Entscheidungsdatum
23.11.2021Norm
ASVG §101Spruch
W178 2245284-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr.in Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 25.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 25.05.2021 wies die Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) den Antrag der Beschwerdeführerin vom 20.05.2021 auf Zuerkennung der Invaliditätspension zurück.
Begründend führte die PVA an, dass der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.10.2019 gem. § 255 Abs. 7 und § 254 ASVG mit Bescheid vom 09.01.2020 rechtskräftig abgelehnt worden sei, da die erforderliche Mindestanzahl von 120 Beitragsmonaten nicht vorgelegen sei. Das aufgrund ihres Antrags vom 20.05.2021 auf Zuerkennung einer Invaliditätspension eingeleitete Verfahren habe ergeben, dass dieser Antrag eine entschiedene Sache zum Gegenstand habe. Es sei weder eine Änderung in den für die Beurteilung maßgeblichen Umständen noch in der maßgebenden Rechtslage eingetreten. Einer neuerlichen Sachentscheidung stehe daher die Rechtskraft des Bescheides vom 09.01.2020 entgegen.
2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und ersuchte um Aufhebung des Bescheides, da sich dieser auf Umstände beziehe, die ihres Erachtens rechtswidrig angewandt worden seien. Gegen den Bescheid vom 09.01.2020 habe sie in Unwissenheit dessen, was § 255 Abs. 7 ASVG aussage, keine Klage eingebracht. Nach nunmehriger ausführlicher Aufklärung, fordere sie die PVA mit separatem Schreiben dazu auf den Ablehnungsbescheid hinsichtlich des Ausspruchs „Ablehnung nach §§255 Abs. 7 und 254“ erneut zu überprüfen. Wie aus dem beiliegenden Dienstvertrag der Firma XXXX vom 02.04.2018 ersichtlich sei, sei sie dort ab dem 02.04.2018 in einem „regulärem“ Dienstverhältnis gestanden. Es habe sich nicht um einen „geschützten Arbeitsplatz“ gehandelt. Beim erstmaligen Eintritt in die Vollversicherung nach dem ASVG habe somit kein „besonderes Entgegenkommen“ des Dienstgebers bestanden. Aus diesem Grund sei in ihrem Fall § 255 Abs. 7 ASVG nicht anzuwenden. Sofern die PVA in ihrem Überprüfungsverfahren diesen neuen Sachverhalt bestätige, könne der seinerzeitige Ablehnungsbescheid in Anwendung des § 101 ASVG berichtigt werden und die Beschwerde wäre in diesem Fall hinfällig.
In ihrem der Beschwerde angeschlossenen Schreiben vom selben Tag wiederholte sie das Vorbringen der Beschwerde und nahm ebenfalls auf § 101 ASVG Bezug.
3. Die PVA legte die Beschwerde samt der diesbezüglichen Unterlagen aus dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und führte in einer ergänzenden Stellungnahme aus, dass die PVA in der ursprünglichen Entscheidung davon ausgegangen sei, dass die Beschwerdeführerin am 02.04.2018 erstmals ein vollversichertes Dienstverhältnis aufgenommen habe und dieses am 16.07.2019 geendet habe, wobei jedoch bereits ab dem 01.05.2019 ein Ruhen des Krankengeldes wegen vollem Entgelt aktenkundig gewesen sei. Dem Versicherungsverlauf seien insgesamt 16 Beitragsmonate zu entnehmen, wobei dies ab Mai 2017 allein auf Entgeltfortzahlung beruhe. Die Beschwerdeführerin habe eine Tätigkeit als Reinigungskraft ausgeübt. Im Folgenden gab die PVA die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin und die Ergebnisse des psychiatrischen Gutachtens vom 25.11.2019 wieder, wonach der Beschwerdeführerin aufgrund der fehlenden Ausdauer, mangelnder Konzentration und geringer psychischer Belastbarkeit regelmäßige Tätigkeiten nicht zumutbar seien. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin mit der Behinderung in das erste Dienstverhältnis eingetreten sei, habe die Gutachterin offengelassen. Von der Oberbegutachtung der PVA sei jedoch entschieden worden, dass der Zustand bereits vor dem Eintritt ins Erwerbsleben bestanden habe. Für die Anwendung des § 255 Abs. 3 ASVG sei erforderlich, dass ursprünglich eine Arbeitsfähigkeit bestanden habe, diese aber soweit herabgesunken sei, dass keine Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt mehr vorliege. Dies sei von der Antragstellerin zu beweisen. Gem. § 255 Abs. 7 ASVG sei vom Vorliegen des Herabsinkens der