TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/12 W205 2153368-2

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Veröffentlicht am 12.11.2021
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Entscheidungsdatum

12.11.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W205 2153368-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch RA Dr. Michael VALLENDER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.08.2021, Zl. 370218005-201227847, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Verfahren betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 11.10.2012:

1.1.    Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.07.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er folgende Identitätsdaten an: XXXX , geboren am XXXX

1.2.    Mit Aktenvermerk vom 26.07.2004 wurde das Asylverfahren gemäß § 30 AsylG eingestellt, da sich der Beschwerdeführer ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat.

1.3.    Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) am 12.01.2006 brachte der Beschwerdeführer nach Vorhalt, dass das BAA zur Ansicht gelange, dass für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers gemäß der Dublin II Verordnung die Slowakei zuständig sei, vor, dass er nicht in die Slowakei zurück wolle. Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass er in den vergangenen eineinhalb Jahren in Wien gelebt habe, nachdem ihm von einem anderen indischen Staatsangehörigen, der in Wien ein Restaurant habe, Arbeit und Unterkunft angeboten worden wäre.

1.4.    Am 12.01.2006 wurde ein Konsultationsverfahren mit der Slowakei eingeleitet. Mit Schreiben vom 09.02.2006 stimmte die Slowakei dem Wiederaufnahmegesuch hinsichtlich des Beschwerdeführer gemäß Art. 16 Abs. 1 c der EG-Verordnung Nr. 343/2003 zu.

1.5.    Mit Bescheid des BAA vom 16.02.2006 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 1997 als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Asylantrages wurde gemäß Art. 13 iVm. 16 Abs. 1 c der Verordnung Nr. 343/2003 des Rates die Slowakei für zuständig erklärt. Gemäß § 5a Abs. 1 iVm. 5a Abs. 4 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei ausgewiesen.

1.6.    Eine gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (im Folgenden: UBAS) vom 07.04.2006, Zl. XXXX , gemäß § 5 Abs. 1 iVm. § 5a Abs. 1 und 4 AsylG abgewiesen.

1.7.    Die Behandlung der gegen diesen Bescheid des UBAS erhobenen Beschwerde wurde vom VwGH mit Beschluss vom 17.07.2008, Zl. XXXX , abgelehnt.

2.       Verhängung der Schubhaft, Überstellung in die Slowakei und Wiedereinreise in das Bundesgebiet:

2.1.    Mit Bescheid der BPD Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 03.05.2006, Zl: XXXX wurde zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft über den Beschwerdeführer angeordnet und am 14.05.2006 vollzogen.

2.2.    Am 23.05.2006 wurde der Beschwerdeführer in die Slowakei überstellt.

2.3.    Am 11.10.2006 wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Wien betreten, einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen und wegen rechtswidriger Einreise in das Bundesgebiet gem. § 120 Abs. 1 Z 1 FPG angezeigt. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er am 10.10.2006 von der Slowakei schlepperunterstützt erneut in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei.

3.       Verfahren betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.12.2008:

3.1.    Am 02.12.2008 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, dies abermals unter den in Punkt 1.1. genannten Identitätsdaten. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte der Beschwerdeführer unter anderem aus, im Oktober 2006 mit dem Zug nach Italien gefahren und von dort mit dem Flugzeug nach Indien geflogen zu sein. Am 01.12.2008 sei der Beschwerdeführer wieder am Flughafen Wien-Schwechat gelandet.

3.2.    Am 10.12.2008 stellte das BAA ein Wiederaufnahmeersuchen an die Slowakei. Die Slowakei lehnte die Wiederaufnahme am 19.12.2008 ab.

3.3.    Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 05.03.2009 vor dem BAA niederschriftlich einvernommen.

3.4.    Mit Bescheid des BAA vom 06.03.2009, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG der Status des subsidiären Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat nicht zuerkannt und er gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

3.5.    Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 31.08.2009, Zl. XXXX , gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen und erwuchs mit 02.09.2009 in Rechtskraft.

