Entscheidungsdatum
22.10.2021Norm
BFA-VG §9Spruch
W159 2214772-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger vom Kosovo, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.09.2021 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde zu den Spruchteilen I. bis IV. wird stattgegeben und diese ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger vom Kosovo, geb. am XXXX wurde lt. Strafregisterauszug wie folgt verurteilt:
01) LG Linz XXXX vom 03.12.2012, rk 03.12.20212,
wegen §§ 153 d (1), 153d (2) StGB; §§ 159 (1), 159 (2), 159 (5) Z 3 StGB; § 156 (1) StGB,
Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre, - Vollzugsdatum 14.10.2015
02) LG Linz XXXX vom 26.11.2013, rk 30.11.2013,
wegen § 125 StGB, §§ 107a (1), 107a (2) Z 1 u 2 StGB
Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
03) LG Linz XXXX vom 11.11.2014, rk 15.11.2014,
wegen §§ 107a (1), 107a (2) Z 2 StGB, § 107 (1) StGB
Geldstrafe von 240 Tags zu je 4 € (960 €) im NEF 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
04) LG Linz XXXX vom 27.10.2015, rk 31.10.2015,
wegen § 15 StGB, § 105 (1) StGB
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
05) LG Linz XXXX vom 19.05.2017, rk 26.05.2017,
wegen §§ 107a (1), 107a (2) Z 1 StGB
Freiheitsstrafe 5 Monate
Am 07.08.2018 wurde der Beschwerdeführer vom BFA vom Ergebnis der Beweisaufnahme- Parteiengehör verständigt. Es wurde dargelegt, dass aufgrund der Verurteilungen eine Rückehrentscheidung und ein befristetes Einreiseverbot erlassen werde. Er wurde ersucht den übermittelten Fragenkatalog binnen zwei Wochen nach Zustellung schriftlich zu beantworten und zu den Länderfeststellungen Stellung zu nehmen.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers ersuchte um Fristerstreckung zur Abgabe der Stellungnahme.
Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2019, Zahl XXXX wurde unter Spruchteil I. gem. § 52 Abs. 5 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchteil II. festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei, unter Spruchteil III. gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Zi 1 FPG ein befristetes Einreiseverbot in Höhe von 4 Jahren erlassen und unter Spruchteil IV. gem. § 55 Abs. 4 FPG eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt.
Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht österreichischer Staatsbürger sei. Er sei am XXXX in XXXX /Kosovo geboren worden. Er sei gesund und arbeitsfähig und würde über einen unbefristeten Daueraufenthaltstitel-EU verfügen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit 19.04.2002 im Bundesgebiet auf. In der Zeit vom 03.11.2014 bis 16.06.2015 und vom 09.06.2016 bis 06.06.2017 würde der Beschwerdeführer in Österreich melderechtlich nicht aufscheinen. Am 13.08.2003 sei ihm eine Niederlassungsbewilligung gültig bis 13.08.2004 und verlängert bis 22.07.2005 erteilt worden. In weiterer Folge wurde die Niederlassungsbewilligung jährlich verlängert bis er am 19.08.2009 erstmals den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“- gültig bis 19.08.2014 bzw. aktuell bis 20.08.2019 erhalten habe. Nunmehr sei der Beschwerdeführer fünfmal rechtskräftig verurteilt wurden und habe sich bis 05.11.2018 in Strafhaft in der JA XXXX befunden. Aus dem Sozialversicherungsauszug habe entnommen werden können, dass der Beschwerdeführer in den letzten fünf Jahren bei zahlreichen Firmen gearbeitet habe, fast gänzlich als „geringfügig beschäftigt“, als Arbeiter mit regelmäßigen Unterbrechungen aufgrund Arbeitslosen-, Notstands- und Überbrückungshilfe.
