Entscheidungsdatum
22.10.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W227 2245529-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch die Erziehungsberechtigte XXXX gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Salzburg vom 2. August 2021, Zl. 525002/0021-PA-BWR-Allgemein/2021, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben.
B)
Die Revision ist zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer besuchte im Schuljahr 2020/2021 die Klasse XXXX (6. Schulstufe) des XXXX Gymnasiums XXXX . Am 7. Juli 2021 entschied die Klassenkonferenz, dass der Beschwerdeführer zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt sei, da er in den Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ mit „Nicht genügend“ beurteilt worden sei und die Berechtigung zum Aufsteigen mit zwei „Nicht genügend“ gemäß § 11 Abs. 4 COVID-19-Schulverordnung 2020/21 (C-SchVO 2020/21) nicht erteilt werde.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer frist- und formgerecht Widerspruch.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die Bildungsdirektion für Salzburg den Widerspruch gemäß § 25 Abs. 1 i.V.m. § 71 Schulunterrichtsgesetz (SchUG) i.V.m. § 11 Abs. 4 C-SchVO 2020/21 ab und setzte die Beurteilung in den Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ mit jeweils „Nicht genügend“ fest.
Begründend führte die Bildungsdirektion für Salzburg zusammengefasst aus:
Im vorliegenden Fall habe die Klassenkonferenz die Berechtigung zum Aufsteigen nicht erteilt. Dies „erscheine aus pädagogischen Aspekten sinnvoll“. Aus der zusätzlichen Stellungnahme des Schulqualitätsmanagers gehe Folgendes hervor: Die Erziehungsberechtigte bringe als wesentliches Argument vor: „Der Klassenvorstand schreibt in seiner Stellungnahme eindeutig, dass XXXX aus sozialen und emotionalen Gründen in der Klasse verbleiben sollte.“ Jedoch habe der Klassenvorstand auch geschrieben: „Allerdings halte ich es ... für pädagogisch klüger, ihm Eigenleistung abzufordern, als ihm den Aufstieg einfach auf bürokratischem Weg zu ermöglichen.“ Die Stimmung der Lehrerschaft gegenüber dem Beschwerdeführer sei „eindeutig als freundlich zu bezeichnen“. Es sei nicht zu erwarten, dass dem Beschwerdeführer bei der Absolvierung seiner Wiederholungsprüfungen „Steine in den Weg gelegt werden.“ Somit bleibe die Einschätzung, dass aus pädagogischen Gründen zumindest eine Wiederholungsprüfung positiv absolviert werden sollte, aufrecht.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. In dieser führt er im Wesentlichen aus:
Die C-SchVO 2020/21 sei deshalb erlassen worden, um nachteilige Folgen, welche durch die Corona-Pandemie entstanden seien, im schulischen Bereich „abzuschwächen“. Die Bildungsdirektion für XXXX ziehe hingegen rein pädagogische Aspekte in Betracht und gehe nicht darauf ein, dass der Beschwerdeführer „extrem“ unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie leide.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der Beschwerdeführer besuchte im Schuljahr 2020/2021 die Klasse XXXX (6. Schulstufe) des XXXX Gymnasiums XXXX .
Im Jahreszeugnis des vorhergegangenen Schuljahres (5. Schulstufe) wurde der Beschwerdeführer in den Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ jeweils mit „Genügend“ beurteilt.
Am 7. Juli 2021 entschied die Klassenkonferenz, dass der Beschwerdeführer zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt ist.