4.       Neuerliche Verhängung der Schubhaft, Verwaltungsstrafverfahrenen, Bemühungen zu Erlangung eines Heimreisezertifikats:

4.1.    Mit Bescheid der BPD Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, vom 04.11.2009, Zl. XXXX , wurde gem. § 77 FPG von der Verhängung der Schubhaft gegen den Beschwerdeführer Abstand genommen und gegen ihn das gelindere Mittel zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

4.2.    Mit Straferkenntnis vom 04.11.2009 verhängte die BPD Wien über den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe von EUR 200,- wegen unrechtmäßigen Aufenthalts gem. § 67 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 FPG.

4.3.    Am 06.11.2009 wurde bei der indischen Botschaft die Ausstellung des Heimreisezertifikates beantragt, dies unter Nennung der vom Beschwerdeführer angegebenen Identitätsdaten.

4.4.    Am 28.01.2010 wurde erstmalig eine Urgenz an die konsularische Abteilung der Botschaft Indiens übermittelt. Weitere Urgenzen folgten am 23.03.2010, 01.06.2010, 12.08.2010, 28.10.2010, 07.01.2011, 18.03.2011, 26.05.2011, 22.08.2011, 05.06.2012 und 28.08.2012.

4.5.    Am 08.02.2010 wurde der Beschwerdeführer aus dem gelinderen Mittel entlassen.

4.6.    Mit Schreiben vom 08.02.2010 wurde dem Beschwerdeführer die Information über die Verpflichtung zur Ausreise übermittelt. Das Schreiben wurde am 11.02.2010 durch Hinterlegung zugestellt.

4.7.    Der Beschwerdeführer wurde am 06.03.2010 von der BPD Wien, PI Hufelandgasse AGM, wegen unbefugten Aufenthalts nach § 120 FPG angezeigt. Das Strafverfahren wurde am 20.10.2010 eingestellt.

4.8.    Weitere Anzeigen nach § 120 Abs. 1 Z 2 FPG folgten von der PI Hufelandgasse, Meidling, Breitenfurter Straße AGM, am 28.08.2010, 10.12.2010, 05.01.2011 und 09.01.2011, wobei auch diese Strafverfahren am 24.01.2001 eingestellt wurden. Am 04.03.2011, 06.08.2011, 10.08.2011, 26.12.2012, 26.04.2012 05.06.2012, 28.08.2012, 16.07.2013, 22.10.2013 und 03.12.2013 wurde der Beschwerdeführer abermals wegen Übertretung nach § 120 Abs. 1 Z 2 bzw. Abs. 1a FPG zur Anzeige gebracht.

4.9.    Mit Schriftsatz vom 14.01.2016 übermittelte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers eine Geburtsurkunde samt einer beglaubigten Übersetzung. Zudem wurde um „Richtigstellung der Personaldaten“ ersucht – dies unter Angabe eines anderen Vornamens und Geburtsdatums als jenen, die der Beschwerdeführer bislang angegeben hatte.

4.10.   Am 22.02.2016 wurde ein weiteres Mal eine Urgenz an die Botschaft Indien, Konsularabteilung, gerichtet, wobei die nunmehr bekanntgegebenen Personaldaten im Schreiben zwar nicht angeführt wurden, jedoch die vorgelegte Geburtsurkunde übermittelt wurde.

5.       Verfahren betreffend den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 10.03.2016:

5.1.    Am 10.03.2016 stellte der Beschwerdeführer unter den nunmehr bekanntgegebenen Identitätsdaten den Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 Abs. 1 AsylG.

5.2.    Am 07.04.2016 übermittelte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers sowohl ein ÖSD- Zertifikat Deutsch A2 vom 08.03.2016 als auch ein ÖSD- Zertifikat B1 vom 31.08.2016.

5.3.    Am 27.09.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

5.4.    Mit Schreiben 22.03.2017 teilte der gewillkürter Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass dieser bei der Botschaft vorgesprochen hätte, er jedoch kein Reisedokument bekomme, sondern erst nach Visaerteilung. Der Beschwerdeführer könne deshalb auch kein entsprechendes Reisedokument zum Nachweis seiner Identität der Behörde vorlegen, weshalb um Heilung des Mangels und um Stattgabe des Antrages ersucht werde.

5.5.    Mit Bescheid vom „22.03.2016“ [Anm.: offenbarer Schreibfehler bei der Jahreszahl, tatsächlich 2017], Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gem. § 55 AsylG 2005 ab. Gem. § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt I.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III.). Der Antrag auf Heilung eines Mangels nach § 8 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG-DV wurde gem. § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DV abgewiesen (Spruchpunkt IV.).