Er habe keine Stellungnahme zu seinem Privat- bzw. Familienleben bzw. den Länderfeststellungen abgegeben, weswegen das Privat- und Familienleben lt. Aktenlage bewertet worden sei. Der Beschwerdeführer sei unterhaltspflichtet für seine Tochter XXXX . XXXX . Er habe sich von der Mutter seiner Tochter im Jahr 2012 getrennt. Es würden keine familiären Kontakte bestehen. Der Beschwerdeführer würde seiner Alimentationspflicht nicht nachkommen. Aufgrund seines langen Aufenthalten in Österreich würden private und soziale Bindungen im Bundesgebiet bestehen.
Aufgrund der Verurteilungen würde ein Einreiseverbot erlassen werden.
In der rechtlichen Beurteilung wurde zunächst zu Spruchteil I. festgehalten, dass der Beschwerdeführer immer wieder einschlägig kriminell in Erscheinung getreten sei. Er sei bereits viermal rechtskräftig wegen Vergehen der gefährlichen Drohung, Vergehen der beharrlichen Verfolgung und Vergehen der versuchten Nötigung verurteilt worden. Er habe sein Opfer XXXX in ihrer Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt und in Furcht und Unruhe versetzt. Es werde davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit seinem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen würden.
Im Spruchteil II. wurde die Rückkehrentscheidung insbesondere damit begründet, dass der Beschwerdeführer über ein Familienleben im Kosovo verfügen würde. Zu Spruchteil III. wurde festgehalten, dass mit der Rückkehrentscheidung aufgrund der kriminellen Handlungen, ein Einreiseverbot befristet auf 4 Jahre erlassen werde. Im Spruchteil IV. wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gewährt.
Der Beschwerdeführer erhob, vertreten durch Rechtsanwalt XXXX gegen alle Spruchteile fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer gab an, er sei seit April 2002 durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Er sei Vater der XXXX , geb. XXXX . Er sei nunmehr in einer Beziehung zur rumänischen Staatsangehörigen XXXX . Sie würden in getrennten Wohnungen leben, führten jedoch eine durch Art. 8 EMRK geschützte Beziehung. Er sei zurzeit arbeitslos (Winterarbeitslosigkeit) werde aber ab 02/2019 bei der Firma XXXX , wieder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Eisenbieger aufnehmen.
Auf Grund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache neu zugewiesen.
Am 29.01.2021 übermittelte die LPD OÖ eine Sachverhaltsdarstellung. Der Beschwerdeführer halte sich aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung (Kehlkopfoperation), am nunmehr angemeldeten Nebenwohnsitz auf. Er sei ein Nachsendeauftrag beantragt worden.
Der Rechtsvertreter, XXXX , übermittelte am 04.02.2021 ein Schreiben und ersuchte um die Abberaumung der vorgesehenen Verhandlung am 23.02.2021. Der Beschwerdeführer befinde sich nach einer Operation am 13.10.2020 nach der Diagnose Kehlkopfkrebs in Chemotherapie. Der Beschwerdeführer lebe derzeit vorwiegend bei seiner Lebensgefährtin XXXX ., die ihn pflegen würde. Der Beschwerdeführer würde im Kosovo über keinerlei Versicherung verfügen und es würde dort die erforderliche medizinische Behandlung nicht zur Verfügung stehen, zusätzlich sei er auf die Pflege seiner Lebensgefährtin angewiesen. Es wurde ersucht, das Einreiseverbot ersatzlos zu beheben. Die Aufenthaltsbehörde habe einen Aufenthaltstitel Rot-Weiß-Rot plus mit Gültigeit bis 01.08.2021 ausgestellt. Es wurden der ärztliche Entlassungsbrief XXXX vom 02.03.2021, vom 27.01.2021, vom 13.01,2021 sowie ein vorläufiger Entlassungsbericht vom XXXX vom 30.10.2020, eine Meldebestätigung und eine Kopie der Rot-Weiß-Rot Karte dem Schreiben beigelegt.
