Entscheidungsdatum
20.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
W105 2220907-1/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde der mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2019, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung einer neuen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine äthiopische Staatsangehörige, wurde am XXXX in Österreich geboren.
Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter der XXXX , der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 18.10.2017, Zl. XXXX , der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war.
Am 24.05.2019 brachte die Mutter der Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin für diese den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren ein. Die Mutter der Beschwerdeführerin gab dabei an, dass sich der Antrag auf ihre Fluchtgründe beziehe und die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe habe.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.06.2019 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 3 AsylG erhielt die Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und es wurde ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18.10.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).
Es wurde im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien. Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die Beschwerdeführerin keine individuell ihre Person betreffenden Fluchtgründe habe, weil sie in Österreich geboren worden sei und ihre gesetzliche Vertreterin keine eigenen Fluchtgründe für sie vorgebracht habe. Hinsichtlich der von ihrer gesetzlichen Vertreterin vorgebrachten Fluchtgründe und der diesbezüglich vorgenommenen Beweiswürdigung werde auf die Bescheidbegründung in deren Verfahren verwiesen. Die Beschwerdeführerin sei Familienangehörige eines befristet subsidiär Schutzberechtigten. Da keinem anderen Familienmitglied der Beschwerdeführerin der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die Beschwerdeführerin eine Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. Im Rahmen des Familienverfahrens erhalte sie den gleichen Schutz wie ihre gesetzliche Vertreterin.
3. Mit Verfahrensanordnung vom 06.06.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
4. Gegen Spruchpunkt I. des obgenannten Bescheides wurde mit Schriftsatz vom 01.07.2019 fristgerecht Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die vom BFA zugrunde gelegten Länderfeststellungen unvollständig seien und das BFA es verabsäumt habe, auf die der Beschwerdeführerin in Äthiopien drohende Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung einzugehen. Die Mutter der Beschwerdeführerin sei im Herkunftsstaat beschnitten worden. Mangels einer genauen Befragung der Mutter der Beschwerdeführerin seien wesentliche Umstände nicht erörtert und der Sachverhalt unzureichend ermittelt worden. Zudem würde die Beschwerdeführerin als uneheliches Kind in Äthiopien diskriminiert werden. Insbesondere aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen drohe ihr asylrelevante Verfolgung in Äthiopien und es sei der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Es wurde unter anderem die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
5. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden vom BFA vorgelegt und sind am 05.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
6. Mit Bescheid des BFA vom 09.07.2019 wurde der angefochtene Bescheid vom 03.06.2019 dahingehend berichtigt, dass der Name der Beschwerdeführerin von XXXX auf XXXX geändert wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der unter I. dargelegte Verfahrensgang.
Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehörige von Äthiopien und am XXXX in Österreich geboren.
Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter des XXXX und der XXXX , geb. XXXX , StA. Äthiopien, der mit Bescheid des BFA vom 18.10.2017, Zl. XXXX , der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Das Beschwerdeverfahren der Mutter der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.01.2019 wegen Zurückziehung ihrer Beschwerde eingestellt.
Die Mutter der Beschwerdeführerin ist deren gesetzliche Vertreterin und brachte für diese am 24.05.2019 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren ein. In diesem führte sie aus, dass sich der Antrag auf ihre Fluchtgründe beziehe und machte für die Beschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend.
Zu dem gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz fand keine Einvernahme im Verfahren vor dem BFA statt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zu ihrer Familie, zum Verfahrensgang sowie zur unterbliebenen Einvernahme vor dem BFA im gegenständlichen Verfahren ergeben sich aus dem diesbezüglich unzweifelhaften Inhalt des Verwaltungsaktes.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Soweit nicht ein Erkenntnis gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss.
Zu A) Zurückverweisung:
3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht nach § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet daher die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 28.03.2017, Ro 2016/09/0009) ist eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG zulässig, wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt sehr unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Entscheidung in der Sache brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088; VwGH 23.02.2017, Ra 2016/09/0103).
Von der Möglichkeit der Zurückverweisung soll nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123, VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (vgl. zum Ganzen VwGH 26.6.2019, Ra 2018/11/0092, mwN).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
3.3. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.
3.3.1. Gemäß § 18 Abs. 1 1. Fall AsylG hat das BFA in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Gemäß § 19 Abs. 2 AsylG ist ein Asylwerber vom BFA, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und -soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird -zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3).
Bereits aus § 34 Abs. 1 AsylG ergibt sich, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen –anders als nach dem Asylerstreckungsverfahren nach dem AsylG 1997 in der Fassung BGBl. I 101/2003 –ex lege als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes" gilt. Die Behörde hat somit bei einem Antrag eines Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen und über jeden mit gesondertem Bescheid abzusprechen ist (§ 34 Abs. 4 AsylG). Unabhängig von der konkreten Formulierung ist jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Linie auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichtet. Es sind daher für jeden Antragsteller allfällige eigene Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn solche – nach einem ordnungsgemäßen, also den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, Ermittlungsverfahren – nicht hervorkommen, ist dem Antragsteller jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt wurde (vgl. VwGH 24.03.2015, Ra 2014/19/0063).