5.6.    Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 06.11.2019, zugestellt am 07.11.2019, dem Beschwerdeführer zugestellt am 07.11.2019, hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abgewiesen und Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gem. § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

In sachverhaltsmäßiger Hinsicht stellte das BVwG zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers – unter detaillierter Darstellung der dazu führenden beweiswürdigenden Erwägungen – folgendes fest:

„a) Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

1. Der unter Punkt I.1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt und der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Er ist Staatsangehöriger Indiens, stammt aus dem Punjab und gehört der Religion der Sikh an.

3. Der BF besuchte in Indien zehn Jahre lang die Schule. Er war in Indien nicht erwerbstätig.

4. Die Eltern und die Schwester des BF leben in Indien im Heimatdorf des BF. Ein Bruder des BF lebt in Frankreich. Der Bruder des BF begleitete diesen zur Beschwerdeverhandlung vor das BVwG, ansonsten haben die Brüder kein besonders Abhängigkeits- oder Naheverhältnis.

5. Der BF kehrte seit seiner ersten Einreise nach Österreich im Jahr 2004 niemals nach Indien zurück. Er machte dazu bei Stellung des zweiten Antrags auf internationalen Schutz im Jahr 2008 wissentlich falsche Angaben, indem er angab, nach Indien zurückgereist und dort abermals verfolgt worden zu sein.

5. Der BF reiste am 20.07.2004 unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am selben Tag unter Angabe eines falschen Namens und eines falschen Geburtsdatums einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 26.07.2004 wurde das Asylverfahren wegen ungerechtfertigter Entfernung des BF aus der Erstaufnahmestelle eingestellt. Im Jänner 2006 wurde der BF in Wien betreten. Der BF hielt sich in der Zeit, in der das Asylverfahren eingestellt war (1 Jahr und 10 Monate), unrechtmäßig in Österreich auf. In dieser Zeit arbeitete der BF in einem Chinarestaurant, ohne dafür eine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung zu haben.

Nachdem der BF am 23.05.2006 in die Slowakei überstellt wurde, hielt er sich dort bis zum 10.10.2006 auf und kehrte sodann ins österreichische Bundesgebiet zurück. Seither lebt der BF ohne Unterbrechung in Österreich.

Seinen zweiten Asylantrag stellte der BF – wieder unter Angabe falscher Identitätsdaten – am 02.12.2008. Davor hielt er sich (seit dem beschwerdeablehnenden Beschluss des VwGH vom 17.07.2008, Zl. XXXX ) mehrere Monate unrechtmäßig in Österreich auf.

Mit Zustellung der abweisenden Entscheidung des Asylgerichtshofs am 02.09.2009 wurde das Asylverfahren mit einer durchsetzbaren Ausweisungsentscheidung gegen den BF abgeschlossen. Der BF verblieb aber im österreichischen Bundesgebiet. Der BF hält sich seither (seit zehn Jahren und zwei Monaten) unrechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf.

6. Seit 03.01.2018 verfügt der BF über einen gültigen indischen Reisepass. Er kommt seiner Ausreiseverpflichtung dennoch nicht nach.

7. Der BF hat eine deutsche Sprachkompetenz auf dem Niveau B1. Er versteht einfache Fragen in deutscher Sprache und kann sie sinnzusammenhängend beantworten. Der BF hat im November 2018 das ÖIF-Integrationsprüfung (Sprachkompetenz B1/Werte- und Orientierungswissen) bestanden.

8. Der BF arbeitet als Zeitungszusteller und verdient damit EUR 500,- monatlich. Er verfügt über keine arbeitsmarktbehördliche Bewilligung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.

Der BF hat eine Einstellungszusage als Küchenhelfer in einer Pizzeria. Zudem hat der BF eine Einstellungszusage als Zeitungszusteller sowie eine Einstellungszusage als Transportfahrer.

9. Der BF ist an seinem Wohnort in Österreich sozial vernetzt. Er pflegt Freund- und Bekanntschaften und nimmt so am Sozialleben teil.

