Entscheidungsdatum
08.11.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
W242 2129289-2/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Armenien, vertreten durch Prof. Dr. XXXX , Rechtsanwalt in XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.09.2021, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Söhnen im April 2015 über verschiedene Länder von Armenien nach Österreich und stellte am 16.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 07.06.2016 als unbegründet abwies.
Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17.08.2020, GZ. L518 2129289-1/10E, als unbegründet ab.
Am 31.08.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen nach § 56 Abs. 2 AsylG.
Die Beschwerdeführerin legte ein ÖSD-Zertifikat auf Sprachniveau A1, Übersetzungen ihrer Geburts- und Heiratsurkunde, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschkurs, eine Bestätigung des Roten Kreuzes über die Verrichtung ehrenamtlicher Tätigkeiten, diverse Empfehlungsschreiben sowie eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten in einem Pflege- und Betreuungszentrum vor. Im Antragsformular führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie und ihr Ehemann gemeinsam Ersparnisse in Höhe von EUR 1.000,00 erwirtschaftet hätten, sie sich in ihrer Wohnsitzgemeinde vorbildlich integriert und dort zahlreiche Beziehungen geschlossen habe, ehrenamtlich beim Roten Kreuz tätig und strafrechtlich unbescholten sei.
Am 01.09.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin einen von ihrem Ehemann am 17.12.2016 unterzeichneten Mietvertrag, der am 06.11.2019 bis 01.01.2022 verlängert wurde.
Am 23.09.2020 legte die Beschwerdeführerin eine Einstellungszusage eines Lerninstituts als Reinigungskraft mit einem voraussichtlichen monatlichen Nettoeinkommen von EUR 300,00 vor.
Mit Schreiben vom 25.09.2020, der Beschwerdeführerin zugestellt am 29.09.2020, forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin auf, binnen zwei Wochen ein gültiges Reisedokument vorzulegen bzw. bekanntzugeben, aus welchen Gründen die Erlangung eines Reisepasses nicht möglich ist.
Am 06.10.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Kopie ihres Reisepasses und brachte vor, dass ihr das Original im Zuge der Flucht nach Österreich im Jahr 2015 vom Schlepper abgenommen worden sei und sie dieses mangels Kontakt zum Schlepper nicht wiederbeschaffen könne.
Am 15.12.2020 langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an den Bundespräsidenten und den Bundesminister für Inneres gerichtete Unterstützungsschreiben eines mit der Beschwerdeführerin und ihrer Familie befreundeten Mannes ein.
Mit Schreiben vom 22.01.2021 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Beschwerdeführerin von den bisherigen Ergebnissen des Beweisverfahrens und gab ihr Gelegenheit, binnen zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15.02.2021 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie das vorangegangene Asylverfahren weder verzögert, noch Unwahrheiten vorgebracht habe. Vielmehr sei das Bundesverwaltungsgericht im Asylverfahren zum Ergebnis gekommen, dass es der Beschwerdeführerin nicht zur Gänze gelungen sei, ihr Vorbringen zu beweisen. Unmittelbar nach Erteilung einer entsprechenden Erlaubnis werde die Beschwerdeführerin einer beruflichen Tätigkeit nachgehen, weshalb beantragt werde, ihrem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stattzugeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.), stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass sich im Zuge des vorangegangenen Asylverfahrens Widersprüche und Ungereimtheiten in Zusammenhang mit ihrem Fluchtvorbringen ergeben hätten, sodass der Sinn des § 56 AsylG, nämlich die Legalisierung von zumindest zur Hälfte legalen Aufenthalten von über fünf Jahren, durch Unwahrheiten untergraben werde. Die Beschwerdeführerin habe von April 2015 bis September 2020 Grundversorgungsleistungen bezogen und abgesehen von einem Deutschkurs und einer A1-Deutschprüfung keine Ausbildungen in Österreich absolviert, weshalb nicht von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall auszugehen sei. Der Beschwerdeführerin habe schon bei Antragstellung bewusst sein müssen, dass ihr Aufenthalt im Falle einer negativen Entscheidung bloß vorübergehend sei und sie das Bundesgebiet nach Beendigung des Asylverfahrens verlassen müsse. Sie habe zwar Integrationsschritte gesetzt, dennoch könne eine Aufenthaltsbeendigung nach einem Aufenthalt von sechs Jahren im öffentlichen Interesse liegen und seien Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz letztlich als Folge des seinerzeitigen, ohne ausreichenden Grund für die Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes, im öffentlichen Interesse am geordneten Fremdenwesen hinzunehmen. Der mit der Aufenthaltsbeendigung verbundene Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführerin sei daher verhältnismäßig und die Rückkehrentscheidung zulässig.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und wiederholte ihr bisheriges Vorbringen.
Mit Schreiben vom 12.07.2021 wurde für 01.09.2021 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt und der Beschwerdeführerin sowie dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen die Einvernahme von Zeugen unter Angabe einer ladungsfähigen Adresse und des genau bezeichneten Beweisthemas zu beantragen sowie die als Beweismittel beabsichtigten Urkunden und Dokumente im Original sowie in Kopie vorzulegen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass fremdsprachigen Dokumenten eine beglaubigte Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen ist.
Infolge einer am 15.07.2021 eingebrachten Vertagungsbitte des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin verlegte das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 21.07.2021 die ursprünglich für 01.09.2021 anberaumte mündliche Verhandlung auf 24.09.2021.
Mit Schriftsatz vom 26.07.2021 beantragte die Beschwerdeführerin zum Beweis ihres Aufenthaltes seit über fünf Jahren, ihrer überdurchschnittlichen Integration sowie dafür, dass der beantragte Titel öffentlichen Interessen nicht widerstreite, die Einvernahme der Freundin ihres älteren Sohnes sowie dreier Freunde der Familie.
Am 24.09.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Armenisch sowie des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Beschwerdeführerin weitere Integrationsunterlagen vorlegte und die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und die beiden gemeinsamen Söhne ausführlich zu ihrer Identität und Herkunft sowie ihren persönlichen Lebensumständen in Armenien, ihrer Integration in Österreich und der Situation im Falle der Rückkehr befragt wurden.
Mit Schreiben vom 15.10.2021 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerdeführerin und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gelegenheit, binnen einer Woche zum Länderinformationsblatt zu Armenien vom 06.10.2021 Stellung zu nehmen.