Das Jahreszeugnis des Beschwerdeführers vom 9. Juli 2021 weist in den Pflichtgegenständen folgende Beurteilungen auf:
? Religion 1
? Deutsch 5
? Englisch 4
? Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung 2
? Geographie und Wirtschaftskunde 2
? Mathematik 5
? Biologie und Umweltkunde 3
? Physik 3
? Musikkunde 3
? Bildnerische Erziehung 3
? Bewegung und Sport 2
? Technisches Werken 2
Im Pflichtgegenstand „Englisch“ ist eine starke Tendenz in Richtung „Befriedigend“ herauslesbar.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt und sind unstrittig. Dass im Pflichtgegenstand „Englisch“ eine starke Tendenz in Richtung „Befriedigend“ herauslesbar ist, ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme des Englischlehrers. Danach wurden die Schularbeiten im ersten Semester mit „Befriedigend“ und im zweiten Semester mit „Genügend“ beurteilt. Die Vokabel-Wiederholungen waren „tendenziell verlässlich“. Hausübungen und Mitarbeit im Unterricht waren im ersten Semester „guter Durchschnitt“ und fehlten im zweiten Semester wegen der Abwesenheit mehrfach. Allerdings waren die wenigen schriftlichen Texte, die der Beschwerdeführer trotz des Fehlens abgegeben hatte, „durchschnittlich solide“ Arbeiten.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde [Spruchpunkt A)]
3.1.1. Gemäß § 25 Abs. 2 lit. c SchUG ist ein Schüler zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe berechtigt, wenn das Jahreszeugnis zwar in einem Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ enthält, aber
a) der Schüler nicht auch schon im Jahreszeugnis des vorhergegangenen Schuljahres in demselben Pflichtgegenstand die Note „Nicht genügend“ erhalten hat,
b) der betreffende Pflichtgegenstand – ausgenommen an Berufsschulen – in einer höheren Schulstufe lehrplanmäßig vorgesehen ist und
c) die Klassenkonferenz feststellt, dass der Schüler auf Grund seiner Leistungen in den übrigen Pflichtgegenständen die Voraussetzungen zur erfolgreichen Teilnahme am Unterricht der nächsthöheren Schulstufe im Hinblick auf die Aufgabe der betreffenden Schulart aufweist.
Gemäß § 11 Abs. 4 C-SchVO 2020/21 ist abweichend von 25 Abs. 2 lit. c SchUG bei der Beurteilung von Unterrichtsgegenständen des Schuljahres 2020/2021 mit „Nicht genügend“ die Berechtigung zum Aufsteigen zu vermerken. Bei einem „Nicht genügend“ ist eine Entscheidung der Konferenz nicht erforderlich. Bei mehr als einem „Nicht genügend“ bedarf der Vermerk der Zustimmung der Konferenz. Abweichend von § 23 Abs. 1 letzter Halbsatz SchUG dürfen Schüler jedenfalls in bis zu zwei Pflichtgegenständen Wiederholungsprüfungen ablegen.
Nach § 36 Abs. 2 C-SchVO 2021/22 dürfen abweichend von § 23 Abs. 1 letzter Halbsatz SchUG Schüler jedenfalls in bis zu zwei Pflichtgegenständen Wiederholungsprüfungen ablegen. Abweichend von den Bestimmungen der §§ 20 Abs. 1 bis 5, 22 und 25 Abs. 2 lit. c und 3 SchUG ist bei der Beurteilung von Unterrichtsgegenständen des Schuljahres 2020/2021 nach der Durchführung von Wiederholungsprüfungen mit „Nicht genügend“ die Berechtigung zum Aufsteigen zu vermerken. Bei einem „Nicht genügend“ ist eine Entscheidung der Konferenz nicht erforderlich. Bei mehr als einem „Nicht genügend“ bedarf der Vermerk der Zustimmung der Konferenz.
Gemäß § 71 Abs. 2 lit. c SchUG ist gegen die Entscheidung, dass der Schüler zum Aufsteigen nicht berechtigt ist, ein Widerspruch an die zuständige Schulbehörde zulässig.
3.1.2. Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gebührt dem Aufsteigen trotz Vorliegens einer auf „Nicht genügend“ lautenden Beurteilung in einem Pflichtgegenstand nur dann der Vorzug vor einem Wiederholen der Schulstufe, wenn es auf Grund zu erwartender positiver Entwicklung des Leistungsbildes des Schülers in der nächsthöheren Schulstufe gerechtfertigt erscheint, ihm die Absolvierung eines weiteren (zusätzlichen) Schuljahres zu „ersparen“ (siehe etwa VwGH 15.12.2011, 2009/10/0226 m.w.N.).
