TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/11 W112 2177713-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
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Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W112 2177713-1/58E
W112 2177708-1/43E
W112 2177716-1/29E
W112 2177717-1/29E
W112 2177710-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX und 5. XXXX , geb XXXX , alle StA. RUSSISCHE FÖDERATION, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , 1. – 5. vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. vom 23.10.2017, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX , 4. Zl. XXXX und 5. Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.05.2021 zu Recht:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern des mj. Drittbeschwerdeführers, des mj. Viertbeschwerdeführers und der mj. Fünftbeschwerdeführerin. Sie sind Staatsangehörige der RUSSISCHEN FÖDERATION.

1.2. Die Beschwerdeführer reisten am 02.09.2017 mit dem Flugzeug aus XXXX kommend am Flughafen XXXX ein. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten für sich und ihre drei minderjährigen Kinder Anträg auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer wurden in der Transitzone des Flughafens untergebracht und die Erstaufnahmestelle am Flughaften führte das Zulassungsverfahren durch.

Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 04.09.2017 gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er Russland mit seiner Familie Mitte August 2017 verlassen habe und dass sie von MOSKAU nach XXXX geflogen seien. Nach einem ca. dreiwöchigen Aufenthalt in XXXX seien sie am 02.09.2017 nach Österreich geflogen. Im Jahr 2013 habe der Erstbeschwerdeführer bereits in DEUTSCHLAND und in POLEN um Asyl angesucht. Er habe damals nicht in POLEN bleiben wollen und sei weiter nach DEUTSCHLAND gereist und habe ca. 6 Monate in DEUTSCHLAND gelebt und sei dann freiwillig wieder nach Russland zurückgekehrt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er wegen der Probleme seiner Frau aus Tschetschenien geflüchtet sei. Seine Frau sei von einem anderen sehr reichen und einflussreichen Mann begehrt und daher verfolgt worden. Dieser Mann habe gedroht, dass der Erstbeschwerdeführer durch einen Unfall sterben könnte. Von der Polizei seien sein russischer Inlandsreisepass, sein russischer Führerschein und seine tschetschenische Heiratsurkunde sichergestellt worden.

Am selben Tag wurde die Zweitbeschwerdeführerin erstbefragt und gab dabei an, dass ein sehr reicher und einflussreicher bzw. hochstehender tschetschenischer Mann in Regierungskreisen sie begehrt habe. Dieser Mann habe ca. 50 Frauen und habe auch die Zweitbeschwerdeführerin heiraten wollen. Er habe ihren Mann und ihre Kinder bedroht bzw. angedeutet, dass es möglich sei, dass diese einen Unfall haben und getötet werden können. Ihr Cousin habe sie auch bedroht, weil dieser gedacht habe, dass die Zweitbeschwerdeführerin ein Verhältnis mit diesem einflussreichen Mann habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe deshalb Angst um ihr Leben. Sie legte ihren russischen Inlandsreisepass und drei tschetschenische Geburtsurkunden vor. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien auch mit ihren russischen Auslandsreisepässen gereist, die der Erstbeschwerdeführer am Flughafen XXXX vernichtet habe.

1.3. Am 11.09.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) im Beisein eines Rechtsberaters niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll, dass er immer in XXXX gelebt habe und sein Elternhaus letztmals am 15.08.2017 verlassen habe. Seine Eltern und zwei Geschwister sowie Onkeln und Tanten seien ebenfalls dort noch aufhältig. Zur Ehe führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Frau nicht trinken, rauchen, mit fremden Männern reden dürfe und zu tun habe, was er als ihr Mann sage. Wenn jemand anderer sehe, wie sie mit einem Fremden redet, dann sei das eine Schande für den Erstbeschwerdeführer. Es sei nicht vorgekommen, dass seine Ehefrau beim Reden mit jemanden gesehen worden sei, aber sie habe von einer Drohung erzählt, dass sie angeblich mit jemanden gesprochen haben soll. Ein Mann, über den er nichts Näheres wisse bzw. auch nichts wissen wolle, habe indirekte Drohungen gegen den Beschwerdeführer ausgesprochen. Es sei ein religiös tätiger, einflussreicher Mann in Tschetschenien, der seine Frau heiraten wolle. Im Jahr 2013 habe er in POLEN und DEUTSCHLAND Asylanträge gestellt, weil er Probleme mit den Behörden gehabt habe und einmal in der Nacht mitgenommen, geschlagen und in einem Keller vier Tage festgehalten worden sei. Nach seiner freiwilligen Heimkehr habe sich Derartiges nicht wiederholt und er habe keine Probleme mehr gehabt.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte ebenfalls zusammengefasst vor, dass sie in XXXX geboren sei und bis zur Heirat gelebt habe, danach habe sie bei ihrem Mann in XXXX gewohnt. Ihre Mutter und drei Geschwister leben in XXXX in einem Einfamilienhaus. Die Zweitbeschwerdeführerin sei gelernte Krankenschwester, aber nach der Geburt ihres dritten Kindes habe sie aufgehört zu arbeiten. Im Jahr 2013 habe sie einen Asylantrag in POLEN und DEUTSCHLAND gestellt, weil ihr Ehemann ein Problem gehabt habe, welches jetzt nicht mehr bestehe. Ihr Mann sei damals entführt und zusammengeschlagen worden. Sie seien dann freiwillig aus DEUTSCHLAND in die Heimat zurückgekehrt. Ihre Verwandten und die Verwandten ihres Gatten verstehen sich gut und es gebe keine Probleme. Die Kinder haben in Tschetschenien die Schule bzw. den Kindergarten besucht und ihr Gatte habe als Langstrecken-Lkw-Fahrer im Familienbetrieb gearbeitet. Ihre Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, dass ihre Schwester krank gewesen sei, und sie mit ihr ein religiöses Institut besucht habe, um die Schwester behandeln zu lassen. Dort habe sie diesen Mann namens XXXX kennen gelernt und es sei zu einem normalen Gespräch gekommen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei viermal auch alleine dort gewesen, weil ihr von XXXX eine Anstellung als Krankenschwester zugesagt worden sei. Dieser Mann habe sie aber viel über Privates ausgefragt und es sei weniger um die Anstellung gegangen. Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin die Anstellung dann schließlich abgelehnt habe, sei ihr der Mann einen Monat später weiterhin gefolgt und habe ihr angeraten sich scheiden zu lassen. Daraufhin habe sie einen Nervenzusammenbruch gehabt und sei für einen Monat zu ihrer Mutter gezogen. Es seien wieder Monate vergangen und die Zweitbeschwerdeführerin sei möglichst zu Hause geblieben und nicht hinaus gegangen. Als sie zum Elternabend in die Schule gegangen sei, sei sie aufgefordert worden in ein Auto zu steigen und sei ins Haus von XXXX gebracht worden. XXXX habe ihr geraten, sie solle tun, was er sage und sie könne bei ihm wie eine Königin leben. Sie werde es sonst bereuen und müsse beschmutzt weiterleben. Die Zweitbeschwerdeführern habe um Bedenkzeit gebeten und sei nach diesem Vorfall weiterhin beobachtet worden. Dieser Mann habe sie immer wieder eingeladen und sie habe es bei einem vorletzten Gespräch versucht, es endgültig zu beenden. Dieses Gespräch habe dann ihr Cousin beobachtet und bedrohte dann die Zweitbeschwerdeführerin als „billiges, schmutziges Flittchen, dass nicht lange überleben werde“. Sie habe noch ein letztes Gespräch angeregt, weil sie die Angst vor XXXX , vor ihrem Mann und vor der Verwandtschaft sattgehabt habe und sie den Gerüchten ein Ende setzten habe wollen. XXXX habe ihr gedroht und gemeint, ihrer Familie könne etwas passieren. Danach habe sie alles ihrer Schwiegermutter erzählt, damit diese es ihrem Mann erzähle. Ihr Mann sei ein reizbarer Mensch, aber tue niemanden etwas. Er habe den anderen Mann auch nicht belangen können, weil dieser zu großen Einfluss gehabt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin kleide sich traditionell und dann rede niemand mit ihr. Würde sie von jemand in Österreich angesprochen werden, dann würde sie sagen, dass sie verheiratet sei, sonst gäbe es die Polizei. Ihr Mann würde sich sicher kränken, aber niemanden töten; ganz ausschließen könne sie das im Falle einer Gewaltanwendung nicht, aber wenn sie selbst schuld wäre, dann hätte ihr Gatte sie entweder ihren Brüdern und Cousins übergeben oder das mit ihr geklärt. Sie wisse jedenfalls nicht, was genau ihr Gatte über die ganze Sache mit XXXX wisse, weil sie nur mit ihrer Schwiegermutter darüber gesprochen habe, ihr Gatte alles mit der Ausreise entschieden habe und es ihn ekle, danach zu fragen. Hinsichtlich des Problems mit ihrem Cousin gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass ihr Cousin drogensüchtig sei und seine Schwester halb tot geprügelt habe, weil er mit ihrer Heirat nicht einverstanden gewesen sei. Über die Situation der Zweitbeschwerdeführerin haben schon manche Leute gesprochen und ihre Ehre habe schon einen Schaden genommen.

