Entscheidungsdatum
19.10.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W108 2180737-2/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Iran, vertreten durch Abwesenheitskurator Rechtsanwalt MMag. Thomas LECHNER, dieser vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Martin DELLASEGA und Dr. Max KAPFERER, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Verfahren Zahl 14-1000355306/170538814 nach mündlicher Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wird gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG stattgegeben.
II. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen.
III. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in den Iran zulässig ist.
IV. Gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Eintritt der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:
1.1. Der 62 Jahre alte Beschwerdeführer, geboren am XXXX im Iran ( XXXX ), ist ein iranischer Staatsangehöriger. Er ist mit XXXX , geb. XXXX , verheiratet und hat mit ihr zwei volljährige Kinder, die Söhne XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. XXXX , mit denen er im Iran zusammen in XXXX lebte.
1.2. Die Ehefrau und die Kinder des Beschwerdeführers reisten ohne den Beschwerdeführer nach Österreich, wo sie am 25.12.2012 Anträge auf internationalen Schutz stellten. Die Ehefrau des Beschwerdeführers gab im Asylverfahren unter anderem zum Fluchtgrund an, sie habe die Absicht gehabt, vom Islam zum Christentum überzutreten, ihr Ehemann (der Beschwerdeführer) und ihre Familie seien dagegen gewesen. Der Beschwerdeführer, der als Justizbeamter arbeite, sei im Iran geblieben und habe nicht ausreisen wollen, habe aber auch nicht verhindert, dass sie und seine Kinder ausreisen. Sie sei im Alter von 17 Jahren gegen ihren Willen mit dem Beschwerdeführer, ihrem Cousin mütterlicherseits, verheiratet worden. Sie habe sich von ihm scheiden lassen wollen, habe dazu aber kein Recht gehabt. Ihr Leben sei die Hölle gewesen. Sie sei von ihrem Ehemann geschlagen und misshandelt worden. Sie würde nicht gerne mit ihrem Ehemann in Österreich ein Familienleben führen.
Mit Bescheid vom 12.07.2013, Zahl: 12 18.686-BAI, erkannte die Asylbehörde (Bundesasylamt; nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl; belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) der Ehefrau des Beschwerdeführers den Status der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zu. Ausschlaggebend für diese Entscheidung der Behörde war die aktuelle Konvertierungsabsicht der Ehefrau des Beschwerdeführers und die ihr drohende Verfolgung im Iran wegen Abfalls vom Islam. Auch den Söhnen des Beschwerdeführers wurde aus diesen Gründen der Asylstatus in Österreich zuerkannt.
1.3. Am 04.12.2013 stellte der Beschwerdeführer einen Einreiseantrag nach § 35 Abs. 3 AsylG bei der Österreichischen Botschaft Teheran, da seiner Ehefrau und seinen Kindern in Österreich der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde. Da die Gewährung des Asylstatus im Familienverfahren aufgrund der Familienangehörigeneigenschaft in Bezug auf seine Ehefrau als wahrscheinlich erachtet wurde, wurde dem Antrag stattgegeben, sodass der Beschwerdeführer am 18.04.2014 legal nach Österreich reiste und am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Bei der Erstbefragung nach dem AsylG gab der Beschwerdeführer an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Er stelle den Antrag auf internationalen Schutz deswegen, weil seine Ehefrau und seine beiden Söhne in Österreich den Status von Asylberechtigten erlangt hätten; er beantrage denselben Schutz wie seine Familie.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.05.2014, Zl. 14-1000355306/14548197, wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG im Familienverfahren zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Begründend wurde ausgeführt, dass seiner Bezugsperson (seiner Ehefrau) mit Bescheid der belangten Behörde der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei, weshalb ihm derselbe Status im Familienverfahren zuzuerkennen sei. Seine Eigenschaft als Familienangehöriger einer Asylberechtigten sei glaubwürdig.
1.4. Mit dem eigenhändig unterschriebenen "Antragsformular für unterstützte freiwillige Rückkehrhilfe" gab der Beschwerdeführer am 18.08.2014 eine Erklärung dahingehend ab, dass er die freiwillige Rückkehr in den Iran beabsichtige und Unterstützungsleistungen für diese Rückkehr begehre, dass er darüber informiert worden sei, dass mit der Ausreise sein Asylverfahren als gegenstandslos abgelegt werde, und dass der Inhalt der Erklärung ihm von einer sprachkundigen Vertrauensperson erklärt worden sei. Ein Berater von der Beratungsorganisation " XXXX " ist in diesem Formular namentlich angeführt. Mit Unterstützung der genannten Beratungsorganisation wurden ferner "Ergänzende Fragen zur freiwilligen Rückkehr" dahingehend beantwortet, dass der Beschwerdeführer keine Barmittel habe und der gewünschte Zielflughafen XXXX sein solle.