In ihrer schriftlichen Äußerung vom 21.10.2021 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass ihre Familie von Personen, die zum Teil Mitglieder der Sicherheitskräfte seien und nach wie vor in Armenien lebten, mit dem Tod bedroht und verfolgt worden sei. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Armenien seien eine zusätzliche Gefahrenquelle für die Beschwerdeführerin und ihre Familie. Eine allfällige medizinische Behandlung im Falle einer Ansteckung mit COVID-19 sei für die Beschwerdeführerin nicht finanzierbar, zumal Behandlungsmethoden in Armenien kostspielig seien und privat finanziert werden müssten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum und ist Staatsangehörige Armeniens. Ihre Identität steht fest. Die Beschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Armenier an und bekennt sich zum Christentum. Ihre Muttersprache ist Armenisch. Die Beschwerdeführerin ist verheiratet und hat zwei volljährige Söhne.
Die Beschwerdeführerin stammt aus Etschmiadsin, wo ihr Ehemann ein Haus hat, in dem sie und ihr jüngerer Sohn bis zur Ausreise im Jahr 2015 durchgehend lebten und die Beschwerdeführerin ein Lebensmittelgeschäft führte. Der Ehemann der Beschwerdeführerin arbeitete von 1993 bis 2015 bei einer gemeinnützigen Organisation ( XXXX ), zuletzt als Assistent der Geschäftsführung und hielt sich deshalb immer wieder länger am Einsatzort der Organisation in Berg-Karabach auf. Die Beschwerdeführerin besuchte in Armenien zehn Jahr die Schule und anschließend ein medizinisches College, das sie mit Diplom abschloss. Der ältere Sohn der Beschwerdeführerin besuchte zehn Jahre die Mittelschule und lebte vor der Ausreise in Berg-Karabach bei der Organisation, für die sein Vater arbeitete. Der jüngere Sohn der Beschwerdeführerin besuchte neun Jahre Schule in Armenien und anschließend ein College für Bank- und Rechnungswesen, das er nicht abschloss.
Die Enkelkinder der Tante und ein Cousin des Ehemannes der Beschwerdeführerin leben nach wie vor in Etschmiadsin. Die Beschwerdeführerin hat keinen Kontakt mehr zu den Verwandten ihres Ehemannes.
Die Beschwerdeführerin leidet an einer Schilddrüsenüberfunktion und nimmt Tabletten ein. Die Erkrankung ist in Armenien behandelbar. Die Beschwerdeführerin hat auch Zugang zum armenischen Gesundheitssystem. Die medizinische Grundversorgung ist in Armenien flächendeckend gewährleistet.
Zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die Beschwerdeführerin reiste mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen Söhnen im April 2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 16.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.08.2020 rechtskräftig abgewiesen wurde.
Die Beschwerdeführerin lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann und den beiden gemeinsamen volljährigen Söhnen in einer Mietwohnung. Der Mietvertrag für die Mietwohnung wurde am 17.12.2016 vom Ehemann der Beschwerdeführerin abgeschlossen. Am 06.11.2019 wurde das Mietverhältnis bis 01.01.2022 verlängert. Für den Lebensunterhalt der Familie einschließlich der Miete in Höhe von derzeit EUR 520,00 kommt der jüngere Sohn der Beschwerdeführerin, der von 05.04.2018 bis 04.04.2021 eine Lehre als Systemgastronomiefachmann absolvierte, am 16.09.2021 die Lehrabschlussprüfung bestand und bis zumindest 30.09.2021 ein Einkommen von zumindest EUR 1.500,00 netto bezog, auf.
Die Beschwerdeführerin bezog bis September 2020 Leistungen aus der Grundversorgung. Sie besuchte Deutschkurse und hat am 28.08.2017 die ÖSD-Deutschprüfung auf Sprachniveau A1 bestanden, spricht jedoch nur geringfügig Deutsch. Die Beschwerdeführerin hilft seit 06.07.2019 ehrenamtlich bei der Tafel des Roten Kreuzes und arbeitet seit 20.02.2018 ehrenamtlich in einem Pflege- und Betreuungszentrum. Sie hat eine Einstellungszusage als Reinigungskraft in einem Lerninstitut gegen ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 300,00, die am 30.08.2020 ausgestellt wurde.
Die Beschwerdeführerin und ihre Familie werden durch den Verein XXXX in ihrer Wohnsitzgemeinde unterstützt und nehmen in diesem Rahmen mit anderen ehrenamtlichen Mitgliedern an diversen Veranstaltungen teil. Die Beschwerdeführerin beteiligt sich an Veranstaltungen in ihrer Wohnsitzgemeinde und hat sich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Sie hat in Österreich – abgesehen von ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen – keine Verwandten.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Zur Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
Seit rechtskräftiger Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.08.2020 haben sich weder die persönlichen Verhältnisse noch die Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin maßgeblich und nachhaltig verändert.
Im Falle der Rückkehr nach Armenien und einer Wiederansiedelung in ihrer Heimatstadt Etschmiadsin hat die Beschwerdeführerin eine Wohnmöglichkeit im Haus ihres Ehemannes und kann grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Zur maßgeblichen Situation in Armenien:
Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Version 8 vom 06.10.2021, wiedergegeben:
COVID-19
Letzte Änderung: 05.10.2021
[…]
Der Ausnahmezustand wurde seit März 2020 insgesamt fünf Mal verlängert und anschließend durch die Nationale Quarantäne ersetzt (vom 11. September 2020 bis 11. Juli 2021). Der Lockdown für armenische Unternehmen wurde bereits im Mai 2020 aufgehoben, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren. Kindergärten wurden im Mai 2020 und Schulen im September 2020 wieder geöffnet (WKO 14.7.2021).
Die Einreise nach Armenien ist mit einem im Ausland durchgeführten negativen PCR-Test erlaubt, der bei Einreise nicht älter als 72 Stunden sein darf. Das Ergebnis des ausländischen Tests muss auf Englisch, Russisch oder Armenisch vorliegen. Anstelle des PCR-Tests kann auch ein vollständiger Impfnachweis gegen COVID-19 vorgelegt werden, dessen zweite Impfung spätestens 14 Tage vor Einreise erfolgt ist. Für Kinder unter einem Jahr ist kein PCR-Test erforderlich. Ohne Nachweis eines solchen ausländischen Tests müssen sich Reisende einem kostenpflichtigen Test am Flughafen in Eriwan unterziehen und sich bis zur Vorlage eines negativen Testergebnisses in Selbstisolation begeben. Entsprechende Teststellen sind in der Ankunftshalle eingerichtet. Eine Einreise nach Armenien ohne Test ist nicht gestattet. Bei der Einreise müssen Reisende eine Erklärung zu ihrem Gesundheitsstatus vorlegen bzw. ausfüllen (AA 28.9.2021; vgl WKO 14.7.2021).
Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt. Für Reisende, die im ARMED-System registriert sind, kann das Impfzertifikat über die App „ArmedeHealth“ bereitgestellt werden. Es gibt keine Einreiseerleichterungen Genesene. Erleichterungen gibt es für Geimpfte und Getestete (WKO 14.7.2021).
Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind wieder möglich (WKO 14.7.2021; vgl AA 28.9.2021).
Am 19. März 2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Das betrifft solche Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel (WKO 14.7.2021).
Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben. Home-Office-Empfehlung und die obligatorische Maskenpflicht wurden am 1. Juli 2021 aufgehoben. Wer möchte, kann natürlich auch weiterhin eine Maske tragen. Das Versammlungsverbot wurde aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern (WKO 14.7.2021).
Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO 14.7.2021).
Es bestehen aufgrund der Pandemie keine besonderen Beschränkungen innerhalb des Landes (AA 28.9.2021).
[…]
Politische Lage
Letzte Änderung: 05.10.2021
Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielte auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab (USDOS 30.3.201; vgl. FH 3.3.2021, AA 20.6.2021). Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 20.6.2021). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister steht an der Spitze der Regierung, während der Präsident vorwiegend repräsentative Funktionen ausübt (USDOS 30.3.2021).
Die Nationalversammlung besteht aus mindestens 101 Mitgliedern, die für eine fünfjährige Amtszeit durch eine Kombination aus nationalem und bezirksbezogenem Verhältniswahlrecht gewählt werden. Bis zu vier zusätzliche Sitze sind für Vertreter ethnischer Minderheiten reserviert. Weitere Sitze können hinzugefügt werden, um sicherzustellen, dass die Oppositionsparteien mindestens 30 Prozent der Sitze halten (FH 3.3.2021).
Neue Rahmenbedingungen haben sich zunächst durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolution“ im April/Mai 2018 ergeben, die von einer autokratischen Regierung unter dem ehemaligen Staatspräsidenten Serzh Sargsyan zu einer demokratisch legitimierten Regierung unter Premierminister Nikol Pashinyan führte. Die Niederlage im Berg-Karabach-Krieg (27. September –9. November 2020) und eine für Armenien schmerzhafte Waffenstillstandsvereinbarung werden in weiten Teilen der armenischen Bevölkerung Pashinyan angelastet. Obwohl seine Popularität in der Bevölkerung stark abgenommen hat, konnte die Opposition im Lande ihre Forderung nach Rücktritt von PM Pashinyan zunächst nicht durchsetzen. Ende März 2021 hat PM Pashinyan dann aber doch vorgezogene Neuwahlen für den 20. Juni 2021 angekündigt und am 25. April seinen Rücktritt eingereicht, um Neuwahlen zu ermöglichen (AA 20.6.2021).
Die internationalen Beobachter der OSZE haben die vorgezogene Parlamentswahl in Armenien am 20.06.21 als demokratisch, fair und frei eingestuft. Den Wählern seien eine breite Palette von Möglichkeiten geboten, die freiheitlichen Grundrechte seien respektiert worden und die Kandidaten konnten einen freien Wahlkampf führen. Die Partei des bisherigen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan hatte die Parlamentswahl mit rund 54 Prozent der Stimmen gewonnen (BAMF 28.6.2021; vgl EurasiaNet 21.6.2021). Nach dem vorläufigen Wahlergebnis könnten daneben nur die Parteienbündnisse von Ex-Präsident Robert Kotscharjan mit rund 21 Prozent und des früheren Präsidenten Sersch Sargsjan und des ehemaligen Geheimdienstchefs Artur Wanezjan mit 5,2 Prozent der Stimmen in das Parlament einziehen (BAMF 28.6.2021).
Sechs Wochen nach der Parlamentswahl in Armenien ist Nikol Paschinjan am 02.08.21 für eine neue Amtszeit zum Ministerpräsidenten der Südkaukasus-Republik ernannt worden. Paschinjans Partei Bürgervertrag war bei der vorgezogenen Parlamentswahl am 20.06.21 auf knapp 54 Prozent der Stimmen gekommen BMAF 16.8.2021).
Die Republikanische Partei (HHK) und ihre Verbündeten nutzten in der Vergangenheit Stimmenkauf, Wählereinschüchterung und den Missbrauch von Verwaltungsressourcen, um den Volkswillen zu verzerren, aber das Parlament verabschiedete 2018 ein Gesetz, das verschiedene Handlungen im Zusammenhang mit dem Stimmenkauf unter Strafe stellte. Bei den vorgezogenen Wahlen und den Kommunalwahlen 2018 und 2019 gingen diese Praktiken zurück (FH 3.3.2021).
Armenien befindet sich nach den Massenprotesten gegen die Regierung und den Wahlen im Jahr 2018, die eine etablierte politische Elite vertrieben, inmitten eines bedeutenden Übergangs. Die neue Regierung hat versprochen, sich mit langjährigen Problemen wie systemischer Korruption, undurchsichtiger Politikgestaltung, einem fehlerhaften Wahlsystem und schwacher Rechtsstaatlichkeit zu befassen. Die Politik des Landes wurde ernsthaft destabilisiert und mehr als 2.400 Soldaten wurden 2020 getötet, als Kämpfe mit Aserbaidschan über die Kontrolle des Territoriums von Berg-Karabach ausbrachen (FH 3.3.2021).
Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 20.6.2021).
[…]
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 06.10.2021
Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).
In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).
Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Rund zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen um Berg-Karabach betonten die drei Spitzenpolitiker im Kreml, dass das Waffenstillstandsabkommen weitgehend eingehalten werde. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen. Die Vize-Regierungschefs von Aserbaidschan und Armenien sowie Russlands würden nun eine Arbeitsgruppe bilden, um konkrete Projekte bei der Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen umzusetzen (BAMF 18.1.2021).
Die militärische Niederlage löste eine scharfe politische Krise in Armenien aus, in der die Opposition gegen Premierminister Nikol Pashinian seinen Rücktritt forderte (HRW 13.1.2021; vgl. DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020; vgl. ZeitOnline 11.11.2020).
