TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/16 W111 1400680-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.11.2021
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Entscheidungsdatum

16.11.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W111 1400680-4/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Dajani, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch: XXXX Rechtsanwälte, XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2019, Zl. 451369506-190459395, zu Recht erkannt:

A) I. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VII. des angefochtenen Bescheides wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

II. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste zusammen mit seiner Ehefrau, seiner Schwiegermutter und seinen beiden Schwägerinnen illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.02.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er in der am gleichen Datum abgehaltenen Erstbefragung damit begründete, im Herkunftsstaat wiederholt Festnahmen durch maskierte Männer erlebt zu haben und zu befürchten, im Falle einer Rückkehr getötet zu werden.

Dieser Antrag wurde zunächst mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.07.2008 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 aufgrund einer Zuständigkeit Frankreichs nach Art. 12 iVm 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung zurückgewiesen und es wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Frankreich ausgesprochen.

In Stattgabe einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde behob der Asylgerichtshof jene Erledigung mit Erkenntnis vom 30.07.2008, Zahl S1 400.680-1/2008/2E, gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 16.01.2009 eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, in welcher er seine Fluchtgründe darstellte.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.03.2009, Zahl 08 01.621-BAT, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

In der Begründung beurteilte das Bundesasylamt die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe sowie eine diesem im Herkunftsstaat drohende individuelle Verfolgung angesichts seiner unsubstantiierten und vagen Ausführungen als nicht glaubhaft. In Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ausgeführt, es sei aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seiner Schwiegermutter, welche zudem aufgrund der vorliegenden Minderjährigkeit der Ehefrau des Beschwerdeführers nach wie vor deren gesetzliche Vertreterin sei, von einer Ausweisung des Beschwerdeführers und den weiteren Familienmitgliedern derzeit abzusehen gewesen. Der minderjährigen – mit diesem nach moslemischen Recht verheirateten – Ehefrau des Beschwerdeführers sowie dessen in Österreich geborener Tochter sei mit Bescheiden vom 02.03.2009 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden, sodass auch dem Beschwerdeführer als Ehepartner und Vater der Genannten der gleiche Schutzumfang zu gewähren gewesen sei.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.07.2012, Zahl D1 400680-2/2009/9E, wurde die gegen Spruchpunkt I. des dargestellten Bescheides eingebrachte Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Gleichlautende Entscheidungen ergingen in den Verfahren der Ehefrau und der minderjährigen Tochter des Beschwerdeführers.

Begründend hielt der erkennende Senat des Asylgerichtshofes fest, dass der Beschwerdeführer aufgrund der insgesamt vagen, unschlüssigen und unplausiblen sowie teilweise widersprüchlichen Darstellung des behaupteten Fluchtgrundes eine ihm im Herkunftsstaat zum Entscheidungszeitpunkt drohende asylrelevante Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können.

3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter wurde regelmäßig, zuletzt mit – gemäß § 58 Abs. 2 AVG nicht näher begründetem – Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018 für den Zeitraum bis 23.09.2020 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.

4. Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 148a Abs. 1, 148a Abs. 2 erster und zweiter Fall StGB, § 15 StGB, § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden ist.

5. Am 07.03.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im gegen seine Person eingeleiteten Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Beisein eines Dolmetschers für die russische Sprache niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, er spreche muttersprachlich Tschetschenisch, außerdem beherrsche er Russisch sowie Deutsch auf dem Niveau B1. Er sei gesund, benötige keine Medikamente und habe in den bisherigen Einvernahmen der Wahrheit entsprechende Angaben erstattet. In Österreich habe er als Security, Lagerarbeiter, auf Baustellen und als Maurer gearbeitet. Seinen Lebensunterhalt habe er durch den Bezug von Familienbeihilfe sowie seine Erwerbstätigkeit bestritten. Zuletzt habe er mit seiner Frau und seinen vier Kindern in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt. Seine Frau habe er in Tschetschenien traditionell und in Österreich standesamtlich geheiratet. Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft sei es wichtig für ihn, zu arbeiten, damit seine Kinder zur Schule gehen könnten. Die Straftat sei die erste in seinem Leben und eine Lehre für ihn gewesen. Neben seiner (Kern)Familie befänden sich in Österreich seine Schwiegereltern, vier Schwestern seiner Frau, sowie ein Cousin und eine Schwester des Beschwerdeführers. Die Frage, ob zu seinen Angehörigen ein Abhängigkeitsverhältnis in finanzieller Hinsicht oder wegen einer Pflegebedürftigkeit bestehe, wurde vom Beschwerdeführer verneint; sie würden einander regelmäßig besuchen. Das Sorgerecht für die vier Kinder komme seiner Frau und ihm gemeinsam zu. Er hätte einen Freundeskreis in Österreich. In Tschetschenien würden noch seine Eltern sowie ein Onkel und eine Tante leben, mit welchen er den Kontakt während seines Aufenthaltes in Österreich aufrechterhalten habe und welche davon berichtet hätten, dass die Lage in der Heimat unmöglich sei und es dort kein freies Leben gebe; damit meine er, dass er dort nichts lernen und keine Arbeit finden könnte. Nach wie vor komme es dort zur Tötung von Menschen.

