Entscheidungsdatum
05.11.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W185 2245729-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Gambia, vertreten durch LegalFocus, Gudrunstraße 143/19, 1100 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2021, Zl. 1280014100-210883522, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Gambia, stellte nach irregulärer Einreise in das Bundesgebiet am 01.07.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Einer Eurodac-Treffermeldung zufolge suchte der Beschwerdeführer am 20.12.2016 in Italien um Asyl an (IT1………….).
Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.07.2021 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können. In Österreich oder einem anderen EU-Staat habe der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen. Ein bestimmtes Zielland habe er nicht gehabt, als er die Heimat im September 2012 verlassen habe. Er sei über den Senegal und Libyen, wo er sich jeweils etwa eineinhalb Jahre aufgehalten habe, nach Italien gelangt. In Italien habe der Beschwerdeführer um Asyl angesucht, jedoch eine negative Entscheidung erhalt. Er habe eine italienische ID-Card. In Italien habe er sich etwa sechs Jahre lang aufgehalten und sei dort, aufgrund seiner Homosexualität, von der Muslimischen Gemeinschaft sehr stark gemobbt worden. Aus diesen Gründen wolle der Beschwerdeführer auch nicht mehr nach Italien zurückkehren, sondern in Österreich bleiben.
Am 21.07.2021 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) ein auf Art. 18 Abs 1 lit b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Italien. Dies unter Hinweis auf den Eurodac-Treffer der Kategorie „1“ mit Italien und den bekannt gegebenen Reiseweg.
Mit Schreiben vom 23.07.2021 stimmte die Italienische Dublin-Behörde der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu.
Am 09.08.2021 fand die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt statt. Hierbei gab dieser zu seinem Gesundheitszustand befragt an, sich physisch und psychisch in der Lage zu sehen, die Einvernahme zu absolvieren. Er habe bisher im Verfahren die Wahrheit gesagt; dies auch hinsichtlich seines Reiseweges und der Asylantragstellung in Italien. Er habe gegen den negativen Bescheid Berufung eingelegt und warte noch auf diese Entscheidung. In Italien habe der Beschwerdeführer mit Flüchtlingen „zusammen gelebt“, welche ihn aber wegen seiner Homosexualität nicht mehr bei sich hätten wohnen lassen wollen. Er sei deshalb zur Caritas gegangen, welche ihm für 3 Monate eine Unterkunft zur Verfügung gestellt habe; danach habe er sich selbst um eine Unterkunft kümmern müssen. Eine solche habe er jedoch mangels Arbeit nicht bezahlen können. Der Beschwerdeführer habe weder in Österreich noch sonst im Bereich der Europäischen Union Familienangehörige oder Verwandte. Über Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung seines Asylantrages in Österreich und der geplanten Überstellung nach Italien erklärte der Beschwerdeführer, auf keinen Fall nach Italien zurückkehren zu wollen. Nach Corona habe er seine Arbeit verloren und auf der Straße leben müssen; er habe sich keine Unterkunft leisten können.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.08.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Artikel 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge dessen Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Die Feststellungen zur Lage in Italien wurden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst:
COVID-19-Pandemie
Letzte Änderung: 03.11.2020
Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch waren die Quästuren in der Praxis geschlossen. Einige Gerichte, etwa in Rom, haben Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen wurden bis zum Ende der Pandemie verlängert, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Asylwerber können bis längstens 31.1.2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe (SIPROIMI) untergebracht werden, welche eigentlich für Schutzberechtigte reserviert sind. Sie erhalten dort aber nur jene Versorgung, die auch in Unterbringungseinrichtungen der ersten Stufe (CAS) vorgesehenen wäre. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 wurden bis zum 30. Juni verlängert. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 wurden bis zum 31. August verlängert. Dublin-Überstellungen von und nach Italien sind derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation haben manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020).
Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie haben alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September die persönlichen Asylinterviews wieder aufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren wurden an verschiedenen Orten gemeldet (UNHCR 9.2020).