1.4. Mit Schriftsatz vom 12.09.2017 ersuchte das Bundesamt UNHCR Österreich gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Zustimmung zur Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer.

UNHCR Österreich teilte mit Schreiben vom 14.09.2017 dem Bundesamt mit, dass im vorliegenden Fall die Zustimmung nicht erteilt werde. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin haben im Zuge der Erstbefragung als auch im Rahmen der Einvernahmen vor dem Bundesamt im Kern übereinstimmend angegeben, dass sie Verfolgung durch einen einflussreichen Mann in Tschetschenien befürchten. Dieser Mann habe ungeachtet des Umstandes, dass es sich bei der Zweitbeschwerdeführerin um eine verheiratete Frau handle, um ihre Hand geworben und sie zur Scheidung gedrängt. Nachdem ihn die Zweitbeschwerdeführerin zurückgewiesen habe, habe er der gesamten Familie gegenüber Gewalt angedroht. Es solle sich um den Kadyrow nahestehenden XXXX handeln. Außerdem befürchte die Zweitbeschwerdeführerin einen Ehrenmord durch ihren drogensüchtigen und gewalttätigen Cousin, weil dieser sie mit dem einflussreichen Mann beobachtet habe und folglich bei ihrer Mutter mit der Tötung gedroht habe. Im vorliegenden Fall liegen keine Hinweise vor, dass die Beschwerdeführer über ihre Herkunft oder Identität täuschen und ihre Asylanträge deshalb als eindeutig missbräuchlich eingestuft werden können. Außerdem werde die Offensichtlichkeit bzw. die geforderte Eindeutigkeit betreffend offensichtlich unbegründete Asylanträge so verstanden, dass nur Fälle „qualifizierter Unglaubwürdigkeit erfasst werden und eine ‚schlichte Unglaubwürdigkeit‘ des Asylwerbers nicht zur Anwendung dieses Tatbestandes führe. Auf Grund der vorhandenen Informationen zum Einzelfall und insbesondere vor dem Hintergrund der Herkunftsländerinformationen könne somit nach Ansicht von UNHCR nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit ausgeschlossen werden, dass die gesamte Familie im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland einer Verfolgung aufgrund der (zugeschriebenen) Verletzung religiöser Normen und Bräuche sowie aufgrund der Zugehörigkeit von der Zweitbeschwerdeführerin zur sozialen Gruppe der tschetschenischen Frauen, der wegen Missachtung der Wertvorstellungen ihrer Familie als weibliches Mitglied die Ermordung drohe, ausgesetzt sein können. UNHCR vertrat die Auffassung, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht in einem beschleunigten Verfahren als offensichtlich unbegründet eingestuft werden sollte.

Mit Schreiben vom 14.09.2017 teilte das Bundesamt mit, dass die Zurückweisung oder die Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer im Flughafenverfahren nicht mehr wahrscheinlich sei, gestattete die Einreise in das Bundesgebiet und ließ das Verfahren zu.

1.5. Am 18.10.2017 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er bei der letzten Einvernahme die Fluchtgründe vollständig anführen habe können. Neu sei, dass seine Schwägerin ebenfalls im Heimatland Probleme habe und von Leuten verschleppt worden sei, die auch ihm und seiner Familie Probleme bereiten. Seine Schwägerin sei nach seiner Frau befragt worden. Er wisse aktuell nicht mehr über die Fluchtgründe, als in der letzten Einvernahme und wolle das auch nicht wissen. Er sei seiner Frau nicht böse. In Österreich leben eine Cousine und ein Cousin sowie ein Cousin seines Vaters. Zu den ersten beiden Verwandten bestehe Kontakt und sie seien zu Besuch gekommen. Wenn der Erstbeschwerdeführer ins Heimatland zurückkehre, könnte er spurlos verschwinden, weil es gebe kein Gesetz in Tschetschenien und so was passiere wöchentlich.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, dass es für ihren Gatten schwierig sei, sich an die hiesigen Regeln zu gewöhnen. Er höre nicht auf die Zweitbeschwerdeführerin und in Tschetschenien wäre es nicht möglich, dass ein Mann die Tochter in den Kindergarten bringe. Ihr Mann schlafe schlecht und sage immer, dass die Zweitbeschwerdeführerin schuld daran sei, dass er herkommen haben müssen. Ihr Gatte versuche, sich an die örtlichen Gebräuche anzupassen, und wolle sich von der besten Seite zeigen. In Österreich gehen ihre Söhne in die Volksschule und ihre Tochter besuche den Kindergarten. Sie halte von Österreich aus insbesondere Kontakt mit ihrer Mutter und Schwester in Tschetschenien. Ihre Schwester sei in XXXX festgenommen worden und sei von der Behörde nach dem Aufenthaltsort der Zweitbeschwerdeführerin befragt worden. Im Bundesgebiet habe die Zweitbeschwerdeführerin keine Verwandten. Zudem habe ihre Schwester mit dem Vater ihres Cousins gestritten, weil er gemeint habe, dass die Mädchen (gemeint Zweitbeschwerdeführerin und Schwester) eine Schande für die Ehre seien. Seit ihrer letzten Einvernahme sei sonst nichts Neues dazugekommen und sie habe alles gesagt und halte ihre Gründe aufrecht. In ihrem Heimatland habe sie drei Alternativen gehabt. Die Schlechteste sei eine Scheidung von ihrem Mann gewesen, weil sie dann von XXXX geehelicht worden wäre und dieser sich sicher wieder scheiden hätte lassen, weil er die Zweitbeschwerdeführerin nur als Art Trophäe betrachte. Dann wäre sie von einem Cousin getötet worden. Ihre Schwiegermutter habe alles vorausgesehen und hätte ihr Mann etwas versucht zu unternehmen, weil er sehr impulsiv und aufbrausend sei, hätte das nichts gebracht, weil XXXX sehr hoch gestellt sei. Dann hätte man sich bei ihrer ganzen Familie gerächt. Also sei nur die dritte Alternative, die Ausreise und Flucht geblieben.