Auf die Frage nach den aktuell einer Rückkehr in die Russische Föderation entgegenstehenden Gründen wiederholte der Beschwerdeführer, dort für sich und seine Familie keine Möglichkeit zu leben zu sehen. Außerdem fürchte er, dass man ihn auch jetzt noch für den Fehler von damals bestrafen werde. Seine Eltern würden immer sagen, er solle in Österreich bleiben, da dies sicherer für ihn und seine Familie sei. Im Falle einer Abschiebung würde er sofort von Leuten des Kadyrow in Empfang genommen werden. Eine Abschiebung wäre der sichere Tod für ihn. Die Frage, ob er von russischen Behörden oder den Gefolgsleuten von Kadyrow gesucht werde, bejahte der Beschwerdeführer. Angesprochen auf seinen russischen Auslandsreisepass erklärte der Beschwerdeführer, er sei nie auf einer Botschaft gewesen und könne sich nicht erinnern, wo er den Pass herhätte. Der Beschwerdeführer würde eine freiwillige Rückkehr einer Abschiebung vorziehen, er ersuche jedoch um eine weitere Chance; er bereue seine Tat und sehe keine Zukunft in Russland.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 02.03.2009 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die mit Bescheid vom 11.09.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt VII.).

Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers geändert hätte und dieser im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Gefährdungs- oder Bedrohungslage zu befürchten hätte. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei ursprünglich im Rahmen eines Familienverfahrens erfolgt, zumal seine damals minderjährige Ehefrau wegen der Krankheit ihrer Mutter subsidiären Schutz, ebenfalls im Familienverfahren, erhalten hätte. Hierzu sei festzuhalten, dass im Falle des Beschwerdeführers korrekterweise nie die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung im Familienverfahren vorgelegen hätten, zumal § 34 Abs. 6 AsylG 2005 eine Weitergabe von selbst im Familienverfahren erhaltenem Schutz ausschließe, wobei die Behörde diesen Umstand aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung und mehrfachen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht als Grund für eine Aberkennung heranziehen könne. Jedoch sei neben der Straffälligkeit des Beschwerdeführers eine Änderung sowohl seiner subjektiven Lage als auch der objektiven Gegebenheiten in seinem Herkunftsstaat eingetreten. Den Länderberichten sei keine allgemeine Gefahrenlage aufgrund eines Bürgerkrieges zu entnehmen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei mittlerweile volljährig und seine Schwiegermutter sei nicht mehr in einem Ausmaß erkrankt, welches die Gewährung subsidiären Schutzes erforderlich werden ließe. Überdies habe der Beschwerdeführer sich durch die im Jahr 2015 erfolgte Ausstellung eines russischen Auslandsreisepasses selbst wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt. Eine aktuelle Gefährdungslage des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat sei nicht ersichtlich, sodass er den Schutz des Aufnahmestaates nicht mehr benötige.

Der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestreiten und würde ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Der Beschwerdeführer, welcher mit Sprache und Kultur seines Heimatlandes vertraut sei, habe nach wie vor Angehörige in Tschetschenien, von deren Seite ihm nach einer Rückkehr Unterstützung zu Teil werden könne, zudem sei er gesund und zur Teilnahme am Erwerbsleben fähig. Konkrete Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in die Russische Föderation dem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde, lägen nicht vor, sodass der Schutzstatus abzuerkennen und die befristete Aufenthaltsberechtigung zu entziehen gewesen sei.

Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 seien im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Beschwerdeführer sei verheiratet und habe vier Kinder, wobei zuletzt eine gemeinsame Meldeadresse vorgelegen hätte, sodass von einem aufrechten Familienleben ausgegangen werde. Überdies bestünde keine Abhängigkeit zu seiner Verwandtschaft oder seinen Kindern. Seiner Frau und seinen Kindern wäre es möglich, den Beschwerdeführer in die Russische Föderation zu begleiten und das gemeinsame Familienleben dort fortzusetzen. Der Beschwerdeführer sei laut einem vorliegenden Versicherungsdatenauszug seit dem rund zehn Jahre zurückliegenden Zeitpunkt der Schutzgewährung insgesamt lediglich zehn Monate einer beruflichen Tätigkeit nachgegangen. Dieser habe sich Deutschkenntnisse angeeignet und ginge aktuell einer Arbeit nach, andere Bindungen zu Österreich hätte er jedoch nicht vorgebracht. Das Gewicht der familiären und privaten Bindungen werde durch die begangene Straftat relativiert und es würden aus diesem Grund die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen, sodass sich ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers als verhältnismäßig erweise. Die vorliegende Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten indiziere gemäß § 53 Abs. 3 FPG das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und es sei aufgrund der vom Beschwerdeführer verursachten, nur marginal unter EUR 300.000,- liegenden, Schadenshöhe eine Dauer des Einreiseverbotes von sieben Jahren gerechtfertigt, zumal auch der Tatzeitraum von rund zweieinhalb Jahren deutlich zeige, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seiner Lebensumstände in Österreich, sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte ergebe, dass die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angeführten Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, um der von ihm ausgehenden schwerwiegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu begegnen.

7. Mit am 04.06.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht Beschwerde eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Rückführung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation würde entgegen den Feststellungen der Behörde eine maßgebliche Gefährdung für diesen bedeuten.

