Entscheidungsdatum
31.05.2021Norm
BBG §40Spruch
L511 2233141–1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid Landesstelle XXXX vom 11.03.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]
1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 10.01.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.6) und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.7-2.11, 2.14-2.16, 2.18).
1.2. Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 17.02.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.02.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 30 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.23).
1.2.1. Im Zuge des weiteren Ermittlungsverfahrens nahm der Beschwerdeführer am 03.03.2020 zum Gutachten Stellung und legte Befunde vor (AZ 2.17). Das SMS holte ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 10.03.2020 wurde ohne erneute persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers, jedoch unter Einbeziehung der mit AZ 2.17 vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und erneut GdB von 30 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.24).
1.3. Mit Bescheid des SMS vom 11.03.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 10.01.2020 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da er mit einem Grad der Behinderung von 30 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.32).
Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 03.05.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.
1.4. Mit Schreiben vom 22.04.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den Bescheid des SMS vom 11.03.2020 (AZ 1.2).
Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, seine Funktionseinschränkungen des Sehens seien nicht korrekt bewertet worden. Die Seh-Einschränkung müsse zu einer Erhöhung des GdB führen, zumal sie geeignet sei, seine anderen Funktionseinschränkungen zu verschärfen. Seine psychischen Leidenszustände seien ebenso selbständig zu beurteilen und würden zu einer Erhöhung des GdB führen. Gleiches gelte für sein Trockenes-Auge-Syndrom. Die vorgelegten Befunde seien nicht ausreichend berücksichtigt worden
1.5. Im Zuge des weitergeführten Ermittlungsverfahrens holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Chirurgie ein. Dieses Gutachten vom 14.07.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 09.07.2020 unter Einbeziehung des Vorgutachtens vom 17.02.2020, Befunden aus den Jahren 2018 bis 2020 sowie des Beschwerdevorbringens erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein GdB von 30 vH, sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.25).
2. Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 20.07.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.32]).
2.1. Dem Beschwerdeführer wurde zunächst mit Parteiengehör vom 24.08.2020 das Sachverständigengutachten vom 14.07.2020 (AZ 2.25) mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf diese Gutachten zu stützen, übermittelt (OZ 2).
2.2. Mit Stellungnahme vom 27.08.2020 legte der Beschwerdeführer Befunde vor und teilte mit, dass er ein klinisch-psychologisches Gutachten vom 07.07.2020 (die Diagnose Asperger enthaltend) im Rahmen der Untersuchung zum letzten vom SMS in Auftrag gegebenen Gutachten dem Gutachter ausgehändigt habe, es sei jedoch im Gutachten festgehalten worden, dass keine Unterlagen bezüglich seiner Diagnose Asperger vorliegen. Aufgrund dessen sei die Beibehaltung eines GdB von 30 vH unzutreffend. Darüber hinaus sei seine Coxarthrose nicht incipient, sondern fortgeschritten, was sich aus einem Befund vom 12.08.2020 ergebe, welcher vom Gutachten ebenso nicht berücksichtigt worden sei (OZ 3, 4).
2.3. Das BVwG holte zunächst ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Klinischen Psychologie und Neuropsychologie ein. Dieses Gutachten vom 20.10.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.10.2020 sowie unter Einbeziehung der ärztlichen Vorbefunde und Stellungnahmen des Beschwerdeführers erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurde die Asperger-Symptomatik des Beschwerdeführers festgestellt und mit einem GdB von 10 vH bewertet (OZ 7, 8). In der Folge wurde ein Gesamtgutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin eingeholt. Dieses Gutachten vom 08.03.2021 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 16.02.2021 unter Einbeziehung der Vorgutachten vom 10.03.2020, vom 14.07.2020 sowie vom 20.10.2020, des klinisch-psychologischen Gutachtens vom 07.07.2020, des augenärztlichen Befundes vom 01.05.2020, des radiologischen Befundes vom 12.08.2020 sowie des anamnestischen Vorbringens des Beschwerdeführers im Rahmen der Untersuchung erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein GdB von 30 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (OZ 18).