1.6. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom 23.10.2017 (alle zugestellt am 25.10.2017) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es räumte ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ein (Spruchpunkt IV.).

Das Bundesamt führte begründend u.a. aus, dass die Beschwerdeführer nicht zu befürchten haben, in der Russischen Föderation wegen einer einflussreichen Person namens XXXX verfolgt zu werden, weil dieser von der Zweitbeschwerdeführerin verlangt habe sich scheiden zu lassen, und dass sie aktuell keiner relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt seien. Ebenso sei eine Bedrohung durch den Cousin der Zweitbeschwerdeführerin, weil dieser sie in der Öffentlichkeit einmal mit dem fremden Mann gesehen habe, absolut unglaubwürdig. Es habe auch sonst keine asylrechtlich relevanten Gründe feststellen können. Die von der Zweitbeschwerdeführerin in den Einvernahmen hervorgekommene Wertehaltung sei mit den angeblich gesetzten Handlungen nicht zu vereinbaren. Aufgrund des kulturellen Hintergrundes und Ehrverständnisses des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sei keinesfalls nachvollziehbar, dass die Zweitbeschwerdeführerin entgegen dem Willen des Erstbeschwerdeführers eine Arbeit für sich gesucht habe und deshalb gesamt viermal zu XXXX ins XXXX gefahren sei, ebenso wenig sei nachvollziehbar, dass sich überhaupt jemals mit einem Mann in der Öffentlichkeit gezeigt hätte oder sogar aus eigenem Antrieb verabredet hätte. Nicht nur grundlegende Unlogik an dem Fluchtvorbringen verdeutlichen dessen Tatsachenwidrigkeit, sondern sei es auch zu eklatanten Widersprüchen zwischen den Ausführungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, sowie innerhalb ihrer eigenen Schilderungen gekommen. Des Weiteren sei es nicht plausibel, dass der beschriebene sehr einflussreiche Mann nicht mitbekommen habe, dass für den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin Auslandspässe beantragt worden seien und die Beschwerdeführer die Russische Föderation legal per Flugzeug verlassen haben können. Auch die Bedrohung durch den Cousin der Zweitbeschwerdeführerin sei aufgrund von Widersprüchen nicht glaubhaft und es liege den Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin zu den Treffen mit XXXX ein wesentlicher Zeitwiderspruch zugrunde. Schließlich sei auf das einsilbige und vage Aussageverhalten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin hinzuweisen, sodass zahlreiche Nachfragen notwendig gewesen seien, was auch auf konstruierte Antworten hinweise.

1.7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 17.11.2017 (eingebracht am selben Tag) fristgerecht Beschwerde. Die Bescheide wurden wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit ihres Inhalts bekämpft.

Begründend führten die Beschwerdeführer aus, dass den Beschwerdeführern seitens der tschetschenischen Sicherheitsbehörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und sie im Falle einer Rückkehr harte Repressalien zu erwarten haben. Grund dafür sei, dass die Zweitbeschwerdeführerin mehrmalige Avancen des Stellvertreters des XXXX ignoriert und sich dagegen gewehrt habe. Da die Zweitbeschwerdeführerin dem Willen des einflussreichen Mannes nicht entsprochen habe, seien ihr UND auch ihrer Familie Repressalien angedroht worden, sollte sie sich nicht dem Willen von XXXX beugen. Im Fall einer Rückkehr würden die Beschwerdeführer von den Sicherheitsbehörden, die unter XXXX Schutz stehen, schikaniert, verhaften oder gefoltert oder sogar ermordet werden. Es zeigen sich dahingehend schon Tendenzen: Die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin sei während des Aufenthalts der Beschwerdeführer in Österreich in XXXX festgenommen und nach dem Aufenthaltsort der Zweitbeschwerdeführerin befragt worden. Außerdem habe der Erstbeschwerdeführer vor kurzem eine Ladung zur Einvernahme als Zeuge in einer Strafsache bekommen, was nur als Vorwand herangezogen worden sei, um die Beschwerdeführer weiter unter Druck zu setzen. Somit sei es nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer von den tschetschenischen Sicherheitsbehörden aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung gesucht werden und ihnen im Falle einer Rückkehr eine Gefährdung drohe.

1.8. Die Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten langten am 24.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom 29.11.2017 übermittelten die Beschwerdeführer neue Beweismittel: zwei russische Vorladungen für den Erstbeschwerdeführer für eine Zeugenbefragung, sowie Fotos, die dem Vorbringen zufolge einen Cousin des Erstbeschwerdeführer, der in XXXX mit dem Auto verschleppt worden sei und über den Aufenthaltsort der Beschwerdeführer ausgefragt sowie körperlich misshandelt worden sei, zeigen.

Mit Eingabe vom 16.02.2018 ergänzten die Beschwerdeführer ihre Beschwerde und brachten zusammengefasst vor, dass die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides in weiten Teilen nicht plausibel sei und der Vorwurf, die Ausführungen der Zweitbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes sejien unglaubwürdig, seien nicht nachvollziehbar. XXXX sowie XXXX , welches im Jahr XXXX von Präsident Kadyrow eröffnet worden sei. Dort seien schon XXXX worden, weshalb auch die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer zum damaligen Zeitpunkt kranken Schwester in dieses XXXX gegangen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin sei ausgebildete Krankenschwester und habe vom XXXX angeboten bekommen. Die weiteren Handlungen von Hr. XXXX seien von der Zweitbeschwerdeführer nicht voraussehbar gewesen. Die Verbindungen zwischen Hr. XXXX und dem tschetschenischen Präsidenten Kadyrow seien offensichtlich; die beiden stehen sich auch freundschaftlich nahe. Diese enge Verbindung bringe alle Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in eine lebensgefährliche Situation. Kadyrows Position und die Macht seiner Vertrauten seien für Frauen in Tschetschenien, wie unterschiedliche Berichte bezeugen, ein großes Problem. Wenn ein Vertrauter Kadyrows an einer Frau Interesse gezeigt habe, so wie XXXX an der Zweitbeschwerdeführerin, dann sei die persönliche Situation der Frau so wie ihre Meinung irrelevant und in so einer Situation können viele Frauen aus Angst um ihre Angehörigen nicht Nein sagen, denn es sei nicht möglich, sich dem Willen dieser Person zu widersetzen. Da die Zweitbeschwerdeführerin mehrfach deutlich gemacht habe, nicht an Hr. XXXX interessiert zu sein, befürchte die Zweitbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr seiner Rache ausgesetzt zu sein. Auch die Befürchtung der Zweitbeschwerdeführerin, Opfer eines Ehrenmordes zu werden, sei alles andere als unbegründet. Laut Frauenorganisationen seien alle einhellig der Meinung, dass es heute mehr Ehrenmorde gebe, als noch vor 10 oder 15 Jahren. Ehrenmorde seien in Tschetschenien keine Seltenheit und werden auch von offizieller Seite regelmäßig mit Verweis auf Traditionen oder religiöse Vorschriften gerechtfertigt. Bei derartigen Ehrvorstellung gehe es nicht oft um Tatsachen, schon Gerüchte können eine Frau in eine lebensgefährliche Situation bringen. Die staatlichen Behörden seien in Tschetschenien nicht in der Lage, die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Familie vor einem Ehrenmord zu schützen, weil Kadyrow auch kein Interesse daran habe, Ehrenmorde zu verhindern, zumal er sie öffentlich rechtfertige. Die von der belangten Behörde angeführten Widersprüche zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und dem Erstbeschwerdeführer seien vor allem dadurch zu erklären, dass die vorgebrachte Situation für die Ehegatten ein Tabuthema darstelle. Die Gespräche darüber seien schwierig, weshalb auch die Mutter des Erstbeschwerdeführers mit einbezogen worden sei. Das Unwissen des Erstbeschwerdeführers beruhe auch auf seinem mehrfach kommunizierten Ehrgefühl und der gesellschaftlichen Schande die mit einem (angeblichen) Ehebruch einhergehen. Als Reaktion auf das Gespräch mit seiner Mutter habe der Erstbeschwerdeführer die notwendigen Schritte gesetzt, um die Familie zu schützen. Die Fluchtvorbringen seien auch mit den Länderberichten der Russischen Föderation vereinbar. Kadyrow und seine Getreuen haben ein Herrschaftssystem errichtet, in dem der Islam als auch das tschetschenische Gewohnheitsrecht eine spezielle frauenfeindliche und patriarchale Auslegung erfahren haben und letztlich werde in dessen Rahmen erwartet, dass eine Frau, die ein Herrschaftsträger begehrt, diesem gehörig zu sein habe, widrigenfalls Konsequenzen drohen. Die Ablehnung der Zweitbeschwerdeführerin, sich entsprechendem Vorgehen zu widersetzen, müsse somit als ein Akt des Widerstandes gegen eben dieses System verstanden werden, weshalb von einer Verfolgung aus politischen Gründen zu sprechen sei und eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Tschetschenien im Ergebnis unzumutbar wäre.