Die Behörde habe ihrer Entscheidung unzureichende Länderberichte zugrunde gelegt, sodass auf ergänzendes Berichtsmaterial zur Lage von Rückkehrern, zur Kollektivbestrafung von Verwandten mutmaßlicher Rebellen, zur allgemeinen Menschenrechts- und Sicherheitslage, zu aus Russland stammenden IS-Kämpfern und zur Situation von Tschetschenen in der Russischen Föderation verwiesen wurde. Bei richtiger Würdigung hätte die Behörde zur Feststellung gelangen müssen, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage jedenfalls eine Verletzung in seinen nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten drohe. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer Verwandte in Tschetschenien hätte, habe bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung subsidiären Schutzes im Jahr 2009 vorgelegen und stelle demnach keine Änderung seiner subjektiven Lage dar. Ebensowenig sei die zwischenzeitliche Volljährigkeit der Ehefrau, welche überdies auch schon zur Zeit der Verlängerungsbescheide vorgelegen hätte, ein Grund für eine Aberkennung. Wie die Behörde zur Feststellung gelange, dass sich der Gesundheitszustand der Schwiegermutter des Beschwerdeführers gebessert hätte, bleibe unklar. Die Ehefrau und Schwiegermutter seien nach wie vor subsidiär schutzberechtigt, sodass sich an der relevanten Lage nichts geändert hätte. Die Erlangung eines Auslandsreisepasses bilde keine Grundlage für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid entgegen richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 (Art. 16 Abs. 2 der Statusrichtlinie) eine grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes geführt hätten, nicht aufgezeigt. Da eine Änderung der individuellen Gefährdungsprofile des Beschwerdeführers nicht eingetreten sei und auch eine maßgebliche Änderung der allgemeinen Situation im Herkunftsland zu Lasten des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden könne, seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht erfüllt und der angefochtene Bescheid daher ersatzlos zu beheben.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erscheine bei einer korrekten Interessensabwägung als unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer lebe seit 2008 mit seiner Ehefrau in Österreich und führe mit dieser und den vier gemeinsamen ebenfalls subsidiär schutzberechtigten Kindern ein schützenswertes Familienleben. Er befinde sich in aufrechten Arbeitsverhältnissen, spreche bereits sehr gut Deutsch und habe zahlreiche Angehörige in Österreich. Die Straftaten des Beschwerdeführers seien unbestritten und sollen nicht verharmlost werden, es sei jedoch unrichtig, dass dieser eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Hinsichtlich seiner Straffälligkeit zeige der Beschwerdeführer vollständige Reue. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde beantragt.

Beiliegend übermittelt wurden ein Sozialversicherungsdatenauszug vom 27.05.2019, ein Dienstvertrag, Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen (zuletzt auf dem Niveau B1 im November 2012), Deutschzertifikate auf dem Niveau A2 und B1 aus den Jahren 2011/2012, sowie ein ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau A2 aus September 2016.

8. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 17.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einer Stellungnahme zur Beschwerde vom 07.06.2019 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, die in der Beschwerde nicht substantiiert vorgebrachten Sachverhalte könnten die im Bescheid getroffenen Feststellungen und Würdigungen nicht ändern, weshalb beantragt werde, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

9. Mit Erkenntnis vom 04.06.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. des bekämpften Bescheides als unbegründet ab und gab ihr hinsichtlich des Spruchpunktes VII. mit der Maßgabe statt, dass die Dauer des Einreiseverbots auf drei Jahre herabgesetzt werde. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für unzulässig erklärt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auch den Familienangehörigen des Beschwerdeführers der Status der subsidiär Schutzberechtigten jeweils im Familienverfahren zuerkannt und keine individuelle Gefährdung festgestellt worden sei. Es könne daher grundsätzlich nicht als unzumutbar erachtet werden, dass diese den Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat begleiten und das Familienleben mit ihm dort fortsetzen. Alternativ stehe es dem Beschwerdeführer offen, den Kontakt mit seiner Familie telefonisch, über das Internet sowie allenfalls über Besuche in Drittstaaten aufrechtzuerhalten, wobei der Beschwerdeführer die Möglichkeit haben werde, sich nach Ablauf des Einreiseverbots nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts um einen legalen Zuzug nach Österreich zu bemühen. Die Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl würden sich nicht als derartig schwerwiegend darstellen, dass sie eine Rückkehrentscheidung von vornherein als unzulässig erscheinen ließen. Im Ergebnis würden die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung insbesondere aufgrund dem strafrechtlichen Fehlverhalten des Beschwerdeführers überwiegen.

10. Dagegen wurde eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gerichtet, die sich zur Zulässigkeit und in der Sache gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK richtet und vorbringt, das BVwG habe den zahlreichen Umständen, die für ein schützenswertes Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sprechen würden, ohne nachvollziehbare Begründung erheblich weniger Gewicht beigemessen als seiner einmaligen Verurteilung. Zudem stütze sich das angefochtene Erkenntnis betreffend die Situation in der Russischen Föderation auf unzureichende Feststellungen und veraltete Länderberichte. Dem damit verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss vom 14.12.2020 stattgegeben.

11. Mit Urteil vom 14.04.2021 hat er Verwaltungsgerichtshof die Revision, insoweit sie sich gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen richtet, wegen Nicht-Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BV-G zurückgewiesen. Im Übrigen wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensschriften aufgehoben.

Begründend führte der VwGH aus, das BVwG habe die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet von über zwölf Jahren, in denen er sich ein schützenswertes Familienleben aufgebaut hat, sowie die Frage des Kindeswohls der vier Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren in seiner Gesamtabwägung unzureichend beachtet. Eine Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind, wie den jüngeren Kindern des Beschwerdeführers, sei kaum möglich und komme dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332, mwN). Der bloße Verweis auf die Möglichkeit, den Kontakt telefonisch, über das Internet oder Besuche in Drittstaaten aufrechtzuerhalten, sei fallbezogen demnach nicht geeignet, um ausreichend zu begründen, dass sich die Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl nicht als derart schwerwiegend darstellen würden, als dass sie eine Rückkehrentscheidung unzulässig erscheinen ließen. Die Annahme des BVwG, wonach den Kindern zugemutet werden könne, den Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat zu begleiten, weil ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht aufgrund einer individuellen Gefährdungslage, sondern nach den Bestimmungen des Familienverfahrens zuerkannt worden sei vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die Kinder alle in Österreich geboren wurden, sodass unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls dazu die Auswirkungen einer Übersiedelung in die Russische Föderation für die vier Kinder zu prüfen gewesen wären. Es sei nicht auszuschließen, dass das BVwG nach näherer fallbezogener Auseinandersetzung mit dem Kindeswohl und der langen rechtmäßigen Aufenthaltsdauer zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Beendigung seines Aufenthalts überwiegt. Eine den hg. Anforderungen entsprechende Auseinandersetzung werde hierbei der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedürfen, da gegenständlich kein solch eindeutiger Fall vorliege, der ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung rechtfertigen würde.