Bei Zusammenstößen mit aserbaidschanischen Streitkräften sind drei armenische Soldaten an der Grenze zwischen den beiden Ländern getötet worden. Wie das armenische Verteidigungsministerium am Mittwoch mitteilte, habe Jerewan nach einem aserbaidschanischen "Angriff" eine "bewaffnete Aktion" eingeleitet. Zwei weitere Menschen wurden demnach bei den Zusammenstößen im nordöstlichen Grenzgebiet verletzt. Beide Seiten gaben sich gegenseitig die Verantwortung für die Eskalation (DerStandard 28.7.2021).
[…]
Relevante Bevölkerungsgruppen
Frauen
Letzte Änderung: 06.10.2021
Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt, aber Diskriminierung aufgrund des Geschlechts war sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor ein anhaltendes Problem. Sozioökonomische Faktoren, die Verantwortung von Frauen im Haushalt sowie fehlende Möglichkeiten für Frauen, Führungsqualitäten zu erwerben, spielten eine Rolle bei der Begrenzung der politischen Beteiligung von Frauen, ebenso wie ihr fehlender Zugang zu den informellen, von Männern dominierten Kommunikationsnetzwerken, die die Grundlage der Politik des Landes bilden. Auch fehlten den Frauen die notwendigen Förderungen und Mittel, um eine politische Karriere aufzubauen (USDOS 30.3.2021).
Es gibt keine Gesetze, die die Beteiligung von Frauen und Angehörigen von Minderheitengruppen am politischen Prozess einschränken, aber der patriarchalische Charakter der Gesellschaft verhinderte eine umfassende Beteiligung von Frauen am politischen und wirtschaftlichen Leben und an Entscheidungspositionen im öffentlichen Sektor. Weibliche Parlamentarier und andere weibliche Funktionäre sahen sich oft eher geschlechtsbezogenen Beleidigungen als inhaltlicher Kritik ausgesetzt (USDOS 30.3.2021).
Frauen sind in der Politik und der Regierung nach wie vor unterrepräsentiert und die meisten Parteien tun wenig, um die Interessen von Frauen zu berücksichtigen, abgesehen von der Erfüllung der Geschlechterquote auf den Kandidatenlisten. Berichten zufolge werden Frauen in der Arbeitswelt und im Bildungswesen diskriminiert, obwohl sie gesetzlich geschützt sind (FH 3.3.2021).
Glaubhafte Berichte über Zwangsheiraten liegen nicht vor (AA 20.6.2021).
Frauen genossen im Allgemeinen nicht die gleichen beruflichen Möglichkeiten oder Löhne wie Männer, und die Arbeitgeber verwiesen sie oft auf niedere oder schlechter bezahlte Tätigkeiten. Das Arbeitsgesetz sieht zwar die "rechtliche Gleichstellung" aller Parteien in einem Arbeitsverhältnis vor, verlangt aber nicht ausdrücklich gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Einem Bericht der Asiatischen Entwicklungsbank aus dem Jahr 2019 zufolge war die Erwerbsquote von Frauen niedriger als die von Männern, und Frauen arbeiteten häufiger in Teilzeitstellen. Der Bericht stellte auch fest, dass berufliche Stereotypen die Wahlmöglichkeiten von Frauen einschränkten und mehr als 60 Prozent der Frauen in nur drei Sektoren arbeiteten: Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit. Frauen waren in Führungspositionen unterrepräsentiert, und nur eines von fünf kleinen oder mittleren Unternehmen hatte eine weibliche Inhaberin (USDOS 30.3.2021).
Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur Vergewaltigung gelten für die Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe. Häusliche Gewalt wurde nach den allgemeinen Gesetzen, die sich mit Gewalt befassen, strafrechtlich verfolgt und führte je nach Anklage zu unterschiedlichen Strafen (Mord, Körperverletzung, leichte Körperverletzung, Vergewaltigung usw.). Die Strafverfolgungsbehörden untersuchten oder verfolgten die meisten Vorwürfe häuslicher Gewalt nicht effektiv. Häusliche Gewalt gegen Frauen war weit verbreitet und wurde durch die COVID-19-Beschränkungen der Bewegungsfreiheit noch verschärft. Einigen Beamten zufolge behinderte das Fehlen einer Definition von häuslicher Gewalt im Strafgesetzbuch ihre Fähigkeit, häusliche Gewalt zu bekämpfen (USDOS 30.3.2021).
Häusliche Gewalt ist weder ein eigenständiges Verbrechen noch ein erschwerender Umstand im Strafgesetzbuch und die armenische Gesetzgebung schützt die Opfer häuslicher Gewalt nicht effektiv (HRW 13.1.2021; vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021). Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Anzeige zu erstatten. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden per Gesetz als Vergehen von geringer oder mittlerer Schwere betrachtet und die Regierung stellt nicht genügend weibliche Polizeibeamte und Ermittlerinnen für die Arbeit vor Ort ein, um diese Verbrechen angemessen zu untersuchen. Die engen Definitionen im Gesetz zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie verhinderten, dass Missbrauchsüberlebende, die nicht verheiratet waren oder in einer eheähnlichen Beziehung mit ihrem Partner lebten, Schutz und Unterstützung durch das Gesetz erhielten. Im Laufe des Jahres unterstützte die Regierung weiterhin Unterstützungszentren für Opfer häuslicher Gewalt im ganzen Land (USDOS 30.3.2021).
Das überfällige Gesetz gegen häusliche Gewalt wurde Ende 2017 vom Parlament verabschiedet. Die armenische Regierung hat im Januar 2018 das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert (AA 20.6.2021).
In Armenien gibt es nur ein (AA 20.6.2021) bzw. zwei Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt, die vom Women's Rights Center betrieben werden und insgesamt Platz für 17 bis 20 Personen bieten (HRW 13.1.2021).