Die Einvernahme nach Zulassung des Verfahrens dient der Erforschung der Fluchtgründe. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG ist das BFA zur amtswegigen Ermittlung der Fluchtgründe gehalten. § 19 AsylG präzisiert hinsichtlich der Befragung (als eine der Haupterkenntnisquellen im Asylverfahren), dass der Asylwerber persönlich von einem Organwalter des BFA einzuvernehmen ist, was im vorliegenden Beschwerdefall allerdings nicht geschehen ist. Das BFA hätte eine Einvernahme auch dann durchführen müssen, wenn der jeweilige Antragsteller vermeint, keine Fluchtgründe zu haben; es ist einem rechtsunkundigen, sprachunkundigen Fremden nicht zumutbar, zu erkennen, welche Gründe zur Asylgewährung führen können und welche nicht.
3.3.2. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um die minderjährige Tochter einer in Österreich aufhältigen subsidiär Schutzberechtigten handelt. Das BFA ist daher zutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen für ein Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ausgegangen.
3.3.3. Das BFA hat es im gegenständlichen Fall aber gänzlich unterlassen, die gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführerin über das Vorliegen möglicher individueller Fluchtgründe der Beschwerdeführerin zu befragen und konnte diese sohin mangels Gelegenheit bzw. mangels eingeräumter Möglichkeit kein Vorbringen erstatten, welches unter Umständen im Hinblick auf § 3 AsylG asylrelevant wäre. Die mangelnde Befragung bzw. Erörterung wesentlicher Umstände wurde auch in der Beschwerde der Beschwerdeführerin moniert.
Insoweit das BFA seine abweisende Entscheidung in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides darauf stützt, dass die gesetzliche Vertreterin für ihre minderjährige Tochter keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht habe, ist dem entgegenzuhalten, dass das Antragsformular, bei dem es sich um einen Vordruck des BFA selbst handelt, bei dem die beiden Sätze „Eigene Fluchtgründe habe ich für mein Kind nicht vorzubringen. Ich beantrage daher gem. § 34 AsylG 2005 die Gewährung desselben Schutzes wie in meinem Falle.“ bereits vorgedruckt sind, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Angaben die Behörde von der amtswegigen Ermittlung eventueller Schutzgründe von vornherein zu befreien in der Lage sind.
Weiters ist dem Antragsformular nicht zu entnehmen, ob die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin beraten wurde bzw. ob bei der Antragstellung ein Dolmetscher beigezogen worden war. Dass der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin die Bedeutung des vorgedruckten Formulars bewusst war bzw. sie dessen Inhalt tatsächlich auch verstanden hat, lässt sich dem Verwaltungsakt nicht zweifelsfrei entnehmen. Vor diesem Hintergrund hätte das BFA bei der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin im Vorfeld der Bescheiderlassung jedenfalls um Klarstellung ersuchen müssen, ob diese das Vorliegen individueller Gründe im Verfahren ihrer minderjährigen Tochter geltend mache.
Das BFA hat im vorliegenden Verfahren damit nicht einmal ansatzweise Ermittlungen dahingehend getätigt, ob im Falle der minderjährigen Beschwerdeführerin allenfalls individuelle Gründe für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten vorliegen.
Demnach ist keine taugliche Grundlage für die Feststellung zu erkennen, dass der minderjährigen Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt keine relevante Gefährdung in ihrem Herkunftsstaat Äthiopien drohen würde. Die aufgezeigten gravierenden Ermittlungsmängel erwecken den Eindruck, dass die Behörde die erforderlichen Verfahrenshandlungen bewusst an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren versuchte.
3.4. Zusammengefasst ist somit festzuhalten, dass das BFA den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht ermittelt hat. Aufgrund der Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in Bezug auf etwaige Verfolgungsgründe der Beschwerdeführerin hat das BFA willkürlich gehandelt und daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.
Im Zuge des fortgesetzten Verfahren wird das BFA sohin im Rahmen einer Einvernahme der Mutter als gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführerin das Bestehen etwaiger eigener Fluchtgründe zu ermitteln haben, wobei auch das Beschwerdevorbringen zur Gänze zu berücksichtigen sein wird. Aufgrund des zu behandelnden Themenbereichs der weiblichen Genitalverstümmelung wird die Einvernahme von einer weiblichen Organwalterin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen wurden der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin auch nicht vorgehalten, weshalb diese im fortgesetzten Verfahren mit ihr zu erörtern sind.
Erst auf der Basis von diesbezüglich getätigten Erhebungen und aufgrund der nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen kann eine abschließende Beurteilung der Frage des Vorliegens einer asylrelevanten Verfolgung sowie der Situation im Falle einer Rückkehr erfolgen. Diesbezüglich erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde noch als völlig ungeklärt.
Eine Nachholung des grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung - insbesondere eine erstmalige Einvernahme - und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weshalb gegenständlich kassatorisch vorzugehen ist.
Der angefochtene Bescheid war folglich zu beheben und die Rechtssache angesichts der darlegten Versäumnisse spruchgemäß an die belangte Behörde zur neuerlichen Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 Zweiter Satz VwGVG zurückzuverweisen.
Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits aufgrund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde in der rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einvernahme Ermittlungspflicht Fluchtgründe Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Minderjährigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W105.2220907.1.00Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022