Am 06.08.2021 beantwortete die rechtliche Vertretung des Beschwerdeführers die Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts und übermittelte den aktuellen Ambulanzbericht vom 14.06.2021. Der Beschwerdeführer sei gesundheitlich nach wie vor sehr angeschlagen. Er nehme regelmäßige Therapie bei einem Logopäden in Anspruch, um das Sprechen neu zu erlernen. Eine Befragung des Beschwerdeführers sei derzeit nicht möglich. Sollte er in den nächsten zwei Jahren das Sprechen nicht wiedererlernen, werde ihm ein Implantant eingesetzt werden. Die Lebensgefährtin XXXX . sei über die Adresse XXXX ladbar.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 28.09.2021 an, an welcher der Beschwerdeführer in Begleitung seines Rechtsvertreters XXXX , die Zeugin XXXX , rumänische Staatsangehörige, der Zeuge XXXX und eine Dolmetscherin teilnahmen. Die belangte Behörde war entschuldigt nicht erschienen.
Die Rechtsvertreterin beantragte die Einvernahme des Zeugen XXXX zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner medizinischen Probleme auf Unterstützung durch seine Lebensgefährtin und Freunde in Österreich angewiesen sei.
Die Rechtsvertretin brachte einleitend vor: „Der Beschwerdeführer hat zwei konkrete Termine im Krankenhaus XXXX . Ein Termin ist am 06.10.2021, bei diesem Termin wird überprüft, ob weitere Krebszellen im Hals vorhanden sind. Bei diesem Termin wird entschieden, ob evtl. eine Stimmprothese beim Beschwerdeführer eingesetzt wird. Ein weiterer Termin am 22.11.2021 findet ebenfalls im XXXX statt. Bei diesem Termin handelt es sich um einen Termin bei einem Logopäden. Die Termine beim Logopäden finden regelmäßig alle drei Wochen statt. Entweder lernt er wieder über die Luft zu sprechen oder Implantate werden eingesetzt.“
Befragung der Zeugin XXXX , Lebensgefährtin des Beschwerdeführers
Nach Wahrheitserinnerung, gab die Zeugin befragt an, der Beschwerdeführer und sie seien seit 2018 zusammen. Wie lange er vorher in Österreich gewesen sei, wisse sie nicht genau. Sie sei 2010 in XXXX sechs Jahre lang gewesen und habe in einer Pizzeria gearbeitet. Seit 2016 sei sie in XXXX .
Sie erzählte, dass der Vater des Beschwerdeführers im Kosovo leben würde, jedoch sei er sehr alt und krank. Auf die Frage des Richters, ob der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seinem Vater habe würde, antwortete sie, der Beschwerdeführer würde ihn anrufen. „Richter: Vorhalt: Derzeit wird das Telefonieren mit ihm nicht funktionieren. Zeugin: Sie sehen sich per Video.“ Der Beschwerdeführer sei das letzte Mal im Kosovo gewesen, bevor er operiert worden sei, im Jahr 2020.
Die Zeugin und der Beschwerdeführer würden sich seit März 2018 kennen. Sie hätten sich in der Straßenbahn in XXXX kennengelernt. Seit Dezember 2020, seit er die Chemotherapie begonnen habe, würden sie zusammenleben. Sie würden sich auf Deutsch unterhalten.
Der Richter erkundigte sich, ob der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seinen Kindern oder der früheren Lebensgefährtin Frau XXXX habe. Die Zeugin verneinte die Frage. Die Rechtsvertreterin antwortete, dass der Kontakt komplett abgebrochen sei, es gäbe auch keinen Kontakt zum gemeinsamen Kind. Der Beschwerdeführer habe sich mit diesem Umstand zwischenzeitig abgefunden.
Zu dem gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers gab die Zeugin an, es sei zurzeit etwas besser, davor sei es sehr schlecht gewesen. Er habe einen Schlauch im Bauch gehabt und habe auch nicht essen können. Er sei künstlich mit einer Sonde ernährt worden. Der Beschwerdeführer würde ihre Hilfe im Alltag benötigen. Man müsse ihn reinigen, er müsse täglich am Hals gereinigt werden, abhängig vom Speichelfluss. Sie sei meistens die einzige, die ihm helfen würde. Wenn sie nicht zu Hause sei, helfe ihm sein Freund XXXX .