Mit Schreiben vom 19.08.2014 teilte die belangte Behörde mit, dass die Kosten für die Rückkehr des Beschwerdeführers übernommen werden.
Am 02.09.2014 reiste der Beschwerdeführer nach Gewährung von Rückkehrhilfe in den Iran aus. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie seine beiden Söhne verblieben in Österreich.
Mit dem Schriftsatz "Ausreisebestätigung" vom 08.09.2014 berichtete die IOM (International Organisation for Migration) der belangten Behörde über die erfolgte Ausreise des Beschwerdeführers am 02.09.2014 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet in den Iran.
1.5. Fremdenpolizeiliche Erhebungen der Landespolizeidirektion XXXX an der damaligen Meldeadresse des Beschwerdeführers ( XXXX ) im August 2016 ergaben, dass nach den Angaben der Ehefrau des Beschwerdeführers der Beschwerdeführer seit ca. zwei Jahren dort nicht mehr aufhältig sei. In der Folge wurde die amtliche Abmeldung veranlasst.
1.6. Am 02.05.2017 versuchte der Beschwerdeführer – unter Vorweis seines gültigen iranischen Reisepasses und einer am 18.04.2014 ausgestellten österreichischen Aufenthaltsberechtigungskarte - mit einem Direktflug von Teheran nach Österreich abzufliegen, er wurde allerdings mit der Begründung, dass sich der Beschwerdeführer als Asylberechtigter in seinem Verfolgerstaat aufgehalten habe, von der Beförderung ausgeschlossen und zur Klärung des Sachverhaltes an die Österreichische Botschaft verwiesen.
1.7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) leitete ein Aberkennungsverfahren bezüglich des Status des Asylberechtigten ein.
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 11.08.2017, 5 P 132/17g, wurde hierfür für den Beschwerdeführer mangels bekannten Aufenthaltsortes entsprechend der Anregung der belangten Behörde vom 12.07.2017 ein Abwesenheitskurator bestellt.
Mit Schreiben vom 06.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer im Wege des bestellten Abwesenheitskurators zur Frage der Aberkennung des Status des Asylberechtigten, zur Nichtzuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten und zu den Feststellungen der belangten Behörde zur Lage im Iran gemäß dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Iran das Parteiengehör gewährt.
Mit Schriftsatz vom 22.09.2017 wurde eine Stellungnahme dahingehend abgegeben, dass im Fall des Beschwerdeführers die Aberkennungstatbestände des § 7 Abs. 1 AsylG nicht anwendbar seien, da dem Beschwerdeführer Asyl nicht gemäß § 3 AsylG, sondern im Familienverfahren nach § 34 AsylG zuerkannt worden sei. Der Asylstatus sei dem Beschwerdeführer als Familienangehörigen seiner Ehefrau zu gewähren gewesen, weil weder er noch seine Ehefrau straffällig geworden seien, eine Fortsetzung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit seiner Ehefrau in einem anderen Staat nicht möglich sei und gegen die Ehefrau kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig sei. Nur wenn eine dieser Voraussetzungen nicht mehr vorliegen würde, könnte dem Beschwerdeführer sein Asylrecht aberkannt werden. Dies sei aber nicht der Fall.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe angegeben, dass sie im Jahr 2012 Christin geworden sei und Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft verfolgt worden wären. Die einflussreichen Cousins des Beschwerdeführers hätten diesen dazu gebracht, seine Ehefrau und seine Kinder in Sicherheit zu bringen, ansonsten diese getötet worden wären.
Der Beschwerdeführer sei im September 2014 in den Iran ausgereist, nicht jedoch um das Familienleben mit seiner Ehefrau zu beenden, sondern weil seine Mutter im Iran schwer erkrankt sei und der Beschwerdeführer der einzige Angehörige gewesen sei, der sie hätte pflegen können. Nachdem sich die gesundheitliche Situation der Mutter stabilisiert habe und eine Pflege seiner Mutter habe organisiert werden können, habe er am 05.05.2017 wieder nach Österreich zu seiner Familie zurückkehren wollen. Er habe jedoch im Iran bleiben müssen, wo er von seinen einflussreichen Cousins geschützt werde, solange es diesen noch möglich sei. Wegen der Konversion seiner Ehegattin schwebe er in ständiger Gefahr, verhaftet zu werden.