Trotzdem hat Armenien seit 2015 bedeutende Fortschritte bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemacht. Wichtige gesetzgeberische Maßnahmen wurden von Sensibilisierungskampagnen begleitet, die zu einer öffentlichen Debatte und einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häusliche Gewalt führen. Trotz dieser begrüßenswerten Entwicklungen und sehr lobenswerten Bemühungen bleibt die häusliche Gewalt in Armenien ein schwerwiegendes, weit verbreitetes und teilweise noch unterschätztes Phänomen (CoE-CommDH 29.1.2019). Das neue Gesetz über häusliche Gewalt hat einige Elemente und Normen des Istanbuler Übereinkommens übernommen, verschiedene Formen häuslicher Gewalt definiert und den staatlichen Behörden eine positive Verpflichtung auferlegt, solche Gewalt zu verhindern und ihre Opfer zu schützen. Es verpflichtet die Behörden auch, eine nationale Strategie zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu entwickeln und umzusetzen, Unterkünfte für Opfer von Gewalt einzurichten, ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu bieten und regelmäßige Schulungen für alle in diesem Bereich tätigen Fachleute durchzuführen (CoE-CommDH 29.1.2019).
Das Gesetz verlangt, dass bestimmte Dienstleistungen für diejenigen erbracht werden, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, es sieht aber keine Maßnahmen für monetäre Entschädigungen der Opfer vor. Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen - Verwarnungen und Schutzanordnungen - reichen möglicherweise nicht aus, um die Menschenrechtsverpflichtungen des Landes zum Schutz der Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erfüllen, dies infolge des Umfanges des Ermessensspielraum für die Strafverfolgungsbehörden und Richter, der vorgesehenen limitierten Fristen (z.B. Wegweisung) sowie der schwachen Konsequenzen, die Täter häuslicher Gewalt zu erwarten haben. Das Gesetz enthält zudem keine Details hinsichtlich der Beweislast, die für die Erlangung von Verwarnungen oder Schutzanordnungen oder für die strafrechtliche Verfolgung von Tätern häuslicher Gewalt erforderlich ist. Es ist letztendlich nicht klar, ob das Gesetz für alle Paare gilt, oder nicht registrierte Ehen bzw. Lebensgemeinschaften ausnimmt (OHCHR 29.3.2018).
Die Tatsache, dass die Zahl der von der Polizei registrierten Vorfälle häuslicher Gewalt hoch ist, ist auf die gesetzlichen Anforderungen zurückzuführen, die 2017 verabschiedet wurden. Die Polizei ist nun verpflichtet, alle Aussagen in Bezug auf häusliche Gewalt zu registrieren, auch wenn das Opfer die Beschwerde zurückzieht. Es ist nicht bekannt, in wie vielen von der Polizei registrierten Fällen es einen positiven Ausgang gegeben hat und wie viele Opfer tatsächlich Unterstützung erhielten. Das Gesetz regelt nicht effektiv schnelle Reaktion und Schutzmaßnahmen, die nach der Erklärung über häusliche Gewalt zu ergreifen sind. Ernsthafte Probleme entstehen nach der polizeilichen Verwarnung nach der ersten Anzeige, wenn sich die Situation in der Familie weiter verschärft. Ein klarer Mechanismus für weiteren Schutz wird jedoch nicht vorgegeben. Die Mechanismen zur Verhinderung der Verletzung von Schutzmaßnahmen durch den Täter und die Sanktionen, die im Falle solcher Verletzungen angewendet werden, sind nicht effizient. Im Hinblick auf die Sicherung eines gesetzlich vorgeschriebenen Präventions- und Schutzmechanismus wurden im ersten Quartal 2019 in Armenien soziale Unterstützungszentren eingerichtet: drei in Jerewan und weitere in Vanadzor, Gjumri und Kapan. Diese Zentren haben die Aufgabe, Familien durch Sozialarbeiter zu unterstützen, sobald Fälle von häuslicher Gewalt bekannt werden. Allerdings haben die Zentren bisher wenig Vertrauen genossen, und ihre Funktionen sind noch nicht vollständig geklärt. Gewaltopfer weigern sich aus verschiedenen Gründen, die Zentren zu besuchen; z.B. weil das Zentrum zu weit von ihnen entfernt liegt, oder weil die Opfer nicht über ihre häuslichen Probleme sprechen möchten (HCA 25.2.2020).
Im Global Gender Gap Index 2020 nahm Armenien Rang 98 von 153 Ländern ein. In den Unterkategorien Gesundheit Rang 148 und politische Teilhabe Rang 114 (von 152) sowie in der Unterkategorie „Teilhabe an der Bildung“ Rang 45 (WEF 2020).
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Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 06.10.2021
In Armenien ist ein breites Warenangebot in- und ausländischer Herkunft vorhanden. Auch umfangreiche ausländische Hilfsprogramme tragen zur Verbesserung der Lebenssituation von benachteiligten Gruppen bei. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2019 leben 22,2 Prozent der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. 60.000 armenische Dram (AMD) im Monat, der offizielle Mindestlohn 55.000 AMD (= ca. 90 Euro). Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 20.6.2021). Das Durchschnittseinkommen beträgt AMD 192.450 pro Monat (IOM 2020). Trotz relativ günstiger Wachstumsraten ist es nicht gelungen, den Lebensstandard für breite Bevölkerungsteile spürbar zu erhöhen. Wegen der Corona-Krise 2020 ist er nun massiv bedroht (SWP 5.2020).
Der UNDP Human Development Index, ein Messwert zur Beurteilung der Humanentwicklung und der Ungleichheit, und ergab 2019 für Armenien einen Wert von 0.776 [Statistischer Bestwert ist 1] (zum Vergleich: der HDI von Österreich beträgt 0.922, Platz 18). Damit belegte Armenien Platz 81 von 189 Staaten (UNDP 2020).
Rohstoffgewinnung und deren Verarbeitung dominieren die armenische Industrie. Armenien hat über 480 bekannte Vorkommen mineralischer Rohstoffe und es gibt bedeutende Reserven von Metallen. Auch der Landwirtschaftssektor spielt eine wichtige Rolle. Das Wirtschaftswachstum konzentrierte sich bislang primär auf die Hauptstadt Jerewan. Das Entwicklungsgefälle zwischen der Hauptstadt und den übrigen Regionen des Landes bleibt groß. Die ländlichen Regionen haben eine hohe Unterbeschäftigung und niedriges Einkommen (WKO 1.2021).
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Sozialbeihilfen
Letzte Änderung: 02.06.2021
Das Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten verwaltet das Sozialschutzsystem in Armenien. Zu den wichtigsten Arten staatlicher Sozialleistungen in Armenien gehören: Familienbeihilfe, Sozialleistungen, dringende Unterstützungen, pauschales Kindergeld, Kinderbetreuungsgeld bis zum Alter von zwei Jahren, Leistungen bei vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, Mutterschaftsgeld, Altersbeihilfe, Invaliditätsleistungen, Leistungen bei Verlust der geldverdienenden Person, Bestattungsgeld (IOM 2020).