12. Am 06.10.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie ein Dolmetscher für die russische Sprache teilgenommen haben. Ein/Eine Vertreter/in des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist unentschuldigt ferngeblieben.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich, wie folgt:

R befragt den BF, ob dieser psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen bzw. ob irgendwelche Hindernisgründe vorliegen. Ferner wird der BF befragt, ob bei ihm (chronische) Krankheiten und/oder Leiden vorliegen.

BF: Es liegen keine physischen und psychischen Hindernisgründe für die heutige Verhandlung vor.

Der BF gibt an, der Verhandlung folgen zu können.

Eröffnung des Beweisverfahrens

R weist BF auf die Bedeutung dieser Verhandlung hin und ersucht, die Wahrheit anzugeben. Der BF wird aufgefordert nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen und belehrt, dass unrichtige Angaben bei der Entscheidungsfindung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind. Ebenso wird auf die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes hingewiesen und dass auch mangelnde Mitwirkung bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen ist.

Auf eine Verlesung des Akteninhaltes wird unter Zustimmung des BF verzichtet. Der Verfahrensakt wird zum Bestandteil des Verfahrens erklärt.

R erteilt eine Belehrung über den Verfahrensstand bzw. über die rechtliche Lage.

R an BF und RV: Haben Sie bisher Fragen?

BF und RV: Keine Fragen.

Beginn der Befragung von BF:

R: Bitte schildern Sie mir Ihren Lebenslauf, soweit er sich auf Ihr Leben in Österreich bezieht.

BF: Ich kam 2008 nach Österreich, damals hatte ich noch keine Kinder. Im Jahr 2009 kam mein erstes Kind hier in Österreich auf die Welt. Wir waren zusammen, die Mutter meiner Frau und drei Schwestern meiner Frau. Wir sind zusammengekommen. Ich habe meine Frau in Tschetschenien kennengelernt. Die Mutter meiner Frau und zwei Töchter von ihr, meine Schwägerinnen haben zuerst Dokumente bekommen. Damals war meine Frau noch minderjährig und ich habe ein Dokument bekommen, weil meine Frau noch nicht volljährig war. Meine Frau hat ein Dokument bekommen, weil ihre Mutter diesen Status erhalten hat. Sobald ich den Flüchtlingsstatus (R: gemeint wohl subsidiärer Schutz) hatte, begann ich mit Kursen und Arbeit. Im Jahr 2009 kam die erste Tochter auf die Welt. Wir wohnten im XXXX Bezirk. Wie alle die hierherkommen, habe ich mich dann beim AMS registrieren lassen und erhielt die Möglichkeit einen Deutschkurs zu besuchen. Ich habe drei Kurse abgeschlossen, A2 und A2 Plus und als letzten Kurs den B1. Gleichzeitig fand ich eine Arbeitsstelle, ich arbeitete dann bei verschiedenen Firmen, wie zum Beispiel: zuerst erhielt ich eine Arbeit als Lagerarbeiter, dann fand ich eine Arbeit bei einem Security-Dienst. So ging das immer weiter und danach machte ich dann Lieferungen. Derzeit arbeite ich als Lagerkommissionierer. Ich hatte in den 13 Jahren keinerlei Probleme hier, ich habe nur einen einzigen Fehler gemacht, den ich sehr bedauere. Diesen Fehler werde ich nie mehr in meinem Leben wiederholen. Ich habe verstanden, dass mein Leben nicht so verlaufen soll.

R: Was ist da passiert?

BF: Man hat mich getäuscht mit Versprechungen vom raschen Geld und einem leichten Leben, ich wurde Opfer eines Betrugs.

R: So wie Sie es mir gerade erzählen, scheint es so, als wenn Sie das Opfer gewesen wären? Warum wurden Sie dann vorbestraft?

BF: Ja, ich habe das auch bei Gericht gestanden. Ich habe auch diesen Fehler begangen und bin ein Betrüger gewesen. Ich habe Telefone bestellt, Notebooks etc. Ich habe Bestellungen aufgegeben. Ich habe zuerst den halben Preis bezahlt, die Ware entgegengenommen und dann habe ich die Waren verkauft. Nachgefragt: Ich habe vor der Bestellung die Hälfte bezahlt und dann nicht alles, was ich hätte bezahlen müssen, bezahlt. Es wurde so akzeptiert und dann wurde ich verhaftet. Ich habe die Bestellungen über verschiedenen Namen bestellt. Ich bin deswegen fünf Monate im Gefängnis gesessen.

R: Bitte fahren Sie mit den Schilderungen Ihrer familiären Bindungen fort.

BF: Es kamen noch weitere vier Kinder. Ich hatte fünf Kinder, ein Kind starb im Jahr 2012 im Alter von drei Jahren, durch einen Unfall. Wir hatten alle Fenstergriffe abmontiert, aber leider schaffte es das Kind innerhalb von 30 Sekunden zum Fenster zu gelangen und fiel dann herunter.

R: Sie sind jetzt mehr als 10 Jahre in Österreich. Wenn Sie alle Zeiten Ihrer Beschäftigungen zusammenzählen, wie lange waren Sie beschäftigt und wie lange waren Sie arbeitslos?