Mit Eingabe vom 22.06.2018 übermittelte der Erstbeschwerdeführer eingelöste Dienstleistungsschecks. Am 01.08.2018 legte der Erstbeschwerdeführer das ÖSD Zertifikat A1 vor. Mit Eingabe vom 16.10.2018 übermittelte die Zweitbeschwerdeführerin eingelöste Dienstleistungsschecks. Am 09.01.2019, 25.06.2019 und am 21.02.2021 legten die Beschwerdeführer verschiedene Empfehlungsschreiben vor.

Mit Eingabe vom 29.12.2020 reichten die Beschwerdeführer ärztliche bzw. psychologische Befunde der Fünftbeschwerdeführerin nach; diese leide an einer Entwicklungsstörung und benötigte logopädische, ergotherapeutische und psychologische Behandlung.

Mit Eingabe vom 12.01.2021 übermittelte die XXXX eine Abschrift des Verfahrensaktes über die Umschreibung des Führerscheins des Erstbeschwerdeführers.

Mit Eingabe vom 14.01.2021 wurden weitere Unterlagen zur Integration der Beschwerdeführer vorgelegt.

Am 26.01.2021 langte die Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Informationen zu XXXX : Position, Ämter, Einfluss (Beziehung zu R. Kadyrow), Familienstand, Rolle im XXXX vom 25.01.2021 von ACCORD ein.

Mit Eingabe vom 22.02.2021 wurde eine Stellungnahme zur Fünftbeschwerdeführerin übermittelt, die nach einer Diagnostik seit XXXX im XXXX psychotherapeutisch betreut werde.

1.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführer und ihre Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen; die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil. Die Beschwerdeführer legten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Konvolut an Unterlagen zur Integration vor, verschiedene Empfehlungsschreiben sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Russische Föderation zum Thema Intelligenzminderung, Betreuungseinrichtungen, IOM, Tschetschenien, vom 11.02.2021.

Die Verhandlung gestaltete sich wie folgt:

„[…] R befragt die BF, ob sie physisch und psychisch in der Lage sind, der heute stattfindenden mündlichen Beschwerdeverhandlung zu folgen und die an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten bzw. ob irgendwelche Hinderungsgründe vorliegen.

BF 1-2: Ich fühle mich geistig und körperlich in der Lage an der Verhandlung teilzunehmen. […]

[…]

Befragung von BF1:

R: Sie wurden am 04.09.2017 von der Polizei erstbefragt und am 11.09.2017 und 18.10.2017 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF1: Sie meinen am Flughafen, als ich gekommen bin?

R wiederholt die Frage.

BF1: Ja. Es hat Probleme gegeben, als ich mit dem Flugzeug gekommen bin. Ich bin über XXXX nach Österreich gekommen. Wir haben die Flugtickets nicht richtig gekauft und mussten dort 2 Wochen bleiben, da wir nicht mit dem Ticket zum richtigen Flug zugelassen wurden.

R: Sie hatten kein Schengenvisum. Was für ein Ticket hatten Sie, um nach Österreich zu kommen?

BF1: Ich habe kein Schengenvisum gehabt. Ich bin über Transit geflogen.

R: Ich habe Sie gefragt, ob es bei der Einvernahme und den polizeilichen Einvernahmen Probleme gegeben hat?

BF1: Ja. Ich werde dazu kommen.

R wiederholt die Frage.

BF1: Nein. Da gab es keine Probleme.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF1: Eigentlich könnte ich auch ändern.

R: Was heißt, Sie können etwas ändern? Haben Sie die Wahrheit angegeben, oder möchten Sie etwas richtigstellen?

BF1: Ich habe damals die Wahrheit gesagt, ich habe das nicht konkret geschildert.

R: Gibt es Fluchtgründe, die Sie nicht vorgebracht haben?

BF1: Ich glaube nicht.

R: Mit Bescheid vom 23.10.2017, Ihnen zugestellt am 25.10.2017, wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz vom 14.09.2017 sowohl im Hinblick auf den Status des Asylberechtigten, als auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf Ihren Herkunftsstaat Russische Föderation als unbegründet ab, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie. Es stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist und räumte Ihnen eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ein. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren ihrer Familienmitglieder. Gegen diese Bescheide erhoben Sie mit Schriftsatz vom 17.11.2017 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

BF1: Ja.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den Asylschutz zu berücksichtigen sind?

BF1: Nein.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend den subsidiären Schutz zu berücksichtigen sind?

BF1: Ich verstehe nicht, was subsidiärer Schutz ist.

BFV: Neu insofern nur, der Befund von dem Kind (Mädchen). Das war, glaube ich, schon zum Beschwerdezeitpunkt. Ich habe ein Konvolut zum sonderpädagogischen Förderbedarf.

BFV: Ich glaube sie hat auch Logopädie. Sie ist nicht in der Regelschule. Daher auch die Beweismittelvorlage.

R: Sind seit der Beschwerdeerhebung neue Umstände eingetreten, die betreffend Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen sind?

BF1: Nein. Es gibt nichts Neues.

R: Sie sind russischer Staatsangehöriger, Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe und muslimischen Glaubens. Sie haben außerhalb des Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens kein anderes Aufenthaltsrecht für Österreich oder einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Ist das korrekt?

BF1: Das ist korrekt.

R: Haben Sie Österreich seit der Asylantragstellung am 14.09.2017 jemals verlassen?

BF1: Natürlich nicht.

R: Schildern Sie Ihren Fluchtgrund! Warum mussten Sie die Russische Föderation verlassen? Schildern Sie bitte ausführlich. Sie haben so viel Zeit, wie nötig. Ich werde nachher nachfragen.

BF1: 2017 habe ich Russland verlassen, weil meine Frau Probleme hatte (D: auf Nachfrage, weil der BF zuerst sagte, er hatte Probleme mit der Frau).

R: Schildern Sie mir, warum Sie ausreisen mussten?