Seit Mai 2019 pflegt der BF eine freundschaftliche Beziehung zu einer in Österreich lebenden Frau, die über den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfügt. Eine künftige Eheschließung der beiden ist nicht ausgeschlossen. Der BF lebt mit ihr nicht in einem gemeinsamen Haushalt.

Der BF wohnt in einer Mietwohnung, für die er monatlich EUR 250,- bezahlt.

Der BF nimmt keine Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch und geht weder kulturellen noch sportlichen Aktivitäten nach, er ist auch nicht Mitglied in einem Verein.

10. Der BF wurde in Österreich vierzehn Mal wegen unrechtmäßigen Aufenthalts angezeigt, wobei fünf der eingeleiteten Strafverfahren eingestellt wurden.

11. Der BF ist gesund und erwerbsfähig.“

In rechtlicher Würdigung kam das BVwG – zusammengefasst und soweit hier relevant - zu dem Ergebnis, die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund treten. Dabei wurde unter anderem zu Gunsten des Beschwerdeführers gewichtet, dass er seit einem halben Jahr eine stärkere Bindung zu einer in Österreich lebenden Frau habe, die über den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfüge und mit der er nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe sowie eine künftige Ehe nicht ausschließe. Das Gewicht der Beziehung sei entsprechend der konkreten Faktoren (kein Zusammenleben, kein Abhängigkeitsverhältnis) bemessen worden.

5.7.    Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde lehnte der VfGH mit Beschluss vom 14.07.2020, E XXXX , ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5.8.    Der Verwaltungsgerichtshof wies die erhobene außerordentliche Revision mit Beschluss vom 29.09.2020, XXXX , zurück.

6.       Verfahren betreffend den hier gegenständlichen zweiten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 16.11.2020:

6.1.    Am 16.11.2020 brachte der Beschwerdeführer gegenständlichen zweiten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 bzw. 2 AsylG ein.

6.2.    Mit Schreiben vom 07.12.2020 forderte das BFA den Beschwerdeführer auf, binnen 4 Wochen ab Zustellung eine schriftliche Antragsbegründung, ein gültiges Reisedokument, eine Geburtsurkunde oder gleichzuhaltendes Dokument sowie einen Nachweis über die Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung oder über die Ausübung einer erlaubten Erwerbstätigkeit vorzulegen.

6.3.    Mit Schreiben vom 01.12.2020 gab der Beschwerdeführer die Bevollmächtigung seines Rechtsvertreters bekannt.

6.4.    In der Stellungnahme vom 07.01.2021 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass zwischen ihm und einer namentlich genannten Frau eine Lebensgemeinschaft bestehe. Seine Lebensgefährtin müsse dreimal wöchentlich zur Dialyse kommen und sei nahezu blind. Bei ihr bestünden eine insulinpflichtige Diabetes Mellitus Erkrankung sowie eine Linksherzinsuffizienz. Der Antragsteller sei eine wesentliche Unterstützung durch Betreuungsleistungen sowie emotional. Er führe den Haushalt, reinige die Wohnung, gehe einkaufen, koche und begleite seine Lebensgefährtin zu Arzt- und Behördenterminen. Gleichzeitig sorge er für die regelmäßige Medikamenteneinnahme sowie die täglich notwendige Injektionstherapie. Auch umgekehrt sei die Lebensgefährtin für den Beschwerdeführer eine wesentliche emotionale Stütze. Weiters legte der Beschwerdeführer eine Kopie seiner Geburtsurkunde samt Übersetzung, eine vollständige Kopie seines Reisepasses und ein Schreiben des Erwachsenenvertreters der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers vor.

6.5.    Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme teilte die Behörde dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK mit und ermöglichte ihm, binnen 2 Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der derzeit vorherrschenden COVID-19 Situation von einer persönlichen Einvernahme Abstand genommen werde und der Beschwerdeführer daher eindringlich ersucht werde, die im Schreiben angeführten Fragen genauestens und gewissenhaft zu beantworten.