Personen, die das 63. Lebensjahr vollendet und mindestens 10 Jahre Berufserfahrung haben, haben Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente. Personen, die keinen Anspruch auf eine arbeitsbedingte Rente haben, haben mit 65 Jahren Anspruch auf eine altersbedingte Rente. In Armenien gibt es zwei Kategorien von Renten: Arbeitsrenten umfassen Altersrenten, privilegierte Renten, Renten für langjährige Betriebszugehörigkeit, Invalidenrenten und Hinterbliebenenrenten. Militärrenten umfassen Renten für Langzeitdienstleistern, Invaliditätsrenten und Hinterbliebenenrenten (IOM 2020).
Der Pensionsanspruch gilt ab einem Alter von 63 mit mindestens 25 Jahren abgeschlossener Beschäftigung; ab einem Alter von 59 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, wobei mindestens 20 Jahre erschwerte oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 oder mindestens 10 Jahre derartiger Arbeit nach dem 1. Januar 2014 verrichtet wurde; oder ab einem Alter von 55 mit mindestens 25 Jahren Beschäftigung, einschließlich mindestens 15 Jahre in Schwerst- oder gefährlicher Arbeit vor dem 1. Januar 2014 bzw. mindestens 7,5 Jahre in einer solchen nach dem 1. Januar 2014. Eine verringerte Pension steht nach mindestens zehnjähriger Anstellung, jedoch erst ab 65 zu. Bei Invalidität im Rahmen der Sozialversicherung sind zwischen zwei und zehn Jahre Anstellung Grundvoraussetzung, abhängig vom Alter des Versicherten beim Auftreten der Invalidität. Die Invaliditätspension hängt vom Grade der Invalidität ab. Unterhalb der erforderlichen Zeiten für eine Invaliditätspension besteht die Möglichkeit einer Sozialrente für Invalide in Form einer Sozialhilfe. Zur Pensionsberechnung werden die Studienjahre, die Wehrdienstzeit, die Zeit der Kinderbetreuung und die Arbeitslosenzeiten herangezogen. Die Alterspension im Rahmen der Sozialversicherung beträgt 100% der Basispension von AMD 16.000 monatlich zuzüglich eines variablen Bonus. Die Bonuspension macht AMD 500 monatlich für jedes Kalenderjahr ab dem elften Beschäftigungsjahr multipliziert mit einem personenspezifischen Koeffizienten, basierend auf der Länge der Dienstzeit (USSSA 3.2019).
Das Ministerium für Arbeit und Soziales (MLSA) implementiert Programme zur Unterstützung von schutzbedürftigen Personen: Behinderte, ältere Personen, RentnerInnen, Waisen, Opfer von Menschenhandel, Frauen und Kinder. Der Zugang zu diesen Leistungen erfolgt über die 51 Büros des staatlichen Sozialversicherungsservice (IOM 2020).
Die staatliche Arbeitsagentur bietet im Rahmen der Arbeitslosenunterstützung folgende Dienstleistungen an: Beratung und Information über die von der Agentur angebotenen Dienstleistungen, Beratung zur beruflichen Orientierung, Antrag auf freie Mitarbeit, Teilnahme an staatlichen Beschäftigungsprogrammen und -veranstaltungen, Berufsausbildung und Umschulung (IOM 2020).
Arbeitslosenunterstützung
2015 wurde die Arbeitslosenunterstützung zugunsten einer Einstellungsförderung eingestellt. Zu dieser Förderung gehört auch die monetäre Unterstützung für Personen die am regulären Arbeitsmarkt nicht wettbewerbsfähig sind. Das Arbeitsgesetz von 2004 sieht ein Abfertigungssystem seitens der Arbeitgeber vor. Bei Betriebsauflösung oder Stellenabbau beträgt die Abfertigung ein durchschnittliches Monatssalär, bei anderen Gründen hängt die Entschädigung von der Dienstzeit ab, jedoch maximal 44 Tage im Falle von 15 Anstellungsjahren (USSSA 3.2019).
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Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 06.10.2021
Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet (AA 20.6.2021). Das Gesundheitssystem besteht aus einer staatlich garantierten und kostenlosen Absicherung sowie einer individuellen und freiwilligen Krankenversicherung. Jeder Mensch in der Republik Armenien hat Anspruch auf medizinische Hilfe und Dienstleistungen unabhängig von Nationalität, Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, Alter, politischen und sonstigen Überzeugungen, sozialer Herkunft, Eigentum oder sonstigem Status (IOM 2020). Die primäre medizinische Versorgung wird in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Jerewan vorbehalten ist (AA 20.6.2021).
Die primäre medizinische Versorgung ist grundsätzlich kostenfrei. Kostenlose medizinische Versorgung gilt nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre Ebene. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem (AA 20.6.2021).
Armeniens Gesundheitssystem ist durch den Staat stark unterfinanziert; weniger als 1,6% des BIP werden für Gesundheitsausgaben aufgewendet (einer der niedrigsten Werte weltweit) und mehr als 50% aller Gesundheitsausgaben entfallen auf Direktzahlungen von Patienten (einer der höchsten Werte weltweit). Dies führt zu erheblichen Problemen beim Zugang, der Steuerung und der Qualität der Versorgung (EVN 22.3.2020). Die COVID-19-Pandemie im ersten Halbjahr 2020 hat das Gesundheitssystem noch weiter unter Druck gesetzt (ChH 4.6.2020). Das Gesundheitssystem leidet nicht unter einem Ärztemangel. Es besteht jedoch ein ernstes Missverhältnis zwischen ländlichen Gebieten und der Hauptstadt: Eriwan weist im Vergleich zum Rest des Landes eine übermäßige Konzentration von Ärzten auf. Im internationalen Vergleich gibt es in Armenien eine große Zahl von Fachärzten im Vergleich zu Allgemeinmedizinern (EVN 22.3.2020).
Informationen über soziale Bevölkerungsgruppen, die berechtigt sind, kostenlose Medikamente durch lokale Polikliniken zu erhalten, sind verfügbar unter: www.moh.am (IOM 2020).
Die Einfuhr von Medikamenten zum persönlichen Gebrauch ist auf 10 Arzneimittel, je 3 Packungen, beschränkt (IOM 2020).