BF1: Meine Frau hat mir erzählt, dass sie bedroht wird. Dieser Mann gehört zum Umfeld von Kadyrow. Ich habe das nicht geglaubt. Sie hat mir es irgendwann erzählt, wie es war. Solche Vorfälle hat es bei uns in Tschetschenien schon gegeben. Die Leute, die Probleme mit der Obrigkeit haben, haben immer diese Probleme. Sie gehen nie zu Ende. Deswegen musste ich von dort wegfahren. Da ich befürchtet habe, dass ich in der Zukunft mitgenommen werde oder spurlos verschwunden werde. Ich konnte gegen diese Leute nichts tun und ich konnte nichts beweisen. Die Leute, die dagegen vorgegangen sind, haben nie einen Erfolg gehabt. Deswegen musste ich flüchten. Ich dachte darüber nach, ob ich eine Gerechtigkeit zu Hause erlangen kann. Da ich zu einem negativen Ergebnis gekommen bin, musste ich wegfahren. Deswegen bin ich mit einem Flugzeug nach Österreich gekommen. Das ist alles.

R: Schildern Sie bitte ausführlich und konkret, warum Sie ausreisen mussten?

BF1: Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen noch erklären kann. Ich bin sehr aufgeregt. Es gibt Leute, die meine Frau verfolgen und dieses Problem geht nie zu Ende. Solange die Leute nicht das erreichen, was sie wollen, wird es das Problem immer geben. Die Leute, die gegen sie vorgegangen sind, …. Wenn jemand irgendetwas irgendwo gegen die Leute gesagt hat,… Solche Leute können die Gerechtigkeit nicht erlangen. Deswegen musste ich das Land verlassen.

R: Wer konkret hat wie konkret Ihre Frau verfolgt und warum ist das ein Problem für Sie?

BF1: Meine Frau hat mir erzählt, dass ein Mann meine Frau heiraten wollte. Er hat ihr vorgeschlagen, dass sie sich von mir scheiden lässt und dann begannen die Probleme. Er sprach auch darüber, dass ich vielleicht bei einem Unglück ums Leben kommen könnte. Wie der genaue Wortlaut war, weiß ich nicht mehr. Es begannen Drohungen. Danach habe ich entschieden, das Land zu verlassen.

R: Wer hat Ihnen wie gedroht?

BF1: Mir hat niemand gedroht.

R: Welcher konkreten Verfolgung waren Sie ausgesetzt?

BF1: Ich wurde nicht verfolgt.

R: Was würde Sie und Ihre Familie im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation konkret erwarten?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Wer konkret sollte Ihnen warum konkret im Falle der Rückkehr etwas antun wollen?

BF1: Ich kann es ungefähr sagen. Die Leute, die gegen diese Leute aufgetreten sind, verschwinden spurlos. Bei uns gibt es Traditionen. Man könnte mir etwas unterschieben und mich dann im Fernsehen zeigen.

R: Seit wann bestanden die Probleme Ihrer Frau?

BF1: Das war 2017. Im Juni.

R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb TSCHETSCHENIENS zurückkehren müssten, z.B. nach ROSTOV, SARATOV, MOSKAU, OMSK, STAWROPOL oder WLADIWOSTOK?

BF1: Wenn ich in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens leben hätte können, wäre ich dortgeblieben. Auch hier werden die Leute verfolgt, die etwas gegen diese Leute sagen.

R: Waren Sie in Österreich jemals einer Bedrohung ausgesetzt?

BF1: Nein.

R: Und Ihre Frau?

BF1: Auch nicht.

R: Sehe ich es richtig, dass Sie Ihr gesamtes Leben in der Russischen Föderation in XXXX lebten, dort 9 Jahre lang die Grundschule (also ca. bis 2003) besucht und danach im Unternehmen Ihres Vaters – Transport von Zement und Viehfutter – gearbeitet und im Elternhaus gelebt haben?

BF1: Ja.

R: Waren Sie bei Ihrem Vater angestellt oder wie darf ich mir dieses Familienunternehmen vorstellen?

BF1: Das war ein Familienbetrieb.

R: Wie funktioniert das praktisch?

BF1: Ich kann das beschreiben. Wir haben 4 LKWs. Wir haben die Baumaterialien gekauft, und dann nach XXXX gebracht und weiterverkauft.

R: Waren Sie bei ihm angestellt? Waren Sie beide Geschäftspartner, war Ihr Vater bei Ihnen angestellt? Wie hat das praktisch funktioniert?

BF1: Das war eine selbständige Tätigkeit.

R: Sehe ich es richtig, dass Ihr Vater sein Unternehmen vergrößert hat? Im dt. Verfahren hatte er einen LKW, im verwaltungsbehördlichen Verfahren bereits 4. Wie viele hat er denn aktuell?

BF1: Nein. Ich habe das nicht gesagt.

R: Was?

BF1: Dass es einen LKW gegeben hat.

R: Gehören die Ihnen oder Ihrem Vater? (Gattin AS 85)

BF1: Uns.

R: Wer steht im Zulassungsschein?

BF1: Mein Vater.

R: Im deutschen Verfahren gaben Sie an, dass die finanzielle Situation Ihrer Familie nicht so gut war. Wie konnte Ihr Vater sich dann 4 LKW kaufen?

BF1: Bei uns in der Republik, wie heißt denn das? (BF1 denkt nach).

BF1: Ich habe vergessen wie das heißt. Das sind die Leute, die die Straßen bauen. Dorthin wurden viele Lastwägen gebracht. Mein Vater hat dort eine Arbeit gefunden. Nach dem Krieg sind die Fahrzeuge bei uns geblieben. Mein Vater hat nach dem Auto geschaut. Wenn Ersatzteile gebraucht wurden, oder Autoräder, dann wurden sie zu uns gebracht. Da – als der Krieg begonnen hat – hat diese Firma an uns diese Fahrzeuge verkauft. Deswegen sind die Autos bei uns geblieben und waren unsere Arbeitsfahrzeuge.

R: Woher hatte Ihr Vater das Geld, sie zu kaufen?

BF1: Ich weiß es nicht. Ich war damals noch klein. Ich war ca. 12 Jahre alt und ich kann mich deswegen nicht daran erinnern. Aber ich kann mich erinnern, dass mir mein Onkel über die Autos erzählt hat, als wir nach dem Krieg ins Heimatland zurückgekehrt sind.

R: Der Meldestempel in Ihrem Inlandsreisepass datiert vom 08.09.2003. Haben Sie zuvor anderswo gelebt?

BF1: Nein.

R: Sie haben gesagt, als Sie nach dem Krieg zurückkehrten. Wo waren Sie während des Krieges?

BF1: In Inguschetien. In XXXX .

R: Leben Ihre Eltern XXXX und XXXX immer noch an der Adresse XXXX ?

BF1: Ja.

R: Wovon leben sie?

BF1: Sie arbeiten.

R: Arbeitet Ihre Mutter auch in der Firma Ihres Vaters?

BF1: Nein. Meine Mutter ist in Pension.

R: Wo und wovon lebt Ihr Bruder XXXX ?

BF1: In der Firma des Vaters.

R: Und wo lebt er?

BF1: Hier lebe ich und eine Straße weiter lebt er.

R: Wo und wovon lebt Ihre Schwester XXXX ?

BF1: Sie lebt im Rayon XXXX , in einem Dorf namens XXXX (phonetisch).

R: Ist sie verheiratet?

BF1: Ja.

R: Und wovon lebt sie?

BF1: Ihr Mann arbeitet irgendwo auf der Baustelle. Meine Schwester näht hin und wieder Sachen mit einer Nähmaschine.

R: Wer fährt die 2 LKW, die nicht Ihr Vater und Ihr Bruder fahren?