6.6.    Am 12.03.2021 langte ein Fristerstreckungsantrag des Beschwerdeführers beim Bundesamt ein.

6.7.    Mit Schreiben vom 01.04.2021 beantwortete der Beschwerdeführer die ihm vom BFA gestellten Fragen. In diesem Zusammenhang gab er unter anderem an, dass er sich seit Jahren in einer Lebensgemeinschaft befinde. Er habe persönlich keine Kinder, aber seine Lebensgefährtin einen Sohn, den der Beschwerdeführer „sehr gern gewonnen“ habe. Der Beschwerdeführer wohne mit seiner Lebensgefährtin in einer Wohnung. Sie bezahle die Miete samt Nebenkosten. Außerdem bekomme der Beschwerdeführer ein Haushaltsgeld und für diverse Hilfstätigkeiten ein kleines Taschengeld, welches beispielsweise für Lebensmitteleinkäufe verwendet werde. Der Beschwerdeführer kümmere sich um seine Lebensgefährtin, die ihr Leben nicht eigenständig führen könne und betrachte sie als (mittlerweile einzige) Familie. Weiters sei der Beschwerdeführer bei einer Gebietskrankenkasse versichert und gehe in Österreich keiner Beschäftigung nach, da er keine Arbeitsbewilligung habe. Monatlich stünden ihm EUR 500,- bis EUR 600,- zur Verfügung. Außerdem übermittelte der Beschwerdeführer einen „arbeitsrechtlichen Vorvertrag“ vom 22.03.2021 und eine Integrationsprüfung auf B1-Niveau vom 24.11.2018.

6.8.    Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 04.08.2021 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 13.11.2020 gemäß § 58 Abs. 10 ASylG zurückgewiesen.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, es sei keine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten. Sowohl die Sprachkenntnisse als auch Umstände der Lebensführung seien unverändert. Es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer private Beziehungen im Bundesgebiet habe. Jedoch sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seine seit Jahren bestehende Ausreiseverpflichtung nicht wahrgenommen habe. Der Beschwerdeführer habe anfänglich einen falschen Namen angegeben, sodass er die Erreichung eines Heimreisezertifikates durch die indische Botschaft unmöglich gemacht habe. Erst nach langem Aufenthalt im Bundesgebiet habe er einen in seinem Besitz befindlichen Reisepass vorgelegt und dennoch die Ausreiseverpflichtung wissentlich missachtet. In seinem Antrag habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er mit einer Frau zusammen sei, die seine Unterstützung aufgrund ihrer Erkrankung brauche.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der soeben wiedergegebene Verfahrensgang wird als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Insbesondere wird Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer hält sich seit Juli 2004 – mit Ausnahme einer etwa fünfmonatigen Unterbrechung von 23.05.2006 bis 10.10.2006 – im österreichischen Bundesgebiet auf.

1.2. Der Beschwerdeführer stellte am 10.03.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK, der mit Bescheid des BFA vom „22.03.2016“ als unbegründet abgewiesen und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen erlassen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.11.2019, zugestellt am 07.11.2019, als unbegründet ab. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der VfGH ab. Der VwGH wies die die erhobene Revision zurück.

Dem hg. Erkenntnis vom 06.11.2019 lagen insbesondere folgende Feststellungen zugrunde:

„Seit Mai 2019 pflegt der BF eine freundschaftliche Beziehung zu einer in Österreich lebenden Frau, die über den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfügt. Eine künftige Eheschließung der beiden ist nicht ausgeschlossen. Der BF lebt mit ihr nicht in einem gemeinsamen Haushalt.“

In der rechtlichen Beurteilung des genannten Erkenntnisses wurde im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK unter anderem zu Gunsten des Beschwerdeführers gewichtet, dass er seit einem halben Jahr eine stärkere Bindung zu einer in Österreich lebenden Frau habe, die über den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU verfüge und mit der er nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebe sowie eine künftige Ehe nicht ausschließe. Das Gewicht der Beziehung sei entsprechend der konkreten Faktoren (kein Zusammenleben, kein Abhängigkeitsverhältnis) bemessen worden.

