Entscheidungsdatum
24.11.2021Norm
AsylG 2005 §4aSpruch
W240 2246206-1/4E
BeschlusS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Feichter über die Beschwerde von XXXX XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.08.2021,
Zl. 1274527008/210199648, beschlossen:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführerin (auch BF), eine somalische Staatsangehörige, wurde am 10.02.2021 nach unrechtmäßiger Einreise festgenommen und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.
Laut dem vorliegenden EURODAC-Treffer suchte die BF am 25.05.2018 in Griechenland um Asyl an (GR1 … vom 25.05.2018).
Im Zuge ihrer Erstbefragung vom 13.10.2015 gab die BF an, verwitwet zu sein und keine Familienangehörigen in Österreich oder in einem anderen EU-Land zu haben. Sie habe ihre Heimat im November 2017 verlassen und sei über den Iran und die Türkei nach Griechenland gelangt, wo sie sich drei Jahre lang aufgehalten habe. Über ihr unbekannte Länder gelangte sie am 10.02.2021 nach Österreich. In Griechenland sei sie auf einer kleinen Insel gewesen, habe einen Asylantrag gestellt und Papiere erhalten. Es gebe in Griechenland zwar keinen Krieg, sie habe aber Schlägereien und Vergewaltigungen gesehen und erlebt. Sie wolle nicht zurück. Österreich sei nun ihr Ziel. Sie habe kein Geld mehr, um weiterzureisen und wolle friedlich leben. Als Fluchtgrund gab die BF an, dass sie von ihrer Familie und einer Terrorgruppe persönlich verfolgt worden sei. Sie sei vergewaltigt und ihr Mann sei hingerichtet worden.
Aufgrund des EURODAC-Treffers und der Angaben der BF richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge kurz: BFA) am 15.02.2021 ein auf Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (in der Folge Dublin III-VO) gestütztes Informationsersuchen und am 23.03.2021 eine diesbezügliche Erinnerung an Griechenland.
Mit Schreiben vom 12.04.2021 teilte Griechenland – unter Bekanntgabe der in Griechenland angegebenen Aliasdaten – mit, dass der BF in Griechenland am 05.03.2020 Asyl zuerkannt und ihr eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.03.2023 erteilt worden sei (AS 77).
Mit Schreiben vom 04.05.2021 ersuchte die BF im Zuge ihrer rechtsfreundlichen Vertretung, das gemäß § 20 AsylG bestehenden Recht auf Einvernahme durch Personen des gleichen Geschlechts für Opfer sexueller Gewalt zu berücksichtigen.
Zu den übermittelten Länderinformationen der Staatendokumentation zu Griechenland nahm die BF mit Schreiben vom 01.08.2021 Stellung. Darin führte sie aus, dass das reale Risiko bestehe, dass die BF bei ihrer Rückkehr nach Griechenland in Obdachlosigkeit und damit zusammenhängend in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Aufgrund des Aufenthaltes in einem anderen EU-Staat, wäre sie in Griechenland gänzlich von Unterstützungsleistungen durch HELIOS ausgenommen. Als alleinstehende Frau verfüge die BF in Griechenland über kein Unterstützungsnetzwerk und von staatlicher Seite seien keine weiteren Unterstützungsmöglichkeiten vorgesehen.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 04.08.2021 gab die BF in Anwesenheit ihrer Rechtsvertretung und nach erfolgter Rechtsberatung an, sich körperlich und geistig in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen. Sie sei gesund und nehme keine Medikamente. In Österreich oder Europa habe sie keine Verwandten. In Griechenland sei sie von 2018 bis 2020 in Moria untergebracht gewesen und habe zunächst von der Grundversordnung gelebt. Nach Erhalt des positiven Bescheides im März 2020 sei sie aus der Unterbringung rausgeschmissen worden und habe nichts mehr bekommen. Im Dezember 2020 sei sie aus Griechenland ausgereist. Von März bis Dezember habe sie auf der Straße gelebt. Im Oktober 2020 sei sie in Moria auf der Straße von zwei ihr unbekannten afghanischen Männern vergewaltigt worden. Zur Polizei oder einer Organisation sei sie nicht gegangen, da sie die Sprache nicht sprechen könne. Auf die Frage, ob es öfter zu solchen Geschehnissen gekommen sei, gab die BF an, nicht mehr darüber reden zu wollen. Über Vorhalt des Schutzstatus der BF in Griechenland und der Absicht des Bundesamtes, den Asylantrag der BF zurückzuweisen und eine Außerlandesbringung nach Griechenland anzuordnen, erklärte sie nicht zurück zu wollen. Es sei nicht sicher für sie, sie sei vergewaltigt worden und wolle hierbleiben. Die Rechtsvertretung der BF verwies auf das Schreiben vom 04.05.2021 und die Stellungnahme vom 01.08.2021. Als sie auf der Straße gelebt habe, habe ihr ein somalisches Restaurant für ihre Verpflegung geholfen. Ihre griechischen Dokumente seien im Zuge eine Brandes im Lager zerstört worden.
Mit Schreiben vom 10.08.2021 wurde im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung der BF vorgebracht, dass sie die Angaben der BF mit den aktuellen Länderinformationen zu Griechenland vereinbar seien. Es sei davon auszugehen, dass das reale Risiko der Obdachlosigkeit, einer existenzbedrohenden Notlage sowie erneut Opfer sexueller Übergriffe zu werden bestehe.
2. Mit Bescheid des BFA vom 25.08.2021 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz vom 10.02.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich die BF nach Griechenland zurückzubegeben habe (Spruchpunkt I.). Es wurde festgehalten, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß
§ 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt II.). Gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 FPG wurde gegen die BF die Außerlandesbringung gemäß angeordnet und festgestellt, dass gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der BF nach Griechenland zulässig sei (Spruchpunkt III.).
Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Griechenland wurden im angefochtenen Bescheid, wie folgt, wiedergegeben (unkorrigiert und ungekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):
(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom Juli 2021).
Schutzberechtigte
Letzte Änderung: 28.05.2021 Laut Gesetz haben Schutzberechtigte in Griechenland dieselben Rechte wie griechische Staatsangehörige. Im Jahr 2020 ist aufgrund von beschleunigten Asylverfahren im Vergleich zu den Vorjahren die Anzahl international Schutzberechtigter sprunghaft gestiegen: Insgesamt wurde 35.372 Menschen internationaler Schutz zuerkannt (ProAsyl 4.2021). Das sind mehr als doppelt so viele Menschen als 2019 (AIDA 6.2020). Anerkannte Flüchtlinge erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre, subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Ein Recht auf Familienzusammenführung besteht zwar formal (allerdings nur für anerkannte Flüchtlinge), ist aber aufgrund der Auflagen in der Praxis nur schwer zu erreichen. Wird dieses innerhalb von drei Monaten ab Statuszuerkennung beantragt, entfallen Einkommenserfordernisse. Anerkannte Flüchtlinge haben das Recht auf ein Reisedokument. Das gilt auch für subsidiär Schutzberechtigte, wenn sie einen Nachweis ihrer diplomatischen Vertretung vorlegen können, dass es ihnen nicht möglich ist, einen nationalen Reisepass zu erhalten. Diese Voraussetzung ist für viele äußerst schwierig zu erfüllen und überdies von der diplomatischen Vertretung des Herkunftslandes abhängig (AIDA 6.2020). Residence Permit Card Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen. Zur Beantragung der RPC reicht in Griechenland ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der Asylbehörde, mit dem einer Person internationaler Schutz zuerkannt wurde, nicht aus. Zusätzlich wird ein sogenannter „ADET-Bescheid“ benötigt. Bei diesem handelt es sich um einen Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Der ADET-Bescheid wird nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt. In diesem Fall müssen Schutzberechtigte einen Termin beim zuständigen Regionalbüro vereinbaren, um sich den ADET-Bescheid aushändigen zu lassen (ProAsyl 4.2021). Nach dem Erhalt des positiven Asylbescheides kann der Asylberechtigte zwei Ansuchen einreichen: eines für die Residence Permit Card (RPC) und ein weiteres für ein Reisedokument. Die Anträge erfolgen beim Asylservice. Mit dem Asylbescheid und dem Ansuchen für die RPC kann man per E-Mail einen Fingerabdruck-Termin beantragen. Die Antwort hierauf dauert zwischen zwei Wochen und zwei Monaten, COVID-bedingt oftmals länger. Von der Antwort bis zum 1 Fingerabdruck-Termin dauert es in der Regel neuerlich mehrere Wochen, woraufhin bis zum tatsächlichen Erhalt der RPC nochmals drei bis acht Monate (COVID-bedingt teilweise länger) vergehen. Die Ausstellung der RPC erfolgt durch die griechische Polizei (VB 1.3.2021). Die Gültigkeit der RPC beträgt für Asylberechtigte drei Jahre (um weitere drei Jahre verlängerbar) und für subsidiär Schutzberechtigte ein Jahr (um ein weiteres Jahr verlängerbar) und geht durch Ausreise und spätere Wiedereinreise nach Griechenland nicht verloren (VB 12.4.2021).
Reisedokument
Um ein Reisedokument beantragen zu können, bestehen folgende Voraussetzungen: • Wenn die betreffenden Schutzberechtigten in einem Camp oder in einer anderen staatlichen Unterkunft untergebracht und dort registriert sind, können sie unmittelbar nach Erhalt des positiven Asylbescheides parallel die Residence Permit Card (RPC) und ein Reisedokument beantragen. Sie werden hierbei aktiv vom Management des Camps bzw. der Unterkunft unterstützt (VB 12.4.2021). • Wenn anerkannte Schutzberechtigte hingegen nicht in einem Camp oder einer staatlichen Einrichtung untergebracht und registriert sind, ist für den Antrag eines Reisedokumentes eine RPC erforderlich (VB 12.4.2021). Das Ausstellungsdatum des Asylbescheids darf nicht länger als sechs Monate zurückliegen; andernfalls muss beim Asylservice eine Neuausstellung des Bescheides erwirkt werden. Der Asylbescheid und die RPC müssen eingescannt und bei der Fremdenpolizei online eingegeben werden. Die Gebühr hierfür beträgt derzeit 84,- Euro. Danach muss wiederum per E-Mail um einen Fingerabdruck-Termin angesucht werden (Wartezeit: eine Woche bis zwei Monate). Die Ausfolgung eines Reisedokuments erfolgt dann nach drei bis acht Monaten (COVID-bedingt auch länger) durch die griechische Polizei (VB 1.3.2021). Nach Erfahrung des letzten Jahres suchen fast alle anerkannten Flüchtlinge um ein Reisedokument an (VB 24.2.2021). Syrische Schutzberechtigte werden hierbei in der Praxis bevorzugt behandelt; für andere Nationalitäten kann das Prozedere Monate dauern (VB 12.4.2021). HELIOS Programm („Hellenic Support for Beneficiaries of International Protection“) Nach Ausfolgung des Asylbescheides erhält der Asylberechtigte eine SMS-Mitteilung, dass er nun vom Cash Card Programm für Asylwerber abgemeldet wird und dass er die zur Verfügung gestellte Unterkunft sofort verlassen muss (das Gesetz sieht hier eine Frist von einem Monat vor). Nur Schwangere ab dem 7. Schwangerschaftsmonat bekommen inkl. Familie einen Aufschub von 2 Monaten (VB 1.3.2021). Der Verbleib mehrerer tausend Menschen in diversen Camps und Flüchtlingsunterkünften wird von der griechischen Regierung aufgrund fehlender Alternativen und der auch für Griechen schwierigen Situation einstweilen toleriert, allerdings ist nicht absehbar, für wie lange. Die Versorgung dieser in den Unterkünften noch geduldeten Flüchtlinge wird zum größten Teil von NGOs und Freiwilligen übernommen, wobei offensichtlich die jeweiligen Camp- oder Sitemanager eher willkürlich über Verfügbarkeit und Vergabe entscheiden (VB 19.3.2021). 