Arbeitsfähigkeit nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Versicherungswerberin trotz ihrer Krankheit, Gebrechen oder Schwäche mindestens 120 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben habe. Da bloß 16 Beitragsmonate vorgelegen seien und die Voraussetzung einer ursprünglichen Arbeitsfähigkeit vor dem Eintritt ins Erwerbsleben zu verneinen gewesen sei, sei der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung einer Invaliditätspension mit Bescheid vom 09.01.2020 abgelehnt worden. Dieser Bescheid sei rechtskräftig geworden. Am 20.05.2021 sei ein neuerlicher Antrag auf Invaliditätspension eingelangt und zwar unter Verwendung des von der PVA zur Verfügung gestellten Formulars. Dem Antrag seien ein Befund und ein Entlassungsbericht angefügt worden. Seit Erlassung des Bescheides vom 09.01.2020 sei keine weitere pflichtversicherte Tätigkeit aufgenommen worden, sondern ausschließlich Krankengeld- und Arbeitslosenbezugszeiten hinzugetreten. Es sei bereits rechtskräftig festgestellt worden, dass mangels Herabsinken der Erwerbsfähigkeit kein Anspruch auf Invaliditätspension bestehe. Eine Änderung komme nur dann in Frage, wenn die Beschwerdeführerin trotz ihres Geisteszustandes insgesamt 120 Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit erwerbe oder sich ihr Gesundheitszustand zuerst verbessere, dass sie wieder erwerbsfähig werde, sie eine Erwerbstätigkeit ausübe und danach der Gesundheitszustand wieder bis zur Invalidität herabsinke. Da nur 16 Beitragsmonate vorlägen und sie keine weitere pflichtversicherte Tätigkeit aufgenommen habe, komme keine der beiden Konstellationen in Betracht. Der Antrag war daher wegen entschiedener Rechtssache gem. § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen, da sich keine wesentliche Änderung ergeben habe. Die Zurückweisung könnte theoretisch dennoch zu Unrecht erfolgt sein, wenn man das Anbringen als Antrag auf rückwirkende Abänderung des Bescheides – Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 69 AVG oder auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes gem. § 101 ASVG – werten hätte müssen. Es gebe jedoch keine Hinweise darauf, weil das übliche Formular verwendet worden sei. Zudem liege auch kein Wiederaufnahmetatbestand vor, da die vorgelegten Unterlagen bestenfalls geeignet seien, eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen, was jedoch nicht verfahrensgegenständlich sei. Die Dienstzettel seien der Beschwerdeführerin schon vorher vorgelegen und davon abgesehen sei die PVA nicht davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen geschützten Arbeitsplatz gehandelt habe. Vielmehr sei die Erwerbstätigkeit der PVA bekannt gewesen und die eindeutigen medizinischen Befunde hätten zur Einschätzung geführt, dass bereits ursprünglich Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Die Vorlage des Dienstvertrages hätte damals zu keinem anderen Ergebnis geführt. Zu prüfen sei weiters, ob der Antrag vom 20.05.2021 als Antrag iSd § 101 ASVG gewertet hätte müssen. Nach Wiedergabe der entsprechenden Gesetzesbestimmung und der dazu ergangenen Judikatur, wird ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin ausschließlich geltend mache, dass die Einschätzung, dass ursprünglich bereits Arbeitsunfähigkeit bestanden habe, unrichtig sei. Dabei handle es sich aber um eine Sachverständigenfrage, die einer Abänderung gemäß § 101 ASVG nur im absoluten Ausnahmefall zugänglich sei. Daraus folge, dass kein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt vorliege, vielmehr handle es sich um Einschätzungsunterschiede, weshalb keine Abänderung gem. § 101 ASVG vorgenommen werden könne.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Mit Bescheid vom 09.01.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.10.2019 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung abgelehnt, dass sie nicht die gem. § 255 Abs. 7 ASVG erforderlichen Mindestanzahl von 120 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit erworben habe.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin keine Rechtsmittel, sodass dieser in Rechtskraft erwuchs.