Die armenische Verfassung von 1995 garantiert den universellen Anspruch auf medizinische Leistungen, die vom Staat finanziert werden sollten. Ab 1997 wurden aufgrund der Finanzierungsnöte die Ansprüche durch die Einführung des Basis-Leistungspakets (BBP) begrenzt, bei dem es sich um ein öffentlich finanziertes Paket handelt, das eine Liste von Dienstleistungen festlegt, die für die gesamte Bevölkerung kostenlos sind (weitgehend Grundversorgung, sanitär-epidemiologische Dienstleistungen und Behandlung von rund 200 gesellschaftlich bedeutsamen Krankheiten) und die diejenigen Gruppen festlegt, die alle Dienstleistungen kostenlos erhalten sollten. Die unter den BBP fallenden Dienstleistungen und Bevölkerungsgruppen werden jährlich seitens der Regierung überprüft. Zu den Kategorien von Menschen, die nach dem BBP Anspruch auf kostenlose Gesundheitsleistungen haben, gehören Menschen mit Behinderungen, die je nach Schweregrad in die Gruppen I, II oder III eingeteilt sind; Kriegsveteranen; Hinterbliebene von Gefallenen, aktive Soldaten und ihre Familienmitglieder; generell Kindern unter sieben Jahren, unter 18 Jahren mit Behinderung, Kinder von vulnerablen Bevölkerungsgruppen oder Familien mit vier oder mehr Minderjährigen, von minderjährigen Elternteilen, Kindern ohne elterliches Sorgerecht oder aus Familien mit Menschen mit Behinderungen, Kinder in Pflegeheimen; alte Menschen in Pflegeheimen, Häftlinge, Opfer von Menschenhandel, Schutzsuchende und deren Familienmitglieder. D.h., wenn ein Patient unter das BBP fällt, ist die Behandlung kostenlos. Auch private medizinische Einrichtungen müssen kostenlose Dienstleistungen für die unter das BBP fallenden Personengruppen erbringen. Die Kosten übernimmt das Gesundheitsministerium. Gehört jedoch der Patient nicht zu einer der sozial schwachen oder besonderen Bevölkerungsgruppen, ist er nicht versichert oder fällt nicht unter ein "spezielles Krankheitsprogramm" (z.B. AIDS, Tuberkulose, Psychiatrie, etc. sowie die teilweise Abdeckung anderer Erkrankungen, wie Krebs), so muss er für die erhaltene Behandlung bezahlen (MedCOI 2.2018; vgl. MedCOI 12.11.2019).
Für die stationäre Behandlung zahlreicher Erkrankungen und Leiden besteht ein komplexes System des Selbstbehalts (Co-Payment System), wodurch nicht die gesamten Kosten beim Patienten liegen. Ausgenommen sind wiederum Minderjährige und Personen, die unter das BBP hinsichtlich der Hospitalsbetreuung fallen, für die die gesamten Kosten übernommen werden. Wenn ein Patient eine Krankenhausbehandlung benötigt, nimmt die primäre medizinische Einrichtung (z.B. Poliklinik) eine Überweisung an den entsprechenden Krankenhausdienst vor. Die Hausärzte informieren die Patienten in der Regel über ihre Chance auf kostenlose Behandlung oder Zuzahlung in Krankenhäusern, die Dienstleistungen im Rahmen des BBP anbieten. Nach der Anmeldung hat der Patient oder sein gesetzlicher Vertreter den ersten erforderlichen Betrag seines Anteils an der Zuzahlung zu begleichen. Der Selbstbehalt (Zuzahlungsbetrag) kann vollständig oder schrittweise bezahlt werden, spätestens jedoch mit der Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus. Die staatliche Gesundheitsbehörde übernimmt den Rest der Gesamtkosten nach der Analyse der monatlichen Finanzberichte der Krankenhäuser. Es gibt keine Rückerstattung und beide Parteien (Patient und Staat) zahlen ihren eigenen Anteil. Der Betrag, den jede Partei innerhalb des Zuzahlungssystems zahlen muss, ist kein fester Prozentsatz für alle betroffenen Krankheiten (MedCOI 2.2018; vgl. MedCOI 12.11.2019).
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. EUR 250/Monat). Hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind. Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken – stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung (AA 20.6.2021).
Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos. Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze für Dialyse ist begrenzt, aber gegen Bezahlung von ca USD 100 jederzeit möglich. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet (AA 20.6.2021).
Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten, da nicht immer alle Präparate vorhanden sind (AA 20.6.2021).
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Rückkehr
Letzte Änderung: 06.10.2021
Rückkehrende werden grundsätzlich nach Ankunft in die Gesellschaft integriert. Sie haben Zugang zu allen Berufsgruppen, auch im Staatsdienst, und überdurchschnittlich gute Chancen, Arbeit zu finden. Für rückkehrende Migranten wurde ein Beratungszentrum geschaffen; es handelt sich um ein Projekt der französischen Büros für Einwanderung und Migration. Rückkehrer können sich auch an den armenischen Migrationsdienst wenden, der ihnen mit vorübergehender Unterkunft und Beratung zur Seite steht. Fälle, in denen Rückkehrer festgenommen oder misshandelt wurden, sind nicht bekannt (AA 20.6.2021).
Seit 2019 führ der Migrationsdienst der Republik Armenien das "Staatliche Programm zur primären Unterstützung der Wiedereingliederung von zurückgekehrten (einschließlich unfreiwillig zurückgekehrten) StaatsbürgerInnen in die Republik Armenien" durch. Das Programm bietet armenischen StaatsbürgerInnen, die nach Armenien zurückkehren primäre Unterstützung, um ihre vollständige und nachhaltige Wiedereingliederung zu gewährleisten (IOM 2020).
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2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch:
- Einsichtnahme in die Verwaltungsakte, insbesondere in das Antragsformular vom 31.08.2020, in die Beschwerde vom 12.05.2021, sowie die Urkundenvorlagen vom 01.09.2020, 23.09.2020, 06.10.2020 und 15.12.2020 und die Stellungnahme vom 15.02.2021;
- Einsichtnahme in das vorangegangene Verfahren zum Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 16.04.2015 (vgl. L518 2129289-1);
- Einsichtnahme in das aktuelle Länderinformationsblatt zu Armenien;
- Einsichtnahme in die von der Beschwerdeführerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Integrationsunterlagen;
- Einvernahme der Beschwerdeführerin, ihres Ehemannes und der beiden Söhne am 24.09.2021;
- Einsicht in das Grundversorgungsinformationssystem;
- Einsicht in das Strafregister.