Italien hat mit Ende September 2020 fünf Schiffe im Einsatz, die als Quarantäneschiffe vor der italienischen Küste fungieren. Es gibt aber auch Quarantäneeinrichtungen auf dem Festland, die stark belegt sind, was zu Problemen bei der adäquaten Unterbringung, v.a. von Minderjährigen führen kann (UNHCR 9.2020).
Es gilt eine 14-tägige Quarantäne für über das Mittelmeer kommende Asylwerber. Nur wer am Ende dieses Zeitraums nicht positiv getestet wird, kann an eine andere Unterbringungseinrichtung überstellt werden (EASO 2.6.2020).
Aufenthaltsberechtigungen für Asylberechtigte wurden während der COVID-Situation automatisch verlängert. Italien erweiterte die Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia" vorgesehen sind, das sind EUR 600 Bonus u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen, die beruflich tätig sind (EASO 2.6.2020).
Quellen:
• EASO European Asylum Support Office (2.6.2020): COVID-19 Emergency Measures in Asylum and Reception Systems, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/covid19- emergency-measures-asylum-reception-systems.pdf, Zugriff 28.10.2020
• ECRE - European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET 28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION
ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-IN FO-28-May.pdf, Zugriff 28.10.2020
• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2020): UNHCR Italy Facts- heet, September 2020, https://reliefweb.int/report/italy/unhcr-italy-factsheet-september-2 020, Zugriff 28.10.2020
Allgemeines zum Asylverfahren
Letzte Änderung: 03.11.2020
In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten.
(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).
Am 5. Oktober hat der italienische Ministerrat eine neues sogenanntes Immigrationsdekret vorgelegt, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise wieder aufheben würde. Es handelt sich dabei wohlgemerkt erst noch um eine Regierungsvorlage, die binnen 60 Tage vom Parlament abgesegnet werden muss und noch abgeändert werden kann. Momentan vorgesehen ist eine Aufweichung der momentan geltenden Regeln, etwa verbesserter Refoulement-Schutz und Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylwerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen. Ferner würden die territorialen Asylkommissionen (erstinstanzliche Asylbehörde) mehr Befugnisse erhalten, künftig nicht mehr nur im Bereich des internationalen Schutzes, sondern auch im Falle von Abschiebungsverboten bei Fremden mit besonders schwerwiegendem Gesundheitszustand zu entscheiden (VB 13.10.2020).
Antragszahlen für 2019 gemäß italienischem Innenministerium:
(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).
Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylerfahren anhängig. Von Jänner bis Juni 2020 wurden 21.905 Entscheidungen getroffen, davon waren 10% Zuerkennungen eines internationalen Schutzes, 9% subsidiärer Schutz, 5% humanitärer Schutz und 75% Zurückweisungen (UNHCR
25.10.2020) .
Die Asylverfahren dauern im Durchschnitt sechs Monate, inklusive Beschwerdephase bis zu zwei Jahre (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (25.10.2020): Italy Weekly Snapshot (18 Oct-25 Oct 2020), https://data2.unhcr.org/en/documents/download/82568, Zugriff 28.10.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
• VB des BM.I Italien (13.10.2020): Auskunft des VB, per E-Mail
Dublin-Rückkehrer
Letzte Änderung: 03.11.2020
Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa, oft weit entfernt von ihrer zuständigen Quästur. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Rückkehrer haben in der Regel drei Tage, um auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten zu dieser Quästur zu gelangen, unabhängig von der Entfernung. Seit Februar 2020 gibt es am Flughafen Mailand einen Informationsschalter der Waldensischen Diakonie. Deren Mitarbeiter können Dublin-Rückkehrer mit Tickets zur Quästur von Varese (zuständig für den Flughafen, Anm.) ausstatten und können telefonisch Kulturvermittler kontaktieren, um weitere Informationen in den benötigten Muttersprachen bereitzustellen. Sind die Rückkehrer zu einer anderen Quästur vorgeladen, müssen sie selbst die Tickets besorgen, um dorthin zu gelangen. In Rom profitieren Dublin-Rückkehrer häufig vom mobilen Helpdesk der NGO A Buon Diritto am Bahnhof Tiburtina in Rom. Sobald sie am Flughafen Fiumicino angekommen sind, werden sie mündlich über das Verfahren informiert und mit dem Einladungsschreiben an die zuständige Quästur ausgestattet. Sie müssen die Quästur autonom und auf eigene Kosten erreichen (AIDA 5.2020). Es gibt solche NGOs auf Abruf auch in Bologna, Bari und Venedig (SFH 1.2020).
Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Tut er das nicht und hat auch kein Visum etc., wird der Rückkehrer als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert und möglicherweise auch in Schubhaft genommen (AIDA5.2020; vgl. SFH 1.2020).
2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers in Italien suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann er, im Falle einer Rückkehre binnen 12 Monaten ab Suspendierung, einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).
3. Hat ein Interview stattgefunden und wurde das Verfahren des Antragstellers in Italien in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).
(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Versorgung“, Subkapitel „Dublin-Rückkehrer“. Für Infos zur COVID-19-Pandemie siehe das gleichnamige Kapitel, Anm.)
Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020).
(Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.)
Quellen:
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italie n-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020
• VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail
• VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable
Letzte Änderung: 03.11.2020
In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifikationsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Vulnerable werden im Verfahren prioritär behandelt. Die Identifizierung von Gewaltopfern ist in jeder Phase des Verfahrens durch Beamte, Betreuer oder NGOs möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einem Folteropfer zu tun zu haben, kann er die betreffende Person speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung auf Basis von Richtlinien des Gesundheitsministeriums sicherzustellen. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen und Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) betreiben gemeinsam in Rom ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern, welche ohne Unterstützung Schwierigkeiten hätten, als Vulnerable behandelt zu werden (AIDA 5.2020).
Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Gemäß Gesetz 47/2017 kann bei Fehlen von Identifikationsdokumenten und Zweifeln am Alter des Antragstellers die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine sozialmedizinische Untersuchung zur Altersfeststellung anordnen. Dazu ist die Zustimmung des UM oder seines Vormunds nötig. Die Verweigerung der Zustimmung hat keine negativen Auswirkungen auf das Asylverfahren. Die Untersuchung ist im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchzuführen, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist der Antragsteller als Minderjähriger zu behandeln und im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen. NGOs zufolge wird Gesetz 47/2017 aber nicht einheitlich umgesetzt und das Alter wird oft lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt (AIDA 5.2020).
Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am zuständigen Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit dieses einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens zuständig ist (bei negativem Ausgang auch darüber hinaus). Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden. Bis zur Bestellung des Vormunds kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige gleichzeitig betreuen (AIDA5.2020).
Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme ist vorgesehen, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können (AIDA5. 2020).
Durch die Änderungen mit Gesetz 132/2018 werden vulnerable Asylwerber, mit Ausnahme von UMA, seit Oktober 2018 in den Unterbringungszentren der ersten Stufe (Erstaufnahme) untergebracht. Durch die Gesetzesänderungen wurde die Finanzierung für die Erstaufnahme reduziert, wodurch NGOs die Identifizierung und Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse gefährdet sehen. Familien können nur dann aus der Erstaufnahme in das SIPROIMI-System transferiert werden, wenn zumindest ein Familienmitglied einen entsprechenden Schutztitel erhalten hat. Der Transfer hängt aber von mehreren Faktoren ab, wie Familienzusammensetzung, Vulnerabilität, gesundheitlichen Problemen und dem Platzangebot im SIPROIMI (AIDA 5.2020).
Es gibt laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe keine Erstaufnahmezentren, die für Personen mit psychischen Erkrankungen oder für traumatisierte Personen angemessen sind. Das Personal ist nicht ausgebildet, um Vulnerabilitäten zu erkennen, die nicht offensichtlich sind (SFH
1.2020) .
(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Medizinische Versorgung“, Anm.).
Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. Alle UM, auch asylwerbende, haben Zugang zu SIPROIMI. Minderjährige, die in SIPROIMI das Erwachsenenalter erreichen, können dort bis zur finalen Entscheidung in ihrem Asylverfahren bleiben. UM, die internationalen Schutz erhalten, können noch für weitere sechs Monate im SIPROIMI bleiben (AIDA 5.2020).
Mit Jänner 2020 waren in SIPROIMI-Einrichtungen 4.003 Plätze in 155 Projekten für UM und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen reserviert. NGOs kritisieren dies als zu wenig angesichts des Bedarfs. Ende 2019 lag die Zahl der UMA in Italien bei 6.054, von denen 94,6% in Unterbringungseinrichtungen untergebracht waren, 5,5% waren privat bei Familien untergebracht. 5.383 UMA entzogen sich 2019 der Unterbringung (AIDA5.2020).
In Italien herrscht Schulpflicht für Minderjährige bis zum Alter von 16 Jahren, unabhängig vom rechtlichen Status. Sie haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Minderjährige (AIDA 5.2020).
Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen unzureichende Überweisung von unbegleiteten Minderjährigen zu angemessenen Diensten (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italie n-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
Non-Refoulement
Letzte Änderung: 03.11.2020
Italien hat im Feber 2020 ein Memorandum of Understanding mit Libyen um drei weitere Jahre verlängert, in dessen Rahmen Libyen mit italienischer Unterstützung Migrantenboote stoppt und die Betreffenden nach Libyen zurückbringt. Dies wird von NGOs als indirekte Pushbacks nach Libyen betrachtet. (AIDA 5.2020; vgl. AI 16.4.2020). UNHCR bezeichnet diese Praxis nicht als Refoulement, will aber deren Rechtmäßigkeit untersuchen, da es Libyen nicht als „safe port" betrachtet, da es relevante UN-Abkommen nicht unterzeichnet hat (USDOS 11.3.2020).
Berichten zufolge kommt es in den italienischen Adriahäfen immer wieder zu Pushbacks nach Griechenland, wenn illegale Migranten mit den aus Griechenland kommenden Schiffen auf denen sie entdeckt wurden, wieder nach Griechenland zurückgeschickt werden. Berichte über angebliches Refoulement antragswilliger Fremder, gibt es auch von den internationalen Flughäfen Rom Fiumicino und Mailand Malpensa. Weiters gibt es Berichte über formloses Zurückschicken von Migranten von der Grenze zu Slowenien. Nichtsdestotrotz erlaubte im Jahr 2019 der Civil Court in Rom 14 Eritreern, die 2008 unrechtmäßig nach Libyen zurückgeschickt wurden, den Zugang zum Asylverfahren in Italien. In zwei weiteren Fällen wurde verfügt, dass im Ausland aufhältigen Minderjährigen, davon einer ein in Libyen befindlicherer Nigerianer, humanitäre Visa zur Einreise auszustellen seien. 2019 annullierten italienische Gerichte weiterhin Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen deren Asylverfahren bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan (AIDA 5.2020).
Quellen:
• AI - Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html, Zugriff 7.10.2020
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
Versorgung
Letzte Änderung: 03.11.2020
Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret" bzw. „Salvini-Gesetz" bekannt) gab es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wurde völlig neu organisiert und, neben der Nothilfe für neu ankommende Bootsmigranten, nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 5.20209).
Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza") ersetzen CAS und CARA. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:
• Unterbringung, Verpflegung
• Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation
• notwendige Transporte
• medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst
• Hygieneprodukte
• Wäschedienst oder Waschprodukte
• Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)
• Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)
Schulbedarf
• usw.
Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (VB 19.2.2019).
Integrationsmaßnahmen (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten) sind in der Erstaufnahme nicht mehr vorgesehen. Ebenso eingespart wurden psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Da viele Ausschreibungen keine Ergebnisse brachten, erlaubte das Innenministerium im Feber 2020 den Präfekturen, minimale Abweichungen zu akzeptieren. Die Vorgaben und Einsparungen führten dazu, dass 2019 viele kleine Unterbringungseinrichtungen verschwanden (AIDA 5.2020).
Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sis- tema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accom- pagnati" - Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 5.2020). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue" humanitäre Titel; siehe dazu mehr im Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).
Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno") übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).
In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019).
Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten. In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 5.2020).
Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS
11.3.2020) .
Quellen:
• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019up- date.pdf, Zugriff 28.10.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
• VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Unterbringung
Letzte Änderung: 03.11.2020
Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. In der Praxis erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020).
Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:
CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots
Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als Hotspots (gemäß dem sogenannten Hotspot-approach der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2019 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina). Der Aufenthalt der Migranten in den Hotspots dauert oft wochenlang (AIDA 5.2020).
Erstaufnahme
Es gibt derzeit 13 Erstaufnahmezentren zur Unterbringung von Asylwerbern in 7 italienischen Regionen. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil. Überbelegung ist oft ein Problem. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 6.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. In den CAS ist der Unterbringungsstandard von der betreibenden Präfektur abhängig (AIDA 5.2020).
Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in eine sekundäre Aufnahmeeinrichtung (SIPROIMI) (AIDA 5.2020).
(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Kapitel Schutzberechtigte, Anm.)
Private Unterbringung / NGOs
Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von Kirchen oder Freiwilligenverbänden. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel (AIDA 5.2020).
Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen Unterschiede der in Aufnahmezentren angewandten Standards. Qualitativ hochwertigen Unterbringungen von lokalen Behörden stehen große Zentren unterschiedlicher Qualität gegenüber, bei denen es sich oft um umgewidmete Gebäude wie Schulen, Kasernen usw. handelt (USDOS 11.3.2020).
Wer nicht in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung untergebracht ist, erhält keine finanzielle Unterstützung und hat keinen Anspruch auf weitere Sozialleistungen (RW 6.2020).
Viele Asylwerber und Personen mit Schutzstatus sind obdachlos und leben in verschiedenen italienischen Städten auf der Straße oder in informellen Siedlungen und besetzten Häusern. Freiwillige der NGOs Sant’Egidio und MEDU besuchen die Obdachlosen in Mailand einmal oder mehrmals pro Woche. Sant’Egidio verteilt Mahlzeiten, MEDU bietet medizinische Beratung und Behandlung an (SFH 1.2020). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 5.2020). Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 11.3.2020).
Mit Stand 30.9.2020 befanden sich in Italien 82.072 Migranten in staatlicher Unterbringung, davon 217 in Hotspots, 57.496 in der Erstaufnahme und 24.359 in SIPROIMI (VB 5.10.2020).
CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)
Italien verfügt außerdem über neun Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 1.380 Plätzen (AIDA 5.2020).
Quellen:
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• RW - Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/ dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v 11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020
• USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
• VB des BM.I Italien (5.10.2020): Bericht des VB, per E-Mail
Dublin-Rückkehrer
Letzte Änderung: 03.11.2020
Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), dafür Asylwerber ein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) nicht vorgesehen ist, auch nicht für vulnerable Rückkehrer (AIDA 5.2020).
Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellt Italien seit Februar 2015 in regelmäßigen Rundbriefen eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (AIDA 5.2020).
Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, sollten von der zuständigen Präfektur vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung transferiert werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. Manchen Rückkehrern wurde in der Vergangenheit die Unterbringung verweigert oder sie mussten lange auf diese warten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).
Solange sie im Asylverfahren sind und ihnen das Recht auf Unterkunft nicht entzogen wurde, können Dublin-Rückkehrer wie alle anderen Asylsuchenden in Italien nur in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Waren sie zuvor in einer staatlichen Unterbringung oder wurde ihnen eine solche auch nur zugeteilt, die sie unerlaubt verlassen oder nicht bezogen haben, haben sie das Recht auf Unterbringung verloren. Das Recht auf Unterkunft können Asylsuchende nur zurückerhalten, wenn sie nachweisen können, dass sie das Zentrum wegen eines Unfalls, höherer Gewalt oder aus einem anderen triftigen persönlichen Grund verlassen haben. Die Präfektur entscheidet, ob die Person wieder aufgenommen wird. Wenn die Präfektur die Wiederaufnahme in das System ablehnt, gibt es keine alternative staatliche Unterbringungsmöglichkeit (SFH 1. 2020).