1.8. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.11.2017, Zl. 14-1000355306/170538814, wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).
1.9. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den Abwesenheitskurator, dieser wiederum vertreten durch Rechtsanwälte, fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG.
1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer durch den Abwesenheitskurator vertreten war.
In der Beschwerdeverhandlung wurden auch die beigeschafften Asylverfahrensakten der Ehefrau des Beschwerdeführers, insbesondere die Gründe für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, erörtert.
Der Abwesenheitskurator des Beschwerdeführers gab an, der Beschwerdeführer bzw. seine Familie sehe in der Aufrechterhaltung der Beschwerde bzw. des Asylstatus die einzige Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Familienlebens, weil der Beschwerdeführer kein Visum erhalten würde, um seine Familie in Österreich zu besuchen. Der Beschwerdeführer habe nie eigene Fluchtgründe gehabt, es gehe um sein Familienleben. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien nach intensiver Beratung nunmehr zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer nun doch versuchen wolle, sein Asyl wiederzuerhalten. Er würde ernsthaft versuchen wollen, bei seiner Familie in Österreich zu leben, ansonsten sehe er keine realistische Möglichkeit das Familienleben aufrecht zu erhalten. Der Beschwerdeführer sei aus Österreich ausgereist, weil seine Mutter schwer erkrankt sei und er pflege sie noch immer, der Zustand der Mutter hätte sich stabilisiert. Der Beschwerdeführer werde im Iran nicht verfolgt. Er wolle wieder in Österreich leben und sein Familienleben wiederaufnehmen.
Die Einreise im Jahr 2015 sei mit XXXX vom Verein XXXX mehrmals versucht worden, indem probiert worden sei, für den Beschwerdeführer ein Visum zu beantragen. Dazu wurde ein Schreiben von XXXX an den Abwesenheitskurator vom 11.09.2017 vorgelegt, aus welchem hervorgeht: Der Verein XXXX betreue den Sohn des Beschwerdeführers XXXX seit gut drei Jahren im Rahmen einer sozialpsychiatrischen Einzelbegleitung. Er kenne die Familie des Beschwerdeführers gut, es sei verwunderlich, dass beim Beschwerdeführer noch immer von einem Asylstatus gesprochen werde, zumal dieser vor drei Jahren – seines Wissens unter Rückziehung seines Asylantrages – in den Iran zurückgekehrt sei. Der Verein versuche seit zwei Jahren ein Touristenvisum für den Beschwerdeführer zu unterstützen, damit die Familie zumindest einmal im Jahr persönlichen Kontakt habe. Dies sei bisher erfolglos geblieben.
In der mündlichen Verhandlung wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers, XXXX , als Zeugin einvernommen. Sie gab an, dass der Beschwerdeführer derzeit alleine in der Stadt XXXX lebe und er sei sehr oft bei seiner Mutter, die sehr krank sei. Der Beschwerdeführer führe im Iran ein normales Leben und beziehe auch Leistungen aus seiner Pension. Zuletzt habe sie vor ein paar Monaten mit dem Beschwerdeführer gesprochen. Er sei in den Iran zurückgekehrt, weil seine Mutter krank gewesen wäre und niemanden gehabt hätte, der sich um sie hätte kümmern können. Der Beschwerdeführer sei das älteste Kind seiner Mutter, im Iran sei es Brauch, dass sich das älteste Kind um alles kümmere. Die Rückkehr habe der Beschwerdeführer nicht mit ihr besprochen, er höre nicht auf sie und tue alles, was er selbst glaube. Der Beschwerdeführer wolle nun nach Österreich zurückkehren, um bei seiner Familie sein zu können, insbesondere wegen seines volljährigen, aber kranken Sohnes XXXX , der bereits im Iran in Behandlung gewesen sei; diesem sei eine Entwicklung wie bei einem unmündigen minderjährigen Kind attestiert worden. Ca. ein Jahr nach seiner Ausreise hätte der Beschwerdeführer seine Entscheidung, in den Iran zurückzukehren, bereut; er sei traurig gewesen, dass er nicht bei seinem Sohn XXXX sei. Einmal hätte der Beschwerdeführer versucht nach Österreich zu kommen, was ihm jedoch nicht gelungen sei. Ihr Ehemann sei auch ihr Cousin, sie habe ihn nicht heiraten wollen, ihre Eltern hätten sie dazu gezwungen. Sie interessiere sich eigentlich nicht für den Beschwerdeführer, aber sie mache sich Sorgen um ihr Kind, das seinen Vater brauche. Beide erwachsenen Söhne seien vom Beschwerdeführer abhängig, weil im Iran die