Am 20.05.2021 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Invaliditätspension unter Verwendung des von der PVA zur Verfügung gestellten Formulars. Dem Antrag schloss die Beschwerdeführerin einen ärztlichen Befundbericht vom 23.03.2021 und einen ärztlichen Entlassungsbrief vom 11.02.2021 an.
Die PVA wies diesen Antrag mit dem angefochtenen Bescheid unter Bezugnahme auf § 68 AVG zurück.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem vorgelegten Verwaltungsakt in Zusammenschau mit der Beschwerde und der der Vorlage angeschlossenen Stellungnahme der PVA und ist soweit entscheidungserheblich unstrittig.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung des Bescheides
3.1. Rechtsgrundlagen
War der Versicherte nicht überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen im Sinne der Abs. 1 und 2 tätig, gilt er gemäß § 255 Abs. 3 ASVG als invalid, wenn er infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihm unter billiger Berücksichtigung der von ihm ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.
Als invalid im Sinne der Abs. 1 bis 4 gilt der (die) Versicherte gemäß § 255 Abs. 7 ASVG auch dann, wenn er (sie) bereits vor der erstmaligen Aufnahme einer die Pflichtversicherung begründenden Beschäftigung infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen, dennoch aber mindestens 120 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz erworben hat.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
3.2. Daraus folgt für die vorliegende Beschwerde
Die belangte Behörde wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Invaliditätspension unter Bezugnahme auf § 68 Abs. 1 AVG zurück.
Die Beschwerdeführerin brachte diesbezüglich vor, dass § 255 Abs. 7 ASVG zu Unrecht angewandt worden sei, vielmehr wäre § 255 Abs. 3 ASVG anzuwenden gewesen. Zudem machte die Beschwerdeführerin geltend, dass der Bescheid vom 09.01.2020 in Anwendung des § 101 ASVG zu berichtigen wäre.
Die Auffassung, dass ein Antrag auf Witwenpension [Anm.: im vorliegenden Fall Invaliditätspension] nicht erneut gestellt werden kann, wenn der seinerzeitige Antrag abgewiesen wurde und dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist, trifft grundsätzlich zu. Davon ist in § 101 ASVG nur für den Fall eine Ausnahme vorgesehen, dass der seinerzeitige Bescheid auf einem wesentlichen Tatsachenirrtum oder einem offenkundigen Versehen – worunter auch ein offenkundiger Rechtsirrtum zu verstehen ist – beruht hätte. (vgl. VwGH 22.02.2012, 2012/08/0028)
Es ist Zweck des § 101 ASVG, dass mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Versicherungsleistung der den wirklichen Verhältnissen entsprechende Zustand hergestellt werden soll. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Herstellung des gesetzlichen Zustandes jederzeit ungehemmt durch formelle Bedenken, daher auch ohne die strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmsverfahrens nach § 69 AVG möglich sein soll. (21.12.2005, 2002/08/0281)
Die PVA wies den Antrag der Beschwerdeführerin vom 20.05.2021 lediglich unter Bezugnahme auf § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache ab. Ein Abspruch über § 101 ASVG bzw. zumindest eine Erörterung der Anwendbarkeit des § 101 ASVG in der Bescheidbegründung erfolgte jedoch nicht.