BF: Ich fand fast jedes Jahr, wenn ich keine Deutschkurse hatte, eine Arbeit. Ich hatte immer einige Monate Arbeit: drei Monate, fünf Monate –dann wieder nicht. Nachgefragt: In der ersten Zeit musste ich die Sprache lernen. Wenn es nicht die Hälfte der Zeit war, dann war es sicher ein Drittel wo ich gearbeitet und die Deutschkurse besucht habe.

R: Wie viele Monate bzw. Jahre, haben Sie insgesamt in Österreich gearbeitet?

BF: Das waren ca. um die fünf Jahre.

RV: Ich reiche einen SV-Datenauszug innerhalb von 14 Tagen nach. BF führt fort: Ich kann nicht sagen, ob es fünf Jahre ohne Kurse waren.

R: Es waren aber mehr als drei Jahre?

BF: Ja. Derzeit habe ich Arbeit und die Firma bietet mir einen Vertrag an, dass ich bei ihnen weiterarbeiten könnte.

R: Was machen Ihre Kinder?

BF: Die ältere Tochter geht ins Gymnasium (im XXXX Bezirk, XXXX ) und sie besucht dieses Gymnasium mit ausgezeichnetem Erfolg, ich helfe ihr auch immer. Die zweite Tochter geht in die zweite Klasse der Volksschule. Mein erster Sohn geht in die erste Klasse der Volksschule. Meine dritte Tochter geht in den Kindergarten.

R: Welche Tätigkeit geht Ihre Frau nach?

BF: Derzeit ist sie arbeitslos. Sie hatte wenig Arbeitszeiten, weil sie immer schwanger war. Ich habe meiner Familie geholfen, ich habe meine Kinder in die Schule und den Kindergarten gebracht, damit meine Frau etwas lernen kann.

R: Wo wohnen Sie gegenwärtig?

BF: In der XXXX im XXXX Bezirk.

R: Wie finanzieren Sie den Unterhalt Ihrer Familie?

BF: Nach meinen finanziellen Möglichkeiten, wenn ich in einem Monat 400 Euro geben kann, dann kann ich im nächsten Monat 500 Euro geben. Ich hatte einmal eine Wohnung gemietet extra, weil ich auch Erholung nach der Arbeit brauche –die hatte ich auch. Die Wohnung in der meine Familie lebt ist klein, deshalb habe ich eine getrennte Wohnung gemietet.

R: Wie finanzieren Sie dann Ihre Familie?

BF: Sie erhalten Sozialhilfe vom Staat, von der Caritas. Nachgefragt: Ich verdiene ca. 1.600 Euro. Wenn ich viele Stunden zusammenbekomme (Überstunden), dann habe ich ein höheres Gehalt, ich komme aber mindestens auf 1.400 Euro. Nachgefragt: Ich habe ein Auto, eine Wohnung, eine Familie –ich teile die Beträge auf diese Zwecke auf. Einen Teil für die Familie, einen anderen Teil für das Auto, die Wohnung. Es geht auch viel weg für Auto und Wohnung. Nachgefragt: Das Auto brauche ich für die Arbeit, ich arbeite in XXXX , in XXXX .

R: Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrer Familie gegenwärtig beschreiben?

BF: Ich habe eine sehr gute Beziehung zu meiner Familie, es gibt zwischen uns überhaupt keine Probleme. Ich habe diese Wohnung wirklich nur gemietet, weil ich eine schwere Arbeit hatte. Wenn ich nicht zumindest fünf Stunden Erholung habe, dann kann ich nicht konzentriert zur Arbeit gehen. Die andere Zeit verbringe ich immer mit der Familie, mit den Kindern. In der anderen Wohnung schlafe ich nur. Nachgefragt: Die zweite Wohnung habe ich noch, sie ist ca. 300 Meter entfernt.

RV: Arbeiten Sie auch in der Nacht?

BF: Ja, ich arbeite in einem Schichtbetrieb.

R: Sprechen Sie die Deutsche Sprache?

BF auf Deutsch: Ja.

R: Bitte stellen Sie sich auf Deutsch bei mir vor.

BF; Ich heiße XXXX , ich komme aus Tschetschenien. Ich bin 35 Jahre alt. In Österreich bin ich 2008 gekommen und bin mehr als 10 Jahre in Österreich. Ich arbeite in XXXX als Kommissionierer und Lagerarbeiter.

R: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF: In meiner Freizeit gehe ich immer mit der Familie spazieren und ich habe hier Bekannte, zwei Brüder und zwei Schwestern. Ich mache Sport, ich spiele Fußball und gehe auch Trainieren. Ich spiele auch Gitarre, das ist mein Hobby.

Anmerkung: In den folgenden Fragen wird wieder die Befragung mit Hilfe des D durchgeführt.

R an RV: Möchten Sie Unterlagen vorlegen?

RV legt vor:

- Konvolut an Lohnabrechnungen (in Kopie zum Akt genommen)

RV gibt an, dass sich aus dem Erkenntnis des BVwG (Seite 4) bereits ergibt, dass der BF ein B1 Deutschzeugnis hätte. (Diese Zeugnisse werden ebenso in Kopie zum Akt genommen)

Vorgelegt wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, betreffend RF vom 05.10.2021.

RV verzichtet auf eine Stellungnahme.

R an BF: Welche Kontakte haben Sie in Ihrer Heimat?

BF: Außer meinem alten Vater, habe ich dort mit niemanden Kontakt. Ich habe dort überhaupt nichts.

R: Sprechen Ihre Kinder russisch oder tschetschenisch?

BF: Nur Deutsch.

R: Sie sprechen mit Ihren Kindern nur Deutsch und kein Tschetschenisch?

