TE Bvwg Beschluss 2021/11/30 W186 2246870-1

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Veröffentlicht am 30.11.2021
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Entscheidungsdatum

30.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W186 2246870-1/3E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterii über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2021, Zl. 1281922509 – 211084563, folgenden Beschluss:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 03.08.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 05.08.2021 wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er sei Landwirt gewesen und habe keine Mittel mehr gehabt, um sich mit Essen zu versorgen. Außerdem habe es immer Auseinandersetzungen in seinem Dorf gegeben, weil dieses an der indischen Grenze liege. In Indien würden nach wie vor seine Eltern, seine beiden Brüder und seine beiden Schwestern leben, er habe 7.000-8.000 Euro für seine Ausreise bezahlt. Dem BF wurde im Anschluss mitgeteilt, dass in seinem Falle ein beschleunigtes Verfahren geführt werde.

2. Am 13.08.2021 wurde der BF seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) für den 24.08.2021 zwecks seiner Einvernahme und eines Rückkehrberatungsgesprächs geladen. Am selben Tag wurde ihm eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes gem. § 29 Abs. 3 und 15a AsylG 2005 übergeben, wonach es beabsichtigt sei, seinen Antrag vollständig abzuweisen. Zudem unterliege er einer Meldeverpflichtung, weshalb eine Abwesenheit von mehr als 48 Stunden von der Betreuungseinrichtung als Verletzung der Meldeverpflichtung gelte.

3. Am 18.08.2021 wurde dem Bundesamt mitgeteilt, dass der BF mehr als 48 Stunden von seiner Betreuungseinrichtung abwesend sei.

4. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 20.08.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 03.08.2021 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gem. § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz gem. § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) sowie gegen ihn gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Begründend wurde ausgeführt, dass dem BF die Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 Z 5 AsylG 2005 aufgrund seines unbekannten Aufenthaltes nicht mehr zugestellt werden habe können. Er sei vom 05.08.2021 bis zum 14.08.2021 in Betreuungsstellen des Bundes untergebracht gewesen, welche er jedoch unangemeldet und ohne die Angabe von Gründen verlassen habe. Er sei auch nicht mehr in eine Betreuungsstelle des Bundes zurückgekehrt. Er sei daher mit 14.08.2021 wegen einer Abwesenheit von 48 Stunden aus der Grundversorgung abgemeldet worden.

Zudem habe der BF nach Abmeldung aus der Grundversorgung keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet vorgenommen bzw. der Behörde seinen Aufenthaltsort nicht bekannt gegeben. Er habe daher offensichtlich kein Interesse an seinem Asylverfahren und nachweislich auch nicht mehr am Verfahren mitgewirkt. Da der maßgebliche Sachverhalt jedoch auch ohne Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs bekannt sei, könne, da alle relevanten Ermittlungen getätigt worden seien, ohne weitere Einvernahme der gegenständliche Bescheid erlassen werden.

5. Am 23.08.2021 erfolgte seitens des Bundesamtes hinsichtlich des BF ein Aushang aufgrund der Hinterlegung eines Schriftstückes im Akt gem. § 23 Abs. 3 ZustG. Die Hinterlegung habe am 23.08.2021 stattgefunden und der BF dieses Schriftstück längstens bis zum 20.09.2021 zu beheben.

6. Am selben Tag beurkundete das Bundesamt die Hinterlegung des verfahrensgegenständlichen Bescheides im Akt gem. § 23 Abs. 2 ZustG, die Hinterlegung erfolge somit mit 23.08.2021.

7. Am 07.09.2021 übernahm der BF den verfahrensgegenständlichen Bescheid persönlich und erhob gegen diesen am 27.09.2021 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde, in welcher im Wesentlichen unrichtige Feststellungen, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Insbesondere wurde gerügt, dass eine Einvernahme des BF unterblieben sei bzw. sich das Bundesamt nicht ausreichend mit der persönlichen Situation des BF auseinandergesetzt habe. Der Beschwerde wurde ein aktueller ZMR-Auszug beigelegt, wonach der BF seit dem 13.08.2021 in 1100 Wien seinen Hauptwohnsitz habe.

8. Am 30.09.2021 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung

Die unter Punkt I. als Verfahrensgang dargelegten Ausführungen werden als Feststellungen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt. Diese ergeben sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt.

2. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde

2.1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde

Gemäß § 23 Abs. 1 ZustG ist, sofern die Behörde auf Grund einer gesetzlichen Vorschrift angeordnet hat, dass ein Dokument ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist, dieses sofort bei der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes, beim Gemeindeamt oder bei der Behörde selbst zur Abholung bereitzuhalten.

Die Hinterlegung ist nach § 23 Abs. 2 ZustG von der zuständigen Geschäftsstelle des Zustelldienstes oder vom Gemeindeamt auf dem Zustellnachweis, von der Behörde auch auf andere Weise zu beurkunden.

Soweit dies zweckmäßig ist, ist gem. § 23 Abs. 3 ZustG der Empfänger durch eine an die angegebene inländische Abgabestelle zuzustellende schriftliche Verständigung oder durch mündliche Mitteilung an Personen, von denen der Zusteller annehmen kann, dass sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Hinterlegung zu unterrichten.

Nach § 23 Abs. 4 ZustG gilt das so hinterlegte Dokument mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt.

Gemäß § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.

Nach § 8 Abs. 2 ZustG ist, wenn diese Mitteilung unterlassen wird, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gem. § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.