Kinder von den Eltern abhängig seien, solange sie noch nicht geheiratet hätten. Der Beschwerdeführer unterstütze weder sie noch die Söhne finanziell oder in irgendeiner anderen Weise. In den fünf Monaten seines Aufenthaltes in Österreich im Jahr 2014 sei er einfach nur da gewesen und habe sie überhaupt nicht unterstützt. Die Asylantragstellung für den Beschwerdeführer sei von Anfang an irgendwie falsch gewesen, sie hätten besser für ihn ein Touristenvisum beantragen sollen. Sie hätten gar nicht gewusst, dass er einen Asylantrag gestellt habe und was das bedeute. Ihr Sohn XXXX habe im Jahr 2018 in der Türkei den Beschwerdeführer treffen wollen, er habe dafür ein Visum erhalten. Der Beschwerdeführer habe gesagt, er würde in die Türkei kommen, dann habe er etwas anderes gesagt, woraufhin XXXX böse gewesen sei und nicht hingeflogen sei. Sie wolle, dass der Beschwerdeführer nur wegen ihres Sohnes XXXX nach Österreich komme. Er brauche seinen Vater.
Der Sohn des Beschwerdeführers, XXXX , gab als Zeuge einvernommen an: Er habe sehr wenig Kontakt mit seinem Vater, zuletzt habe er vor zwei Wochen mit dem Beschwerdeführer Kontakt gehabt. Der Beschwerdeführer habe ihm mitgeteilt, dass es seiner Mutter wieder bessergehen würde und er wieder nach Österreich kommen möchte, weil sein Sohn XXXX (der Bruder des Zeugen) gesundheitliche Probleme hätte. Im Jahre 2014 hätte der Beschwerdeführer in den Iran müssen, weil dessen Mutter an einer schlimmen Krankheit gelitten hätte. Ein Bruder des Beschwerdeführers sei im Krieg gefallen und der andere sei bei einem Unfall ums Leben gekommen und daher habe es niemanden gegeben, der sich um die Mutter hätte kümmern können. Er habe einen Onkel im Iran, dieser kümmere sich aber nicht so sehr um die Großmutter. Es gebe auch eine Tante im Iran. Bei der Rückkehr in den Iran hätte der Beschwerdeführer nicht gesagt, dass er nach Österreich zurückkommen werde, sondern er habe nur gemeint, er würde als Tourist nach Österreich kommen und seine Familie besuchen. Während des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich in der Dauer von fünf Monaten habe er gemeinsam mit seiner Familie in einer Wohnung gewohnt. Er selbst könne nicht in den Iran zurückfahren, da er zum Christentum konvertiert sei und er deshalb im Iran Probleme bekommen würde. Vor sechs oder sieben Jahren sei er auch aus diesem Grund von seinem Onkel, der Politiker sei, bedroht worden. Der Beschwerdeführer lebe im Iran wieder im früheren Haus der Familie, er sei aber sehr oft bei seiner Mutter und habe auch noch zu anderen Angehörigen im Iran Kontakt. Im Jahr 2018 habe sich der Zeuge ein Visum für die Türkei ausstellen lassen und ein Ticket gekauft, da er Beschwerdeführer in der Türkei habe besuchen wollen. Ca. drei Tage vor dem Flug habe der Beschwerdeführer gesagt, dass er nicht kommen werde. Seine Mutter habe vor ca. einem Jahr den Beschwerdeführer in der Türkei besucht. Der Beschwerdeführer sei dort wegen seiner Niere gewesen. Der Zeuge habe auch einen Onkel in der Türkei.
1.11. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.10.2020, W108 2180737-1/17E, wurde die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.
Das Bundesverwaltungsgericht ging hinsichtlich des Sachverhaltes bzw. Verwaltungsgeschehens von den Ausführungen oben unter Punkt 1.1. – 1.10. aus und hielt auch fest, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Ausreise nicht mehr in Österreich befinde, sondern in seinem Herkunftsstaat Iran, wo auch noch Angehörige des Beschwerdeführers lebten. Vor seiner Ausreise sei der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig gewesen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie die beiden Söhne lebten nach wie vor als Asylberechtigte in Österreich. Der Beschwerdeführer sei nach Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren mit Bescheid vom 16.05.2014 unter Gewährung von Rückkehrhilfe am 02.09.2014 freiwillig in den Iran zurückgehrt, um sich dauerhaft wieder im Iran niederzulassen, wobei er darüber informiert gewesen sei, dass mit der freiwilligen Rückkehr sein Asylstatus in Österreich nicht aufrecht bleibe, und er vorgehabt hätte, seine in Österreich verbliebene Familie fortan nur als Tourist zu besuchen, und dass der Beschwerdeführer seither wieder verfolgungsfrei im Iran, wo er seinen Lebensmittelpunkt wieder habe, lebe.