BF: Sie verstehen Tschetschenisch. Wir reden mit den Kindern oft Deutsch. Wir sprechen auch oft tschetschenisch, sie verstehen uns aber sie antworten dann auf Deutsch. Ihr tschetschenisch ist sehr mangelhaft, russisch sprechen sie kein Wort.

R an BF: Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

BF: Wegen diesen Fehler, den ich begangen habe, habe ich mein Dokument verloren. Das war der einzige Fehler, den ich in den 35 Jahren begangen habe. Ich musste fünf Monate unbedingt absitzen, ich musste nichts zurückzahlen –man hat mir nicht gesagt, dass ich etwas zurückzahlen musste.

R an RV: Haben Sie Fragen an den BF?

RV: Wie sprechen Ihre Kinder untereinander?

BF: Deutsch.

R: Wie viel Zeit verbringen Sie mit Ihren Kindern wenn Sie nicht in der Arbeit sind?

BF: Die ganze Freizeit.

R: Helfen Sie Ihrer Frau auch im Haushalt?

BF: Ich helfe gerne im Haushalt.

RV: Keine weiteren Fragen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Der Beschwerdeführer reiste im Februar 2008 zusammen mit seiner damals minderjährigen Ehegattin, seiner Schwiegermutter und weiteren Angehörigen illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.02.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.03.2009, Zahl 08 01.621-BAT, im Umfang der Gewährung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 8 Abs. 1 iVm 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt, welche zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2018 für den Zeitraum bis 23.09.2020 verlängert wurde.

1.2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für XXXX vom XXXX , Zahl XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach §§ 148a Abs. 1, Abs. 2 erster und zweiter Fall, 15 StGB sowie der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfzehn Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden ist.

Der Verurteilung lag im Wesentlichen zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 02.05.2016 bis 22.10.2018 gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, näher angeführten Unternehmen dadurch, dass er an einer Datenverarbeitungsanlage das Ergebnis der automationsunterstützten Datenverarbeitung durch Eingabe von Daten beeinflusste, indem er sich bei zumindest 1.015 Onlinebestellungen unter falschem Namen als Kunde registrierte, Lieferungen von Waren veranlasste, die Lieferungen dann via Post-App auf anonyme Postabholstationen umleitete und die Waren abholte, am Vermögen geschädigt bzw. zu schädigen versucht und durch die Tat einen Schaden von gesamt EUR 293.059,23, somit einen EUR 5.000,- übersteigenden Schaden, herbeigeführt hat. Zudem hat der Beschwerdeführer ab einem nicht feststellbaren Zeitpunkt bis zum 24.10.2018 unbare Zahlungsmittel – nämlich eine Bankomatkarte und eine Kreditkarte –, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt, indem er sie bei sich verwahrte.

Im Rahmen der Strafbemessung wertete das Landesgericht das reumütige Geständnis, die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, sowie den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei, als mildernd, als erschwerend hingegen wurden die Tatwiederholung im Rahmen der Gewerbsmäßigkeit, der hohe Schadensbetrag sowie das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen gewertet.

1.3. Mit Bescheid vom 08.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt sowie die mit Bescheid vom 11.09.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen und kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei und eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 04.06.2020, W111 1400680-4/5E hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. als unbegründet abgewiesen. Die Dauer des Einreiseverbotes wurde auf drei Jahre herabgesetzt.

In weiterer Folge wurde eine außerordentliche Revision an den VwGH erhoben, welche mit rechtskräftigem Urteil vom 14.04.2021 hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III wegen Nicht-Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BV-G zurückgewiesen wurde. Im Übrigen wurde das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensschriften aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt, die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet von über zwölf Jahren, in denen er sich ein schützenswertes Familienleben aufgebaut hat, sowie die Frage des Kindeswohls der vier Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren sei in seiner Gesamtabwägung unzureichend beachtet worden.

1.4. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2020, W111 1400680-4/5E, ist hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. in Rechtskraft erwachsen.

1.5. Der Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehegattin und deren vier gemeinsamen minderjährigen Kindern, welche ebenfalls russische Staatsangehörige und im Bundesgebiet subsidiär schutzberechtigt sind. Alle vier Kinder wurden in Österreich geboren, besuchen hier die Schule bzw. den Kindergarten und sprechen sehr gut Deutsch, hingegen kein Russisch und kaum Tschetschenisch. Das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinen Kindern ist sehr gut, so verbringt er den Großteil seiner Freizeit gemeinsam mit seiner Familie, er ist auch unterstützend im Haushalt tätig. Desweiteren halten sich im Bundesgebiet die Schwiegereltern, vier Schwägerinnen, ein Cousin sowie zwei Schwestern, zwei Brüder und ein Neffe des Beschwerdeführers auf. Zu diesen Angehörigen liegt jeweils eine Beziehung, wie sie zwischen Verwandten dieser Art üblich ist, jedoch kein spezielles Abhängigkeitsverhältnis vor. Der Beschwerdeführer hält sich seit nunmehr über 12 Jahren im Bundesgebiet auf, er verfügt über keine wesentlichen Beziehungen mehr zu seinem Herkunftsland. Der Beschwerdeführer hat die deutsche Sprache auf dem Niveau B1 erlernt. Er hat sich seit der Zuerkennung des Schutzstatus im März 2009 für eine Dauer von zusammengerechnet rund 16 Monaten in Beschäftigungsverhältnissen befunden und seinen Lebensunterhalt im Übrigen durch den Bezug staatlicher Unterstützungsleistungen bestritten. Seit dem 31.03.2021 arbeitet der Beschwerdeführer als Kommissionierer und Lagermitarbeiter in XXXX und verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von mindestens EUR 1.400,-. Die letzten 15 Monate, seit seiner Haftentlassung, hat sich der Beschwerdeführer weiterhin wohl verhalten.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Aufgrund des im Verfahren über seinen Antrag auf internationalen Schutz vorgelegten russischen Inlandspasses und Führerscheins wird in Übereinstimmung mit den Erwägungen im Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.07.2012 von einer feststehenden Identität des Beschwerdeführers ausgegangen.