2.4. Mit Parteiengehör vom 01.04.2021 übermittelte das BVwG den Verfahrensparteien die Sachverständigengutachten vom 20.10.2020 (OZ 7, 8) und vom 08.03.2021 (OZ 18) mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf diese Gutachten zu stützen (OZ 22).
2.5. In seiner Stellungnahme vom 26.04.2021 brachte der Beschwerdeführer vor, die Asperger-Symptomatik müsse sein rheumatisches Hauptleiden steigern, zumal physische und psychische Beeinträchtigungen wesensverschieden seien und es andernfalls zu einer Diskriminierung psychischer Beeinträchtigungen komme. Weiters sei ausschließlich die Asperger-Symptomatik mit 10 vH befundet worden, währenddessen in den Vorgutachten seine Angst- und Zwangsstörung bzw. Depression jeweils mit 20 vH festgestellt worden seien. Es würde den Denkgesetzen widersprechen, wenn das Hinzukommen der Befundung eines isoliert stehenden psychischen Leidenszustandes (Asperger) zu einer Abnahme des GdB (von 20 vH auf 10 vH) führte. Dass die Zwangs-/Angst-/Panikstörungen, die depressive Verstimmung sowie die vegetativen Regulationsstörungen und Palpitationen im neuropsychologischen Gutachten diagnostisch erfasst worden wären, wie es im letzten allgemeinmedizinischen Gutachten festgehalten wurde, sei unzutreffend, wie auch die Mitberücksichtigung jener Symptome unter die Asperger-Symptomatik. Im psychologischen Gutachten sei auch ausschließlich die Asperer-Symptomatik befundet worden und keine darüberhinausgehende Psychodiagnostik vorgenommen worden. Es sei somit von einem GdB von 20 vH noch ohne Berücksichtigung des Aspergers auszugehen. Es liege allenfalls ein unzureichend ermittelter Sachverhalt vor, zumal das neuropsychologische Gutachten keine Einschätzung des Gesamtgrades aller geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen vorgenommen habe.
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. entscheidungswesentliche Feststellungen
1.1. Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und stellte am 10.01.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.
1.2. Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Erkrankungen des Bewegungsapparates:
juvenile rheumatische Arthritis,
Hüftgelenksarthrose rechts,
Skoliose BWS/LWS
Wahl dieser Position wie im Vorgutachten bei Beeinträchtigung mehrerer Gelenke, unterer Rahmensatz, da die rheumatischen Beschwerden schubweise auftreten und mit fallweiser Einnahme von NSAR ausreichend therapiert werden können, da die Einschränkung der Behinderung von Seiten des rechten Hüftgelenks anhand der Funktionseinschränkung erfolgt und diese lediglich in Form einer eingeschränkten Drehfähigkeit vorliegt, da die Skoliose unter regelmäßiger Physiotherapie nicht zu schmerzbedingten Einschränkungen führt
02.02.02
30
2
Arterielle Hypertonie
fixer Richtsatz bei notwendiger Mehrfachtherapie
05.01.02
20
3
Asperger-Symptomatik
Einschätzung entsprechend dem vorliegenden neuropsychologischen Gutachten
03.04.01
10
4
Schlafapnoesyndrom (OSAS)
fixer Richtsatz bei fehlender Indikation zur nächtlichen Beatmung
06.11.01
10
1.3. Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 30 vH.
Das Leiden mit der lfd. Nr. 2 erhöht den Gesamtgrad der Behinderung wegen fehlender zusätzlicher funktioneller Relevanz nicht, die Leiden mit den lfd. Nr. 3 und 4 erhöhen wegen Geringfügigkeit nicht.