Sie selbst sei berufstätig, sie würde von 05:30 Uhr morgens, bis 13:30 Uhr mittags, im Gastgewerbe als Buffetkraft, 37.5 Stunden arbeiten.
Der Beschwerdeführer könne nicht viel zurzeit unternehmen, er würde schnell ermüden und keine Luft bekommen. In der warmen Zeit habe er vor dem Wohnhaus gesessen. Er sei öfters zur Logopädie gegangen, hier habe ihm die Zeugin des Öfteren begleitet.
Die Zeugin gab an, sie wolle den Beschwerdeführer heiraten, könne sich jedoch im Kosovo nicht zurechtfinden. Sie kenne die Sprache nicht und habe dort auch keine Arbeit. Im Kosovo würde niemand den Beschwerdeführer unterstützen.
Die Rechtsvertreterin erkundigte sich, ob der Lebensgefährte momentan in der Lage zu arbeiten sei. Die Zeuging antwortete: „Der Arzt hat gesagt, dass er derzeit noch nicht arbeiten darf. Im November muss er zu einer Kontrolle und wenn der Arzt zustimmt, dann möchte er natürlich eine Arbeit suchen und arbeiten.“
Die Zeugin führte weiters aus: „Wir verstehen uns sehr gut, wir sind schon seit längerer Zeit zusammen. Ich hätte sehr gerne, dass er hierbleiben darf, ich habe ihn die ganze Zeit betreut und gepflegt, vor allem nach der Operation.“ Sie gab befragt an, der Beschwerdeführer würde seine strafrechtlichen Verurteilungen bedauern, es tue ihm leid was alles passiert sei.
Befragung des Zeugen XXXX
Nach Wahrheitserinnerung gab der Zeuge an, er kenne den Beschwerdeführer seit er in Österreich sei, seit 2004/2005. Er stamme auch aus dem Kosovo. Er habe den Beschwerdeführer in einem Kaffeehaus kennengelernt.
Der Zeuge erzählte, er sei seit dem letzten Jahr, seit die Krebserkrankung aufgetreten sei, immer wieder für den Beschwerdeführer im Krankenhaus übersetzen gewesen. Der Beschwerdeführer würde nicht so gut Deutsch wie der Zeuge sprechen. Die Ärzte hätten ihm gesagt, er müsse jemanden mitnehmen, der besser Deutsch als er sprechen würde.
Auf die Frage des Richters, inwiefern die Erkrankung den Beschwerdeführer im Alltag behindern würde, antwortete der Zeuge: „Er kann derzeit nicht sprechen und nicht arbeiten. Er muss noch weitere ärztliche Untersuchungen abwarten, nachher wird entschieden, was für weitere Therapien erforderlich sind. Es kann sein, dass er ein Implantat zum Sprechen bekommt.“ Der Richter erkundigte sich, inwiefern er dem Beschwerdeführer im Alltag helfen würde. Der Zeuge gab an: „Heute habe ich ihn mit dem Auto hier zur Verhandlung geführt. Wenn er mich braucht, bin ich immer wieder für ihn da, z.B. zum Übersetzen und auch sonst. Ich bin auch sein Chauffeur. Wenn er Hilfe braucht und seine Lebensgefährtin nicht da ist, helfe ich ihm. Seine Lebensgefährtin hat ihn jeden Tag im Krankenhaus betreut. Sie war nach der Arbeit die ganze Zeit im Krankenhaus.“
Der Zeuge gab an, er wisse, dass der Vaters des Beschwerdeführers im Kosovo leben würde, von weiteren Kontakten, wisse er nichts. Er glaube auch nicht, dass der Beschwerdeführer noch zu seiner Ex-Lebensgefährtin Frau XXXX Kontakt habe.