Dies begründete die belangte Behörde damit, dass sie den Antrag vom 20.05.2021 nicht als Antrag gem. § 101 ASVG gewertet habe. Allerdings folgt daraufhin in der Stellungnahme zur Vorlage eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob einem solchen Antrag stattzugeben wäre. Dies lässt erkennen, dass auch die belangte Behörde nicht ausgeschlossen hat, dass ein Antrag gem. § 101 ASVG gestellt wurde, und diesbezüglich wohl Grund zu Zweifeln bestanden hat. Bei entsprechenden Zweifeln bezüglich des Anbringens wäre die Behörde jedoch verpflichtet gewesen, diese durch entsprechende Nachfrage zu eruieren. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Es darf im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. (s. zuletzt VwGH 26.03.2021, Ra 2020/03/0149, mwN)
Auch das Beschwerdevorbringen, in dem ausdrücklich auf § 101 ASVG Bezug genommen wird, legt nahe, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Antrag vom 20.05.2021 einen Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes bezweckt hat.
Sache des Verfahrens war somit die Frage, ob die Voraussetzungen des § 101 ASVG vorliegen.
Die Entscheidung, ob der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (VwGH 12.09.2012, 2009/08/0090).
Voraussetzung für die Herstellung des gesetzlichen Zustands ist ein durch rechtskräftigen Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren betreffend eine Geldleistung, gegen den keine Klage erhoben wurde (vgl. VwGH 12.09.2012, 2012/08/0189; Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 101 ASVG (Stand 1.8.2015, rdb.at) RZ 4).
Ein solcher rechtskräftiger Bescheid über eine Geldleistung liegt mit dem Bescheid vom 09.01.2020 unstrittig vor.
Zu den weiteren Voraussetzungen des § 101 ASVG ist anzuführen, dass ein Irrtum über den Sachverhalt nur dann vorliegt, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Einen Tatsachenirrtum in diesem Sinn könnte etwa eine unrichtige Befundaufnahme durch einen Sachverständigen – etwa das Übersehen eines konkreten Leidenszustandes – darstellen. (vgl. VwGH 13.09.2017, Ra 2016/08/0174, mwN)
In der Außerachtlassung einer gesicherten Erkenntnis des Faches durch einen Sachverständigen könnte ein offenkundiges Versehen liegen. § 101 ASVG bietet aber keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich – insbesondere auch die Beweiswürdigung – im Nachhinein neuerlich aufzurollen. (vgl. VwGH 13.09.2017, Ra 2016/08/0174, mwN)
Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid vom 09.01.2020 keinen konkreten Sachverhalt festgestellt, sowie auch nicht angegeben, auf welche Beweismittel sie sich stützt und wie sie diese in einer Beweiswürdigung wertet. Es wurde lediglich die rechtliche Würdigung vorgenommen. Die Beurteilung, ob ein wesentlicher Irrtum in den Sachverhaltsfeststellungen bzw. ein offenkundiges Versehen vorliegt, erweist sich daher als schwierig.
Diese Frage wird aber wohl – im Sinne der Stellungnahme der belangten Behörde vom 11.08.2021 – unter Heranziehung der dem Bescheid über den Anspruch auf Invalidiätspension zugrundeliegenden Beweismittel und Sachverhaltsannahmen, die zur Ablehnung der Waisenpension geführt haben, zu prüfen sein.
Die Nachholung der Beurteilung nach § 101 ASVG in Form der Stellungnahme zur Beschwerde ersetzt nicht eine rechtskonforme Entscheidung in der Sache "Wiederherstellung des gesetzlichen Zustandes". Vielmehr bedarf es einer bescheidmäßigen Absprache über einen solchen Antrag (vgl. Fellinger in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 101 ASVG (Stand 1.8.2015, rdb.at) RZ 8).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Die mündliche Verhandlung konnte deshalb gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich zudem auf eine klare Rechtslage stützen (vgl. VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).
Schlagworte
entschiedene Sache geänderte Verhältnisse Invaliditätspension IrrtumEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W178.2245284.1.00Im RIS seit
17.01.2022Zuletzt aktualisiert am
17.01.2022