BF1: Es gibt 4 Fahrzeuge. Wir verkaufen u.a. große Steine und auch Sand. Wenn wir heute etwas verkaufen, dann fährt das Auto weiter. Mein Vater oder mein Bruder fahren mit den Autos, von denen wir quasi die Ware schon verkauft haben.

R: Ich verstehe Sie nicht. Die anderen Autos bleiben am Lieferort stehen, oder wie?

BF1: Die Autos sind für verschiedene Transporte bzw. für verschiedene Materialien bestellt.

R: Für welche verschiedene?

BF1: Es sind 4 verschiedene und mit jedem kann man verschiedene Materialien transportieren.

R: Welche verschiedenen Fahrzeuge haben Sie da? Das ist Ihr Fachgebiet. Darüber k[ö]nnen Sie reden.

BF1: Es gibt z.B. Materialien, mit denen Fundamente gebaut werden.

R wiederholt die Frage.

BF1: Ich meine, dass es verschiedene Baumaterialien gibt.

R: Welche verschiedenen Fahrzeuge haben Sie da jetzt?

BF1: Sand und die kleinen Steine, die man zum Beton vermahlt und auch ein Material, das GPS genannt wird, es wird mit Sand vermischt und damit werden kleine Wege gemacht und es gibt große Steine, die zur Fundamentbildung verwendet werden, sie werden mit einem Beton übergossen. Es gibt auch Sand, der speziell für Stuckaturen innerhalb der Häuser verwendet wird.

R: Wie heißt denn der Onkel, der außerhalb Tschetscheniens lebt und wo lebt er?

BF1: Meinen Sie meinen Onkel?

R wiederholt die Frage.

BF1: Er lebt in Österreich, oder?

R wiederholt die Frage.

BF1: Das ist kein Onkel. Das ist ein Cousin meines Vaters.

R: Wie halten Sie zu Ihren Verwandten in der Russischen Föderation Kontakt?

BF1: Normal.

R: Wie halten Sie Kontakt zu Ihnen, Telefon, Brief?

BF1: Telefon. Wir reden per Telefon.

R: Haben Sie die Wehrpflicht abgeleistet?

BF1: Nein.

R: Vom Wehrpflichtstempel ist nur „2017“ zu lesen. Was war mit Ihrer Wehrpflicht 2017?

BF1: Stempel? Sie meinen den Stempel in meinem Wehrdienstbuch?

R: Ihren Inlandsreisepass. Ihr Wehrbuch haben Sie nie vorgelegt.

BF1: Ja. Das gibt es.

D: Da steht nur wehrpflichtig. Unterschrift. Eventuell Nummer 1 oder 9. Februar 2017.

D zeigt BF1 dies.

BF1: Was meinen Sie jetzt?

R: Waren Sie jemals zur russischen Armee eingezogen?

BF1: Nein.

R: Haben Sie jemals an Kampfhandlungen teilgenommen?

BF1: Nein. Ich war 12 Jahre alt, als der 2. Krieg begonnen hat.

R: Sind Sie in Österreich und in der Russischen Föderation unbescholten?

BF1: Ich bin unbescholten.

R: Warum haben Sie diese Frage beim Bundesamt so lustig gefunden? Es ist extra im Protokoll angemerkt, dass Sie das so erheitert hat.

BF1: Ehrlich gesagt, kann ich mich daran nicht mehr erinnern.

R: Sie haben den Führerschein der Klassen B und C 2006 gemacht, den Führerschein der Klassen B1, C1, BE, CE C1E und M 2014. Haben Sie außer dem Führerschein noch eine Ausbildung im Herkunftsstaat, in der Russischen Föderation, gemacht?

BF1: Nein.

R: Sie haben Ihre Frau standesamtlich am XXXX geheiratet. Wann und wie haben Sie sie nach muslimischem Ritus geheiratet?

BF1: Soll ich das erklären, wie wir geheiratet haben?

R: Wie haben Sie nach dem muslimischen Ritus, Adat, geheiratet?

BF1: Die Cousine meiner Frau ist eine Cousine der Frau meines Onkels. Es gibt noch eine Cousine meiner Frau. Sie ist die Frau von einem Cousin von mir. Wir haben uns kennengelernt, als sie diese Verwandten besucht hat. Wir haben uns so kennengelernt und standen dann miteinander in Kontakt. Ich kann nicht genau sagen, wann es war. Wir haben danach geheiratet.

R: Wie darf ich mir das vorstellen?

BF1: Die Cousine meiner Frau, die die Cousine der Frau meines Onkels ist, wusste, dass ich sie heiraten will. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich sie heiraten will. Dann hat meine Mutter das der Cousine erzählt. Bei uns in Tschetschenien ist das so, dass die Ältesten zu der anderen Familie fahren. Dann haben mein Vater und der Onkel meiner Frau die Vereinbarung getroffen. Danach haben wir geheiratet.

R: Laut Aussage Ihrer Frau haben Sie sie durch „Brautraub“ nach ihrem Examen am XXXX geheiratet, sie kannten sich abgesehen davon, dass Sie miteinander verwandt sind, seit 2007, weil sie auf das Kind ihrer Cousine aufpasste, die wiederum mit Ihrem Onkel verheiratet ist. Haben Sie Ihre Frau gegen Ihren Willen entführt, also genötigt, und durch Vergewaltigung „nach muslimischem Ritus“/Adat geheiratet? (Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht).

BF1: Warum ich das gemacht hätte? Bitte wiederholen Sie diese Frage.

D wiederholt die Frage.

BF1: Bei uns gibt es solche Gebräuche. Wenn man eine Frau heiraten will, dann muss man sie von wo holen. Ich verstehe nicht, warum hier von Vergewaltigung die Rede ist.

R: Ist Ihre Frau einvernehmlich mit Ihnen mitgegangen und hatte einvernehmlich mit Ihnen Geschlechtsverkehr?

BF1: Natürlich. Zuerst müssen ja die Ältesten einverstanden sein, vorher darf ich sie nicht berühren.

R: War Ihre Frau noch Jungfrau, als Sie sie durch „Brautraub“ geehelicht haben?

BF1: Ja. Sie wurde nicht entführt.

R: Ihre Frau darf nicht trinken, nicht rauchen, nicht mit fremden Männern reden, muss tun, was Sie ihr als ihr Mann sagen und wenn jemand anderer sieht, wie sie mit einem Fremden redet, dann ist das eine Schande für Sie (AS 81), sie durfte auch nicht mehr arbeiten gehen (AS 79), aber sie akzeptieren, wenn Ihre Frau in Österreich Hr. XXXX die Hand schüttelt, um ihn nicht zu kränken (AS 189); würde jemand Ihre Frau „anflirten“ kann Sie Handgreiflichkeiten Ihrerseits nicht ausschließen, aber sie trägt „eh“ traditionelle Muslimische Kleidung, so wird sie schon niemand „anflirten“ (EV im Zulassungsverfahren). Was haben Sie für ein Frauenbild?

BF1: Ich habe nicht gesagt, dass ich sie schlagen würde.

R: Nicht sie. Jemand anderen, der Ihre Frau Ihrer Meinung nach anflirtet.

BF1: Wir haben einen moslemischen Gebrauch. In unserer Tradition raucht und trinkt die Frau nicht. Was die Arbeit anbelangt: Ich habe meiner Frau niemals verboten zu arbeiten, aber meine Eltern waren dagegen. Was stand noch in der Frage?

R: Die Probleme mit Händeschütteln und wenn jemand Ihre Frau anflirten sollte.