Zu einer eventuellen Rückkehr des Beschwerdeführers gab der Zeuge an: „Es kann sein, dass er im Kosovo an seiner Erkrankung stirbt. Die medizinische Versorgung ist dort nicht so gut. Ich weiß, dass Patienten mit bösartigem Krebs vom Kosovo ins Ausland zur Behandlung geschickt werden. Aber eine solche Behandlung im Ausland könnte er sich nicht leisten.“ In Österreich sei der Beschwerdeführer über ÖGK krankenversichert.
Im aktuellen Strafregisterauszug des Beschwerdeführers schienen fünf Verurteilungen auf. Gemäß § 45 Abs.3 AVG wurden den Verfahrensparteien das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Kosovo zur Kenntnis gebracht.
Die Rechtsvertreterin gab folgende Stellungnahme ab: „Das LIB zum Kosovo ist mir bekannt, ich benötige es nicht körperlich. Der Beschwerdeführer bereut seine strafrechtlichen Verurteilungen zutiefst. Ich weise darauf hin, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner letzten Verurteilung 2017 wohl verhalten hat und aus seinem Fehlverhalten gelernt hat. Der Beschwerdeführer hat den Kontakt zur Kindesmutter und seiner Tochter abgebrochen und er bereut das Verhalten, das er der Kindesmutter gegenüber gesetzt hat zutiefst. Der Beschwerdeführer hat aus seinem Fehlverhalten gelernt und führt nunmehr eine Lebensgemeinschaft mit der heute anwesenden Zeugin. Der Beschwerdeführer wird aufgrund seiner Erkrankung durch seine Lebensgefährtin betreut und im Alltag unterstützt. Wie den medizinischen Unterlagen zu entnehmen ist, bedarf der Beschwerdeführer weiteren Kontrollen im XXXX Krankenhaus. Dem LIB ist zu entnehmen, dass das Gesundheitswesen im Kosovo nicht vergleichbar ist mit dem Gesundheitswesen in Österreich. Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo ist nicht sichergestellt, dass ihm eine vergleichsweise medizinische Behandlung im Kosovo zur Verfügung stehen würde. Der Beschwerdeführer ist derzeit nicht in der Lage einer Beschäftigung nachzugehen. Er wäre daher im Kosovo auch nicht in der Lage sich seinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen und wäre daher auch nicht krankenversichert. Er verfügt im Kosovo, abgesehen von seinem bereits sehr alten Vater, über kein soziales Netzwerk, welches ihn im Falle einer Rückkehr bei der Bewältigung seines Alltages unterstützen könnte. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über ein schützenswertes Privat- und Familienleben und ersuche ich Sie bei der Entscheidungsfindung vor allem den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers zu berücksichtigen.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat, wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger vom KOSOVO, ist muslimischen Glaubens und wurde am XXXX geboren.
Der Beschwerdeführer ist seit April 2002 im Bundesgebiet aufhältig. Er ist Vater der XXXX Der Beschwerdeführer steht in keinen Kontakt mehr zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner Tochter.
Er lebt in einer Beziehung zur rumänischen Staatsangehörigen XXXX . Sie ist in Österreich ansässig und verdient hier ihren Lebensunterhalt. Sie führt mit dem Beschwerdeführer ein Familienleben. Das Paar lebt in der Wohnung der Lebensgefährtin. Der Beschwerdeführer ist zurzeit von seiner Lebensgefährtin aufgrund seiner Erkrankung abhängig. Sie pflegt ihn. Das Paar möchte heiraten.
Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinem alten Vater im Kosovo und hat keine weiteren Kontakte im Kosovo. Er hat auch keinen Besitz mehr im Kosovo.
Der Beschwerdeführer ist schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt, er kann derzeit nicht sprechen.
Der Beschwerdeführer bedauert sein ehemaliges Verhalten seiner Lebensgefährtin gegenüber. Er hat sich mit der Situation abgefunden, keinen Kontakt zu seiner mj. Tochter pflegen zu dürfen. Er wurde seit 05/2017 nicht mehr verurteilt. Aufgrund der Umstände wird eine positive Zukunftsprognose abgegeben.