Zur Frage der Aberkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht auszugsweise aus:
„Der Beschwerdeführer hat dadurch, dass er sich unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe wieder in seinen Herkunftsstaat Iran begeben hat, um sich dauerhaft wieder dort niederzulassen, und seither im Iran verblieben ist, die Endigungsgründe nach Art. 1 Abschnitt C Z 1 GFK und nach Art. 1 Abschnitt C Z 4 GFK erfüllt, weil das Verhalten als freiwillige Unterschutzstellung bzw. als freiwillige neuerliche Niederlassung zu werten ist. Die Unterschutzstellung bzw. der neuerliche Aufenthalt/die neuerliche Niederlassung des Beschwerdeführers im Iran, wo er sich seit seiner Ausreise am 02.09.2014 aufhält, ist aufgrund der Umstände dieses Falles als nachhaltig und dauerhaft im oben angeführten Sinn zu qualifizieren.
Mit dem Vorbringen, der Beschwerdeführer habe sich um die kranke Mutter im Iran kümmern müssen bzw. er sei bloß zum Zweck der Pflege seiner Mutter in den Iran zurückgereist, wird kein gegen die Freiwilligkeit der Rückreise in den Iran und des dortigen neuerlichen Aufenthaltes sprechender Umstand dargelegt und auch nicht aufgezeigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Iran seit 2014 einen solchen ohne dauerhafte Wiederherstellung der Beziehungen zum Herkunftsstaat (im Sinne eines bloßen Krankenbesuches) darstellt. Denn der Beschwerdeführer ist im Rahmen eines (finanziell) unterstützen Rückkehrprogramms nach Iran zurückgekehrt und hat - unterstützt und beraten durch eine Beratungsorganisation - die Erklärung zur freiwilligen Rückkehr in den Iran unter Aufgabe seines Asylrechts in Österreich abgegeben und die Übernahme der Rückkehrkosten beantragt. Dies beschreibt - gerade - keine Situation, in welcher der Beschwerdeführer einem freiwilligen Handeln entgegenstehend (etwa durch Abschiebung, Auslieferung, Kidnapping, unerwartete Reiserouten des Transportmittels) gezwungen war, in den Iran zurückzureisen und sich wieder dort niederzulassen bzw. sich erneut unter den Schutz des Herkunftsstaates zu stellen. Aus diesen Umständen ergibt sich auch, dass der neuerliche Aufenthalt des Beschwerdeführers im Iran sichtlich auf Dauer angelegt war. Nach den Ermittlungsergebnissen hat der Beschwerdeführer beim Verlassen Österreichs im Jahr 2014 nicht die Absicht gehabt hat, im Anschluss an seinen Aufenthalt im Iran wieder dauerhaft nach Österreich zu seiner Familie zurückzukehren, vielmehr wollte er nur mehr als Tourist nach Österreich kommen und seine Familie besuchen. Die Rückreise des Beschwerdeführers erfolgte auch nicht illegal unter Vermeidung von Behördenkontakt, sondern mit seinem eigenen syrischen Reisepass, und es wurde auch nicht vorgebracht, dass die Rückreise vom Aufnahmestaat (Österreich) verlangt worden wäre. Dass die Mutter des Beschwerdeführers erkrankt gewesen sei, kann aber auch deshalb nicht als zwingender Grund für eine dauerhafte Rückkehr des Beschwerdeführers angesehen werden, zumal auch noch andere Verwandte im Iran vorhanden sind. Der Beschwerdeführer hat daher den Endigungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C Z 1 und C Z 4 GFK gesetzt. Dass er danach seine Meinung geändert hat und nunmehr wieder den Asylstatus beibehalten will, ändert daran nichts.
…
Es liegt daher der Aberkennungstatbestand nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm Art. 1 Abschnitt C Z 1 und C Z 4 GFK vor.