Zu den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin:
Der Beschwerdeführerin legte erstmals im gegenständlichen Verfahren eine Kopie ihres Originalreisepasses vor, aus welcher ihr Name, ihr Geburtsdatum und die Staatsangehörigkeit hervorgehen. Das mit dem im gegenständlichen Verfahren eingebrachten Antragsformular übermittelte Passfoto der Beschwerdeführerin ähnelt dem auf der Passkopie abgebildeten Foto ihrer Person, wobei ersichtlich ist, dass seither einige Zeit vergangen ist. Zudem stimmen die in der Passkopie enthaltenen Daten der Beschwerdeführerin mit den Daten, die sich aus der vorgelegten Übersetzung ihrer Geburtsurkunde in die deutsche Sprache ergeben, überein. Vor diesem Hintergrund bestehen erstmals im gegenständlichen Verfahren keine Zweifel an der Identität der Beschwerdeführerin und konnten auch die Feststellungen zu ihrer Staatsangehörigkeit auf die vorgelegten Unterlagen gestützt werden.
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrer Muttersprache und ihrem Familienstand beruhen auf ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 24.09.2021, die mit den im vorangegangenen Asylverfahren getroffenen Feststellungen übereinstimmen.
Die Feststellungen zur Herkunft der Beschwerdeführerin, dem Haus ihres Ehemannes und dem Leben der Beschwerdeführerin und ihres jüngeren Sohnes vor der Ausreise gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht. Abweichend von den im Vorverfahren getroffenen Feststellungen erwähnte die Beschwerdeführerin das von ihr betriebene Lebensmittelgeschäft in der mündlichen Verhandlung am 24.09.2021 nicht mehr, sondern führte aus, dass sie nach Abschluss des medizinischen Colleges nicht gearbeitet habe. Da die Beschwerdeführerin aber weder einräumte, dass ihre Angaben im vorangegangenen Verfahren, auf die das Bundesverwaltungsgericht die Feststellungen zum Leben im Herkunftsstaat stützte, nicht zutreffen würden, noch sonst Anhaltspunkte dafür hervorkamen, aus denen abzuleiten wäre, dass die im vorangegangenen Asylverfahren getroffenen Feststellungen nicht mehr zutreffen, ist weiterhin davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat ein Lebensmittelgeschäft führte.
Die Feststellungen zur Ausbildung der Beschwerdeführerin und ihrer Söhne sowie der Berufserfahrung ihres Ehemannes in Armenien und zum Aufenthalt ihres Ehemannes und des älteren Sohnes in Berg-Karabach gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 24.09.2021, die im Vergleich zu den Angaben und Feststellungen im vorangegangenen Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen unverändert geblieben sind.
Im vorangegangen Verfahren gab der Ehemann der Beschwerdeführerin am 10.06.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass die Enkelkinder seiner Tante (drei Söhne mit ihren Familien) mütterlicherseits sowie ein Cousin väterlicherseits in Etschmiadsin leben würden und er zu den Enkelkindern seiner Tante Kontakt habe, sodass das Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 17.08.2020 die Feststellung traf, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin Verwandte im Herkunftsstaat hat, zu denen die Beschwerdeführerin und ihre Familie Kontakt haben. Da der Ehemann der Beschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht am 24.09.2021 weder ausführte, dass seine im vorangegangenen Verfahren genannten Verwandten umgezogen wären, noch sonst Anhaltspunkte dafür hervorkamen, dass diese Armenien verlassen hätten, ist davon auszugehen, dass die Verwandten des Ehemannes der Beschwerdeführerin nach wie vor in ihrem Herkunftsstaat leben. Demgegenüber führten die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und die beiden Söhne im gegenständlichen Verfahren gleichbleibend aus, dass sie keine Kontakte mehr zu Personen in Armenien pflegen und kamen auch keine Anhaltspunkte hervor, die auf Gegenteiliges schließen lassen würden. Abweichend von den im Erkenntnis vom 17.08.2020 getroffenen Feststellungen ist daher davon auszugehen, dass der Kontakt zu den Verwandten in Armenien nicht mehr aufrecht ist.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich zum einen aus dem unstrittigen Akteninhalt des vorangegangenen Asylverfahrens, zum anderen stützen sich diese auf die damit übereinstimmenden und daher glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin am 24.09.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Wie sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.08.2020 ergibt, legte der Ehemann der Beschwerdeführerin armenische Behandlungsunterlagen vor und wurde auch der ältere Sohn der Beschwerdeführerin in Armenien medizinisch behandelt. Für die hospitale Behandlung zahlreicher Erkrankungen und Leiden besteht ein komplexes System des Selbstbehalts (Co-Payment System) in Armenien, wodurch nicht die gesamten Kosten beim Patienten liegen. Zudem können Behinderte, 1. und 2. Gruppe (die Kategorien werden vom Ministerium für Arbeit und Soziales bestimmt) kostenfreie Medikamente in lokalen Polykliniken erhalten.
Vor diesem Hintergrund sowie der Tatsache, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin in Armenien ein Haus besitzt, in dem sie und ihre Familie vor ihrer Ausreise lebten, ist weiterhin davon auszugehen, dass sie in Armenien – wie schon vor ihrer Ausreise – entsprechende Behandlungsmöglichkeiten vorfinden wird. Zudem kann sie sich an staatliche sowie nichtstaatliche soziale Einrichtungen bei Bedarf wenden und hatten die Familienangehörigen der Beschwerdeführerin vor ihrer Ausreise auch Zugang zum Gesundheitssystem, sodass im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin angenommen werden kann, dass dies auch auf sie zutrifft.
Zu den Feststellungen zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:
Die Feststellungen zur Einreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet, ihrem Antrag auf internationalen Schutz und dessen Abweisung ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am 24.09.2021 sowie dem unstrittigen Akteninhalt des vorangegangenen Asylverfahrens.
Die Feststellungen zu den Wohnverhältnissen der Beschwerdeführerin und der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes beruhen auf ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht, die mit jenen ihres Ehemannes und der beiden Söhne übereinstimmen. Die Feststellungen zum Mietverhältnis ergeben sich aus der vorgelegten Kopie des Mietvertrages.
Der Bezug von Grundversorgungsleistungen ergibt sich aus einem amtswegig eingeholten Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Die Feststellungen zu den Deutschkursen und der bestandenen A1-Deutschprüfung