Rechtlich folgt daraus:

Voraussetzung für eine Zustellung durch Hinterlegung eines Schriftstücks bei der Behörde ist eine gesetzliche Vorschrift, die anordnet, dass ein Dokument ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen ist. Im konkreten Fall kommt dafür grundsätzlich die Bestimmung des § 8 Abs. 2 ZustG in Betracht, da der BF dem Bundesamt die Änderung seiner bisherigen Abgabestelle durch den Wechsel seines Hauptwohnsitzes nicht bekannt gegeben hat. Jedoch hätte im konkreten Fall eine Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können, das Bundesamt hätte lediglich vor der Hinterlegung des gegenständlichen Bescheides am 23.08.2021 einen aktuellen ZMR-Auszug einholen müssen, aus dem ersichtlich gewesen wäre, dass der BF bereits seit dem 13.08.2021 seinen Hauptwohnsitz in 1100 Wien hat.

Aus diesem Grund ist hätte das Bundesamt eine Hinterlegung des gegenständlichen Bescheides nicht vornehmen dürfen. Der Behörde sind somit im „Verfahren der Zustellung“ Mängel unterlaufen, weshalb die Zustellung des gegenständlichen Bescheides durch Hinterlegung im Akt am 23.08.2021 auch keine Rechtswirkungen entfaltet (siehe Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht6 (2018) Rz 400).

Im Falle des BF ist es jedoch am 07.09.2021 zu einer Heilung dieses Zustellmangels gekommen, weil er den gegenständlichen Bescheid an diesem Tag persönlich übernommen hat und er ihm somit tatsächlich zugekommen ist (siehe Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht6 (2018) Rz 401).

Der gegenständliche Bescheid ist dem BF zusammengefasst nicht am 23.08.2021, sondern erst am 07.09.2021 zugestellt worden, weshalb die Erhebung der Beschwerde am 27.09.2021 aufgrund der vierwöchigen Beschwerdefrist jedenfalls fristgerecht erfolgt ist.

2.2. Zur Behebung des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Nach § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):

?        Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

?        Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

?        Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

?        Zusätzlich muss die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden sein.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor, weil es das Bundesamt zu Unrecht unterlassen hat, den BF einzuvernehmen:

Gemäß § 24 Abs. 3 AsylG 2005 kann eine Einvernahme des Asylwerbers unterbleiben, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und sich der Asylwerber dem Verfahren entzogen hat. Dies ist gem. § 24 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dann der Fall, wenn dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht der Aufenthaltsort des Asylwerbers wegen Verletzung seiner Mitwirkungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG, §§ 15 oder 15a AsylG 2005 weder bekannt noch sonst durch das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht leicht feststellbar ist.

Gemäß § 15a Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 unterliegen Fremde im Zulassungsverfahren einer periodischen Meldeverpflichtung, wenn eine Mitteilung nach § 29 Abs. 3 Z 4 bis 6 erfolgt. Gemäß § 15a Abs. 2 AsylG 2005 gilt für Fremde, die in einer Betreuungseinrichtung des Bundes versorgt werden, die Abwesenheit von mindestens 48 Stunden von der Betreuungseinrichtung als Verletzung der Meldeverpflichtung.

Zwar wurde dem BF mit Verfahrensanordnung vom 13.08.2021 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz vollumfänglich abzuweisen. Zudem wurde er über seine Meldeverpflichtung informiert. Allerdings hat er sich nicht im Sinne des § 24 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 seinem Asylverfahren entzogen, weil sein Aufenthaltsort durch die Einholung eines simplen ZMR-Auszugs leicht feststellbar gewesen wäre.

Auf diese Weise ist die Einvernahme des BF, ein zentraler Punkt in einem Verfahren auf internationalen Schutz, unterblieben. Diese wäre nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts jedoch unbedingt erforderlich gewesen, da seine Schilderungen in der Erstbefragung, er habe in Indien keine Mittel mehr gehabt, um sich mit Essen zu versorgen, einer näheren Prüfung hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bedürfen.

Da das Bundesamt vor Erlassung des gegenständlichen Bescheides am 20.08.2021 nicht einmal einen aktuellen ZMR-Auszug eingeholt hat, aus dem ersichtlich gewesen wäre, dass der BF bereits seit 13.08.2021 seinen Hauptwohnsitz in 1100 Wien hat, und aus diesem Grund die Einvernahme des BF unterblieben ist, hat die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, weshalb auf Grundlage des bisherigen Beweisverfahrens die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht möglich ist, weil dieser in wesentlichen und essentiellen Teilen ergänzungsbedürftig ist.

Die Vorgangsweise des Bundesamtes lässt im Ergebnis in Anbetracht der massiven Verfahrensmängel den Schluss zu, dass die bisher nicht vorgenommene Einvernahme des BF im Sinne einer „Delegierung“ durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden sollte. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es nicht im Sinne des Gesetzes liegt, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Sachverhalts soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und – bis auf die eingeschränkte Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – zugleich enden.

Schließlich führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das erkennende Gericht die notwendigen Erhebungen selbst vornimmt.

Der angefochtene Bescheid war daher gem. § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung nach Sachverhaltsergänzungen zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird im fortgesetzten Verfahren den BF einzuvernehmen und zu prüfen haben, ob ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, sollte er tatsächlich über keine Lebensgrundlagen mehr in Indien verfügen.

2.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung

Eine mündliche Beschwerdeverhandlung konnte gem. § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revison

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; VwGH 20.05.2015, Ra 2014/20/0146; VwGH 24.11.2016, Ra 2016/07/0098). Durch die genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Einvernahme Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Meldebehörde Meldefehler Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W186.2246870.1.00

Im RIS seit

17.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

17.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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