2 Die griechische Regierung verweist anerkannte Schutzberechtigte für Unterstützungsmaßnahmen bei der Integration meist auf das Programm HELIOS. Zusätzlich hat die griechische Regierung im September 2020 mit IOM ein ergänzendes Programm ins Leben gerufen, das anerkannten Schutzberechtigten eine zweimonatige Unterbringung in Hotels ermöglichen soll. Gedacht ist dieses Programm als eine Art Puffer für Schutzberechtigte von den Inseln, die auf das Festland verbracht wurden und sich noch nicht bei Helios einschreiben konnten. Geplant war dieses Programm für 1.500 bis 2.000 Personen. Laut IOM haben insgesamt 2.504 Personen von dieser Maßnahme profitiert. Das Programm lief regulär Ende 2020 aus, wurde einmal bis Ende Februar 2021 verlängert. Anfang März hat Griechenland bei der EU-Kommission einen Antrag auf Weiterfinanzierung gestellt (VB 12.4.2021). Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. Neben Integrationskursen sowie einzelnen Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration beinhaltet es Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum (ProAsyl 4.2021). Voraussetzungen für den Zugang zu den Fördermaßnahmen von Helios: • Zugang haben Schutzberechtigte, denen nach dem 1.1.2018 internationaler Schutz zuerkannt wurde sowie deren Familienangehörige, die mittels Familienzusammenführung nach Griechenland gekommen sind (solange ihre Angehörigen Helios-berechtigt sind) (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021). • Die betreffenden Schutzberechtigten müssen darüber hinaus zum Zeitpunkt der Zustellung ihres Anerkennungsbescheids offiziell in einem Flüchtlingslager, einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC), einem Hotel im Rahmen des IOM-Programms FILOXENIA oder einer Wohnung des ESTIA-Programms registriert gewesen sein und tatsächlich dort gelebt haben (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021). • Die Anmeldung zu Helios darf nicht später als 12 Monate nach Anerkennung des Schutzstatus erfolgen. Das Mindestalter beläuft sich auf 16 Jahre (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021). • Es erfolgt eine Beitrittserklärung (Declaration of Participation) mit Unterschrift aller volljährigen Familienangehörigen und Kenntnisnahme aller Rechte und Pflichten aus dem Helios Programm. Diese ist nicht bindend und kann jederzeit widerrufen werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021). 3 • Zudem benötigen die Teilnehmer zumindest Residence Permit Card (RPC), Steuernummer, Bankkonto, Sozialversicherungsnummer und Wohnungsnachweis. Diese sind schwierig zu erlangen, der Erhalt dauert Wochen bis Monate (VB 19.3.2021) . Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021). Helios bietet folgende Leistungen an: • Durchführung von Integrationskursen in Integrationslernzentren, die in ganz Griechenland eingerichtet wurden. Jeder Kurszyklus dauert sechs Monate und besteht aus Modulen zum Erlernen der griechischen Sprache, zur kulturellen Orientierung, zur Berufsvorbereitung und zu Lebenskompetenzen (IOM o.D.). • Unterstützung der Begünstigten auf dem Weg zu einer eigenständigen Unterkunft in Wohnungen, die auf ihren Namen angemietet wurden, u. a. durch die Bereitstellung von Beiträgen zu den Miet- und Einzugskosten und die Vernetzung mit Wohnungseigentümern. d.h. es erfolgt keine Beistellung von Wohnraum, es können aber Mietzuschüsse gewährt werden (IOM o.D.). • Bereitstellung von individueller Unterstützung u.a. durch Berufsberatung, Zugang zu berufsbezogenen Zertifizierungen und Vernetzung mit privaten Arbeitgebern (IOM o.D.). • Regelmäßige Bewertung des Integrationsfortschritts der Begünstigten, um sicherzustellen, dass sie in der Lage sind, sich sicher bei griechischen öffentlichen Dienstleistern zurechtzufinden, sobald sie das HELIOS-Projekt verlassen und anfangen, unabhängig in Griechenland zu leben (IOM o.D.). • Organisation von Workshops, Aktivitäten und Veranstaltungen sowie Erstellung einer landesweiten Medienkampagne, um den Wert der Integration von Migranten in die griechische Gesellschaft hervorzuheben (IOM o.D.). Für anerkannte Schutzberechtigte in den Camps erfolgt die Einschreibung in Helios relativ rasch. Wenngleich die Schutzberechtigten dann das Camp verlassen müssen, werden viele nach wie vor geduldet.Anschließend gibt es zwei Mal pro Woche Sprach- und Ethikunterricht sowie eine finanzielle Unterstützung in Höhe von etwa 390 Euro/Monat als Mietzuschuss (VB 12.4.2021). Bedingung für den Mietenzuschuss ist die Vorlage eines Mietvertrags mit einer Laufzeit von mehr als sechs Monaten sowie ein griechisches Bankkonto und eine Steueridentifikationsnummer. Die Zuschüsse werden immer nur rückwirkend ausgezahlt (ProAsyl 4.2021). Das bedeutet, dass Schutzberechtigte bereits eine Wohnung gefunden und in der Praxis auch die erste Monatsmiete sowie die Mietkaution aus eigenen Mitteln bezahlt haben müssen. Zudem findet eine Wohnung 4 in der Praxis nur, wer einen festen Job hat. Das ist für Flüchtlinge in einem Land mit 16% Arbeitslosigkeit nahezu aussichtslos (PNP – 8.3.2021). Zudem sind die Mieten vor allem in Athen in den vergangenen beiden Jahren um bis zu 30% gestiegen. Die Zuschüsse reichen daher zur Begleichung der Miete oftmals nicht aus. Nur etwa 16% aller international Schutzberechtigten haben Mietbeihilfen aus dem Helios-Programm erhalten (ProAsyl 4.2021). Laut IOM haben bis 26.02.2021 7.571 Personen im Rahmen von Helios Mietbeihilfe in Anspruch genommen (VB 12.4.2021). Das Programm endet nach sechs Monaten (VB 12.4.2021). Je nach Unterkunft beginnt der Start der Ausbildung (Bildungsprogramme; vor allem Sprachen) unterschiedlich – es kann sein, dass erst zwei Monate nach der Einschreibung mit der Ausbildung begonnen wird – dann bleiben noch 4 Monate Nettozeit; derzeit werden viele Unterrichtseinheiten online unterrichtet, was Probleme mit Internet, Technik, Übersetzern usw. verursacht. Ist während der Laufzeit Unterricht aus verschiedenen Gründen nicht möglich, werden die 390 Euro an finanzieller Unterstützung pro Monat nicht ausbezahlt. Aus genannten Gründen wird das Helios Programm von den Betroffenen nur in wenigen Fällen als wirkliche Unterstützung wahrgenommen (VB 1.3.2021).
Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card
Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).
Wohnungsmöglichkeiten
Ab Juni 2020 sind alle Schutzberechtigten gesetzlich verpflichtet, die Flüchtlingslager beziehungsweise Unterkünfte, in denen sie während des Asylverfahrens untergebracht waren, innerhalb von 30 Tagen ab Schutzzuerkennung zu verlassen. Verlängerungen des Aufenthalts in den Unterkünften sind nur in außergewöhnlichen Fällen möglich. In der Folge mussten in den vergangenen Monaten Tausende Menschen ihre Unterkünfte räumen, auch wenn eine Verlängerung des Aufenthalts in diversen Camps und Flüchtlingsunterkünften von der griechischen Regierung aufgrund fehlender Alternativen und der auch für Griechen schwierigen Situation toleriert wurde. Jedenfalls gab es zahlreiche Berichte über obdachlose Flüchtlinge. Medien und NGOs dokumentierten, dass viele von ihnen Schwierigkeiten beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen auf dem Festland hatten und in Athen im Freien schliefen (AI 7.4.2021, vgl. ProAsyl 4.2021, VB 19.3.2021). In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungs5 einrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).
Lebenshaltung
Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).
Medizinische Versorgung
Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu 6 öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „SozialApotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). Um die Spitäler als erste Anlaufstelle für gesundheitliche Probleme zu entlasten, wurde mit dem Gesetz 4486/2017 24 die Grundlage für die Einführung eines medizinischen Erstversorgungsnetzwerkes (TOMY) geschaffen. Dieses Netzwerk orientiert sich an den Prinzipien der WHO, die seit 2018 in Griechenland ein Country Office unterhält (WHO 2019, WHO 20.6.2021). Das Team der Erstversorgung besteht aus Allgemeinmedizinern, Kinderärzten, Pflegefachpersonen und Sozialarbeitern und ist nun erste Anlaufstelle für Gesundheitsfragen der Menschen in den Regionen abseits der großen Ballungszentren. Sie übernehmen Behandlung und Pflege sowie die Überwachung von Krankheiten und arbeiten im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung. Bei Bedarf werden Patienten dann an andere Gesundheitszentren und städtische Tageskliniken überwiesen, wo spezialisierte und diagnostische Abklärungen, ein 24-Stunden-Betrieb und ambulante Behandlungen angeboten werden. Zudem übernehmen diese Zentren die Koordination der TOMYs ihres Sektors, die ambulante Pflege der Patienten, die Überweisungen an übergeordnete Spitäler und die Verantwortung für die psychologische und psychiatrische Gesundheitsversorgung in den Gemeinden. Im Sommer 2019 waren 120 solcher TOMY-Zentren in Betrieb (WHO 2019, vgl. OECD o.D.). Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021). Für den Bezug von Medikamenten ist ein Rezept eines Arztes einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung erforderlich. Rezepte werden über das Online-Portal https://www.e-prescription.gr elektronisch ausgestellt und können unter Angabe der AMKA dann in jeder Apotheke eingelöst werden (AI 3.3.2021). Handgeschriebene Rezepte werden nur von Sozialapotheken entgegen genommen. Ohne AMKA können Rezepte in der Krankenhausapotheke jenes Spitals, wo der betreffende Arzt praktiziert, eingelöst werden (UNHCR 4.3.2021). Die Kosten für verschreibungsfreie Medikamente müssen zur Gänze vom Patienten getragen werden; für verschreibungspflichtige Medikamente sind entsprechende Zuzahlungen erforderlich (WHO 2018).