1.4. Keinen Grad der Behinderung erreichen Sehminderung (korrigiert durch Brille); Sicca Syndrom (keine relevante Behinderung durch regelmäßige Anwendung von Augentropfen); Entzündungen der Leder- und Regenbogenhaut etwa zweimal jährlich (keine dauerhafte Behinderung bzw. allenfalls erfasst durch lfd. Nr. 1 (rheumatischer Formenkreis, schubhafter Verlauf).
1.5. Es handelt sich um einen Dauerzustand.
2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung
2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:
? Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 08.03.2021 (OZ 18)
? Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Neuropsychologie vom 20.10.2020 (OZ 7, 8)
? Gutachten aus dem Fachgebiet der Klinischen Psychologie vom 07.07.2020 (OZ 4)
? Beschwerde vom 22.04.2020 (AZ 1.2)
? Stellungnahmen des Beschwerdeführers vom 03.03.2020 (AZ 2.17), vom 27.08.2020 (OZ 3, 4), vom 26.04.2021 (OZ 22)
? Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR]
2.2. Beweiswürdigung
2.2.1. Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.6, OZ 1).
2.2.2. Die Feststellungen zu den festgestellten Funktionseinschränkungen unter den lfd. Nummern 1, 2 und 4 (Pkt. 1.2.), die Feststellungen zu den Leiden des Beschwerdeführers die keinen GdB erreichen (Pkt. 1.4.) sowie die Feststellung, dass es sich um einen Dauerzustand handelt (Pkt. 1.5.), ergeben sich aus dem jüngsten Gesamtsachverständigengutachten aus den Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 08.03.2021 (OZ 18). Die Feststellungen wurden weder vom SMS noch vom Beschwerdeführer in seiner zuletzt abgegebenen Stellungnahme vom 26.04.2021 (OZ 22) in Zweifel gezogen und auch für den erkennenden Senat ergaben sich diesbezüglich keine Zweifel.
2.2.3. Im Hinblick auf die unter lfd. Nummer 3 erfassten psychischen Leiden des Beschwerdeführers, moniert dieser, im neuropsychologischen Gutachten vom 20.10.2020 seien seine Zwangs-, Angst- und Panikstörungen, seine depressive Verstimmung sowie seine vegetativen Regulationsstörungen und seine Palpitationen, entgegen den Angaben im letzten allgemeinmedizinischen Gutachten, nicht diagnostiziert und auch nicht mitberücksichtigt worden.
2.2.3.1. Dazu ist festzuhalten, dass im einzig erfolgten Fachgutachten, dem neuropsychologischen Gutachten vom 20.10.2020, die depressiven Verstimmungen, seine Zwangssymptome bei stressbedingter Überforderung (GA S 2-3), seine Kontaktängste sowie Fehlschlag- und Kritikängste, seine erhöhten Kontrollzwänge, seine erhöhte Ängstlichkeit und seine Verstärkung anankastischer Persönlichkeitskomponenten bis hin zu Zwangsstörungen (GA S 4) exploriert wurden und in der Diagnose Asperger mitaufgenommen wurden.
Dies deckt sich mit dem vom Beschwerdeführer selbst eingeholten klinisch-psychologischen Gutachten vom 07.07.2020 (OZ 4), dem die depressive Akzentuierung des Beschwerdeführers, sowie die Angst, Zwanghaftigkeit und Körperbeschwerden zu entnehmen sind, welche unter der Diagnose F 84.5 (Asperger) zusammengefasst wurden.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sind somit die Zwangs-, Angst- und Panikstörungen und die depressive Verstimmung sehr wohl vom neuropsychologischen Gutachten mitumfasst, und zwar in der Diagnose Asperger.
