten und gingen nicht auf die konkreten Fragestellungen ein, es bleibe insbesondere offen, was im Fall von Tschetschenen gelte, die zurückkehren und im Herkunftsland keinerlei familiäre oder sonstige Unterstützung, geschweige denn einen Arbeitsplatz oder eine Unterkunft bzw. Krankenversicherung hätten. Selbst wenn abstrakt bestimmte Behandlungsmöglichkeiten bestünden, ergebe sich aus den Anfragebeantwortungen in keiner Weise, dass diese dem Beschwerdeführer in concreto offenstünden, für ihn zugänglich bzw. leistbar seien. Die benötigen Therapien und Medikamente stünden dem BF im Herkunftsland nicht zur Verfügung. Darüber hinaus ergebe sich aus der beiliegenden ärztlichen Stellungnahme von Dr.in XXXX , der behandelnden Ärztin des Beschwerdeführers, dass eine Rückkehr in das Herkunftsland zu einer Retraumatisierung führen würde, (im Gutachten vom 27.08.2021 wurde von der Gefahr einer Retraumatisierung noch nichts angeführt).

Es sei somit nicht nur entscheidungserheblich, inwieweit dem Beschwerdeführer die benötigten Medikamente und Therapien im Herkunftsland tatsächlich zur Verfügung stünden bzw. zugänglich seinen, sondern auch, dass schon die Rückkehr an sich zu einer massiven Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch die Retraumatisierung führen würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, welcher der tschetschenischen Volksgruppe angehört und sich zum muslimischen Glauben bekennt. Der Beschwerdeführer stellte infolge illegaler Einreise am 13.10.2005 einen Asylantrag, dem mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 21.01.2008 im Berufungsverfahren stattgegeben wurde, wobei dem Beschwerdeführer gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl in Österreich gewährt wurde.

Als den für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten – neben Ausführungen zur allgemein relevanten Lage in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien – maßgebenden Sachverhalt stelle der Unabhängige Bundesasylsenat im Wesentlichen fest, ein Neffe des Beschwerdeführers sei während des zweiten Tschetschenienkrieges aktiver Widerstandeskämpfer gewesen. Im September 2005 habe der Beschwerdeführer seinen Neffen und zwei weitere Widerstandskämpfer im benachbarten Haus seines Bruders, der in Norwegen leben würde, übernachten lassen. Bei Tagesanbruch seien russische Sicherheitskräfte gekommen, welche den Neffen und die beiden anderen tschetschenischen Widerstandskämpfer verhaftet hätten. Der Beschwerdeführer sei daraufhin zu seiner Schwester geflüchtet, welche ebenfalls in der Heimatstadt des Beschwerdeführers gelebt hätte. Am nächsten Tag seien russische Sicherheitskräfte zum Haus des Beschwerdeführers gekommen, hätten dieses durchsucht und die Ehefrau des Beschwerdeführers nach dessen Aufenthalt verhört. Noch am selben Tag sei der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie geflüchtet. Nach seiner Flucht hätten russische Sicherheitskräfte noch den in Tschetschenien wohnenden Bruder zu dessen Aufenthalt verhört. In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei ins Blickfeld der russischen Sicherheitskräfte gelangt, da er seinen Neffen und andere tschetschenische Widerstandskämpfer bei sich aufgenommen hätte und somit einem Personenkreis angehört hätte, dem ein Naheverhältnis zu tschetschenischen Separatisten unterstellt werde und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen besonders betroffen sei. Aus diesem Grund sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die föderalen Behörden bzw. tschetschenischen Sicherheitskräfte dem Beschwerdeführer besondere Aufmerksamkeit widmen würden und er Gefahr liefe, massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden. Zusammenfassend ergebe sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, einerseits wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familienzugehörigkeit zu Personen, die mit dem tschetschenischen Widerstand assoziiert werden) und andererseits wegen einer an ethnische Gesichtspunkte anknüpfenden Unterstellung einer den pro-russischen Kräften gegenüber feindlichen politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation aufhalte.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation unverändert aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, zudem beherrscht er Russisch. Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und befindet sich seit dem Jahr 2012 bei Dr. Werner, einer Psychiaterin und Psychotherapeutin in Behandlung. Er nimmt die Medikamente Paroxetin, Trittico retard, sowie Pregabalin und besucht regelmäßige Gesprächstherapie. Lt. Dr. Werner habe der BF im Rahmen eines Selbstversuches THC geraucht und behaupte nun eine völlige Abstinenz, bedauerlicherweise liege diesbezüglich jedoch kein Harnbefund vor. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Im Herkunftsstaat halten sich unverändert ein Bruder sowie mehrere Onkel und Tanten des Beschwerdeführers auf.