Der Beschwerdeführer möchte nach erfolgreicher Behandlung wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen.
Im Strafregisterauszug scheinen folgende Verurteilungen des Beschwerdeführers auf:
06) LG Linz XXXX vom 03.12.2012, rk 03.12.20212,
wegen §§ 153 d (1), 153d (2) StGB; §§ 159 (1), 159 (2), 159 (5) Z 3 StGB; § 156 (1) StGB,
Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre, - Vollzugsdatum 14.10.2015
07) LG Linz XXXX vom 26.11.2013, rk 30.11.2013,
wegen § 125 StGB, §§ 107a (1), 107a (2) Z 1 u 2 StGB
Freiheitsstrafe 3 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
08) LG Linz XXXX vom 11.11.2014, rk 15.11.2014,
wegen §§ 107a (1), 107a (2) Z 2 StGB, § 107 (1) StGB
Geldstrafe von 240 Tags zu je 4 € (960 €) im NEF 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe
09) LG Linz XXXX vom 27.10.2015, rk 31.10.2015,
wegen § 15 StGB, § 105 (1) StGB
Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
10) LG Linz XXXX vom 19.05.2017, rk 26.05.2017,
wegen §§ 107a (1), 107a (2) Z 1 StGB
Freiheitsstrafe 5 Monate
Aufgrund des Inhaltes der gegenständlichen Entscheidung war es nicht erforderlich, Länderfeststellungen zu treffen.
Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt zur IFA XXXX und durch die mündliche Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichts am 28.09.2021, wobei die Zeugen XXXX und XXXX befragt wurden sowie durch Einsichtnahme in die vorgelegten ärztlichen Briefe des XXXX und Krankenhaus der XXXX , sowie Einsichtnahme in den Strafregisterauszug.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Person und der Identität des Beschwerdeführers sind dem Akt zu IFA XXXX zu entnehmen. Die Angaben zur Krankheit des Beschwerdeführers beruhen auf den vorgelegten Arztbriefen zu entnehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich während der Verhandlung, durch die Befragung der Zeugen, von dem Krankheitszustand und dem eher einfacheren Denken und Handeln des Beschwerdeführers überzeugen. Es wird auch durch die übereinstimmende Aussagen der Zeugen davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner ehemaligen Lebensgefährtin und seiner mj. Tochter hat und suchen wird.
Seine Lebensgefährtin hat glaubhaft von der nunmehrigen Beziehung zu dem Beschwerdeführer und einer möglichen Heirat erzählt. Aufgrund der Abhängigkeit des Beschwerdeführers von seiner Lebensgefährtin ist von einem Familienleben auszugehen. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der Angaben und der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen zu den obigen personenbezogenen Feststellungen gelangen konnte.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich verurteilt wurde, kann dem diesbezüglichen Strafregisterauszug entnommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ überschriebene § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben oder die Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg. cit. als Drittstaatsangehöriger jeder Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist. Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zu Bosnien und Herzegowina sohin Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Gemäß § 31 Abs. 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthaltes im Bundesgebiet die Befristung oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthaltes oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben (Z 1), oder sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder eine Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder aufgrund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind (Z 2).
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechtes ist gemäß Abs. 2 leg. cit. nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar2 [1996] Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Demzufolge ist das nach Art. 8 EMRK geschützte Familienleben nicht auf durch Heirat rechtlich formalisierte Bindungen ("marriagebased relationships") beschränkt, sondern erfasst auch andere faktische Familienbindungen ("de facto family ties"), bei denen die Partner außerhalb des Ehestandes zusammenleben. Zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet, stellt der EGMR auf das Bestehen enger persönlicher Bindungen ab, die sich in einer Reihe von Umständen - etwa dem Zusammenleben, der Länge der Beziehung oder der Geburt gemeinsamer Kinder - äußern können (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN unter Verweis auf die Judikatur des EGMR).