Arbeitsmarkt
Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: Wenn der Schutzberechtigte in einer offenen Unterkunft, einer Wohnung oder einer Aufnahmeeinrichtung einer NGO oder eines anderen 7 Akteurs wie z. B. einer Gemeinde wohnt, kann er von der die Unterkunft verwaltenden Stelle eine Bescheinigung zum Nachweis der Adresse anfordern. Bei Miete ist der Mietvertrag oder eine entsprechende Stromabrechnung vorzulegen. Bei Beherbergung durch eine griechische Person oder einen anderen Migranten oder anerkannten Flüchtling muss der Schutzberechtigte von eben dieser Person eine offizielle, schriftliche Beherbergungsbestätigung vorlegen, die zudem die Steuernummer und die in einem Bürgerzentrum beglaubigte Unterschrift des Unterkunftsgebers enthält (UNHCR o.D., vgl. ProAsyl 4.2021). Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). Diese ist auch erforderlich, um versichert zu sein und von den Sozialversicherungsbestimmungen für Arbeitsunfall, Mutterschaft, Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit und Familienpflichten zu profitieren. Die ???? sichert die Rechte des Schutzberechtigten in Bezug auf Arbeit und Rente und erleichtert auch den Zugang zu Krankenhaus- und pharmazeutischer Versorgung. Den Antrag auf eine AMKA kann in einem AMKA-Büro der Sozialversicherungsanstalt oder in einem Bürgerservicezentrum (KEP) gestellt werden. An manchen Orten wird die AMKA schnell an Asylbewerber vergeben, an anderen Orten verlangen die Behörden zusätzliche Unterlagen (UNHCR o.D.). Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020). Sechs Monate nach Einbringung eines Asylantrags ist legale Arbeit erlaubt, in Ausnahmefällen (Hochsaison Landwirtschaft oder Tourismus) kann bei Verfügbarkeit eines Arbeitsplatzes und Garantiestellung durch den Arbeitgeber schon ab acht bis zehn Wochen legal einer Beschäftigung nachgegangen werden. Allerdings wollen Arbeitgeber ohne vorhandene AMKA (permanente Sozialversicherungsnummer) keine Arbeitnehmer einstellen. Es ist keine Residence Permit Card (RPC) für die legale Ausübung einer selbstständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit erforderlich (VB 12.4.2021). Quellen: • AIDA – Asylum Information Database (6.2020): Country Report: Greece, https://asylumineurope.o rg/wp-content/uploads/2020/07/report-download_aida_gr_2019update.pdf , Zugriff 1.5.2021 • AI – Amnesty International (7.4.2021): Greece 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048689 .html , Zugriff 12.5.2021 • AI – Amnesty International (3.3.2021): Resuscitation required. The Greek Health System after a decade of austerity, https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR2521762020ENGLISH. PDF , Zugriff 13.5.2021 • OM – International Organisation for Migration (o.D.): Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection (HELIOS), https://greece.iom.int/en/hellenic-integration-support-benefic iaries-international-protection-helios , Zugriff 1.5.2021 • MIT – Mobile Info Team (2.2021): The living conditions of applicants and beneficiaries of international protection, https://www.antigone.gr/wp-content/uploads/library/selected-publications-on-migrat ion-and-asylum/greece/en/Accommodation_report_MIT_2021_small.pdf , Zugriff 1.5.2021 • OECD - European Observatory on Health Systems and Policies (o.D.): State of Health in the EU, 2019. Greece: Country Health Profile, https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/state/docs/20 19_chp_gr_english.pdf , 13.5.2021. 8 • Pro Asyl/RSA (4.2021): Zur aktuellen Situation von international Schutzberechtigten in Griechenland, https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Stellungnahme-International-Schutzberechtigt-G riechenland-PRO-ASYL_RSA-April-2021.pdf , Zugriff 1.5.2021 • UNHCR – The UN Refugee Agency (o.D.): Living in Greece, https://help.unhcr.org/greece/living-i n-greece/ , Zugriff 10.5.2021 • VB des BM.I Griechenland (24.2.2021): Bericht des VB, per E-Mail • VB des BM.I Griechenland (1.3.2021): Bericht des VB, per E-Mail • VB des BM.I Griechenland (19.3.2021): Bericht des VB, per E-Mail • VB des BM.I Griechenland (12.4.2021): Bericht des VB, per E-Mail • WHO – World Health Organization (20.6.2018): WHO eröffnet neues Länderbüro in Griechenland, https://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/press-releases/2018/who-opens-new-countryoffice-in-greece , Zugriff 13.5.2021 • WHO – World Health Organization (2018): Medicines Reimboursement Policies in Europe, https: //www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0011/376625/pharmaceutical-reimbursement-eng.pdf , Zugriff 10.5.2021 • WHO – World Health Organization (2019): Monitoring and documenting systemic and health effects of health reforms in Greece, https://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0011/394526/Monito ring-Documenting_Greece_eng.pdf , Zugriff 14.5.2021
Im Bescheid wurde insbesondere ausgeführt, dass die Identität der BF mangels Vorlage identitätsbezeugender Dokumente nicht feststehe. Schwere psychische Störungen oder schwere oder ansteckende Krankheiten hätten nicht festgestellt werden können. Die BF sei anerkannter Flüchtling in Griechenland. Dass sie in Griechenland systematischer Misshandlungen bzw. Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder solche zu erwarten hätte, könnte nicht festgestellt werden. In Österreich verfüge sie über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte. Eine besondere Integrationsverfestigung hätte nicht festgestellt werden können. Die BF habe keine auf sie persönlich bezogenen Umstände glaubhaft gemacht, die eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall ihrer Abschiebung nach Griechenland als wahrscheinlich erachten lassen. Griechenland habe sich mit Schreiben vom 12.04.2021 ausdrücklich bereit erklärt, die BF im Rahmen internationaler Verpflichtungen zu übernehmen und es könne nicht erkannt werden, dass ihr ihre gesetzlich gewährleisteten Rechte verweigert würden. Nach Aktenstudium hätten sich keine Gründe für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ ergeben. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe ihr in Griechenland aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht (vgl. idS BVwG 25.03.2020, W273 2188533-1/24E). Personen, mit welchen ein iSd Art. 8 EMRK relevantes Familienleben geführt wird, habe nicht festgestellt werden können. Die Außerlandesbringung stelle daher insgesamt keinen Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistet Recht auf Achtung des Familienlebens dar. Es seien weder schützenswerte familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich gegeben noch vermöge die Dauer des Aufenthalts im Bundegebiet ein iSd Art. 8 EMRK relevantes Recht auf Achtung des Privatlebens zu begründen, weshalb die Außerlandesbringung keinen Eingriff in das Grundrecht nach
Art. 8 EMRK darstelle.