BF1: Eine verheiratete Frau: Wenn sie mit einem fremden Menschen spricht, der weder mir noch meiner Familie bekannt ist, sie hat kein Recht mit fremden Menschen zu sprechen, wenn sie verheiratet ist. Das ist unser Brauch. Ich erkläre das vielleicht nicht richtig. Ich weiß es nicht.

R: Ihre Frau hat angegeben, dass Sie miteinander verwandt sind und auch mehrere Verwandte von ihr und von Ihnen miteinander verheiratet sind. Wie genau sind Sie jetzt mit Ihrer Frau verwandt?

BF1: Sie ist eine Verwandte, die ich kenne.

R: Wie genau sind Sie mit Ihrer Frau verwandt?

BF1: Verwandte das ist ein Cousin oder eine Cousine.

R wiederholt die Frage.

BF1: Ihre Cousine ist mit meinem Onkel verheiratet. Eine Cousine ist mit einem Cousin verheiratet.

R: Sonst nichts?

BF1: Nein.

R: Kommt es in Ihrer Familie zu häuslicher Gewalt? – Hinweis auf Aussageverweigerungsrecht.

BF1: Gewalt bezüglich was?

R wiederholt die Frage.

BF1: Nein.

R: Laut entwicklungspsychologischem Gutachten reagiert Ihre Tochter auf Sie anders als auf Ihre anderen Verwandten, auf ihre Mutter und ihre Brüder. Warum reagiert Ihre Tochter auf Sie anders?

BF1: Wie meinen Sie das? Wieso ganz anders.

R wiederholt die Frage.

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Laut Ihrer Frau sind Sie aufbrausend, tun aber niemandem etwas. Möchten Sie dazu etwas angeben?

BF1: Dass ich niemandem etwas antue? Ich verstehe die Frage nicht.

R: Ihre Frau hat gesagt, Sie sind cholerisch, aber Sie tun niemanden etwas. Was möchten sie dazu sagen?

BF1: Ich weiß es nicht.

D: Der BF1 versteht das offenbar so, als wäre es seine Verpflichtung gewesen, jemandem etwas anzutun und er hätte es nicht gemacht.

R: Niemand hat jemandem etwas anzutun. Gewalt ist keine Lösung.

BF1: Natürlich weiß ich das.

R: Sie bringen lange Länderberichte zum Ehrenmord vor. Haben Sie oder Ihre Familie vor, Ihre Frau umzubringen oder wozu legen Sie mir diese Berichte vor? Wo ist hier der Konnex?

BF1: Was meinen Sie? Welche Informationen?

R: Ich habe Konvolute von Ehrenmorde in Tschetschenien. Wozu haben Sie mir diese vorgelegt?

BF1: Ich weiß es nicht. Wenn Sie es mir zeigen, kann ich es zuordnen. Das hat Asyl in Not gemacht.

BFV: Der Hintergrund ist die Bedrohung durch Herrn XXXX , da von dieser Seite die Bedrohung ausgeht, bzw. von der Familie des Herrn XXXX , die sehr streng ist.

R: Wer konkret sollte warum konkret Ihrer Frau etwas antun?

BF1: Wo?

R: Egal wo. Wer konkret sollte warum konkret Ihrer Frau etwas antun?

BF1: Sie meinen zu Hause?

R wiederholt die Frage.

BF1: Wenn wir zurück nach Hause kommen, haben wir Angst, dass das wieder[ ]beginnt.

R: Was beginnt wieder?

BF1: Die Verfolgung meiner Frau. Wenn wir uns scheiden lassen, wird ihr älterer Bruder die Verantwortung übernehmen. Ich habe kein Recht, ihr etwas anzutun.

R: Wollen Sie sich oder Ihre Frau sich scheiden lassen?

BF1: Nein. Natürlich nicht. Ich meine, dass, wenn wir nach Hause fahren sollten, müssen wir uns scheiden lassen wegen des Problems.

R: Wer sollte Sie zwingen, sich scheiden zu lassen?

BF1: Wenn wir zurückkommen und es Verfolgungen geben wird, weiß ich nicht, was weiter passiert.

R: Wer hat Sie und Ihre Frau bisher konkret verfolgt?

BF1: Wieder diese Frage. Es ist sehr schwer für mich. Ich bin sehr aufgeregt. Ich erkläre es Ihnen. Das ist alles nicht richtig (im Zuge der Rückübersetzung: Es kann sein, dass ich das nicht richtig erklärt habe).

R: Wer hat Sie und Ihre Frau bisher konkret verfolgt?

BF1: Als wir zu Hause waren? Der Mann, der XXXX heißt.

R: Wie wurden Sie und Ihre Frau bisher konkret verfolgt?

BF1: Er hat meine Frau verfolgt. Er wollte, dass sie sich von mir scheiden lässt und dass mir etwas zustoßen könnte. Ich weiß aber nicht, was er ihr genau gesagt hat und was er ihr genau erklärt hat. Das ist für mich unangenehm.

R: Beschreiben Sie die Beziehung mit XXXX genau. Haben sie sich öfters getroffen, haben sie telefoniert? Wie schaut das aus?

BF1: Ich glaube nicht, dass meine Frau ein Telefon hatte. Es war zu Hause ein I-PAD. Die Kinder haben mit diesem gespielt. Ich weiß aber nicht, wie die zwei miteinander kommuniziert haben.

R: Sehe ich es richtig, dass Ihre Frau ab Ihrer Eheschließung mit Ihnen bei Ihren Eltern gelebt hat?

BF1: Ja.

R: Hat Ihre Frau durchgehend bei Ihnen gelebt oder auch bei Ihren Eltern? Wenn ja: von wann bis wann?

BF1: Ja. Sie ist hin- und hergefahren.

R: Wie darf ich mir das vorstellen?

BF1: Sie hat mich manchmal gefragt, ob ich sie nach Hause bringen kann. Dann war sie 2 oder 3 Wochen zu Hause. Ich meine 2 oder 3 Tage.

R: Waren Sie jemals länger als 2 oder 3 Tage von Ihrer Frau getrennt?

BF1: Wenn ich zu Hause war?

R: Waren Sie jemals länger als 2 oder 3 Tage von Ihrer Frau getrennt?

BF1: Ja. Das kam vor. Im Winter hatte es ja die Arbeit nicht gegeben, weil im Winter kaum etwas gebaut wird. Da bin ich mit Freunden nach XXXX gefahren. Wir haben dort Autos gekauft und diese Autos dann in der Folge verkauft. Wir waren ca. 1 Woche in XXXX . 1 Woche oder 10 Tage, so ungefähr.

R: Abgesehen von den Aufenthalten in XXXX - waren Sie jemals länger als 2 oder 3 Tage von Ihrer Frau getrennt?

BF1: Ich weiß es nicht. Sie war zu Hause, als ich nach XXXX fuhr.

R: Gab es Besonderheiten in Ihrer Ehe bis 2013 oder Bedrohungen gegen Ihre Frau bis 2013?

BF1: Sie meinen in Bezug auf unsere Ehe?

R: Ja. Gab es Besonderheiten in Ihrer Ehe bis 2013?

BF1: Nein. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

R: Gab es Bedrohungen gegen Ihre Frau bis 2013?

BF1: Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht.

R: Nach Ihrer Rückkehr aus DEUTSCHLAND bis JUNI 2017, gab es da jemals Bedrohungen gegenüber Ihrer Frau?

BF1: Als wir 2013 zurückgekehrt sind, bis 2017 hat es nichts gegeben.

R: Sie reisten erstmals mit Ihrer Familie 2013 aus der Russischen Föderation aus und stellten in POLEN Anträge auf internationalen Schutz. Warum haben Sie Ihr Verfahren nicht dort geführt?