2.2.3.2. Betreffend die vegetativen Regulationsstörungen und die Palpitationen des Beschwerdeführers ist darauf hinzuweisen, dass diese ausschließlich einer Honorarnote aus dem Jahr 2012 welche diese Diagnosen enthält (AZ 2.8) zu entnehmen sind. Weder im Rahmen der Erstellung des neuropsychologischen Gutachtens (OZ 7, 8), noch des klinisch-psychologischen Gutachtens (OZ 4), noch der allgemeinmedizinischen Gutachten (AZ 2.23, AZ 2.24, AZ 2.25, OZ 18) wurden diese Beschwerden vom Beschwerdeführer angegeben, noch wurden die Beschwerden im Rahmen der Untersuchungen auffällig. Die vegetativen Regulationsstörungen und die Palpitationen sind somit aktuell nicht (mehr) objektivierbar.
2.2.4. Zur Kritik des Beschwerdeführers, dass sein psychisches Leiden unter der lfd. Nummer 3 nunmehr mit lediglich 10 vH (OZ 7, 8, 18) und nicht mehr mit 20 vH (AZ 2.23, 2.24, 2.25) bewertet worden sei, was bei Hinzukommen einer weiteren Diagnose den logischen Denkgesetzen widerspräche, ist darauf hinzuweisen, dass die Einschätzung mit 10 vH von einem fachspezifischen Gutachter vorgenommen wurde, welcher im Rahmen einer zwei Stunden umfassenden Untersuchung auch zahlreiche Tests durchführte, weshalb von einem gesicherten Ergebnis gesprochen werden kann. Die Einschätzung mit 20 vH wurden demgegenüber von Ärzten mit den Fachgebieten Allgemeinmedizin bzw. Chirurgie vorgenommen.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass (auch) in Beschwerdeverfahren betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses kein Verbot der reformatio in peius (Verschlechterungsverbot) besteht. Das bedeutet, dass der im Beschwerdeverfahren gegebenenfalls durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens festgestellte GdB nicht nur im Falle einer höheren Einschätzung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde zu legen ist, sondern auch dann, wenn es zu einer geringeren Einschätzung – wie fallbezogen 10 vH anstelle von 20 vH – durch medizinische Sachverständige kommt (vgl. VwGH 09.09.2019, Ro 2016/08/0009, mwN).
2.2.5. Der Beschwerdeführer kritisiert die zuletzt erfolgte Einschätzung ergänzend damit, dass seine physischen und seine psychischen Leiden wesensverschieden seien. Wenn das psychische Leiden das physische Leiden nicht steigere, führe dies zu einer Diskriminierung des psychischen Leidens. Dieser Kritik ist nicht zu folgen, da sich das psychische Leiden und das orthopädisches Leiden nicht wechselseitig negativ beeinflussen, weshalb eine Steigerung des GdB nicht angezeigt ist.
2.2.6. Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer keine begründeten Widersprüche oder eine Ergänzungsbedürftigkeit der beiden letzten Gutachten aufgezeigt (vgl. VwGH 24.10.2013, 2013/07/0088). Das SMS ist den Feststellungen in den Gutachten nicht entgegengetreten. Die Feststellungen in den letzten beiden Gutachten vom 20.10.2020 und 08.03.2021 sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Sie basieren beide auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und beinhalten sämtliche vom Beschwerdeführer vorgebrachten gesundheitlichen Umstände und stehen – wie bereits dargelegt – mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Der erkennende Senat legt daher die in den jüngsten Gutachten zusammengefassten Feststellungen dem Verfahren zu Grunde.
3. Entfall der mündlichen Verhandlung
3.1. Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).
3.2. Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).
4. Rechtliche Beurteilung
4.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
4.1.2. Die Beschwerde gegen den Bescheid des SMS ist rechtzeitig und zulässig.
4.1.3. Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:
§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
4.2. Abweisung der Beschwerde
4.2.1. Die beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).
4.2.2. Die eingeholten Sachverständigengutachten sind, wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt, richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt zum Entscheidungszeitpunkt 30 vH und er erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG nicht, da dieser nur bei einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH auszustellen ist.
4.2.3. Da die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses somit nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zum rechtlichen Interesse an einer Feststellung des Grads der Behinderung VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109.
Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2233141.1.00Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022