2.2. Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie die im Akt einliegende Urteilsausfertigung. Dass sich der Beschwerdeführer reumütig geständig gezeigt hat, ergibt sich aus den im Urteil angeführten Milderungsgründe sowie aus seinem Verhalten in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.3. Die Feststellungen über das Privat- und Familienleben und die bisher getätigten Integrationsschritte des Beschwerdeführers ergeben sich aus den im Akt einliegenden Unterlagen und aus seinen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Dass sich der Beschwerdeführer Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet hat ergibt sich aus den vorgelegten Deutsch-Zertifikaten. Außerdem konnte er im Rahmen der mündlichen Verhandlung einige Fragen auf Deutsch beantworten. Die Feststellungen zu seiner beruflichen Tätigkeit und seinem Einkommen ergeben sich aus den vorgelegten Lohnabrechnungen sowie aus dem Versicherungsdatenauszug vom 07.10.2021.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.06.2020, W111 1400680-4/5E, hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. in Rechtskraft erwachsen ist. Verfahrensgegenständlich ist daher lediglich die Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VII.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK:

3.2.1. Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Nr. 6833/74, Marckx).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gegen Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessensabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.

3.2.2. Der Beschwerdeführer ist seit 2008 im österreichischen Bundesgebiet aufhältig und hat sich mittlerweile nachhaltig in die österreichische Gesellschaft integriert. Im Bundesgebiet befinden sich auch die Ehegattin des Beschwerdeführers sowie deren vier gemeinsame minderjährige Kinder, mit welchen der Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Haushalt wohnt und ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führt. Seine Ehefrau und die in den Jahren 2008, 2014, 2015 und 2016 geborenen Kinder sind ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation und in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Der Beschwerdeführer verfügt über einige Bekannte in Österreich, auch zwei Brüder sowie zwei Schwestern des Beschwerdeführers leben in Österreich. Alle vier Kinder des Beschwerdeführers wurden in Österreich geboren und sprechen die deutsche Sprache. Die Kinder beherrschen kein Russisch, deren Tschetschenisch ist mangelhaft. Die älteste Tochter des Beschwerdeführers besucht ein Gymnasium, zwei Kinder besuchen die Volksschule, die jüngste Tochter den Kindergarten. Der Beschwerdeführer ist erwerbstätig und verfügt über mindestens EUR 1.400,- netto monatlich; gegebenenfalls auch mehr durch die Ableistung von Überstunden. Das Verhältnis zu seiner Frau und seinen Kindern ist gut, so verbringt er seine Freizeit gemeinsam mit seiner Familie und unterstützt seine Frau bei Haushaltstätigkeiten. Aufgrund der Tatsache, dass der Beschwerdeführer Schichtarbeit leistet, verfügt er noch über eine kleine Mietwohnung in unmittelbarer Nähe zu der gemeinsamen Wohnung. Diese nutzt er ausschließlich zum Schlafen; er hält sich hauptsächlich in der gemeinsamen Wohnung bei seiner Familie auf. Der Beschwerdeführer verfügt über keine wesentlichen Bindungen mehr zu seinem Herkunftsland; er ist seit über 12 Jahren im Bundesgebiet aufhältig und hat sich sozial und beruflich integriert. In der Gesamtschau hat der sich Beschwerdeführer jedenfalls ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich aufgebaut.

Zugunsten des Beschwerdeführers ist außerdem sein Bemühen um Integration. So hat er am 20.11.2012 die Deutschprüfung des ÖIF auf Niveau B1 erfolgreich absolviert und die ÖSD Integrationsprüfung Deutsch A2 am 13.09.2016 bestanden. Sein Bestreben, sich in die österreichische Gesellschaft nachhaltig zu integrieren ist erkennbar, das bestätigen auch die vorgelegten Unterstützungsschreiben. Der Beschwerdeführer ist während seines langjährigen Aufenthalts immer wieder einer Erwerbstätigkeit nachgegangen; insgesamt 16 Monate. Die Zeit in der er keiner Beschäftigung nachging, hat er für den Besuch von Deutschkursen sowie dazu genutzt, sich in Österreich zu integrieren; in seiner Freizeit spielt er unter anderem Fußball. Der Beschwerdeführer arbeitet seit März 2021 in XXXX als Kommissionierer und Lagermitarbeiter.

Der Beschwerdeführer kann seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet selbst bestreiten. Zur Finanzierung seiner Familie erhält der er zuzüglich Sozialhilfe von der Caritas.

3.2.3 Der Beschwerdeführer weist in Österreich eine rechtskräftige Verurteilung auf. Er wurde wegen §§ 148a Abs. 1, 148a Abs. 2 erster und zweiter Fall StGB, § 15 StGB, § 241e Abs. 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt, von der ihm ein Teil in der Höhe von zehn Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden ist. Der Beschwerdeführer hat über einen längerfristigen Zeitraum von rund zweieinhalb Jahren gewerbsmäßig eine massive Anzahl von Tathandlungen gesetzt und durch sein Verhalten einen überaus hohen Schaden in der Höhe von mehr als EUR 293.000,- verursacht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es bei der verübten Straftat zu keiner Gewaltanwendung gegenüber Mitmenschen gekommen ist und vom Landesgericht unter anderem das reumütige Geständnis als mildernd gewertet wurde. Auch war der Beschwerdeführer bis zur Begehung dieser Tat unbescholten. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht betonte er abermals diesen Fehler sehr zu bedauern, daraus gelernt zu haben, diesen Fehler nicht noch einmal zu wiederholen und verstanden zu haben, dass sein Leben nicht so einen Lauf nehmen solle (VH-Protokoll S. 4). Der Beschwerdeführer hat sich seit seiner Haftentlassung, somit die letzten 15 Monate, wohlverhalten und zeigt sich reumütig, sodass eine Zukunftsprognose zum Entscheidungszeitpunkt positiv ausfällt.