BF1: Das war so: Damals habe ich mich nicht ausgekannt, was ich tun soll. Ich wusste nicht, ob ich in POLEN bleiben soll oder nach DEUTSCHLAND fahren soll. Ich war das 1. Mal in Europa und ich habe mich in Bezug auf das Verfahren nicht ausgekannt.

R: Sie reisten mit Pässen, ausgestellt am 26.03.2013, per Zug aus der Russischen Föderation aus, überquerten die Grenzen. Am 03.04.2013 von Russland in die UKRAINE und weiter nach WEISSRUSSLAND und reisten am 05.04.2013 bei XXXX in die Europäische Union ein. Gab es Probleme bei der Ausreise?

BF1: Ja. Ich hatte Probleme. Ich musste 2013 Tschetschenien verlassen, ich wurde mitgenommen. Das war bei mir im Hof. Ich habe schon die russische Sprache vergessen.

R an D: Wie ist die Kommunikation mit dem BF1?

D: Problemlos.

R: Warum haben Sie damals – 2013 – die Russische Föderation verlassen?

BF1: Ich hatte damals Probleme mit der örtlichen Obrigkeit.

R: Beschreiben Sie mir Ihre Probleme.

BF1: 2013 wurde ich in der Nacht mitgenommen. Ich saß mit meinen Freunden zusammen und dann ging ich nach Hause. Es waren maskierte Leute, ich wurde von ihnen mitgenommen. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau erinnern, wie lange das gedauert hat. Ich glaube, dass ich etwa 2-3 Tage im Keller festgehalten wurde. Ich kann mich nicht daran erinnern, wo das war. Man wollte, dass ich mit den Leuten zusammenarbeite. Ich sollte irgendjemanden beschatten bzw. irgendetwas für irgendjemanden herausfinden. Damals wurde das in Tschetschenien praktiziert. Die Menschen wurden mitgenommen und zur Zusammenarbeit gezwungen. Die Leute haben dann verstanden, dass ich nicht so klug und tapfer bin, dass ich mich mit solchen Sachen beschäftigen kann. Ich wurde dort 3 oder 4 Tage festgehalten. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange das war und dann wurde ich frei gelassen. Ich bekam Angst und ich fuhr nach DEUTSCHLAND.

R: Wer hat Sie mitgenommen?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Was wollte man nochmals konkret von Ihnen?

BF1: Dass ich mit den Leuten zusammenarbeite. Ich sollte die Leute beschatten, die für sie von Nutzen waren. Ich hätte als Zeuge fungieren sollen, wenn diese Leute festgenommen worden wären. Das hat man von mir gefordert.

R: Wurden Sie von den Behörden oder von den Rebellen mitgenommen?

BF1: Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Die Leute waren maskiert. Wenn man mitgenommen wird, dann sagen die Leute, die einem mitnehmen nicht, wer sie sind. Sie verheimlichen ihre Identität und Gesichter, solange man sich nicht mit ihren Bedingungen einverstanden erklärt. Man wollte nicht, dass ich etwas erzähle, nachdem ich freigelassen wurde. Ich glaube, dass es die örtliche Polizei war.

R: Hat man Ihnen etwas angeboten, wenn Sie das machen?

BF1: Wenn ich mit der Zusammenarbeit einverstanden wäre, hätte man mir etwas angeboten. Man hätte mir Geld oder Vermögen, oder was auch immer angeboten.

R: Hatte Ihre Frau 2013 eigene Fluchtgründe?

BF1: Nein.

R: Sie zogen am 26.07.2013 in DEUTSCHLAND die Anträge auf internationalen Schutz zurück. Warum?

BF1: Man hat mir über meine Verwandten mitgeteilt,… Mein Bruder hat mir mitgeteilt, dass ich zurück nach Hause kommen kann und nicht mehr verfolgt werde. Ich glaube, dass ich ca. 5 Monate lang in DEUTSCHLAND gelebt habe.

R: Es hat nichts damit zu tun, dass DEUTSCHLAND ein Dublin-Verfahren mit POLEN geführt hat?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: DEUTSCHLAND stellte die Verfahren am 11.07.2013 ein. Sie reisten am 07.08.2013 in die Russische Föderation aus. Wie haben Sie das gemacht? Ihre Pässe waren noch in POLEN!

BF1: Wir sind zu einer Organisation, das waren Sozialarbeiter. Ich habe dort einen Antrag auf freiwillige Rückkehr gestellt. Ca. 1 Monat später sind wir zurückgeflogen.

R: Gab es Probleme bei der Rückkehr in die Russische Föderation?

BF1: Nein.

R: Gab es Probleme nach der Rückkehr – Sie haben im verwaltungsbehördlichen Verfahren nichts angegeben!

BF1: Als ich nach Hause geflogen bin, hatte ich keine Probleme.

R: Als Sie wieder zu Hause waren, hatten Sie da Probleme?

BF1: Nein, hatte ich keine.

R: Waren Sie vor dem Tag der Jugend 2013, das war der Tag, an dem Sie mitgenommen wurden, jemals einer Bedrohung ausgesetzt?

BF1: Als ich das 1. Mal in Tschetschenien mitgenommen wurde?

R wiederholt die Frage.

BF1: Nein.

R: In DEUTSCHLAND gaben Sie an, dass Sie 2013 ausgereist sind, weil Sie in Russland einer Gefahr durch maskierte Männer ausgesetzt waren, die Sie als Kämpfer/Rebellen anwerben wollten und so einschüchterten, dass Sie ausgereist sind, in der Einvernahme im Zulassungsverfahren gaben Sie an, dass Sie damals Probleme mit Behörden hatten. Das ist genau das Gegenteil. Können Sie mir das erklären?

BF1: Wissen Sie, so wie ich das verstanden habe, waren das Behörden. Als sie mich mitgenommen haben, wusste ich nicht, wer sie sind, weil sie sich nicht vorgestellt haben. Als ich nach Hause gekommen bin, habe ich verstanden, dass es die Behörden waren. Wären es die Kämpfer gewesen, wäre es nicht so.

R: In DEUTSCHLAND sagten Sie, die Männer, die Sie entführten, haben Ihnen Geld angeboten, damit Sie für sie kämpfen, in der Einvernahme im Zulassungsverfahren gaben Sie an, dass die Entführer Geld von Ihnen wollten. Jetzt sagen Sie, man wollte Spitzeldienst von Ihnen. Können Sie mir das erklären?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Waren Sie nach der Rückkehr 2013 jemals wieder einer Gefahr durch solche maskierten Männer ausgesetzt?

BF1: Ich nicht.

R: Waren Sie oder Ihre Familie jemals einer Verfolgung durch einen gewissen XXXX ausgesetzt?

BF1: Die Frau hatte erzählt, dass XXXX , wie soll ich das erklären? Ich kann mich ehrlich gesagt, nicht mehr erinnern.

R: Waren Sie jemals einer Verfolgung durch XXXX ausgesetzt?

BF1: Nein.

R: Waren Sie oder Ihre Familie jemals einer Verfolgung durch einen XXXX ausgesetzt?

BF1: Ich nicht. Nein. Die Kinder natürlich auch nicht. Es sind doch meine Kinder.

R: Beschreiben Sie Ihr Leben AUGUST 2013 – JULI 2017! Wo und wovon haben Sie gelebt, welchen Hobbies sind Sie nachgegangen, wo haben Sie Urlaub gemacht und Ihre Frau, und Ihre Kinder, welche Ausbildung haben sie gemacht…Beschreiben Sie mir Ihre Ausbildung in diesen 4 Jahren?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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