Dem § 25 Abs. 2 lit. c SchUG liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Aufsteigen trotz eines „Nicht genügend“ nur dann möglich sein soll, wenn sich aus den Leistungen in den übrigen Pflichtgegenständen ableiten lässt, dass der Schüler über genügend Leistungsreserven verfügt, um einerseits die Defizite in dem mit „Nicht genügend“ beurteilten Gegenstand zu beseitigen und andererseits trotz der hierfür erforderlichen besonderen Anstrengung auch die übrigen Gegenstände positiv abzuschließen. Schwache Leistungen in mehreren der übrigen Pflichtgegenstände lassen im Regelfall die Prognose angezeigt erscheinen, der Schüler weise nicht die Voraussetzungen zur erfolgreichen Teilnahme am Unterricht der nächsthöheren Schulstufe auf, ohne dass eine genaue Festlegung erforderlich wäre, in welchem Einzelgegenstand mit einem negativen Abschluss zu rechnen sein werde. Zwar wurde vom Verwaltungsgerichtshof die Auffassung verworfen, es müssten die Leistungen eines Schülers in den übrigen Pflichtgegenständen in jedem Fall „signifikant“, somit erheblich besser sein als das schlechteste denkbare positive Beurteilungskalkül, also „Genügend“, weil dies weder durch den Wortlaut des § 25 SchUG gedeckt noch mit dessen Zweck vereinbar ist. Ebenso verfehlt ist aber nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Auffassung, dass die Note „Genügend“ jedenfalls für eine positive Prognose ausreichend sei. Es kommt vielmehr auf den Einzelfall an (siehe VwGH 28.04.2006, 2005/10/0158, m.w.N.). So können auch mehrere auf „Genügend“ lautende Jahresbeurteilungen das Erteilen von § 25 Abs. 2 lit. c SchUG vertretbar erscheinen lassen, wenn aus diesen eine starke Tendenz in Richtung „Befriedigend“ herauslesbar ist (siehe dazu Jonak/Kövesi, Das Österreichische Schulrecht, 14. Auflage, Anm. 16 zu § 25 Abs. 2 lit. c SchUG).
3.1.3. Für den vorliegenden Fall bedeutet das:
Nach § 11 Abs. 4 C-SchVO 2020/21 ist abweichend von § 25 Abs. 2 lit. c SchUG bei der Beurteilung von Unterrichtsgegenständen des Schuljahres 2020/2021 mit „Nicht genügend“ die Berechtigung zum Aufsteigen zu vermerken. Bei einem „Nicht genügend“ ist eine Entscheidung der Konferenz nicht erforderlich. Bei mehr als einem „Nicht genügend“ bedarf der Vermerk der Zustimmung der Konferenz. Gleiches gilt nach § 36 Abs. 2 C-SchVO 2021/2022 auch für das Schuljahr 2021/2022.
Folglich ist in den Schuljahren 2020/2021 und 2021/2022 ein Aufsteigen mit einem „Nicht genügend“ jedenfalls möglich, bei mehr als einem „Nicht genügend“ jedoch nur mit Zustimmung der Konferenz, wenn sich aus den Leistungen in den übrigen Pflichtgegenständen ableiten lässt, dass der Schüler über genügend Leistungsreserven verfügt.
Nach der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 25 Abs. 2 lit. c SchUG hat die Konferenz die Zustimmung zu erteilen, wenn Leistungsreserven vorhanden sind. Nichts Anderes kann nach den neuen Regelungen gelten, wonach die Zustimmung nur davon abhängen kann, ob der Schüler über genügend Leistungsreserven verfügt, um einerseits die Defizite in den mit „Nicht genügend“ beurteilten Gegenständen zu beseitigen und andererseits trotz der hierfür erforderlichen besonderen Anstrengung auch die übrigen Gegenstände positiv abzuschließen.