Wenn Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben, kann das zu Problemen bei der Registrierung im Gesundheitssystem führen, wenn sie keine richtige Adresse als ihren ständigen Aufenthaltsort vorweisen können. Nicht alle Gemeinden in Italien erlauben die Angabe der Adresse einer NGO oder einer fiktiven Adresse (SFH
1.2020) .
Quellen:
• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019up- date.pdf, Zugriff 28.10.2020
• SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-itali- en-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 03.11.2020
Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale , ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 5.2020).
Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret" bzw. „Salvini-Gesetz" bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden (residenza) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz" zwischen „residenza" und „domicilio" (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio" garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch fürAsylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte (tessera sanitaria) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).
Manche Asylwerber haben aufgrund von Problemen mit der Wohnsitzmeldung oder einer fehlenden Steuernummer Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Fiktive Adressen oder Adressen von NGOs werden nicht überall akzeptiert und bergen Probleme bei der Wahl eines Hausarztes, welcher in der Nähe des Wohnortes angesiedelt sein soll. Die Sprachbarriere ist auch ein großes Problem. Es gibt Organisationen, welche Personen beim Zugang zu medizinischer Versorgung behilflich sind (RW 6.2020).
Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den Büros des lokalen Gesundheitsdienstes (ASL) als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket") bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Aber die Praxis ist national nicht einheitlich gehandhabt und einige Regionen gewähren die Ticket-Befreiung nach zwei Monaten nicht weiter, weil sie die Asylwerber als inaktiv betrachten, jedoch nicht als arbeitslos (AIDA 5.2020), da sie vorher nie in Italien gearbeitet haben (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch Asylwerber mit niedrigem Einkommen kommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 5.2020).
Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 5. 2020). Die psychische Gesundheitsversorgung ist in Italien im OECD-Vergleich nur mäßig ausgebaut, was Italiener genauso wie Asylwerber und Schutzberechtigte gleichermaßen betrifft (SFH 1.2020).
Personen mit irregulärem Aufenthalt können eine STP-Karte (straniero temporaneamente presente) beantragen (sechs Monate gültig, verlängerbar), mit der sie Zugang zu medizinischer Not- und Vorsorgeversorgung haben (RW 6.2020). Um eine STP-Karte zu erhalten, müssen die Personen sich mit einer Erklärung zur finanziellen Notlage, einer Erklärung, dass er/sie sich nicht beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) registrieren kann, sowie Identitätsdokumenten bei einer Büro des lokalen Gesundheitsdienstes melden. Die STP-Karte ist sechs Monate in ganz Italien gültig (SFH 1.2020).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).
Quellen:
• AIDA-Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https: //www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
• CILD - Coalizione Italiana Liberta e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIACOL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/ know-your-rights.pdf, Zugriff 30.10.2020
• MedCOI - Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail
• RW - Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/ dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v 11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020
• SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere
Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italie n-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020 VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Schutzberechtigte
Letzte Änderung: 03.11.2020
Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre. Nach frühestens fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besteht für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen langfristigen Aufenthalt zu erhalten. Anträge auf Familienzusammenführung sind für Schutzberechtigte ohne Zeitlimit möglich. Schutzberechtigte dürfen sich frei im Land niederlassen, wenn sie sich selbst erhalten können. Um die Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, brauchen die Schutzberechtigten eine Meldeadresse, was manchmal ein Problem sein kann. Manche, aber nicht alle Quästuren akzeptieren bei wohnungslosen Schutzberechtigten die Adresse einer Hilfsorganisation als Meldeadresse. Verlängerungen des Aufenthalts müssen postalisch beantragt werden. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen (AIDA 5.2020).