Der Begriff des Privatlebens iSd Art. 8 EMRK ist weit zu verstehen und umfasst das persönliche und berufliche Umfeld eines Menschen, in dem er mit anderen interagiert. Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist die Gesamtheit der sozialen Beziehungen zwischen einem ansässigen Migranten und der Gemeinschaft, in der er lebt, integraler Bestandteil des Begriffs des Privatlebens (EGMR 13.10.2011, 41548/06, Trabelsi/DE; EGMR [GK] 23.06.2008, 1638/03, Maslov/AT). Dazu zählen auch berufliche und geschäftliche Beziehungen.
In die Interessenabwägung ist auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat mit einzubeziehen, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Der VwGH hat zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 30.07.2015, Zl. 2014/22/0055; VwGH 23.06.2015, Zl. 2015/22/0026; VwGH 10.11.2010, Zl. 2008/22/0777, VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479), der Beschwerdeführer ist aber schon mehr als 19 Jahre (!) in Österreich aufhältig.
Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die im Inland verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, werden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach einem so langen Inlandsaufenthalt noch als verhältnismäßig angesehen (vgl. zum Ganzen VwGH 8.11.2018, Ra 2016/22/0120, mwN), wobei einem teilweisen unangemeldeten oder unrechtmäßigen Aufenthalt keine entscheidende Bedeutung zukommt (jüngst VwGH vom 23.07.2021, Ra 2018/22/0282).
Der Beschwerdeführer ist seit April 2002 in Österreich aufhältig. Er ist zwischenzeitlich schwer an Kehlkopfkrebs erkrankt. Der Kehlkopf musste entfernt werden und der Beschwerdeführer hatte sich einer Chemotherapie zu unterziehen. Er kann derzeit nicht sprechen. Der weitere Krankheitsverlauf ist nicht absehbar.
Der Beschwerdeführer ist seit 2018 in einer Beziehung zur rumänischen Staatsangehörigen XXXX und beabsichtigt diese auch zu heiraten. Seine Lebensgefährtin pflegt ihn nach der schweren Erkrankung und den operativen Eingriff, der Entfernung des Kehlkopfes. Voraussichtlich wird ein Implantat eingesetzt werden, sodass der Beschwerdeführer wieder sprechen kann. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist seit 2010 in Österreich aufhältig, seit 2016 in XXXX und ganztags berufstätig.
Der Beschwerdeführer war berufstätig und möchte nach seiner Erkrankung wieder im Berufsleben Fuß fassen. Es ist daher – abgesehen von den strafgerichtlichen Verurteilungen – von einer guten Integration des Beschwerdeführers auszugehen.
Der Beschwerdeführer bereut seine strafrechtlichen Handlungen. Er hat sich zwischenzeitlich damit abgefunden, dass er keinen Kontakt zu seiner mj. Tochter haben kann. Außerdem ist zu beachten, dass der Beschwerdeführer sich einen Freundeskreis in Österreich aufgebaut hat. Sein Kontakt in den Kosovo ist auf seinen alten, kranken Vater beschränkt. Sonst hat er keine Bindung an seinen Herkunftsstaat.