1.3. Der Beschwerdeführer weist die folgenden strafgerichtlichen Verurteilungen auf:

1.       Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 83 Abs. 1, 15 StGB, § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurde, verurteilt.

2.       Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX (Deutschland) vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer nach den einschlägigen deutschen Rechtsnormen wegen Einschleusens von Ausländerin in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt.

3.       Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX (rechtskräftig seit XXXX ), Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall, 105 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vierzehn Monaten verurteilt, welche ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe bedingt nachgesehen wurde.

4.       Mit Urteil des Amtsgerichts XXXX (Deutschland) vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Einschleusens von Ausländern in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Im Zuge der Strafzumessung wurde erwogen, dass das Vorleben des Beschwerdeführers, sein strafrechtlicher Werdegang, die Tatumstände und seine aktuelle Lebenssituation bei einer Gesamtbewertung keine günstige Sozialprognose mehr rechtfertigen können. Dessen Vorleben sei geprägt durch einschlägige Delinquenz, hohe Rückfallgeschwindigkeit und Bewährungsversagen. Aus dieser Uneinsichtigkeit schließe das Gericht auf gewichtige Persönlichkeitsmängel und eine Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung, aus der sich die Gefahr künftiger Rechtsbrüche ergebe. Besondere Umstände, die eine günstige Zukunftserwartung rechtfertigen könnten, seien nicht gegeben.

Gemäß § 73 StGB stehen ausländische Verurteilungen den inländischen gleich.

Zuletzt wurde der BF am 11.11.2020 im Zuge einer Personenkontrolle mit einem Säckchen, beinhaltend 1 Gramm brutto Cannabiskraut angetroffen. Es wurde Anzeige an die STA Wien erstattet.

Ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen, zumal anhand seines bisherigen Verhaltens die Gefahr einer neuerlichen Straffälligkeit zu prognostizieren ist.

1.4. Der Beschwerdeführer hat sich während seines rund sechszehnjährigen Aufenthalts Deutschkenntnisse angeeignet und einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Im Bundesgebiet leben seine geschiedene Ehefrau und die fünf gemeinsamen, ebenfalls in Österreich asylberechtigten zwischen 1999 und 2012 geborenen, Kinder. Der Beschwerdeführer lebt von seiner Ehefrau getrennt. Er und seine Familienangehörigen weisen keine Wohnsitzmeldung an der gleichen Anschrift auf. Der BF ist aktuell in Wien gemeldet, seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder in Neunkirchen. Der Beschwerdeführer ist aktuell nicht selbsterhaltungsfähig und ging während seines Aufenthalts lediglich rund eineinhalb Jahre einer Erwerbstätigkeit als Schweißer nach. Den weit überwiegenden Teil seiner Aufenthaltsdauer hat er durch den Bezug staatlicher Sozialleistungen (Notstandshilfe, Arbeitslosengeldbezug) bestritten. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt und ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen.

Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

„Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

[…]

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2020). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

[…]

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

[…]

Nordkaukasus

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020). […]

Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot 20.2.2021).

[…]

Rechtsschutz/Justiz

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020)

Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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