Wenn eine Person in Italien einen internationalen Schutzstatus erhält, hat sie theoretisch Zugang zu einem Zweitaufnahmezentrum (SIPROIMI) (SFH 1.2020). Der Übergang von der Erstaufnahme zum SIPROIMI ist aber nicht näher geregelt. Ein Verbleib in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder CAS ist für Schutzberechtigte nicht vorgesehenen, kann aber je nach Zentrum für einen Tag bis hin zu mehreren Monaten gewährt werden. Die meisten Präfekturen erlauben Schutzberechtigten den Verbleib nur bis zur Ausstellung der elektronischen Aufenthaltsberechtigung. Aufgrund des Mangels an Plätzen im SIPROIMI, kann dies Schutzberechtigte einem Obdachlosigkeitsrisiko aussetzen (AIDA 5.2020).
Unterbringung
SIPROIMI (Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e minori stranieri non accompagnati)
Diese Einrichtungen zur Unterbringung von Schutzberechtigten (und unbegleiteten Minderjährigen) sind der Nachfolger des vormaligen SPRAR-Systems. SIPROIMI-Projekte werden von lokalen Behörden zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. Die Unterkunftszentren sollen Dolmetsch-und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Unterricht in italienischer Sprache und Zugang zu Schulen für Minderjährige, medizinische Versorgung, sozialpsychologische Unterstützung insbesondere für Vulnerable, Aus- und Weiterbildung, Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen, Beratung bei den Dienstleistungen auf lokaler Ebene um die Integration vor Ort zu ermöglichen, Informationen zu freiwilligen Rückkehrprogrammen, sowie Informationen zu Freizeit-, Sport- und Kulturaktivitäten bieten (AIDA 5.2020).
Es gibt mit Stand Jänner 2020 809 Einzelprojekte mit insgesamt 31.284 Plätzen (davon 4.003 Plätze in 155 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen). Im Gegensatz zu den großen Zentren der 1. Linie (Erstauf- nähme), sind die SIPROIMI kleinteilig und dezentralisiert organisiert. Die Unterbringung in SI- PROIMI dauert sechs Monate, in Ausnahmefällen verlängerbar um weitere sechs Monate (AIDA
5.2020) . In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den Leistungen der Erstaufnahme auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019). Nach dieser Periode werden die Schutzberechtigten gleich behandelt wie italienische Staatsangehörige. In den meisten Fällen genügt dieser Zeitraum nicht zum Erwerb ausreichender Fähigkeiten, um finanziell und sozial unabhängig von staatlicher Unterstützung zu werden (SFH 1.2020).
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu Sozialwohnungen (edilizia residenziale bzw. case popolari). In manchen Regionen ist dieser Zugang an eine bestimmte ununterbrochene Mindestmeldezeit in der Region gebunden (z.B. fünf Jahre in Friaul) (AIDA 5.2020). Wartezeiten von mehreren Jahren auf eine Wohnung sind die Regel. Die Mieten in den Städten sind im Allgemeinen sehr hoch. Vermieter verlangen meist einen Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Schutzberechtigte haben nach Ablauf der sechs Monate Unterbringung im SIPROIMI oft große Probleme eine Wohnung zu finden (RW 6.2020).
In ganz Italien gibt es informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020). In einigen Städten bieten NGOs oder Wohltätigkeitsorganisationen ein paar Schlafplätze an, doch deren Kapazitäten sind sehr beschränkt. Viele Menschen mit internationalem Schutzstatus leben in Notunterkünften, die lediglich einen Platz zum Schlafen anbieten und nicht speziell für Flüchtlinge gewidmet sind, sondern auch italienischen Staatsbürgern in Notsituationen offenstehen (SFH 1.2020). Die Regierung unternimmt begrenzte Versuche, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren (USDOS
11.3.2020) .
Rückkehrer mit Schutzstatus
Rückkehrer mit Schutzstatus sind aus italienischer Sicht reguläre Einwohner mit Aufenthaltsrecht. Sie können nach Italien einreisen und sich frei im Land bewegen, erhalten aber keine Unterstützung am Flughafen, z.B. bei der Suche nach Unterkunft, bei der Beschaffung neuer Papiere oder bei der Erneuerung ihrer Registrierung im nationalen Gesundheitssystem (SFH
1.2020) .