Der mit „Einreiseverbot“ überschriebene § 53 FPG lautet wie folgt:
„§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
1. wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 20 Abs. 2 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO), BGBl. Nr. 159, iVm § 26 Abs. 3 des Führerscheingesetzes (FSG), BGBl. I Nr. 120/1997, gemäß § 99 Abs. 1, 1 a, 1 b oder 2 StVO, gemäß § 37 Abs. 3 oder 4 FSG, gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 der Gewerbeordnung 1994 (GewO), BGBl. Nr. 194, in Bezug auf ein bewilligungspflichtiges, gebundenes Gewerbe, gemäß den §§ 81 oder 82 des SPG, gemäß den §§ 9 oder 14 iVm § 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl. Nr. 98, oder wegen einer Übertretung des Grenzkontrollgesetzes, des Meldegesetzes, des Gefahrengutbeförderungsgesetzes oder des Ausländerbeschäftigungsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;
2. wegen einer Verwaltungsübertretung mit einer Geldstrafe von mindestens 1 000 Euro oder primären Freiheitsstrafe rechtskräftig bestraft wurde;
3. wegen einer Übertretung dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft worden ist, sofern es sich dabei nicht um eine in Abs. 3 genannte Übertretung handelt;
4. wegen vorsätzlich begangener Finanzvergehen oder wegen vorsätzlich begangener Zuwiderhandlungen gegen devisenrechtliche Vorschriften rechtskräftig bestraft worden ist;
5. wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften, mit denen die Prostitution geregelt ist, rechtskräftig bestraft worden ist;
6. den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag;
7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;
8. eine Ehe geschlossen oder eine eingetragene Partnerschaft begründet hat und sich für die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, für den Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, zwecks Zugangs zum heimischen Arbeitsmarkt oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen, aber mit dem Ehegatten oder eingetragenen Partner ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geführt hat oder
9. an Kindes statt angenommen wurde und die Erteilung oder Beibehaltung eines Aufenthaltstitels, der Erwerb oder die Aufrechterhaltung eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft, der Zugang zum heimischen Arbeitsmarkt oder die Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausschließlicher oder vorwiegender Grund für die Annahme an Kindes statt war, er jedoch das Gericht über die wahren Verhältnisse zu den Wahleltern getäuscht hat.
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder
9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht.“
Bei der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose – gleiches gilt auch für ein Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot – ist das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 53 Abs. 2 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. VwGH 19.02.2013, 2012/18/0230).
Ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 FPG ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (§ 53 Abs. 3 FPG).
Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat nach § 53 Abs. 3 Z 5 FPG insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof fordert (z.B: jüngst VwGH vom 30.04.2020 Ra 2019/20/0399) eine genaue Auseinandersetzung mit den Umständen einer strafgerichtlichen Verurteilung.
Bei einer Gefährdungsprognose ist nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich nach Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH vom 09.11.2020, Ra 2020/21/0417, sowie jüngst VwGH vom 02.09.2021, Ra 2020/21/0364).
Der Beschwerdeführer hat seine ehemalige Lebensgefährtin mit dem Ziel gestalkt und bedroht, um Kontakt zu seiner mj. Tochter zu erhalten und diesen zu pflegen. Er bereut nunmehr sein Fehlverhalten. Nach den Zeugenaussagen während der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist auch davon auszugehen, dass er keinen Kontakt mehr sucht, er hat sich mit den Umständen abgefunden, keinen Kontakt zu seiner mj. Tochter pflegen zu dürfen. Der Beschwerdeführer ist seit 05/2017 nicht strafrechtlich verurteilt, er hat sich seit jenem Zeitpunkt wohlverhalten. Die diesbezügliche Gefährdung ist daher weggefallen. Die erste Verurteilung steht im Zusammenhang mit einem Konkurs und ist bereits 9 Jahre zurückliegend.
Der Beschwerdeführer ist an Kehlkopfkrebs erkrankt, in einer aufrechten Beziehung zu XXXX , einer rumänischen Staatsangehörigen und von ihrer Hilfe abhängig. Das Paar beabsichtigt zu heiraten.
Es ist letztlich bei Berücksichtigung aller Umstände, besonders der schweren Krankheit, von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen. In einer Gesamtabwägung aller Umstände war daher die Rückkehrentscheidung und damit auch die Zulässigkeit der Abschiebung und das Einreiseverbot zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Vielmehr stützt sich die gegenständliche Entscheidung auf die jüngste Judikatur des Verwaltungsgerichthofes (basierend auf der Judikatur des EGMR).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aufenthaltsdauer Behebung der Entscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Familienleben gefährliche Drohung gesundheitliche Beeinträchtigung Lebensgemeinschaft Nötigung Privatleben Rückkehrentscheidung behoben Stalking strafrechtliche Verurteilung ZukunftsprognoseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2214772.1.00Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022