1.3. Der Beschwerdeführer brachte am 13.11.2020 den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK ein. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass zwischen ihm und der im Erkenntnis vom 06.11.2019 angeführten Frau eine Lebensgemeinschaft sowie ein gemeinsamer Haushalt bestehe. Der Beschwerdeführer kümmere sich um seine Lebensgefährtin, die ihr Leben nicht eigenständig führen könne. Bei der Lebensgefährtin bestünden eine insulinpflichtige Diabetes Mellitus Erkrankung sowie eine Linksherzinsuffizienz. Sie benötige dreimal wöchentlich eine Dialyse und sei nahezu blind. Der Beschwerdeführer sei eine wesentliche Unterstützung durch Betreuungsleistungen sowie emotional. Er führe den Haushalt, reinige die Wohnung, gehe einkaufen, koche und begleite seine Lebensgefährtin zu Arzt- und Behördenterminen. Gleichzeitig sorge er für die regelmäßige Medikamenteneinnahme sowie die täglich notwendige Injektionstherapie. Außerdem habe der Beschwerdeführer den Sohn seiner Lebensgefährtin „sehr gern gewonnen“. Der Beschwerdeführer betrachte seine Lebensgefährtin als (mittlerweile einzige) Familie.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen basieren auf dem vorliegenden Akteninhalt iZm dem Beschwerdevorbingen.

Der unstrittige Verfahrensgang ergab sich aus der Einsicht in das beim Bundesverwaltungsgericht zur Zahl XXXX geführte Verfahren, in den Beschluss des VfGH vom 14.07.2020 zur Zahl XXXX und den Beschluss des VwGH vom 29.09.2020 zur Zahl XXXX sowie aus den vorgelegten Akten der verwaltungsbehördlichen Verfahren und des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens.

Der Umstand, dass die im hg. Erkenntnis vom 06.11.2019 angeführte Frau die nunmehr vorgebrachte Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist, ergab sich aus einem Abgleich der im gegenständlichen Verfahren angegebenen Identitätsdaten der Frau (vgl. AS 661 f., 676, 712) mit jenen aus der im Vorverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 10.10.2019 (vgl. OZ 12 in XXXX ), auf welcher die diesbezüglichen Feststellungen im Erkenntnis vom 06.11.2019 basieren (vgl. S 31 des Erkenntnisses).

Im Übrigen bleibt anzumerken, dass sich die im angefochtenen Bescheid enthaltene Beweiswürdigung (vgl. AS 773) – wie in der Beschwerde zutreffend angemerkt – offenbar auf einen anderen Fall bezieht, zumal dort unter anderem angeführt ist, dass der Beschwerdeführer seit 2017 verheiratet sei, neben der Gattin auch sein Onkel sowie seine Tante „hier“ leben würde, sein Gesundheitszustand ungeklärt sei und er als Zusteller arbeite. Dies steht in augenscheinlichem Widerspruch zum Vorbringen des Beschwerdeführers sowie den damit übereinstimmenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Wenn die belangte Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, ist Sache des Beschwerdeverfahrens lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung (VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.6.2015, Ra 2015/22/0040; VwGH 16.9.2015, Ra 2015/22/0082 bis 0084). Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über die zugrundeliegenden Anträge würde demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).

Gegenstand des nunmehrigen Beschwerdeverfahrens ist daher auf Grund der zurückweisenden Entscheidung in dem im Spruch bezeichneten Bescheid nur, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgte.

3.2. Gemäß § 55 Abs. 1 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; der Grad der Integration; die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden; die strafgerichtliche Unbescholtenheit; Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen (zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten) Grundsätze herangezogen werden können (vgl. VwGH 26.06.2020, Zl. Ra 2017/22/0183). Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 05.09.2008, Zl. 2005/12/0078). Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann bzw. eine andere Entscheidung zumindest möglich ist. Die Behörde hat daher eine Prognose anzustellen, in deren Rahmen die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach jener Wertung zu beurteilen ist, die das geänderte Sachverhaltselement seinerzeit erfahren hat. Dabei sind die nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände einzubeziehen, indem zu beurteilen ist, ob es als ausgeschlossen gelten kann, dass im Hinblick auf früher maßgebliche Erwägungen nun eine andere Beurteilung geboten sein könnte (vgl. VwGH 26.06.2020, Zl. Ra 2017/22/0183). Maßgeblich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 15.12.2020, Ra 2020/21/0444).