3. Gegen vorzitierten Bescheid des BFA betreffend die BF vom 25.08.2021 richtet sich die am 06.09.2021 fristgerecht eingebrachte Beschwerde, in der insbesondere ausgeführt wurde, dass die BF in Griechenland auf sich alleine gestellt sei, weder genügend Nahrung, noch eine Unterkunft habe und gezwungen sei, auf der Straße zu leben. Die BF werde in Griechenland erneut keinerlei staatliche Unterstützungen erhalten und es drohe ihr bei Rückkehr eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung iSd Art. 3 EMRK. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, indem sie sich nicht ausreichend mit der der BF in Griechenland drohenden Situation auseinandergesetzt habe. Die Behörde hätte weitere ergänzende Feststellungen treffen und das Verfahren der BF angesichts der dramatischen Lage in Griechenland für Flüchtlinge in Österreich zulassen müssen. Die Behörde hätte auch aufgrund der getroffenen Feststellungen eindeutig zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass die BF im Fall einer Rückkehr nach Griechenland mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zumindest in den ersten Monaten obdachlos sein und keinen ausreichenden Zugang zu Hygieneeinrichtungen und medizinischer Versorgung haben werde und auch nicht mit gesundheitlicher Versorgung rechnen dürfe. Im Falle einer Rückkehr der BF nach Griechenland drohe jedenfalls eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte, weshalb die Behörde das Verfahren der BF hätte zulassen müssen und ihr in weiterer Folge in Österreich internationalen Schutz gewähren müssen. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG wurde angeregt.
4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (auch BVwG) vom 13.09.2021 wurde der Beschwerde gegen den nunmehr angefochtenen Bescheid aufschiebende Wirkung gemäß
§ 17 BFA-VG zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 10.02.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet. Hinsichtlich der BF liegt ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 vom 25.05.2018 mit Griechenland vor.
Die BF machte im Zuge des Verfahrens geltend, dass sie nach Erhalt des Schutzstatus in Griechenland auf der Straße hätte schlafen müssen und auf freiwillige Unterstützung durch ein somalisches Lokal angewiesen war. Sie gab auch an, in Griechenland Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein.
Ergänzende Ermittlungen zu den Lebensumständen der BF nach Zuerkennung des Schutzstatus in Griechenland liegen nicht vor und das BFA hat im angefochtenen Bescheid keine hinreichenden Feststellungen betreffend die BF getroffen. Im angefochtenen Bescheid unterzieht das BFA die geltend gemachte Obdachlosigkeit nach Schutzgewährung in Griechenland keiner Würdigung, sondern führt im Allgemeinen lediglich aus, es haben sich aus den Angaben der BF keine stichhaltigen Gründe für die Annahme ergeben, dass diese in Griechenland konkret Gefahr liefe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigende Behandlung unterworfen zu werden. Es wurde der gegenständliche Sachverhalt in Summe nicht abschließend ermittelt, um eine Grundlage für ihre Entscheidung zu schaffen.
Hinsichtlich des Verfahrensganges und festzustellenden Sachverhalt wird auf die unter
Punkt I. getroffenen Ausführungen verwiesen.
2. Beweiswürdigung:
Der für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevante Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
Insbesondere liegen nach Durchsicht des gegenständlichen Aktes keine ausreichenden Ermittlungen und in der Folge keine abschließende nachvollziehbare Beurteilung betreffend die Lebensumstände der BF nach Zuerkennung des Status der Asylberechtigten in Griechenland vor. Die Beweiserhebung des BFA stellt keine geeignete Ermittlungstätigkeit dar, um ausschließen zu können, dass die BF aufgrund der Lage für Asylberechtigte in Griechenland nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten werde.
Die erstinstanzliche Behörde hat eine abschließende Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes der BF in Summe nicht hinreichend durchgeführt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) lauten:
„§ 4a Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat.
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
----------
-1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
[…]
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
(2) Wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt, ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden.
(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.
…
§ 57 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
…
§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
…“
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 21 Abs. 3 BFA-VG lautet:
„(3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
3.2. Gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG ist der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass zum Entscheidungszeitpunkt eine Überstellung der BF nach Griechenland nicht zulässig ist, da in casu die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen ist, weshalb eine Behebung und Zurückverweisung nach § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG zu erfolgen hatte. Dies aus folgenden Erwägungen:
Unbestritten ist, dass der BF nach Antragstellung in Griechenland der Status der Asylberechtigten erteilt worden ist.
Zusammenfassend brachte die BF im Zuge des Verfahrens vor, dass sie die Unterkunft nach Erhalt ihres Schutzstatus in Griechenland verlassen musste. Von März 2020 bis zu ihrer Ausreise aus Griechenland im Dezember 2020 war sie obdachlos und für ihre Versorgung auf Almosen eines somalischen Lokals angewiesen. Weiters führte sie aus, in Griechenland – als sie auf der Straße lebte – Opfer von Gewalt und sexuellen Übergriffen geworden zu sein. Die BF schilderte ihre Erfahrungen von der Erstbefragung an gleichbleibend.
Dem BFA ist gegenständlich nicht entgegenzutreten, wenn es ausführt, dass es sich bei Übergriffen gegen die BF um tragische und unentschuldbare Ereignisse handelt. Auch ist daran – vor allem im Hinblick auf die nicht vorgenommene Meldung an die griechische Polizei – kein mangelnder Schutzwille oder mangelnde Schutzfähigkeit zu erkennen. Allerding wird in dieser Beurteilung übersehen, dass die BF diesen Übergriffen unter anderem deshalb ausgesetzt war, da sie keine staatliche Unterstützung erhalten hatte und ohne Versorgung auf der Straße lebte. Auf dieses Vorbringen der BF und die Umstände, in denen die BF in Griechenland nach Erhalt des Schutzstatus laut ihren Angaben lebte, ist das Bundesamt nicht hinreichend eingegangen.