3.2.4. Es ist ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. VwGH 6.4.2020, Ra 2020/20/0055, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt allerdings auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. dazu grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005).

3.2.5. Im gegenständlichen Fall bedarf es somit einer auf den Einzelfall bezogenen Gesamtabwägung aller Umstände, um beurteilen zu können, ob das persönliche Interesse des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund seines langjährigen Aufenthalts sowie im Hinblick auf das Kindeswohl seiner vier in Österreich geborenen Kinder, dem öffentlichen Interesse an einer aufenthaltsbeenden Maßnahme überwiegt.

Dem Beschwerdeführer ist zur Last zu legen, dass dieser über einen längerfristigen Zeitraum von rund zweieinhalb Jahren gewerbsmäßig eine massive Anzahl von Tathandlungen gesetzt und durch sein Verhalten einen überaus hohen Schaden in der Höhe von mehr als EUR 293.000,- verursacht hat. Diese Tatsache begründet jedenfalls ein öffentliches Interesse an einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, könnte hierdurch eine schwerwiegende Gefährdung für die öffentliche Sicherheit gegeben sein. In einer den Einzelfall betreffenden Gesamtabwägung ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Straftat die einzige während des gesamten, nunmehr zwölfjährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war und er sich geständig und reumütig verantwortet hat. Zehn Monate der verhängten Strafe wurden unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Seit seiner Haftentlassung hat sich der Beschwerdeführer wohlverhalten, woraus sich eine positive Zukunftsprognose schließen lässt. Der Beschwerdeführer zeigt sich seit seiner Verurteilung, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, reumütig und bedauert diese Tat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass von seiner Person weiterhin eine Gefahr der Begehung weiterer Vermögensdelikte besteht. Auch ist es bei der verübten Straftat zu keiner Gewaltanwendung gegenüber Mitmenschen gekommen.

Der Beschwerdeführer hat sich während seines langjährigen Aufenthalts in Österreich, wie bereits ausgeführt, nachhaltig beruflich und sozial integriert sowie ein schützenswerten Privat- und Familienlebens aufgebaut. Die Tatsache, dass die vier Kinder des Beschwerdeführers in Österreich geboren wurden, hier die Schule bzw. den Kindergarten besuchen, die Sprache des Herkunftsstaates nicht sprechen sondern in deutscher Sprache kommunizieren und keinerlei Beziehungen zum Herkunftsstaat mehr bestehen, zumal sie sich seit ihrer Geburt in Österreich aufhalten und eine Bindung zum Herkunftsstaat demnach gar nicht erst entstehen konnte, führt im Ergebnis dazu, dass den Kindern nicht zugemutet werden kann, den Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat zu begleiten. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme hätte gravierende Auswirkungen auf das Kindeswohl.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel mit einem Kleinkind, wie den jüngeren Kindern des Beschwerdeführers, kaum möglich ist und dem Vater eines Kindes (und umgekehrt) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zukommt (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332, mwN).

Im Ergebnis ist die einmalige strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers, auch wenn es dadurch zu einem sehr hohen Vermögensschaden gekommen ist, nicht geeignet ein derartiges öffentliches Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zu begründen welches den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegt. Dies insbesondere deshalb, da es durch den mittlerweile zwölfjährigen Aufenthalt in Österreich zu einer massiven Verfestigung und Integration im österreichischen Bundesgebiet gekommen ist. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs folgend, ist im gegenständlichen Fall bei dem über zehnjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und dem damit begründeten Privat- und Familienleben von einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich auszugehen, zumal der Beschwerdeführer die Zeit in Österreich genutzt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Die einmalige Verurteilung des Beschwerdeführers ist in der Gesamtschau aller Umstände demnach, wie oben näher dargelegt, nicht dazu geeignet, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem gemeinsamen Aufenthalt im Bundesgebiet mit den genannten Angehörigen gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung fallgegenständlich zurücktreten müssen. Es ist auch insbesondere auf das Kindeswohl der vier in Österreich geborenen Kinder des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen und würde, wie bereits ausgeführt, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme einen massiven Eingriff in das Kindeswohl darstellen.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) zwar grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 1. 7. 2009, U992/08 bzw. VwGH 17. 12. 2007, 2006/01/0216; 26. 6. 2007, 2007/01/0479; 16. 1. 2007, 2006/18/0453; 8. 11. 2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22. 6. 2006, 2006/21/0109; 20. 9. 2006, 2005/01/0699), im gegenständlichen Fall überwiegen aber aufgrund der dargestellten exzeptionellen Umstände in einer Gesamtabwägung aller Umstände dennoch die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung (vgl. VwGH 22. 2. 2005, 2003/21/0096; vgl. ferner VwGH 26. 3. 2007, 2006/01/0595, sowie VfSlg 17.457/2005). Im Ergebnis ist eine Rückkehrentscheidung angesichts der vorliegenden Bindung unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Da somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, erfüllt diese die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005.

3.3. Zur Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung plus“:

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß der Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integration

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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