Rückkehrer mit Schutzstatus, die ihre Aufenthaltspapiere verloren haben, sollten diese neu ausstellen lassen. Dazu gibt es für anerkannte Flüchtlinge Antragsformulare in den Filialen der italienischen Post, wo diese auch eingereicht werden können. Bei dem Antrag muss zwingend eine Adresse in Italien angegeben werden, denn sobald das neue Dokument fertig ist, ergeht eine schriftliche Einladung zur zuständigen Polizeidienststelle (Questura). Subsidiär Schutzberechtigte beantragen die Kopie oder Neuausstellung der Aufenthaltspapiere direkt bei der zuständigen Quästur. Die Bearbeitung kann einige Monate in Anspruch nehmen. Das Aufenthaltsrecht gilt währenddessen weiter, das Fehlen der Papiere kann aber zu Problemen beim Zugang zu sozialen oder medizinischen Leistungen führen (RW 6.2020).
Plätze im SIPROIMI sind knapp. Wenn ein zugewiesener Platz vorzeitig verlassen wurde (SFH
1.2020) oder die sechs Monate, die Schutzberechtigte nach Statuszuerkennung zu Unterbringung im SIPROIMI berechtigt sind, bei Rückkehr schon verstrichen sind, haben Rückkehrer mit Schutzstatus üblicherweise keinen Anspruch auf Unterbringung mehr. Der Anspruch auf Unterbringung kann auch verloren gehen, wenn bei Ausreise die Unterkunft lediglich zugewiesen, aber noch nicht in Anspruch genommen war. Da sie formell Italienern gleichgestellt sind, erhalten Rückkehrer mit Schutzstatus keine besondere Unterstützung. Wenn sie keine andere Unterkunft haben, sind sie auf die Hilfe verschiedener NGOs angewiesen (RW 6.2020). Als einzige Ausnahme kann man beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von Vulnerabilität stellen (SFH 1.2020).
Nach Angaben der NGO ,A Buon Diritto", die am Bahnhof Tiburtina in Rom einen mobilen Helpdesk betreibt, kommen Dublin-Rückkehrer mit internationalem Schutz kaum in Siproimi unter, sondern haben ein hohes Obdachlosigkeitsrisiko (AIDA 5.2020).
Arbeitsmarkt und Sozialleistungen
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger (AIDA 5.2020). In der Praxis gibt es jedoch Hindernisse. Aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen ist es generell schwer in Italien Arbeit zu finden. Schwarzarbeit ist verbreitet. Viele Zuwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen und sind vulnerabel für Ausbeutung. Für Personen mit geringem Einkommen gibt es seit März 2019 das sogenannte Bürgergeld (reddito di citta- dinanza; ersetzt das Arbeitslosengeld), das Italienern, EU-Bürgern, Drittstaatsangehörigen mit Daueraufenthaltserlaubnis und Personen mit internationalem Schutz offen steht (jedoch keine Inhaber eines anderweitigen Schutzstatus). Man erhält es, wenn man zumindest die letzten zehn Jahre in Italien wohnhaft war. Diese Voraussetzung erfüllen Schutzberechtigte in der Regel nicht. Weitere Sozialleistungen obliegen den Regionen und Kommunen, welche eigene Regeln bezüglich Höhe der Leistungen und Empfängerkreis festlegen (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Das italienische Sozialsystem ist sehr schwach und stützt sich auf traditionelle Familienstrukturen. Flüchtlinge können meist nicht auf solche Strukturen in Italien zurückgreifen. Das italienische Sozialsystem garantiert keinerlei Nothilfe (SFH 1.2020).
Medizinische Versorgung
Wie Asylwerber, müssen sich Personen mit einem Schutzstatus in Italien beim Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung und Beitragszahlung wie italienische Staatsbürger. Die Registrierung gilt für die Dauer der Aufenthaltsberechtigung und