Die Situation Schutzberechtigter in Griechenland wird in den vom Bundesamt im gegenständlichen Bescheid zugrunde gelegten Länderberichten wie oben angeführt beschrieben. Zusammenfassend zeichnen diese Länderfeststellungen die auf seriösen Berichten beruhen für Schutzberechtigte in Griechenland ein Bild großer Schwierigkeiten und Hindernisse beim Zugang zu Unterkünften und Versorgung, das insbesondere geprägt ist von komplexen Kettenvoraussetzungen. Schon vor dem Hintergrund dieser Berichtslage hätte sich das Bundesamt mit der Frage näher auseinandersetzen müssen, ob die BF im Fall der Rückkehr nach Griechenland eine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung zu gewärtigen hätte.
Mit rezentem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25.06.2021, E 599/2021, wurde eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts betreffend eine in Griechenland schutzberechtigte, junge, gesunde Frau ohne Betreuungspflichten, die über eine zwölfjährige Schulbildung, eine vierjährige universitäre Ausbildung und eine Berufsausbildung zur Dolmetscherin verfügte und zirka neun Monate in Griechenland aufhältig war, behoben und wie folgt ausgeführt:
„Vor dem Hintergrund dieser Berichtslage (wobei aktuellere Berichte eine wohl noch stärkere Gefährdungslage beschreiben, siehe nur die der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht beigelegte Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl/RSA, Information zur Situation international Schutzberechtigter in Griechen-land, vom 9. Dezember 2020) ergibt sich ohne nähere Auseinandersetzung mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Feststellungen in den Länderberichten nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr keine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung drohen werde. Zwar trifft zu, dass anerkannten Schutzberechtigten nach
Art. 20 ff. der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L 337, 9, grundsätzlich "nur" ein Anspruch auf Inländergleichbehandlung zusteht. Das Bundesverwaltungsgericht setzt sich jedoch etwa nicht damit auseinander, ob die von Art. 34 der Richtlinie 2011/95/EU geforderten, über die Inländergleichbehandlung hinausgehenden Integrationsmaßnahmen angeboten werden (vgl. dazu das deutsche BVerfG 31.7.2018, 2 BvR 714/18, Rz 23). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin für eine Übergangszeit auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird, hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und wieweit für die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr nach Griechenland zumindest in der ersten Zeit Zugang zu einer Unterkunft, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen sichergestellt wird.“
Auch wenn sich dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf Länderinformationen der Staatendokumentation mit Stand vom 04.10.2019 samt letzter Kurzinformation vom 19.03.2020 bezieht, ergeben sich aus der nunmehr aktualisierten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformation der Staatendokumentation betreffend Griechenland aus dem COI-CMS (Version 2) ähnliche Schwierigkeiten für Schutzberechtigte beim Zugang zu Unterkunft, Arbeit, Sozialleistungen, medizinischer Versorgung und Integrationsprogrammen. So wird etwa erwähnt:
- „Eine Residence Permit Card (RPC) ist Voraussetzung für den Erhalt finanzieller Unterstützung, einer Wohnung, einer legalen Beschäftigung, eines Führerscheins und einer Steuer- bzw. Sozialversicherungsnummer, für die Teilnahme an Integrationskursen, für den Kauf von Fahrzeugen, für Auslandsreisen, für die Anmeldung einer gewerblichen oder geschäftlichen Tätigkeit und – abhängig vom jeweiligen Bankangestellten - oftmals auch für die Eröffnung eines Bankkontos (VB 19.3.2021). Der Erhalt einer RPC dauert jedoch in der Praxis Monate und die Behördengänge sind für Personen ohne Sprachkenntnisse und Unterstützung äußerst schwierig zu bewerkstelligen.“
- „Bei HELIOS handelt sich um ein Projekt von IOM zur Integration von Schutzberechtigten, die in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung leben (AIDA 6.2020; vgl. IOM o.D.). Helios ist das einzige aktuell in Griechenland existierende offizielle Integrationsprogramm für internationale Schutzberechtigte. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF); Umgesetzt wird das Programm von IOM in Zusammenarbeit mit verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Das Programm wurde im Juli 2019 gestartet und hat eine Laufzeit bis Juni 2021. […] Keinen Zugang zu Fördermaßnahmen aus dem HELIOS-Programm haben demzufolge international Schutzberechtigte, die entweder vor dem 1. Januar 2018 internationalen Schutz erhalten haben oder die zwar nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden, jedoch zum Zeitpunkt ihrer Anerkennung nicht in einer offiziellen Unterkunft in Griechenland gelebt haben, oder die sich nicht innerhalb eines Jahres nach Anerkennung für HELIOS registriert haben. Somit besteht in aller Regel für Schutzberechtigte, die aus anderen Ländern nach Griechenland zurückkehren, keine Möglichkeit, von Helios zu profitieren (ProAsyl 4.2021).“
- „Phase zwischen positivem Bescheid und dem tatsächlichen Erhalt der RPC-Card
Tatsächlich gibt es bis zum Erlangen der RPC oder bis zur Teilnahme am Helios Programm keinerlei finanzielle oder anderweitige Unterstützung. Ohne gültige Aufenthaltserlaubnis können international Schutzberechtigte keine Sozialversicherungsnummer (AMKA) erhalten und diese wiederum ist Voraussetzung für den Zugang zu Sozialleistungen, zum Arbeitsmarkt und zur Gesundheitsversorgung. Ärztliche Untersuchungen und Behandlungen sowie ggf. benötigte Medikamente müssen ohne Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer privat bezahlt werden (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).“
- „In Griechenland existiert keine staatliche Unterstützung für international Schutzberechtigte beim Zugang zu Wohnraum, es wird auch kein Wohnraum von staatlicher Seite bereitgestellt (ProAsyl 4.2021). Auch gibt es keine Sozialwohnungen (VB 12.4.2021) und auch keine Unterbringung dezidiert für Schutzberechtigte. Laut einer Webseite der Stadt Athen gibt es vier Unterbringungseinrichtungen mit insgesamt 600 Plätzen, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Viele Betroffene sind daher obdachlos, leben in besetzten Gebäuden oder überfüllten Wohnungen (AIDA 6.2020; vgl. VB 12.4.2021). Legale Unterkunft ohne RPC zu finden, ist fast nicht möglich. Da z.B. bei Arbeitssuche, Bankkontoeröffnung, Beantragung der AMKA usw. oftmals ein Wohnungsnachweis erforderlich ist, werden oft Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300-600 Euro) temporär verliehen: d.h., der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst. Wohnbeihilfe bekommt man erst, wenn man per Steuererklärung seinen Wohnsitz über mehr als 5 Jahre in Griechenland nachweisen kann (VB 1.3.2021). NGOs wie etwa Caritas Hellas bieten gemischte Wohnprojekte an. Die Zahl der Unterkünfte in Athen – auch der Obdachlosenunterkünfte - ist jedoch insgesamt nicht ausreichend (VB 1.3.2021). Dass trotz dieses Umstandes Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen darstellt, ist auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzung innerhalb der jeweiligen Nationalitäten zurückzuführen, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann. Wo staatliche Unterstützung fehlt, ist die gezielte Unterstützung der NGOs von überragender Bedeutung für Flüchtlinge und Migranten, wenngleich auch diese Organisationen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Unterstützungen flächen- und bedarfsdeckend abzudecken (VB 12.4.2021; vgl. ProAsyl 4.2021).