Wie festgestellt wurde der Beschwerdeführer in den Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ mit „Nicht genügend“ beurteilt, in den anderen Pflichtgegenständen jedoch mit „Sehr gut“, „Gut“, „Befriedigend“ und nur in „Englisch“ mit „Genügend“, wobei dort eine starke Tendenz in Richtung „Befriedigend“ herauslesbar ist.
Das bedeutet:
Da der Beschwerdeführer im Jahreszeugnis des vorhergegangenen Schuljahres (5. Schulstufe) in den Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ jeweils die Note „Genügend“ erhalten hat, ist § 25 Abs. 2 lit. a SchUG erfüllt.
§ 25 Abs. 2 lit. b SchUG ist erfüllt, da lehrplanmäßig auch in der 7. Schulstufe die Pflichtgegenständen „Deutsch“ und „Mathematik“ vorgesehen sind.
Weiters wurde der Beschwerdeführer in den anderen Pflichtgegenständen mit „Sehr gut“, „Gut“, „Befriedigend“ und nur in „Englisch“ mit „Genügend“ beurteilt, wobei dort eine starke Tendenz in Richtung „Befriedigend“ herauslesbar ist. Damit ist im Fall des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass er über genügend Leistungsreserven im Sinne des § 25 Abs. 2 lit. c SchUG verfügt, um zumindest die Defizite in den mit „Nicht genügend“ beurteilten Pflichtgegenstände zu beseitigen und andererseits trotz der hierfür erforderlichen besonderen Anstrengungen auch die übrigen Pflichtgegenstände weiterhin positiv abzuschließen.
Somit ist der Beschwerdeführer gemäß § 25 Abs. 2 SchUG i.V.m. § 11 Abs. 4 C-SchVO 2020/21 zum Aufsteigen in die 7. Schulstufe berechtigt, weshalb der Beschwerde stattzugeben ist.
Eine Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen, weil eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung erwarten lässt (siehe Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Auflage [2018] § 24 VwGVG Anm. 13 mit Hinweisen zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie VfGH 18.06.2012, B 155/12; EGMR Tusnovics v. Austria, 07.03.2017, 24.719/12). Außerdem ist das Schulrecht nicht von Art. 6 EMRK und auch nicht von Art. 47 GRC erfasst (vgl. VfGH 10.03.2015, E 1993/2014, sowie VwGH 23.05.2017, Ra 2015/10/0127; 27.03.2019, Ra 2019/10/0017, jeweils m.w.N.).
3.3. Zur Zulässigkeit der Revision [Spruchpunkt B)]
3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.3.2. Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil sie von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere ob in den Schuljahren 2020/2021 und 2021/2022 ein Aufsteigen mit einem „Nicht genügend“ jedenfalls möglich ist und bei zwei „Nicht genügend“ nur dann, wenn sich aus den Leistungen in den übrigen Pflichtgegenständen ableiten lässt, dass der Schüler über genügend Leistungsreserven verfügt, um die „Nicht genügend“ zu beseitigen. Eine entsprechende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor bzw. ist fraglich, ob die Rechtsprechung zu Leistungsreserven auch bei einem Aufsteigen mit zwei oder mehr „Nicht genügend“ anzuwenden ist; es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine eindeutige Gesetzeslage vorliegt bzw. dass die aus Anlass des hier zu beurteilenden Falles vorgenommenen Ableitungen zwingend sind.
Schlagworte
Aufstieg in nächsthöhere Schulstufe Aufstiegsklausel Jahreszeugnis Klassenkonferenz Leistungsreserven negative Beurteilung Pandemie Pflichtgegenstand Revision zulässig Schule WiderspruchEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W227.2245529.1.00Im RIS seit
14.01.2022Zuletzt aktualisiert am
14.01.2022