Darüber hinaus kann es im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, dass der Beschwerdeführer inzwischen - sechs Jahre nach seiner Ausreise aus Österreich - den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat (nämlich wieder im Iran) hat. Es liegt daher auch der Aberkennungstatbestand nach § 7 Abs. 1 Z 3 AsylG vor.
Im Übrigen aber hat die Ehefrau des Beschwerdeführers bereits im Anerkennungsverfahren glaubwürdig angegeben, es handle sich bei der Ehe von ihr und dem Beschwerdeführer um eine Zwangsehe. Eine Zwangsehe kann allerdings nicht die Eigenschaft des Ehegatten nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG und somit auch keine Familienangehörigkeit nach § 34 AsylG begründen (vgl. VwGH 15.05.2019, Ra 2019/01/0012), sodass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Zuerkennung des seiner Ehefrau zuerkannten Schutzes im Familienverfahren hat.“
Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde vom Bundesverwaltungsgericht im Kern wie folgt begründet:
„Das AsylG regelt gemäß § 1 Z 1 1. Fall AsylG die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten an Fremde, die sich in Österreich befinden. Da sich der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich aufhält, kommt eine Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten schon deshalb nicht in Betracht.
Abgesehen davon ist auch nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Iran einem relevanten (realen) Risiko der Verfolgung/Bedrohung ausgesetzt ist. Aufgrund der außergewöhnlichen individuellen Umstände dieses Einzelfalles, speziell, dass der Beschwerdeführer in den Iran zurückgekehrt ist und dort verfolgungsfrei lebt, kann bei einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich aus der persönlichen Situation des Beschwerdeführers in Relation zur allgemeinen (Menschenrechts)Lage im Iran ergeben, eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verstoßenden Behandlung/Bedrohung des Beschwerdeführers im Iran nicht erkannt werden.“
2. Am 27.10.2020 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch den Abwesenheitskurator, bei der belangten Behörde eine Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG ein und führte aus, dass die belangte Behörde im Rahmen des Aberkennungsverfahrens immer noch nicht über die zwingend zu erlassende Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG entschieden habe. Gemäß § 73 Abs. 1 AVG sei die belangte Behörde verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten über die Aberkennung des Status eines Asylberechtigten zu entscheiden, das Aberkennungsverfahren sei im September 2017 eingeleitet worden, bis dato sei jedoch nicht über die Rückkehrentscheidung entschieden worden. Die Verzögerung des Verfahrens sei nicht durch ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers oder des Abwesenheitskurators entstanden. Das Aberkennungsverfahren sei noch laufend, es bestehe nach wie vor ein Interesse des Beschwerdeführers an einer Entscheidung durch die Behörde. Die Ehe des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau in Österreich sei nach wie vor nicht geschieden, weswegen im Rahmen der Prüfung einer Rückkehrentscheidung auch noch amtswegig ein humanitärer Aufenthaltstitel wegen Art. 8 EMRK erteilt werden könne.
3. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit, den Bescheid nachzuholen, nicht Gebrauch und legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens zur Entscheidung vor. Dazu führte sie aus, dass eine Rückkehrentscheidung im Fall des Beschwerdeführers nicht erlassen worden sei, da dieser am 02.09.2014 freiwillig unterstützt in den Iran ausgereist sei und somit sowohl zum Zeitpunkt der Einleitung des Aberkennungsverfahrens als auch der Bescheiderlassung nicht mehr im Bundesgebiet/Schengenraum aufhältig gewesen sei. Das Aberkennungsverfahren sei mit eingetretener Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.10.2020 abgeschlossen und nicht mehr laufend, weshalb auch die gegenständliche Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Hinsichtlich der Lage im Iran:
COVID-19
Letzte Änderung: 28.06.2021
Iran gilt als eines der am stärksten von Corona betroffenen Länder (DW 18.11.2020) und ist als Gebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) eingestuft, da das Land von einer erneuten COVID-19-Infektionswelle stark betroffen ist. Aktuelle Informationen und detaillierte Zahlen bieten das iranische Gesundheitsministerium und die Weltgesundheitsorganisation WHO (AA 16.6.2021). Nach dem persischen Neujahrsfest Norouz Ende März hatten viele Iraner trotz Warnungen von Präsident Hassan Rohani Verwandte besucht. Danach stiegen die Infektionszahlen stark an. Die Regierung reagierte darauf mit einem Teil-Lockdown (SZ 1.5.2021). Mittlerweile scheint sich die Zahl der Infektionen einigermaßen stabilisiert zu haben, deshalb wurden einige der bisherigen Beschränkungen aufgehoben bzw. gelockert. Neben den Geschäften und Institutionen der Kategorie 1, also essentiell notwendigen, dürfen auch solche der Kategorie 2, also ein Großteil des Einzelhandels, auch in Einkaufszentren und Basaren, öffnen. Obwohl die Zahl der Neuinfektionen mittlerweile leicht im Abnehmen begriffen ist, ist sie allerdings immer noch hoch (WKO 10.5.2021). Auch die Auslastung der medizinischen Einrichtungen ist weiterhin sehr hoch (WKO 10.5.2021; vgl. DW 23.4.2021), verschiedentlich gibt es noch Engpässe bei der Versorgung mit Schutzausrüstung und Medikamenten. Der Großraum Teheran und zahlreiche andere Städte wurden von der höchsten, ’roten’ Gefahrenstufe auf ’orange’ zurückgestuft (WKO 10.5.2021). Personen, die nach Iran auf dem Luftweg einreisen wollen, haben einen negativen molekularbiologischen Test auf SARS-CoV-2 aus dem Abreisestaat in englischer Sprache mit sich zu führen und vorzuweisen. Das ärztliche Zeugnis darf bei der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein. Kann das Gesundheitszeugnis nicht vorgelegt werden, wird ausländischen Staatsangehörigen die Einreise nach Iran verwehrt. Iranische Staatsangehörige (Doppelstaatsbürger reisen in der Regel mit ihrem iranischen Reisepass ein) werden unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums 2 in ein Flughafenhotel eingewiesen, dessen Kosten selbst zu tragen sind. Mit eigenhändiger Unterschrift ist zu bestätigen, dass das Hotel nicht verlassen werden darf. Die 14-tägige Quarantäne kann durch einen negativen molekularbiologischen Test beendet werden (BMeiA 16.6.2021). Reisende können bei Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden befragt und bei COVID-19-Symptomen ärztlich untersucht werden. Ein erneuter COVID-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses wird Selbstisolation angeordnet. Bei positivem Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen, und es ergehen weitere verpflichtende Anweisungen der iranischen Behörden. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Die Verfahren können sich kurzfristig ändern. Abweichende Handhabungen sind jederzeit möglich (AA 16.6.2021). In Teheran gilt von 21 Uhr bis 3 Uhr ein Fahrverbot für Privatfahrzeuge. Es kommt, abgesehen vom Lebensmittelhandel und systemrelevanten Einrichtungen, abhängig vom örtlichen Infektionsgeschehen, ebenfalls zu landesweiten Betriebsschließungen (BMeiA 16.6.2021). Private Personenkraftwagen dürfen den auf den Kennzeichen angeführten Zulassungsbezirk nicht verlassen. Eine Ausnahme besteht für die Bezirke Teheran und Karaj, da täglich mehrere Millionen Berufspendler zwischen den beiden Orten verkehren. Die Beschränkungen gelten nicht für den öffentlichen Verkehr, Taxis und Internettaxis. In Behörden ist die Anwesenheit der Beschäftigten reduziert. In Orten der Warnstufe ’rot’ müssen Handelsunternehmen, die nicht wie Apotheken oder Lebensmittelhändler dringende Bedürfnisse abdecken, schließen (WKO 10.5.2021). Auch Touristen- und Ausflugsziele bleiben teilweise geschlossen. Camping in öffentlichen Parks ist grundsätzlich untersagt (AA 16.6.2021). In allen Schulen und Universitäten wird auf teilweise Fernunterricht umgestellt. Religiöse und kulturelle Veranstaltungen dürfen nur in reduzierter Form stattfinden. Die Maßnahmen gelten auf unbestimmte Zeit (WKO 10.5.2021). Die iranischen Behörden rufen weiterhin dazu auf, möglichst soziale Kontakte und Reisen zu vermeiden sowie persönliche Hygiene- und Schutzmaßnahmen zu ergreifen und den Öffentlichen Personennahverkehr zu meiden. Es gilt eine generelle Maskenpflicht an allen öffentlichen Orten, in geschlossenen Räumlichkeiten sowie im öffentlichen Nahverkehr. Künftig soll die Polizei stärker gegen Verstöße vorgehen, Strafen für Verstöße gegen die Auflagen wurden angekündigt (AA 16.6.2021). Die Regierung hat ein Hilfspaket für Haushalte und Arbeitgeberbetriebe in der Höhe von 24 Mrd. USD beschlossen. 4 Mio. Haushalte sollen einen zinsfreien Mikrokredit von umgerechnet 62 bzw. 124 USD erhalten (WKO 10.5.2021). Nach wiederholten Ankündigungen über die baldige Produktion iranischer Corona-Impfstoffe gab Präsident Hassan Rohani im April 2021 zu, dass im Land produzierte Impfdosen im besten Fall ab Ende des Sommers 2021 zur Verfügung gestellt werden könnten. Rohani lud Firmen und Geschäftsleute ein, im Auftrag der Regierung Corona-Impfstoffe aus dem Ausland zu importieren. Die Regierung selbst könne keine Corona-Impfdosen importieren, weil die US-Sanktionen deren Einfuhr behindere. Die Tatsache, dass die Regierung sich erst sehr spät für den Kauf ausländischer Impfstoffe entschieden hat, erwähnte der Präsident nicht. Laut iranischen Medien gibt es schon jetzt einen florierenden Schwarzmarkt für illegal importierte Corona-Impfdosen in 3 Teheran. Viele verzweifelte und schwerkranke Menschen suchen auf dem Schwarzmarkt nach preiswerten Impfdosen. Je nach Hersteller werde die Einzeldosis Impfstoff für bis zu 2.000 Euro verkauft (DW 23.4.2021). Laut iranischen Behörden, wurde am 13.6.2021 eine Notfallgenehmigung für einen im Inland entwickelten Impfstoff (COVIran Barekat) gegen COVID-19 erteilt. Der Schritt kommt aufgrund der erwähnten Probleme mit dem Import von genügend Impfstoffen (RFE/RL 14.6.2021).
Politische Lage
Letzte Änderung: 28.06.2021
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer’ (GIZ 12.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 10.2020; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 4.3.2020a; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Revolutionsführer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2020; vgl. FH 3.3.2021, USDOS 30.3.2021). Doch obwohl 4 der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2020). Am 18.6.2021 fanden in Iran erneut Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021). Der derzeitige Präsident Rohani darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidieren (DW 19.6.2021). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und derzeitige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50% und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung sogar bei nur 26%. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vgl. DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt. Der neue Präsodent tritt sein Amt im August 2021 an. Es ist möglich, dasst er nicht lange Präsident bleibt, da er als Favorit für die Nachfolge des Revolutionsführers Khamenei, der 82 Jahre alt ist, gilt (Zeitonline 23.6.2021). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 3.3.2021). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2020). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 12.2020a). Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020). Nach dem die Erwartungen des Volks vom moderat-reformorientierten Parlament nicht erfüllt wurden und die Wirtschaftslage und die finanzielle Situation des Volks nach den US-Sanktionen immer schlechter wurde, kamen nach den Parlamentswahlen 2020 hauptsächlich die konservativen und erzkonservativen Kräfte ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten der neuen Legislaturperiode verfolgt sowohl gegenüber der Regierung von Rohani als auch gegenüber westlichen Werten eine sehr kritische Linie (ÖB Teheran 10.2020). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für 5 eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten. Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6%, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 3.3.2021). Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. GIZ 12.2020a, FH 3.3.2021, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a). Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 12.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 12.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Folglich können iranische Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten auswählen (FH 3.3.2021). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.06.2021
Der Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben 7 im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 14.6.2021). Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Diese haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 14.6.2021; vgl. AA 14.6.2021b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 14.6.2021b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 14.6.2021b). In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 14.6.2021b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 14.6.2021). In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 14.6.2021b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften(EDA 14.6.2021). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2020). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 14.6.2021).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 28.01.2021
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2020). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (USDOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ [divine knowledge] für schuldig befinden (USDOS 11.3.2020).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die „Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte: - Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere „Feindschaft zu Gott“ und „Korruption auf Erde“; - Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen; - Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers; - Spionage für fremde Mächte; - Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel; - Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018). Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020).
Die Amputation z.B. eines Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen (Qisas), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann (ÖB Teheran 10.2020). Bei derartigen Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes (Diya) auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020). Durch Erhalt einer Kompensationszahlung (Diya) kann also der ursprünglich Verletzte auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen.
Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen Diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2020). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019). Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 26.2.2020).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 30.06.2021
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarde und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung. Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Trotzdem können Angehörige der Sicherheitskräfte Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden (USDOS 30.3.2021). Organisatorisch sind die Basij den Revolutionsgarden unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut macht. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2020). Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 26.2.2020). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij Milizen unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020). Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Letztere nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate 22 entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 3.3.2021). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Präsident Hassan Rohani versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017). Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020). Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EUMenschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020). 23 Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (USDOS 30.3.2021). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020). Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2020).
Folter und unmenschlich