- „Auch die tägliche Lebenshaltung stellt viele Schutzberechtigte vor große Probleme. Da sie griechischen Staatsbürgern gleichgestellt sind, gibt es von offizieller Seite kaum Unterstützung für diesen Personenkreis. Einige NGOs in Athen (wie etwa KHORA, Network for Refugees, Hope Cafe,…) stellen kostenlos – aber bei weitem nicht in ausreichendem Maße, um alle Bedürftigen zu versorgen - Essen zur Verfügung. Die Bereitstellung von zB Hygiene- und Toilettenartikel gestaltet sich sehr schwierig; hierfür gibt es nur sehr wenige Anlaufstellen. Einige Gemeinden in Griechenland bieten anerkannten Schutzberechtigten auf freiwilliger Basis bzw. mittels Abkommen mit der griechischen Regierung monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an (nur Essen, kein Geld). Voraussetzungen hierfür sind das Vorliegen von RPC, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine gültige SIM-Karte. Jede einzelne dieser Voraussetzungen ist schwierig zu erfüllen und mit mit großem Zeitaufwand verbunden. Somit kommen nur sehr wenige Berechtigte in den Genuss derartiger Unterstützungsleistungen (VB 12.4.2021).“
- „Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige, in der Praxis schmälert aber der Ressourcenmangel im griechischen Gesundheitssystem diesen Zugang, was aber in gleichem Maße auch für griechische Staatsbürger gilt. Bei Flüchtlingen kommen jedoch auch Verständigungsschwierigkeiten und Probleme beim Erlangen der Sozialversicherungsnummer (AMKA) hinzu (AIDA 6.2020). Die AMKA kann bei der Gesundheitsbehörde (EKKA) elektronisch beantragt werden, man braucht dazu aber eine RPC und ein Jobangebot einer Firma. Ohne Jobangebot können Flüchtlinge eine PAAYPA (vorläufige AMKA für Fremde) beantragen. Mit AMKA ist voller Zugang zu öffentlichen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, usw. möglich, mit PAAYPA hingegen nur beschränkt. Manche Einrichtungen akzeptieren eine PAAYPA nicht. Jene Personen wären dann auf Privatärzte oder NGOs angewiesen (VB 1.3.2021). Zudem gibt es in Athen einige „Sozial-Apotheken“ wo billige oder sogar kostenlose Medikamente und medizinische Artikel erhältlich sind – diese unterstützen auch einkommenslose Griechen (VB 12.4.2021). […] Durch die massiven Einsparungen am Gesundheitspersonal in den Jahren der Wirtschaftskrise kann der Zugang zum Gesundheitssystem mit langen Wartezeiten verbunden sein (AI 3.3.2021).“
- „Anerkannte Schutzberechtigte und deren Familienangehörige mit gültiger Aufenthaltserlaubnis haben unter den gleichen Bedingungen wie griechische Staatsangehörige Zugang zu einer Beschäftigung im Angestelltenverhältnis, zur Erbringung von Dienstleistungen oder Arbeit sowie das Recht, eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben. Wichtig für eine legale Beschäftigung ist der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis. Allenfalls ist darauf zu achten, dass diese rechtzeitig verlängert wird (UNHCR o.D.). Voraussetzungen ist u.a. der Nachweis der Unterkunft: […] Eine weitere Voraussetzung ist das Vorliegen einer Sozialversicherungsnummer (AMKA). […] Tatsächlich aber behindern die hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Sprachkenntnisse und bürokratische Hindernisse diesen Zugang, außer im informellen Sektor. Die meisten Schutzberechtigten sind daher auf Unterstützung angewiesen. Zugang zu Sozialhilfe ist gegeben, bürokratische Hürden stellen aber ein Problem dar (AIDA 6.2020).“
Wie sich aus diesen Länderinformationen ableiten lässt, sind Schutzberechtigte in Griechenland griechischen Staatsbürgern zwar rechtlich grundsätzlich gleichgestellt, sie können jedoch faktisch auf besondere Schwierigkeiten stoßen, die auf ihre herausfordernde Situation als Fremde ohne oder mit geringen Kenntnissen der Land