3.3. Vorliegend wurden mit dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.11.2019 (zugestellt am 07.11.2019) die mit Bescheid vom „22.03.2016“ gegen den Beschwerdeführer erlassene Rückkehrentscheidung bestätigt. Der jener Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt dient als Vergleichsmaßstab, ob gegenständlich von einem maßgeblich (oder nicht maßgeblich) geänderten Sachverhalt auszugehen ist und daher die Antragszurückweisung zu Unrecht (oder zu Recht) erfolgt ist (vgl. VwGH 26.06.2020, Zl. Ra 2017/22/0183).

In der rechtlichen Beurteilung des gegenständlich angefochtenen Bescheids hält das BFA fest, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht eingetreten sei und sowohl die Sprachkenntnisse als auch die Umstände der Lebensführung unverändert seien. Aufgrund welcher Überlegungen das Bundesamt zu diesem Ergebnis kam, lässt sich dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen.

Bei der Erlassung des hg. Erkenntnisses vom 06.11.2019 pflegte der Beschwerdeführer seit wenigen Monaten eine „freundschaftliche Beziehung“ mit einer in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigten Frau, wobei kein gemeinsamer Haushalt bestand und eine zukünftige Eheschließung nicht ausgeschlossen war. Im Zuge der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK ergab sich die Gewichtung der Beziehungsintensität aufgrund des nicht vorhandenen Zusammenlebens sowie des fehlenden Abhängigkeitsverhältnisses.

Nunmehr bestehe nach dem von der belangten Behörde nicht erkennbar in Zweifel gezogenen Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch eine Lebensgemeinschaft und ein gemeinsamer Haushalt mit dieser Frau. Zudem kümmere sich der Beschwerdeführer – seinem Vorbringen zufolge - um seine Lebensgefährtin, einer nahezu blinden chronischen Dialysepatientin mit Diabetes Mellitus und Linksherzinsuffizienz, die ihr Leben nicht eigenständig führen könne. Der Beschwerdeführer betrachte seine Lebensgefährtin außerdem als seine (mittlerweile einzige) Familie.

Diese vorgebrachte Intensivierung der Beziehung des Beschwerdeführers mit einer in Österreich zum dauernden Aufenthalt berechtigten Person stellt aus Sicht des erkennenden Gerichts eine maßgebliche Änderung seiner in Österreich bestehenden familiären Interessen dar, die sohin eine neuerliche Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK erfordern würde. Zumal nunmehr ein gemeinsamer Haushalt und mögliches Abhängigkeitsverhältnis bestehe, kann eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden bzw. ist eine andere Entscheidung zumindest möglich.

Auch die belangte Behörde nimmt in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides insbesondere wiederholt auf die beharrliche Missachtung der Ausreiseverpflichtung durch den Beschwerdeführer Bezug und führt die Verhinderung der Erlangung eines Heimreisezertifikats durch seine anfängliche Nennung eines falschen Namens an. Ferner kam sie im Ergebnis zu dem Schluss, dass die persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich nicht schwerer wögen als die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und nimmt damit im Ergebnis eine Interessenabwägung vor. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass dieser vom BFA bereits vorgenommenen Beurteilung seiner familiären Interessen in inhaltlicher Hinsicht nicht von vornherein entgegenzutreten war, allerdings unterstreicht die Vornahme ebendieser Beurteilung durch die belangte Behörde, dass im gegenständlichen Fall eine neuerliche inhaltliche Prüfung des Privat- und Familienlebens erforderlich ist.

In Anbetracht dessen hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 14.12.2020 zu Unrecht gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen. Im fortzusetzende Verfahren wird das Bundesamt in weiterer Folge eine inhaltliche Prüfung des vorliegenden Antrags vorzunehmen haben.

Der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid war daher stattzugeben und dieser ersatzlos zu beheben.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung.

Eine mündliche Verhandlung kann gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2).

Im Zusammenhang mit einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 nicht einschlägig, sondern die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG 2014 zu beurteilen. Demnach kann eine Verhandlung (unter anderem) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist (vgl. VwGH 29.03.2021, Ra 2017/22/0196).

Da bereits aufgrund der Aktenlagen feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG unterbleiben.

Zu B)   Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Ausreiseverpflichtung geänderte Verhältnisse gemeinsamer Haushalt Intensität Lebensgemeinschaft Privat- und Familienleben Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W205.2153368.2.00

Im RIS seit

14.01.2022

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2022
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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